TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/25 W102 2212819-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2021
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Entscheidungsdatum

25.03.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8

Spruch


W102 2212819-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias 01.01.1994), StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Ulrich Gstrein, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 14.12.2018, Zl. XXXX - XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.02.2021 zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

III.     XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und 2 erster Fall AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 01.12.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 03.12.2015 gab der Beschwerdeführer an, er stamme aus Logar, habe zehn Jahre die Schule besucht und als Polizeibeamter gearbeitet. Zum Fluchtgrund führte er im Wesentlichen aus, er sei im Heimatland Polizist gewesen und habe sich dort sehr gut ausgekannt und auch die Leute gut gekannt. Die Taliban hätten gedacht, er könnte Informationen über die Regierung haben. Aus diesem Grund hätten sie ihm gesagt, er solle seinen Job lassen. Der Talib selbst habe das zu ihm gesagt. Sie hätten ihn angerufen und ihm gesagt, dass er seinen Job lassen solle, sonst würden sie ihn töten. Sie seien auch zu seinen Eltern gegangen und hätten ihnen gesagt, sie sollten ihn bei den Taliban abgeben.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 03.12.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er werde vielleicht behördlich gesucht, weil er seinen Job ohne Kündigung verlassen habe. Er habe Urlaub genommen und gesagt, seine Mutter sei krank, dann habe er ein Ticket erhalten und sei von der Arbeit weggefahren. Er habe für die Polizei gearbeitet. In den ersten Jahren seiner Arbeit habe er die Familie zuhause besuchen können. 1393 seien die Taliban mächtiger geworden, hätten Älteste im Ort getötet und Zettel in der Moschee aufgehängt, jeder der für die Regierung arbeite, müsse seine Arbeit kündigen. Viele Personen, die für die Regierung gearbeitet hätten, seien von den Taliban getötet worden. Deshalb sei er nicht mehr nachhause gegangen. Er habe mit einem Schulkollegen Kontakt gehabt, der ihn gefragt habe, warum er nicht nachhause gekommen sei. Er habe gesagt, er habe viel Arbeit und weil die Taliban im Dorf seien. Eines Tages habe der Schulkollege angerufen und gesagt, der vom Beschwerdeführer gewählte Weg sei nicht der richtige. Er habe ihn beleidigt und gesagt, er werde als unreiner Mensch sterben. Er gehöre jetzt zu den Taliban, dies habe er ihm nach acht Monaten, in denen er nicht nach Hause gekommen sei, gesagt. Der Beschwerdeführer habe dann seine Nummer gewechselt und der Schulkollege habe ihn nicht mehr erreichen können. Darauf sei der Schulkollege er zum Bruder gegangen und habe zu ihm gesagt, er solle dem Beschwerdeführer ausrichten, er solle seinen Job kündigen. Im Jahr 1394 hab er die neue Nummer des Beschwerdeführers herausgefunden, ihn angerufen und ihm gesagt, er sei jetzt Stellvertreter des Führers der örtlichen Talibangruppierung. Er würde ihm helfen, zu den Taliban zu kommen und dies wäre seine letzte Chance. Der Beschwerdeführer habe ihm gesagt, er wolle das nicht und solle ihn in Ruhe lassen. Er habe dann wieder seine Nummer gewechselt. Die Taliban seien dann zum Bruder gegangen, hätten ihn geschlagen und bedroht und aufgefordert, den Beschwerdeführer nach Hause zu holen. Der Bruder habe dem Beschwerdeführer am Telefon gesagt, er solle nachhause kommen. Der Beschwerdeführer habe ihm geantwortet, er könne nicht, da ihn die Taliban sonst töten würden. Der Bruder habe ihm gesagt, dass das Leben des Beschwerdeführers nicht wertvoller sei als sein eigenes und das seiner Kinder. Der Beschwerdeführer habe ihm gesagt, sie könnten alle nach Kabul ziehen, um vor den Taliban sicher zu sein. Der Bruder habe gesagt, diesbezüglich hätten ihn die Taliban bereits gewarnt, sie würden ihn töten, sollte er umziehen. Alle seine Grundstücke und seine Landwirtschaft seien im Dorf, er könne in Kabul ohne seine Landwirtschaft nicht leben. Sie hätten am Telefon gestritten. Der Bruder und die Taliban hätten gewollt, dass er nachhause komme. Es habe keinen Unterschied zwischen ihnen gegeben. Er habe dann mit seiner Mutter telefoniert, die ihm auch gesagt habe, er solle nachhause kommen. Sie habe dabei geweint. Es habe ihn traurig gemacht und er habe sich dann entschieden, mit seinem Job als Polizist aufzuhören und zu flüchten. Er habe der Polizei gesagt, die Mutter sei krank, habe Urlaub genommen und sei nach Kabul gefahren. Von dort habe er einen Freund telefonisch kontaktiert, der ihm gesagt habe, dass der Bruder von den Taliban eine Frist für die Heimkehr des Beschwerdeführers gestellt bekommen habe. Er würde Probleme bekommen, wenn er nachhause komme. Er habe dann telefonisch versucht, Mutter und Bruder vom Umzug nach Kabul zu überzeugen. Sie hätten dies nicht gewollt. Sie hätten ihm gesagt, sie hätten eine einwöchige Frist bekommen, um den Beschwerdeführer von der Arbeit heimzuholen. Er habe gesehen, dass ihm niemand helfen werde, auch der Neffe in Kabul, bei dem er sich aufgehalten habe, habe Angst gehabt und ihm gesagt, dass er vielleicht auch ein Problem wegen der Weigerung des Beschwerdeführers bekommen könne. Er habe sich dann entschieden, in den Iran zu gehen.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.12.2018, zugestellt am 19.12.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, Deserteure der Polizei hätten mit keiner Strafe zu rechnen. Dass der Beschwerdeführer als Polizist gedient habe, sei glaubhaft. Der Beschwerdeführer habe keine exponierte Stellung innerhalb der Afghan Police Protection Force innegehabt. Dass der Beschwerdeführer von einem Schulfreund aus dem Dorf bedroht worden sei, sei nicht glaubhaft. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer seine gesamte Familie allein in Afghanistan zurückgelassen habe, sie wäre den Taliban schutzlos ausgeliefert. Ein derart starkes Interesse am Beschwerdeführer sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit in Anspruch genommen habe, in einen für ihn sicheren Bereich Afghanistans zu ziehen bzw. dort zu bleiben. Teile der Familie würden noch im Herkunftsdorf leben, dies sei unverständlich, sollte die angegebene Bedrohungssituation tatsächlich vorliegen. Das Ultimatum sei konsequenzlos verstrichen. Allein wegen der ehemaligen Zugehörigkeit zur APPF sei nicht mit Verfolgung zu rechnen, Gruppenverfolgung ehemaliger Mitarbeiter der afghanischen Polizei liege nicht vor, es fehle die erforderliche Verfolgungsdichte. Die Herkunftsprovinz sei volatil, dem Beschwerdeführer stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2018 richtet sich die am 01.01.2019 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die belangte Behörde glaube dem Beschwerdeführer wesentliche Details der Fluchtgeschichte. Die Taliban hätten das Interesse an der Familie des Beschwerdeführers nach dessen Ausreise verloren und könnten deshalb unbehelligt im Herkunftsdorf leben. Die Provinz Logar sei umkämpft, dies Spreche für die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers. Sicherheits- und Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif seien schlecht.

Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Ladung vom 23.12.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schreiben vom 01.02.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 15.02.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe das Bestehen einer Bedrohung durch die Taliban glaubhaft dargestellt, sei dies auch dem aktuellen Länderinformationsblatt zu entnehmen und beziehe sich auf das gesamte Staatsgebiet. Er habe gegen die Taliban gekämpft. Die hätten seine Familie unter Druck gesetzt, welche um ihr eigenes Leben fürchte. Der Bruder habe den Taliban glaubhaft darlegen können, dass der Beschwerdeführer geflüchtet sei, werde die Rückkehr des Beschwerdeführers jedoch sofort den Taliban mitteilen, damit er sein eigenes Leben und das seiner Familie schützen könne. Verwandte und Freunde könnten dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nicht helfen, sie würden vorher ihr eigenes Leben schützen. Der Beschwerdeführer lebe seit mehr als fünf Jahren in Österreich und habe sich seit seiner Ankunft bemüht, sich sofort in die lokale Gesellschaft einzugliedern. Er habe gemeinnützige Arbeit geleistet, sich stets um eine Arbeitsstelle bemüht und schon in der Gastronomie gearbeitet. Außerdem habe er ein selbstständiges Gewerbe angemeldet und habe sich vor der Pandemie gesellschaftlich bei Vereinen und Sportaktivitäten integriert. Weite Teile Afghanistans, insbesondere die Region Logar, würden unter Kontrolle der Taliban stehen. Die COVID-19-Pandemie führe zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der Arbeitsmöglichkeiten. Afghanistan sei von der Pandemie schwer betroffen, das Gesundheitssystem eingeschränkt. Vorgelegt wurde zudem das Zeugnis zur Integrationsprüfung für das Niveau B1 des Beschwerdeführers.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 16.02.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde von den Taliban verfolgt, weil er Polizist gewesen sei, im Wesentlichen aufrecht.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Polizei-Dienstausweis

?        Bankkarte

?        Tazkira in Kopie

?        Medizinische Unterlagen

?        ÖSD Zertifikat A2

?        Integrationsprüfungszeugnis B1

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

?        Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs

?        Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten

?        Unterlagen betreffend den Pflichtschulabschluss

?        Unterlagen zur Gewerbeanmeldung

?        Einstellungszusage

?        Arbeitsrechtliche Vorvertrag

?        Beschäftigungsbewilligungsbescheid

?        Verdienstnachweise

?        Beschäftigungsbestätigung

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Mehrere Fotos

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Dari. Er spricht außerdem Deutsch auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist rechtsseitig hochgradig schwerhörig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Logar, Distrikt Mohammad Agha, geboren und hat im Herkunftsstaat zehn Jahre die Schule besucht. Anschließend absolvierte er eine zweimonatige Ausbildung zum Polizisten und arbeitete ab Mai 2012 bis zu seiner Ausreise als einfacher Polizist.

Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Die Mutter lebt im Herkunftsdorf. Der Beschwerdeführer hat fünf Schwestern und einen Bruder, alle sind verheiratet. Eine der Schwestern lebt in Kabul, drei Schwestern in der Provinz Logar, eine in der Provinz Paktia. Bruder und Mutter des Beschwerdeführers leben im Herkunftsdorf. Kontakt besteht aktuell nicht.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Dezember 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat nach seiner Einreise zunächst Deutschkurse besucht und außerdem an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Von Februar 2018 bis Juni 2019 hat der Beschwerdeführer einen Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss besucht und laufend Teilprüfungen abgelegt. Am 05.07.2019 hat der Beschwerdeführer den Pflichtschulabschluss erlangt. Am 25.09.2020 hat der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung für das Niveau B1 bestanden.

Am 07.10.2019 hat der Beschwerdeführer das Gewerbe „Hausbetreuung“ und sich zur gewerblichen Sozialversicherung angemeldet. Im September 2020 wurde dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung Branchenkontingent bis zum 20.03.2021 erteilt. In diesem Zeitraum arbeitete der Beschwerdeführer in einem Burger-Lokal und bezog ein Monatseinkommen von EUR 1.540,– Brutto. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage als „Rohrreiniger-Helfer“, diesbezüglich wurde bereits ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag geschlossen, aus dem ein Brutto-Monatsgehalt von EUR 2.000,– ersichtlich ist. Aktuell bezieht der Beschwerdeführer Grundversorgung.

Zudem hat sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich in einem Naturpark bei einer Teichrenaturierung mitgearbeitet und in seiner Wohnsitzgemeinde gemeinnützige Arbeit geleistet. Im Rahmen der gemeinnützigen Tätigkeit war der Beschwerdeführer im örtlichen „Skiklub“ tätig, wo er zahlreiche Hilfstätigkeiten ausgeführt hat. Auch in einem Alten- und Pflegeheim wurde er eingesetzt. In seiner Grundversorgungsunterkunft hat sich der Beschwerdeführer zudem als freiwilliger Dolmetscher und auch sonst bei Bedarf für andere Aufgaben zur Verfügung gestellt.

In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Volleyball in einer privaten Hobby-Gruppe und hat dort und bei anderen Gelegenheiten soziale Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer war als Polizist in seiner Herkunftsprovinz in XXXX stationiert. Im ersten Jahr seiner Tätigkeit kehrte der Beschwerdeführer noch regelmäßig in sein Herkunftsdorf zurück. Bedingt durch zunehmende Taliban-Aktivitäten waren Besuche im Herkunftsdorf dann nicht mehr möglich.

Von einem ehemaligen Schulkollegen, der sich mittlerweile den Taliban angeschlossen hatte, wurde der Beschwerdeführer mehrmals telefonisch bedroht und aufgefordert, seine Arbeit aufzugeben und sich den Taliban anzuschließen. Dann wurde der im Herkunftsdorf verbliebene Bruder des Beschwerdeführers von den Taliban bedroht und aufgefordert, den Beschwerdeführer zur Heimkehr zu bewegen. Der Bruder forderte den Beschwerdeführer schließlich telefonisch auf, nachhause zu kommen, was zum Streit führte. Der Beschwerdeführer nahm Urlaub, reiste nach Kabul zu seinem Neffen. Dort erfuhr er telefonisch von einem Freund aus dem Dorf, dass der Bruder eine einwöchige Frist erhalten hatte, um den Beschwerdeführer zur Heimkehr zu bewegen. Der Beschwerdeführer versuchte von Kabul aus, Bruder und Mutter telefonisch zum Umzug nach Kabul zu bewegen, was diese ablehnten. Der Beschwerdeführer reiste aus und informierte vom Iran aus den Dorfvorsteher über diesen Umstand.

Der Beschwerdeführer war im Lauf seiner Tätigkeit in Kämpfe mit den Taliban verwickelt. Etwa wurde sein Polizeistützpunkt drei Mal von den Taliban angegriffen. Außerdem kam es zu einem Talibanangriff, als der Beschwerdeführer als Mitglied seiner Polizeieinheit bei der Mienenräumung dabei war. Auch an Angriffen gegen die Taliban war der Beschwerdeführer beteiligt. Eine persönliche Feindschaft ist hieraus nicht entstanden.

Die Provin Logar zählt zu den volatilen Provinz Afghanistans, die Taliban sind aktiv. Das Herkunftsdorf zählt zu den am meisten umkämpften Gebieten des Herkunftsdistriktes. Die Autobahn durch Mohammad Agha wird regelmäßig von den Taliban blockiert, es werden Personen aus ihren Autos geholt, die der Zusammenarbeit mit der Regierung oder NGOs verdächtigt werden.

Im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsdorf wäre der Beschwerdeführer von Übergriffen von Seiten der Taliban bedroht, weil er in der Vergangenheit für die afghanische Polizei tätig war.

Mit einem gezielten Angriff der Taliban auf den Beschwerdeführer in einer unter Regierungskontrolle stehenden Großstadt ist nicht zu rechnen.

Gemäß dem afghanischen Militärstrafgesetzbuch von 2008 wird eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden als unerlaubt. Fahnenflucht und unerlaubtes Wegbleiben vom Arbeitsplatz im Militär-und Polizeibereich kommen häufig vor und können mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden, wobei keine Fälle bekannt sind, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahmen gekommen ist. In der Praxis werden Fälle von Desertion in Afghanistan nicht strafrechtlich verfolgt, insbesondere wenn die desertierten Personen innerhalb Afghanistans ausgebildet wurden.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2019 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 22% gegenüber 2018. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen. Im Zeitraum 01.01.-30.09.2020 sind 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) dokumentiert, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist. Balkh ist ethnisch divers und wird unter anderem von Paschtunen bewohnt.

In Mazar-e Sharif kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu 9 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen, für den keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.

Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein. Ein „Lockdown“ oder Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sind in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul aktuell nicht in Kraft.

Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich, zur Eröffnung eines Bankkontos ist ein Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital erforderlich, zudem sind Überweisungen aus dem Ausland über das Hawala-System möglich.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen, die Zahl der Fälle geht seit Juni 2020 kontinuierlich zurück. Die Versorgung Erkrankter ist mangelhaft, es mangelt an Kapazitäten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% der Gesamtbevölkerung geschätzt. 40 % der Gesamtbevölkerung sind Paschtunen, sie sind die größte Volksgruppe Afghanistans und sprechen Paschtu. Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie seiner Muttersprache und seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den gleichbleibenden plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde legte diese Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau B1 (OZ 18).

Zu seiner Schwerhörigkeit hat der Beschwerdeführer eine Bestätigung vorgelegt (AS 523) und zudem in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 03.12.2018 detailliert und plausibel geschildert, wie es zu seiner Schwerhörigkeit gekommen ist (AS 107). Weiter hat der Beschwerdeführer einen Befund zu seinem „Knalltrauma“ vorgelegt (OZ 18)

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen zu Herkunft und Lebensweg des Beschwerdeführers beruhen auf seinen plausiblen, gleichbleibenden Angaben, die auch die belangte Behörde nicht in Zweifel zog. Insbesondere stellte die belangte Behörde auch fest, dass der Beschwerdeführer als Polizist tätig war, wobei der Beschwerdeführer hierzu unter anderem seinen Dienstausweis und zahlreiche Fotos in Vorlage gebracht hat.

Die Feststellung zu den Angehörigen des Beschwerdeführers und deren Verbleib beruhen insbesondere auf den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 03.12.2018 (AS 111). Dass der Beschwerdeführer zu seinem Bruder keinen Kontakt pflegt, hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.02.2021 angegeben und dies plausibel damit begründet, dieser habe ihn an die Taliban ausliefern wollen (OZ 19, S. 3). Hinsichtlich des Neffen in Kabul gibt der Beschwerdeführer an, zuletzt im Sommer 2019 mit ihm Kontakt gehabt zu haben (OZ 19, S. 3) und weiter, die Internetverbindung sei in der Folge abgebrochen und habe er den Neffen seither nicht erreichen können (OZ 19, S. 4).

Das Antragsdatum ist aktenkundig und sind Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise des Beschwerdeführers nicht hervorgekommen. Zu seinen Deutschkursen hat der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen vorgelegt (AS 539, 541, 349), ebenso zum Werte- und Orientierungskurs (547) und zum Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss (AS 553, 559; OZ 18, Beilage E). Auch sein Prüfungszeugnis, sowie einige Teilprüfungszeugnisse (OZ 18, Beilage E) und das Zeugnis zur Integrationsprüfung für das Niveau B1 sind aktendkundig (OZ 18, Beilage G).

Unterlagen zum angemeldeten Gewerbe wurden vorgelegt (OZ 18, Beilage E), ebenso der Beschäftigungsbewilligungsbescheid des AMS (OZ 18, Beilage J), sowie eine Bestätigung seines Arbeitgebers und Verdienstnachweise (OZ 18, Beilage K, Beilage zu OZ 19). Einstellungszusage und arbeitsrechtlichen Vorvertrag hat der Beschwerdeführer ebenso vorgelegt (OZ 18). Der aktuelle Grundversorgungsbezug geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor.

Zu seinem Engagement im Naturpark hat der Beschwerdeführer eine Bestätigung vorgelegt (AS 537), ebenso zur gemeinnützigen Arbeit (AS 543, 551, 565, 567, 569; OZ18, Beilage D). Die Tätigkeit als freiwilliger Dolmetscher geht aus einem Empfehlungsschreiben der Heimleitung hervor (OZ 18, Beilage L). Die Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Volleyballgruppe geht aus einem Empfehlungsschreiben hervor (OZ 18, Beilage M), das dem Beschwerdeführer neben einem zweiten Empfehlungsschreiben auch große Kontaktfreude attestieren und in einer Weise von ihm zu erzählen wissen, die auf einen freundschaftlichen näheren Kontakt hinweist. Vom Volleyball erzählte der Beschwerdeführer auch im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.02.2021, wo er auch angab, bereits Freunde in Österreich gefunden zu haben. Vor dem Hintergrund der umfassenden Aktivitäten des Beschwerdeführers scheint dies auch glaubhaft.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zunächst geht bereits die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer als Polizist tätig war und begründet dies damit, dass der Beschwerdeführer Lichtbilder und seinen Polizeiausweis vorgelegt und plausible Angaben betreffend seine Tätigkeit gemacht hat. Das Bundesverwaltungsgericht teilt diesen Eindruck. Die vom Beschwerdeführer geschilderte Bedrohung beurteilt die belangte Behörde dagegen als nicht glaubhaft. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde lässt allerdings die Länderberichte weitgehend außer Acht.

Aus den vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 23.12.2020 (OZ 11) in das Verfahren eingebrachten UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) ergibt sich, dass regierungsfeindliche Kräfte (insbesondere die Taliban) afghanische Sicherheitskräfte, insbesondere die afghanische nationale Polizei, gezielt angreifen. Von Angriffen betroffen sind auch ehemalige Angehörige der ANDSF (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe b) Zivile Polizeikräfte (einschließlich Angehörigen der ANP und ALP) 271 sowie ehemalige Angehörige der ANDSF, S. 47-48). Auch die vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 01.02.2021 (OZ 16) in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance) berichtet, dass Angehöriger der ANSF – darunter auch die Afghan National Police (ANP) – im und außer Dienst zu den regelmäßigen Angriffszielen der Taliban gehören. Hier wird insbesondere berichtet, dass ihre „Layeha“ (Verhaltenskodex) die Taliban auffordere, Angehörige der ANSF zum Aufgeben oder Überlaufen zu bewegen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 58-59). Beide eben zitierten Quellen berichten zudem, dass Familienangehörige zum Ziel würden. Der EASO Country Guidance zufolge würden diese insbesondere unter Druck gesetzt, ihren Angehörigen zu überzeugen, dass er seine Position bei den Sicherheitskräften aufgeben möge (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 58). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von Angriffen auf Angehörige als Vergeltungsmaßnahme, sie würden Opfer von Schikanen, Entführung, Gewalt und Tötung (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, S. 54).

Im Hinblick auf die Entwicklung der Sicherheitslage in der Provinz Logar lässt sich dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 23.12.2020 (OZ 11) in das Verfahren eingebrachten EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020 entnehmen, dass es in der Provinz Logar seit dem Jahr 2011 zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage kam, sowie, dass der Distrikt Mohammad Agha (mit Stand 2014) zu jenen Gebieten zählte, die am stärksten von den Taliban getroffen wurden (Kapitel 2.22. Logar, Unterkapitel 2.22.2 Conflict background and actors in Logar, S. 217). Vor dem Hintergrund dieser erst beginnenden Destabilisierung ist damit plausibel, dass der Beschwerdeführer zunächst noch ins Herkunftsdorf zurückkehren konnte und erst eine Weile nach Aufnahme seiner Tätigkeit bedroht wurde.

Weiter berichtet der vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 23.12.2020 (OZ 11) in das Verfahren eingebrachten EASO, COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017, dass die Taliban neben mobilen Vollzeit-Berufskämpfern auch über „lokale Teilzeitkämpfer“ verfügen, die in ihre lokale Gesellschaft integriert sind (Kapitel 1.1.2 Stärke der Taliban, S. 14). Im vom Bundesverwaltungsgericht ebenso mit Ladung vom 23.12.2020 (OZ 11) in das Verfahren eingebrachten EASO, COI Report: Afghanistan. Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen von September 2016 werden die vielschichtigen und komplexen Mechanismen bei der Rekrutierung lokaler Kämpfer näher dargestellt (1.2.1 Lokale Taliban-Fronten, S. 14 ff.), wobei hierauf gegenständlich nicht näher eingegangen zu werden braucht. Dass jedoch ehemalige Freunde bzw. Schulkameraden des Beschwerdeführers aus dessen Ursprungsgemeinschaft sich den Taliban angeschlossen haben, ist dem Hintergrund dieser Berichte geradezu zu erwarten, wenn die Taliban in der Region an Stärke gewinnen.

Weiter berichtet der bereits zitierte EASO, COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017, dass die Taliban Informationen über lokale Älteste und lokale Bevölkerungsgruppe sammeln würden, um herauszufinden, welche Familie Angehörige bei den ANSF habe, dann würden sie die Familie unter Druck setzen, um den ANSF-Mitarbeiter davon zu überzeugen, seine Position aufzugeben. Bei Abwesenheit der Person könnten Angehörige auch bestraft oder bedroht werden, um die gesuchte Person durch Druck dazu zu bringen, sich zu stellen. Der Bericht bezeichnet diese Taktik als relativ erfolgreich, sie sei insbesondere in ländlichen Gebieten sehr verbreitet. Druck auf Familienangehörige werde überall dort ausgeübt, wo die Taliban präsent seien, um ANSF-Mitarbeiter zu zwingen, ihre Tätigkeit aufzugeben (Kapitel 1.3.1 Familienangehörige von ANSF-Personal, S. 65). Mit Blick auf die eben dargelegte zunehmende Destabilisierung der Sicherheitslage in der Provinz Logar seit dem Jahr 2011 ist damit plausibel, dass diese Taktik auch im Herkunftsdorf des Beschwerdeführers zur Anwendung kommt. Weiter scheint damit vor dem Hintergrund des eben zitierten EASO-Berichtes nahezu ausgeschlossen, dass die Familie des Beschwerdeführers – so wie es die belangte Behörde offenbar annimmt – im Herkunftsdorf hätte leben können, ohne dass sie wegen der Tätigkeit des Beschwerdeführers von den Taliban behelligt würde. Mit dieser konkreten Vorgehensweise der Taliban in Zusammenschau mit der Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, wie sie aus den Länderberichten hervorgeht, hat sich die belangte Behörde jedoch nicht auseinandergesetzt. Es ist damit auch das „starke Interesse“ der Taliban an einem einzelnen Polizisten im niedrigsten Dienstgrad, das die belangte Behörde als nicht nachvollziehbar erachtet (AS 119), von den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten belegt. Auch berichtet EASO, dass unter anderem ANSF-Angehörige mit der Forderung konfrontiert werden, „zu bereuen“ und „Buße zu tun“, wobei sich aus dem Bericht ergibt, dass dies sowohl in Form einer „öffentlichen Erklärung“ als generelle Einladung an alle Betroffenen erfolgen kann (Kapitel 1.4.1 Reue und Buße, S. 67), so wie es der Beschwerdeführer in seinem der belangten Behörde vorgetragenen Fluchtvorbringen als Beginn der Bedrohung beschreibt (AS 117-118), sowie auch als individuelle Aufforderung an eine konkrete Einzelperson. Damit entspricht auch das vom Beschwerdeführer beschriebene Vorgehen den Länderberichten.

Weiter führ die belangte Behörde, aus, die Taliban seien nicht dafür bekannt, Forderungen und Ultimaten zu stellen, um diese konsequenzlos verstreichen zu lassen, sowie, dass das vom Beschwerdeführer dargelegte Bedrohungsszenario nicht vorliegen könne, weil die Familie unbehelligt in der relativ volatilen Herkunftsprovinz lebe (AS 780). Auch dies erweist sich jedoch als bloße Spekulation ohne Berücksichtigung der Länderberichte und der konkreten Schilderung des Beschwerdeführers.

So geht aus dem bereits oftmals zitierten EASO, COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 hervor, dass ANSF-Angehörige sich neben dem Ausscheiden aus dem Dienst den Taliban anschließen können, bevor sie zum Ziel von Angriffen würden (Kapitel 1.4.1 Reue und Buße, S. 67). Gegenständlich hat der Beschwerdeführer noch nicht von einem gezielten Angriff, sondern lediglich von einer sich zuspitzenden Aufforderung gesprochen. Weiter schildert der Beschwerdeführer kein „konsequenzloses“ Verstreichen des Ultimatums, sondern hat die Minimalforderung der Aufgabe seiner Tätigkeit für die ANSF erfüllt und ist ausgereist. Hierzu geht aus dem Bericht hervor, dass es normalerweise ausreiche, der Aufforderung nachzukommen, um weiteren gezielten Angriffen zu entgehen (Kapitel 1.4.1 Reue und Buße, S. 67). Weiter ist die Kooperationsbereitschaft des Bruders gegenüber den Taliban, der den Beschwerdeführer zur Heimkehr bewegen und ausliefern wollte, von der belangten Behörde nicht berücksichtigt werden. Insbesondere berichtet EASO auch, dass die Drohung mit Gewalt nicht immer wahrgemacht werden, aber Familienangehörige mitunter hingerichtet würden (Kapitel 1.3.1 Familienangehörige von ANSF-Personal, S. 65). Demnach ist mit den Länderberichten vereinbar, dass die Taliban die Familie des Beschwerdeführers letztendlich nicht angegriffen haben, nachdem er seinen Dienst für die ANSFD aufgegeben hatte.

Soweit die belangte Behörde ausführt, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer seine Familie in Afghanistan zurückgelassen habe, (AS 779), berücksichtigt sie nicht, dass der Beschwerdeführer seinen Versuch, seine Familie von einem Umzug nach Kabul zu überzeugen, bevor er ausgereist ist, geschildert hat und überdies seine Tätigkeit aufgrund einer Bedrohung der Familie aufgegeben hat, während seine Familie vom Beschwerdeführer im Wesentlichen verlangt hat, sich den Taliban zu stellen und damit offenbar dessen mögliche Bestrafung in Kauf nehmen wollte, um sich selbst zu schützen. Damit ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend erklärt und auch nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer letztendlich ohne seine Familie ausgereist ist. Weiter hat der Beschwerdeführer hierzu in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.12.2018 angegeben, er habe vom Iran aus den Dorfvorsteher gesprochen und ihm gesagt, dass er nicht mehr in Afghanistan sei (AS 119), worin sich ebenso manifestiert, dass der Beschwerdeführer sich (dennoch) um die Sicherheit seiner Familie bemüht hat.

Insgesamt erweisen sich die Schilderungen des Beschwerdeführers damit vor dem Hintergrund der Länderberichte als plausibel und schlüssig und hat das Bundesverwaltungsgericht entsprechende Feststellungen getroffen.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz Logar beruhen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 23.12.2020 (OZ 11) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 16.12.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.21. Logar. Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsdorf beruhen auf dem EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, wo auch von der Präsenz der Taliban an der Autobahn durch Mohammad Agha berichtet wird Kapitel 2.22. Logar, Unterkapitel 2.22.2 Conflict background and actors in Logar, S. 219.

Im Hinblick auf eine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers wegen seiner vergangenen Tätigkeit für die ANSF ist den bereits zitierten Berichten zu entnehmen, dass auch ehemalige ANSF-Angehörige gezielten Angriffen der Taliban zum Opfer fallen können (etwa EASO, COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017, Kapitel 1.4.1 Reue und Buße, S. 67; UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe b) Zivile Polizeikräfte (einschließlich Angehörigen der ANP und ALP) sowie ehemalige Angehörige der ANDSF, S. 47-48; EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 58-59). Hinsichtlich des Herkunftsdorfes des Beschwerdeführers wird überdies im EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020 berichtet, dass dieses im Herkunftsdistrikt aktuell zu den am meisten umkämpften Gebieten zählt, wobei insbesondere hinsichtlich der Autobahn im Herkunftsdistrikt berichtet wird, diese würde immer wieder von den Taliban blockiert. Sie würden Personen aus ihren Autos holen, die der Zusammenarbeit mit der Regierung oder NGOs verdächtigt werden (2.22. Logar, Unterkapitel 2.22.2 Conflict background and actors in Logar, S. 219). Damit ist im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in das Herkunftsdorf davon auszugehen, dass er nach wie vor von Übergriffen der Taliban bedroht wäre.

Aus dem EASO, COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 ergibt sich, dass Einzelpersonen, die wegen früherer oder aktueller Beziehungen zur Regierung oder anderen Organisationen, die von den Taliban gezielt angegriffen werden, von den Taliban bedroht werden, mit ihren Familien aus Sicherheitsgründen häufig in die Städte umsiedeln, dies komme auch im Vorgriff auf bestimmte Ereignisse vor, etwa die Einnahme der Stadt Kunduz im Jahr 2015. ANSF-Angehörige und ihre Familien würden schrittweise gezwungen, in sicherere Gebiete umzusiedeln, die der Kontrolle der Regierung unterstehen. Auch dort komme es gelegentlich zu gezielten Angriffen der Taliban. Je nach politischem Tagesklima und dem Profil der Einzelperson können diese selbst nach der Umsiedlung getötet werden, wenn sie von den Taliban aufgespürt würden. Die Taliban würden über ein offizielles und inoffizielles Netz verfügen, um gesuchte Einzelpersonen aufzuspüren, wobei dies auch von den Beziehungen des lokalen Kommandeurs in der Ursprungsprovinz, der zentralen Führen und der Zielprovinz abhänge, sowie vom Ausmaß der Talibanaktivitäten im Umsiedelungsgebiet und deren Umgebungsgebiet. Die afghanische Gemeinschaft sei aufgrund verschiedener Faktoren von Natur aus engmaschig (Kapitel 1.4.2 (interne) Umsiedlung, S. 68-69). Zu den Zugriffsmöglichkeiten auf Einzelpersonen in städtischen Gebieten wird berichtet, es sei schwieriger, Menschen dort aufzuspüren. Es gebe aber sehr wohl gezielte Angriffe in städtischen Zentren, gezielte Tötungen fänden insbesondere in großen Städten statt. Bedingt durch den Ressourcen- und Planungsaufwand würden die Taliban niedrigstehende Personen nach einer Umsiedelung in die Städte eher nicht angreifen. Es gebe Ausnahmen, wenn die gezielte Gewalt durch persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Streitigkeiten bedingt sei (1.4.3 Die Fähigkeit, Personen in den Großstädten aufzuspüren und anzugreifen, S. 69-71). Auch die EASO Country Guidance führt persönliche Feindschaften als Risikoerhöhendes Moment an (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.1. Members oft he security forces and pro-government militas, S. 59).

Gegenständlich gibt es zunächst keine Hinweise auf eine die Angriffsmotivation erhöhende persönliche Feindschaft. So gab der Beschwerdeführer zwar an, er habe gegen die Taliban gekämpft und sei an Angriffen beteiligt gewesen. Er macht jedoch keine konkreten Angaben, die auf eine Feindschaft hindeuten (OZ 19, S. 4) und begründet auch das Interesse des ehemaligen Schulkollegen am Beschwerdeführer nicht weiter, als (wenngleich implizit), mit dieser vormaligen Beziehung, dem gemeinsamen Herkunftsort und dessen Einstieg bei den Taliban. Auch wurde der Bruder des Beschwerdeführers im Herkunftsdorf nach der Flucht des Beschwerdeführers nicht angegriffen, obwohl dies nach den Länderberichten zu erwarten wäre, nachdem der Beschwerdeführer selbst nicht greifbar ist (z.B. UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 14. In Blutfehden verwickelte Personen, S. 110-113; EASO Country Guidance, Kapitel 2.18 2.18.1 Blood feuds, S. 89).

Ansonsten sind risikoerhöhende Elemente im Hinblick auf den Beschwerdeführer für den Fall einer Niederlassung in einer afghanischen Großstadt nicht ersichtlich. Der EASO Country Guidance zufolge ist in diesem Zusammenhang – neben persönlichen Feindschaften – auf das Arbeitsgebiet, Sichtbarkeit, Geschlecht, Herkunftsregion, Präsenz Aufständischer und den Zeitraum, seitdem der Betroffene die Sicherheitskräfte verlassen hat, abzustellen (EASO Country Guidance, Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 59). Gegenständlich hat der Beschwerdeführer die Sicherheitskräfte bereits vor über fünf Jahren verlassen, nachdem er von den Taliban dazu – wenn gleich mit erheblichem Druck – aufgefordert worden war, ohne dass zuvor ein gezielter Angriff stattgefunden hätte und war lediglich als Soldat im untersten Rang in seiner Herkunftsprovinz tätig, während persönliche Feindschaften nicht bestehen. Auch die Angehörigen des Beschwerdeführers leben unbehelligt in der Herkunftsprovinz. Damit sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in eine afghanische Großstadt unter Regierungskontrolle von den Taliban aufgespürt und angegriffen würde.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Dessertion beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 11. Wehrdienst und Rekrutierungen durch verschiedene Akteure.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und insbesondere Mazar-e Sharif beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.5. Balkh. Die Feststellung zum Flughafen beruht ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif. Die EASO Country Guidance bestätigt die Informationen des Länderinformationsblattes und berichtet hinsichtlich des Flughafens von Mazar-e Sharif, dass keine Sicherheitsvorfälle bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection, Abschnitt Safety, S. 164).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 6. Rechtsschutz/Justizwesen, 8. Folter und unmenschliche Behandlung und 12. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Grundversorgung. Dort finden sich auch Informationen zum Finanzsektor.

Die Feststellungen zur COVID-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19, die Feststellungen zur medizinischen Grundversorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23 Medizinische Versorgung. Zum Lockdown bzw. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer zwar ausführt, die Bewegungsfreiheit sei bedingt durch die Pandemie beschränkt. Dies ist dem Länderinformationsblatt jedoch nur im Hinblick auf die Vergangenheit zu entnehmen (3. COVID-19), während für die Gegenwart berichtet wird, es gebe gegenwärtig in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul keine Ausgangssperren. Hinweise auf eine Änderung dieses Umstandes waren für das Bundesverwaltungsgericht nicht auffindbar (Vgl. etwa die Informationen auf der Homepage der US-Botschaft in Kabul: https://af.usembassy.gov/covid-19-information/; abgerufen am 22.03.2021).

Die Feststellung zur Verbreitung der sunnitischen Glaubenszugehörigkeit in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 17. Religionsfreiheit. Die Feststellung zum Anteil der Paschtunen an der Gesamtbevölkerung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 18.1. Paschtunen, zu den Landessprachen auf Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.  Zur asylrelevanten Verfolgungsgefahr wegen (unterstellter) politischer Gesinnung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in sein Herkunftsdorf Übergriffe durch die Taliban drohen, weil er in der Vergangenheit für die afghanische Polizei tätig war. Der Einschätzung der EASO Country Guidance zufolge ist diese Gefahr mit einer von Seiten der Taliban zumindest unterstellten politischen Gesinnung verknüpft (Abschnitt Common anaylsis: Afghanistan, Kapitel 2.1 Members oft he security forces and pro-government militas, S. 59).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

Bedingt durch ein Klima der Straflosigkeit, ein schwaches formelles Justizsystem und die mangelnde Fähigkeit des afghanischen Staates, Täter von Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen, ist der afghanische Staat nicht in der Lage den Beschwerdeführer vor diesen Verfolgungshandlungen der Taliban zu schützen.

Der Beschwerdeführer konnte damit im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung durch Privatpersonen droht, wobei er mit staatlichem Schutz nicht rechnen kann

3.1.2.  Zur Desertion

Der Beschwerdeführer bringt zudem im Wesentlichen vor, er werde behördlich gesucht, weil er aus dem Polizeidienst desertiert sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der staatlichen Strafverfolgung im Allgemeinen keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn zu erblicken. Unter bestimmten Umständen, nämlich dann, wenn die strafrechtliche Verfolgung auf ein nationalen Normen zuwiderlaufendes Verhalten des Betroffenen im Einzelfall, das etwa auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht, abzielt und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Es kommt somit auf die angewendeten Rechtsvorschriften, die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an. (VwGH, 20.12.2016, Ra 2016/01/0126 mwN)

Gegenständlich ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass eine Desertion in Afghanistan im Normalfall nicht zu strafrechtlicher Verfolgung führt. Konkretes Vorbringen, dass ein von diesem Normalfall abweichendes Vorgehen von Seiten der afghanischen Behörden erwarten ließe, hat der Beschwerdeführer dagegen nicht erstattet. Damit erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen GFK-Fluchtgrund das Fluchtvorbringen allenfalls zu subsumieren wäre.

3.1.3.  Zur Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG 2005 zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Verfolgung und Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt ist mit einem gezielten Angriff auf den Beschwerdeführer in einer unter Regi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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