Entscheidungsdatum
25.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W102 2203773-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 03.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.10.2020 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1., 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 15.01.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am 16.01.2016 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er habe Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen, da in Afghanistan derzeit Krieg herrsche, habe er dort nicht mehr leben können.
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.01.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sie hätten eine Feindschaft mit den Kutschi gehabt. XXXX habe das Grundstück an den Großvater des Beschwerdeführers und den Bruder des Großvaters verkauft. Die Kinder von XXXX – XXXX und XXXX – hätten den Vater des Beschwerdeführers bedroht, dass sie das Grundstück wiederhaben wollten, sonst würden sie den Vater töten. Der Bruder des Vaters sei in Kabul gewesen und habe für die Universität gelernt. Dieser Onkel sei von XXXX und XXXX mitgenommen worden und sie hätten dem Vater gesagt, sie würden seinen Bruder töten, wenn er die Grundstücke nicht hergebe. Der Vater habe dann alle zuhause eingesperrt, er habe Angst gehabt, sie würden entführt. Er habe dann gesagt, dass er in den Iran wolle, wenn die Lage so unsicher sei. Mit Hilfe der Mutter sei er nach Ghazni gefahren und der Onkel mütterlicherseits habe mit einem Schlepper gesprochen. Sie seien vor vier oder fünf Jahren erstmals bedroht worden. Die Entführung des Onkels sei im Frühling 2015 gewesen. Ihn persönlich hätten sie auch Entführen wollen, der Cousin mütterlicherseits des Vaters habe den Auftrag bekommen, für 500 000 Afghani den Beschwerdeführer zu entführen. Dieser habe das jedoch nicht gemacht, sondern dem Beschwerdeführer gesagt. Die Kutschi hätten viel Macht, sie hätten die Macht in ihrem Dorf. Sie würden immer weiter Krieg in ihrem Dorf führen. Seine Familie (Vater, Mutter, drei jüngere Schwestern, zwei jüngere Brüder) sei im Oktober 2016 gestorben, er wisse nicht genau, was los gewesen sei. Er sei nicht in der Lage gewesen, wirklich nachzufragen. Den Onkel hätten die Kutschi getötet. Der zweite Bruder des Vaters sei damals von den Kommunisten getötet worden.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 03.07.2018, zugestellt am 23.07.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten sich in Widersprüche verwickelt, dass der Beschwerdeführer während der ersten Einvernahme durch die belangte Behörde am 20.11.2017 nach einiger Zeit angegeben habe, den Dolmetscher nicht zu verstehen, mute seltsam an. In seiner Erstbefragung habe der Beschwerdeführer die Grundstücksstreitigkeit nicht erwähnt. Der Beschwerdeführer habe mehrmals nachgefragt werden müssen und habe keine glaubhaften Gründe nennen können, wieso die Familie das Grundstück nicht verkauft habe. Aus der Weigerung des Beschwerdeführers, das Grundstück zu verkaufen oder aufzugeben, könne keine Asylrelevanz im Sinne der „GFL“ erwachsen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, ohne das Grundstück keine Probleme mit den Kutschi mehr zu haben. Dass der Beschwerdeführer immer im Dorf gelebt und nie in Kabul wohnhaft gewesen sei, disqualifiziere nicht die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Schiitische Hazara würden nicht asylrelevant verfolgt, eine (allgemeine) Diskriminierung wegen der Volksgruppenzugehörigkeit führe nicht zur Asylgewährung. Eine Rückkehr nach Maidan Wardak sei nicht zumutbar, es sei dem Beschwerdeführer jedoch zumutbar, nach Kabul zurückzukehren. Sein Onkel könne ihn unterstützen.
3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2018 richtet sich die am 16.08.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe eine persönliche Feindschaft mit zwei Kutschi-Männern, diese könnten ihn außerhalb der Herkunftsprovinz aufspüren und töten. Die Furcht vor Verfolgung beruhe auf der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und zur sozialen Gruppe der Familie. Der Beschwerdeführer sei nach dem Tod der Familie alleiniger Erbe des Grundstückes, nun würde er selbst von den Männern belangt.
Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
Mit Ladung vom 01.10.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 19.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen einer Verfolgungsgefahr wegen der Grundstückstreitigkeit im Wesentlichen aufrecht.
Mit Schreiben vom 23.12.2020 und vom 01.02.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Tazkira samt Übersetzung
? Personalausweise von Vater und Großvater
? „Grundbuchseintrag“
? Urkunde für die Teilnahme am „Friedenslauf“
? Teilnahmebestätigung für Jugendcollege
? Kursbestätigung Informatik
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer stammt aus einen Dorf in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Hissa-e-awali Behsud, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt und zwölf Jahre die Schule besucht hat. Daneben hat er in der Landwirtschaft der Familie mitgeholfen. Die Familie betrieb eine große Landwirtschaft mit über 150 Nutztieren.
In Österreich lebt ein entfernter Verwandter väterlicherseits des Beschwerdeführers, der Beschwerdeführer pflegt zu ihm selten Kontakt.
Im Iran lebt ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers. Zu ihm besteht Kontakt. Er hat die Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan organisiert.
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Jänner 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Im Jahr 2016 bzw. 2017 hat der Beschwerdeführer ein Jugendcollege besucht. 2017 hat er überdies einen 20-stündigen Informatikkurs absolviert. Der Beschwerdeführer bezieht Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. In seiner Freizeit macht der Beschwerdeführer sehr viel Sport. Er geht vor allem Laufen und außerdem zwei Mal die Woche zum Ringen. Das Training findet wegen der COVID-19-Pandemie allerdings aktuell nicht statt.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers besteht ein langanhaltender Konflikt zwischen Kutschi-Nomaden und im Hazaradschat sesshaften Hazara, dessen Wurzeln bis in das Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Bei dem Konflikt geht es ursprünglich um lokale Ressourcen. Im Zuge der jährlichen Wanderungen der Kutschi-Nomaden zu im Hazaradschat gelegenem Weideland kommt es insbesondere saisonal zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Kutschi und Hazara. Der Konflikt ist bislang ungelöst. Bewaffnete Gruppierungen nutzen den Konflikt und beteiligen sich an Plünderungen. Konfliktgegenstand ist auch die territoriale Kontrolle durch eine Bevölkerungsgruppe. Der Konflikt wird von unterschiedlicher Seite politisch Instrumentalisiert und befeuert ethnische Spannungen.
Die Routen der Kutschi-Nomaden führen auch durch den Herkunftsdistrikt.
Der Konflikt eskaliert in Maidan Wardak seit dem Jahr 2007 zunehmend, es kam seither zu Vertreibungen und Todesfällen.
Der Vater des Beschwerdeführers war in einen Streit mit Kutschi-Nomaden um ein Grundstück verwickelt, dass von der Familie des Beschwerdeführers bewirtschaftet und als ihr Eigentum betrachtet wurde.
Der Vater wurde deshalb mehrmals bedroht und auch der Onkel des Beschwerdeführers von Kutschi-Nomaden entführt und getötet.
Außerdem kommt es im Herkunftsdorf zu jährlichen Auseinandersetzungen mit Kutschi-Nomaden.
Im Oktober 2016 wurden Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers bei einer Auseinandersetzung mit den Kutschis getötet.
Im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsdorf besteht die Gefahr, dass auch der Beschwerdeführer als Erbe seines Vaters und nunmehriger Eigentümer des Grundstückes aufgrund der Landstreitigkeiten mit Kutschi-Nomaden angegriffen und getötet wird.
Dass der Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif wegen des Grundstücksstreits von Kutschis angegriffen würde, ist nicht zu erwarten.
Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus, sie leben unter anderem in Teilen der Provinzen Maidan Wardak und Balkh, auch in Mazar-e Sharif. Hazara bekleiden prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara haben seither auch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.
Hinweise auf von staatlichen Akteuren ausgehende Misshandlungen gibt es nicht.
Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, ist jedoch in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul und Herat. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.
Es kommt zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür kann jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter.
Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.
1.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2019 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 22% gegenüber 2018. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen. Im Zeitraum 01.01.-30.09.2020 sind 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) dokumentiert, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist. Balkh ist ethnisch divers und wird unter anderem von Paschtunen bewohnt.
In Mazar-e Sharif kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu 9 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen, für den keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind.
Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.
Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen.
Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.
Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.
Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.
Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein. Ein „Lockdown“ oder Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sind in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul aktuell nicht in Kraft.
Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich, zur Eröffnung eines Bankkontos ist ein Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital erforderlich, zudem sind Überweisungen aus dem Ausland über das Hawala-System möglich.
Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen, die Zahl der Fälle geht seit Juni 2020 kontinuierlich zurück. Die Versorgung Erkrankter ist mangelhaft, es mangelt an Kapazitäten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert.
Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.
Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie seiner Muttersprache und seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den gleichbleibenden plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde legte diese Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde. Zum festgestellten Geburtsdatum wird angemerkt, dass dieses nach dem von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen Gutachten zur sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung vom 10.06.2016 mit dem fiktiven Geburtsdatum vereinbar ist (Gutachten, S. 7).
Dass der Beschwerdeführer gesund ist, beruht darauf, dass ein anderslautendes Vorbringen nicht erstattet und medizinische Unterlagen nicht in Vorlage gebracht wurden. Der Beschwerdeführer gab lediglich in der mündlichen Verhandlung an, es gehe ihm psychisch nicht ganz gut, er befinde sich jedoch nicht in ärztlicher Behandlung, weil er glaube, dass er selbst wisse, was zu tun sei (OZ 9, S. 2). Damit ist einerseits kein Behandlungsbedarf bzw. keine Erkrankung objektiviert, weiter gibt der Beschwerdeführer selbst an, keiner Behandlung zu bedürfen. Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.
Die Feststellungen zu Herkunft und Lebensweg des Beschwerdeführers beruhen auf seinen plausiblen, gleichbleibenden Angaben, die auch die belangte Behörde nicht in Zweifel zog.
Seine in Österreich aufhältigen Verwandten hat der Beschwerdeführer wiederholt angeführt und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.10.2020 angegeben, er treffe sie „alle zwei Jahre“ (OZ 9, S. 5). Dass der Onkel mütterlicherseits nun im Iran lebt, hat der Beschwerdeführer ebenso in der mündlichen Verhandlung angegeben und bestätigt, er habe zu ihm manchmal Kontakt (OZ 9, S. 3). Dass sein Onkel die Ausreise organisiert hat, hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.01.2018 angegeben (Einvernahmeprotokoll vom 18.01.2018, S. 4).
Das Einreisedatum ist aktenkundig und sind Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise nicht hervorgekommen. Zu Jugendcollege und Informatikkurs hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.01.2018 Bestätigungen vorgelegt. Dass der Beschwerdeführer Grundversorgung bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor, eine Erwerbstätigkeit wurde nicht behauptet. Seine sportlichen Betätigungen hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.10.2020 geschildert (OZ 9, S: 2-3) und waren Gründe, hieran zu zweifeln, nicht ersichtlich.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Zum Kutschi-Konflikt generell berichtet der vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 01.10.2020 (OZ 7) in das Verfahren eingebrachte EASO, COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, insbesondere Unterkapitel 6.2 Landstreitigkeiten zwischen nomadischen und sesshaften Bevölkerungsgruppen, S. 83 ff.) zunächst allgemein, dass Landkonflikte in Afghanistan weit verbreitet seien, insbesondere Bodenstreitigkeiten zwischen verschiedenen Gemeinschaften würden im Licht des schwachen Rechtsstaates häufig eskalieren (S. 80). Die Gewaltbereitschaft sei grundsätzlich hoch und würden Landstreitigkeiten häufig schnell eskalieren und in Gewalt umschlagen, womit mitunter kleine bewaffnete Konflikte oder Blutfehden entstehen (S. 82). Auch zum Hazara-Kutschi-Konflikt wird im Detail berichtet, wobei der Zugang zum Weideland in diesen Gebieten als Wurzel angegeben wird (S. 84). Berichtet wird auch von regelmäßigen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kutchi-Nomaden und Sesshaften, bei denen auch Menschen getötet und verletzt würden (S. 84-85). Der ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2] vom 02.09.2016, Abschnitt Hintergrund des Konfliktes zwischen Kuchi und Hazara, ebenso mit Ladung vom 01.10.2020 (OZ 7) in das Verfahren eingebracht, lässt sich zum Hintergrund des Konfliktes entnehmen, der Konflikt reiche zurück bis in das Ende des 19. Jahrhunderts, wobei auch berichtet wird, dass er seine Wurzeln im Zugang zu Ressourcen hat. Insbesondere seit dem Jahr 2007 wird von einer zunehmenden Eskalation und davon berichtet, dass die Spannungen oftmals in offene Gewalt umschlagen. Es komme zu Todesfällen und Vertreibungen.
Erwähnung findet auch, dass der Konflikt durch die Einmischung unterschiedlicher Gruppen politische Dimension gewonnen habe (EASO, COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017, Kapitel 6. Landstreitigkeiten, Unterkapitel 6.2 Landstreitigkeiten zwischen nomadischen und sesshaften Bevölkerungsgruppen S. 84). Auch die ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2] vom 02.09.2016, Abschnitt Hintergrund des Konfliktes zwischen Kuchi und Hazara erwähnt als zweiten Konfliktgegenstand die subnationale Vorherrschaft im Sinne der de-facto Kontrolle einer Bevölkerung über ein Gebiet. Der Konflikt sei zu einer Triebfeder für ethnische Spannungen und politische Propaganda geworden. Auch berichtet wird, dass die Reihen der Kutschi von bewaffneten Gruppierungen durchdrungen wären bzw. dass solche Gruppierungen an Plünderungen von Hazara-Dörfern beteiligt seien. Auch der aktuelle von Dr. Antonio Giustozzi für AREU verfassten Bericht, Nomad-settler conflict in Afghanistan today von Oktober 2019, vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebracht, beschreibt mehrere auch ethnische und politische Dimensionen des Konfliktes (insbesondere Kapitel 4. Impact and significance of the conflict on state and society, S. 35 ff.).
Zu den Hauptwanderrouten der Kutschi-Nomaden lässt sich dem von Dr. Antonio Giustozzi für AREU verfassten Bericht, Nomad-settler conflict in Afghanistan today von Oktober 2019, entnehmen, dass diese (auch) durch die Provinz Maidan Wardak führen (Karte auf S. 15). Die besondere Betroffenheit der Provinz Wardak und insbesondere der „beiden Behsud-Bezirken“ von Auseinandersetzungen zwischen sesshaften Hazara und Kutschi-Nomaden wird auch in der bereits zitierten ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2] vom 02.09.2016, Abschnitt Hintergrund des Konfliktes zwischen Kuchi und Hazara, hervorgehoben. Ebenso wird an dieser Stelle von einer zunehmenden Eskalation des Konfliktes seit dem Jahr 2007 berichtet, sowie von „Dutzenden Toten“, „niedergebrannten Häusern“ und mehr als 2.000 vertriebenen Familien.
Vor dem Hintergrund der dieser allgemeinen Lage in der Herkunftsprovinz ist damit plausibel, dass auch die Familie des Beschwerdeführers über ein Grundstück verfügt, dass von Kutschi-Nomaden beansprucht wird. Insbesondere geht auch aus dem bereits zitierten EASO, COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 generell hervor, dass die Quellen darauf hinweisen, dass Landstreitigkeiten ein wichtiger Konflikt für individuelle und kommunale Konflikte sind und schnell eskalieren und in Gewalt umschlagen, woraus mitunter kleine bewaffnete Konflikte oder Blutfehden entstünden. Land sei häufig Gegenstand gewaltsamer Auseinandersetzungen und würden 25 % der Landstreitigkeiten Feindseligkeiten und Blutfehden nach sich ziehen und seien etwa 70 % der schweren Gewaltverbrechen auf Landstreitigkeiten zurückzuführen (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, Unterkapitel 6.1. Gewaltbereitschaft, S. 82). Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, bereits der Großvater habe um das Grundstück gestritten und es schließlich gekauft und sei der Vater in der Folge von zwei konkret genannten Kutschi-Nomaden bedroht worden (OZ 9, S. 3). Diese Angaben machte der Beschwerdeführer im Lauf des Verfahrens im Kern gleichbleibend und legte überdies bereits in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 10.01.2018 ein Bescheinigungsmittel vor, das er als „Grundbucheintrag“ bezeichnete und erläuterte (Einvernahmeprotokoll vom 01.12.2018, S. 3). Die vom Bundesverwaltungsgericht Zwecks Übersetzung konsultierten DolmetscherInnen gaben allerdings jeweils an, das Dokument sei nicht lesbar (OZ 14), weswegen eine Übersetzung nicht möglich war.
Zwar scheinen die Schilderungen des Beschwerdeführers zum Grundstücksstreit oberflächlich und naiv. Allerdings bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens und ist die Dichte des Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ zu messen (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/18/0150). Gegenständlich scheint nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer als damals Minderjähriger die oben erläuterten komplexen Dimensionen und Wurzeln des Konfliktes nicht erfassen konnte und insbesondere als Angehöriger einer Streitpartei eine einseitige Sichtweise präsentiert.
Dass Eltern und Geschwister bei einer Auseinandersetzung mit den Kutschis getötet wurden, hat der Beschwerdeführer bereits in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 10.01.2018 angegeben (Einvernahmeprotokoll vom 10.01.2018, S. 3), wobei die belangte Behörde hierzu feststellt, es könne nicht festgestellt werden, dass Eltern und Geschwister noch am Leben seien (Bescheid, S. 10) und beweiswürdigend ausführt, der Beschwerdeführer habe dies angegeben (Bescheid, S. 71). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.10.2020 gab der Beschwerdeführer nochmals an, Eltern und Geschwister seien getötet worden (OZ 9, S. 4), wobei der Beschwerdeführer einen offenkundig aufgewühlten und betroffenen Eindruck machte. Anzumerken ist allerdings, dass der Beschwerdeführer zu den genauen Todesumständen keine konkreten Angaben machen konnte und diese lediglich pauschal in Zusammenhang mit der Bedrohung aufgrund des Grundstückes stellt. In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 10.02.2018 gab der Beschwerdeführer hierzu noch an, er wisse nicht genau, was los gewesen sei und sei nicht in der Lage gewesen, wirklich nachzufragen (Einvernahmeprotokoll, S. 3). Auch berichtet der bereits zitierte EASO, COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 für das Jahr 2016 von anhaltenden Landstreitigkeiten zwischen Angehörigen der Hazara und nomadischen Kutschi-Stämmen in Maidan Wardak im Jahr 2016 und erwähnt, dass es im Rahmen dieser Fehde bereits 2015 zu Entführungen und Auseinandersetzungen kam. Für 2016 wird ebenso von Entführungen berichtet, wobei insgesamt 34 Hazara-Zivilisten verschleppt worden seien. Deren weiteres Schicksal geht aus dem Bericht allerdings nicht hervor (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, Unterkapitel 6.2 Landstreitigkeiten zwischen nomadischen und sesshaften Bevölkerungsgruppen S. 84).
Zur Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsdorf von den Kutschi angegriffen würde, ist auszuführen, dass der Konflikt weiterhin ungelöst ist, wie etwa aus dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.12.2020 (OZ 11) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 16.12.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt) Kapitel 18.5 Kutschi, Nomaden, ergibt. Damit ist auch nicht zu erwarten ist, dass die Kutschi-Nomaden ihren Anspruch auf das Grundstück gegen den Beschwerdeführer als nunmehrigen Eigentümer einfach aufgegeben haben. Weiter ist mit Blick auf die bereits zitierten Länderberichte plausibel, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr ins Herkunftsdorf den Konflikt forttragen müsste, weil er sich ansonsten gegen die Dorfgemeinschaft stellen müsste, wie er es in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.10.2020 angegeben hat (OZ 9, S. 4).
Inwiefern er hiervon allerdings auch in Mazar-e Sharif, Kabul oder Herat betroffen wäre, gibt der Beschwerdeführer nicht konsistent an. So äußert er hierzu lediglich pauschal, er habe „persönliche Feindschaften“ (Einvernahmeprotokoll vom 18.01.2018, S. 6) und die Kutschi könnten ihn überall finden, hätten sehr viel Macht, die Regierung lieg in Händen der Kutschi, sie hätten in seinem Dorf die Macht und würden dort immer weiter Krieg führen (Einvernahmeprotokoll vom 18.01.2018, S. 5). Dazu im Widerspruch gibt der Beschwerdeführer an, er habe nicht wegen des Grundstückes nicht in Kabul leben können, sondern wegen der allgemeinen Sicherheitslage, er habe ohne das Grundstück keine Probleme mehr mit den Kutschi. Er sei jedoch Hazara und Schiit und deshalb sei Kabul dennoch gefährlich (Einvernahmeprotokoll vom 18.01.2018, S. 6). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht äußert der Beschwerdeführer lediglich floskelhaft, er habe Feinde, die ihn überall finden könnten. Die Kutschis stünden in enger Beziehung mit der Regierung, da der afghanische Präsident selbst Kutschi sei (OZ 9, S. 5). Er würde bereits am Flughafen von der Regierung festgenommen und den Kutschis übergeben werden (OZ 9, S. 5).
Hierzu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer die Bedrohung durch die Kutschis in seiner eigentlichen Fluchtgeschichte ausschließlich mit dem beanspruchten Grundstück verknüpft, nicht aber mit seiner Person, wie sich etwa auch in seinen eben zitierten Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde äußert. So macht der Beschwerdeführer etwa im Hinblick auf eine aus dem Konflikt allenfalls entstandene Blutfehde keinerlei konkrete Angaben, während sich etwa aus der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 01.02.2021 (OZ 12) in das Verfahren eingebrachten EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance) lediglich ergibt, aus Landstreitigkeiten können sich Blutfehden ergeben, nicht jedoch, dass dies zwingend der Fall ist (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.18 Individuals involved in blood feuds and land disputes, S. 89-91). Weiter wird den Kutschis vom Beschwerdeführer pauschal attestierte „Macht“ von den Länderberichten nicht bestätigt. Zwar bestätigt das Länderinformationsblatt, dass der afghanische Staatspräsident der Bevölkerungsgruppe der Kutschi zugerechnet werden und für sie zehn Sitze im Unterhaus der Nationalversammlung reserviert seien (Kapitel 18.5 Kutschi, Nomaden), so wie es der Beschwerdeführer angegebene hat. Gleichzeitig wird allerdings berichtet, diese Sitze würden von sesshaften Kutschi eingenommen, wodurch unter anderem die Interessen der semi-nomadisch lebenden Kutschi weitgehend vernachlässigt würden. Weiter geht aus dem Länderinformationsblatt hervor, dass Kutschis benachteiligt beim Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit seien, aufgrund ihres nomadischen Lebensstiles als Außenseiter gelten würden. Zudem wird über durch die Regierung erzwungene Sesshaftmachung berichtet. Auch die vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 01.10.2020 (OZ 7) in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) bezeichnen die Kutschi als Randgruppe und sprechen davon, dass Indikatoren für menschliche Entwicklung eine mangelhafte Entwicklung der Kuchis im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen ausweisen würden. Sie würden zu dem ärmsten Menschen Afghanistans gehören und führen dieseleben Benachteiligungen an, wie das Länderinformationsblatt. Demnach bestätigen die Länderberichte die generelle Behauptung, die Kutschi hätten die Unterstützung der Regierung, nicht. Auch der bereits zitierte von Dr. Antonio Giustozzi für AREU verfassten Bericht, Nomad-settler conflict in Afghanistan today von Oktober 2019 enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass zu erwarten wäre, dass der Beschwerdeführer von der Regierung festgenommen und den Kutschi übergeben würde. So geht aus dem Bericht keine eindeutig eine Seite unterstützende Haltung der Regierung hervor, sondern hauptsächlich, dass diese nicht erfolgreich zur Lösung des Konfliktes beträgt und sich widersprüchlich verhält. Gleichzeitig stellt der Beschwerdeführer lediglich eine pauschale Behauptung auf. Insgesamt ist damit nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer auch in Mazar-e Sharif von den Kutschi-Nomaden behelligt würde.
Die Feststellungen zu den Siedlungsgebieten der schiitischen Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt. So geht das traditionelle Besiedelungsgebiet der Hazara, zu dem Teile der Provinzen Maidan Wardak und Balkh zählen, aus Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara, hervor. Kapitel 5.33 (Maidan) Wardak berichtet ebenso, die Bevölkerung der Provinz bestehe aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara. Im Hinblick auf Balkh berichtet das Länderinformationsblatt, die Provinz sei ethnisch vielfältig und werde unter anderem von Hazara bewohnt (Kapitel 5.5. Balkh).
Die Feststellungen zur gesellschaftlichen Lage der Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, sowie Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten einerseits von gesellschaftlicher Diskriminierung, Erpressung durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung, aber auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107).
Hinweise auf Misshandlungen der schiitischen Hazara durch den Staat sind der EASO Country Guidance zufolge nicht ersichtlich (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85).
Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86 sowie Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel 5. Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)).
Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch, dass dies häufig auch mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86).
Im Hinblick auf die Verbundenheit von Ethnie und Religion berichtet das Länderinformationsblatt, die schiitische Religionszugehörigkeit würde wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählen (Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 18.3. Hazara). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von einer häufig untrennbaren Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit, weswegen eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder der ethnischen Zugehörigkeit andererseits oftmals nicht möglich sei (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Auch die EASO Country Guidance spricht die Verknüpfung an (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und insbesondere Mazar-e Sharif beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.5. Balkh. Die Feststellung zum Flughafen beruht ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif. Die EASO Country Guidance bestätigt die Informationen des Länderinformationsblattes und berichtet hinsichtlich des Flughafens von Mazar-e Sharif, dass keine Sicherheitsvorfälle bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection, Abschnitt Safety, S. 164).
Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 6. Rechtsschutz/Justizwesen, 8. Folter und unmenschliche Behandlung und 12. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.
Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Grundversorgung. Dort finden sich auch Informationen zum Finanzsektor.
Die Feststellungen zur COVID-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19, die Feststellungen zur medizinischen Grundversorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23 Medizinische Versorgung. Von einem Lockdown wird im Länderinformationsblatt nur im Hinblick auf die Vergangenheit berichtet (3. COVID-19), während für die Gegenwart berichtet wird, es gebe gegenwärtig in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul keine Ausgangssperren. Hinweise auf eine Änderung dieses Umstandes waren für das Bundesverwaltungsgericht nicht auffindbar (Vgl. etwa die Informationen auf der Homepage der US-Botschaft in Kabul: https://af.usembassy.gov/covid-19-information/; abgerufen am 22.03.2021).
Die Feststellung zu den Landessprachen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten.
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).
3.1.1. Zur Verfolgungsgefahr im Rahmen des Kutschi-Konfliktes
Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (in der Folge gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG „Statusrichtlinie“) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 Statusrichtlinie genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass als politisch alles qualifiziert werden kann, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 30.09.2004, 2002/20/0293 m.w.N.; siehe auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 3 AsylG, K51).
Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie umfasst der Begriff der Rasse insbesondere Aspekte der Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.
Zwar wurde festgestellt, dass der im Herkunftsstaat herrschende Konflikt insbesondere die Verteilung lokaler Ressourcen zum Gegenstand hat. Allerdings ist neben dieser Komponente auch eine ethnische Komponente des Konfliktes ersichtlich, findet er doch zwischen den Angehörigen zweier Volksgruppen statt und dreht sich auch die Vorherrschaft dieser Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gebieten. Weiter konnte auch festgestellt werden, dass der Konflikt von unterschiedlicher Seite politisch instrumentalisiert wird, so dass etwa regierungsfeindliche Gruppierungen den Konflikt für ihre Zwecke nutzen und sich etwa an Plünderungen beteiligen.
Auch hat der Verwaltungsgerichtshof zu Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie unter Berufung auf die Ansicht des UNHCR bereits mehrfach ausgesprochen, dass für die notwendige Verknüpfung zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den Verfolgungsgründen ausreicht, dass der Konventionsgrund ein (maßgebend) beitragender Faktor ist. Er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (zuletzt VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113 mwN).
Konkret zur Beurteilung einer möglichen Asylrelevanz eines Vorbringens, demzufolge es im Rahmen des Hazara-Kuschi-Konfliktes in Zusammenhang mit Weideland zu einer Blutfehde gekommen sein soll, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur ausgesprochen, dass die Beweiswürdigung vor dem realen Hintergrund der vorgetragenen Fluchtgeschichte vorzunehmen und die Glaubwürdigkeit auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen ist (VwGH 28.08.2019, Ra 2018/14/0384).
Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in das Herkunftsdorf die Gefahr, dass der Beschwerdeführer als Erbe des Vaters und nunmehriger Eigentümer des Grundstückes aufgrund der Landstreitigkeiten mit Kutschi-Nomaden angegriffen und getötet wird. Damit konnte der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der ethnischen und politischen Komponenten des Konfliktes – mögen diese auch erst unter Hinzutreten der Eigentümerschaft über das Grundstück zur Verfolgung führen – glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in das Herkunftsdorf Verfolgung durch Privatpersonen unter den GFK-Anknüpfungspunkten der Rasse bzw. der politischen Gesinnung droht.
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).
Bedingt durch ein Klima der Straflosigkeit, ein schwaches formelles Justizsystem und die mangelnde Fähigkeit des afghanischen Staates, Täter von Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen, ist der afghanische Staat nicht in der Lage den Beschwerdeführer vor dieser Verfolgung zu schützen.
Der Beschwerdeführer konnte damit im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung durch Privatpersonen droht, wobei er mit staatlichem Schutz nicht rechnen kann.
3.1.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu den schiitischen Hazara
Im Hinblick auf seine Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gibt der Beschwerdeführer an, er sei als Hazara und Schiit gefährdet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden, sondern auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (jüngst etwa VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450). Eine Eingriffsintensität im Sinne eines „Genozids“ muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht vorliegen, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034).
Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – glaubhaft machen, dass der zu den schiitischen Hazara gehört.
Hinweise auf Misshandlungen von Seiten des Staates konnten dagegen nicht festgestellt werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zudem nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).
Gegenständlich gibt es Hinweise auf Diskriminierungen der schiitischen Hazara etwa auf dem Arbeitsmarkt, soziale Diskriminierung und eine Unterrepräsentation in der Verwaltung, jedoch wurde ebenso die Beteiligung von Hazara an nationalen Institutionen festgestellt, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte. Diskriminierende Maßnahmen gegen alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Sinne einer „Verfolgung“ nach der oben zitierten Rechtsprechung sind damit nicht ersichtlich. Eine individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers wurde dagegen nicht konkret vorgebracht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).
Hinsichtlich des ISKP ist zwar – nachdem dieser Angriffe auf schiitische Hazara durchführt, die mit deren schiitischer Glaubenszugehörigkeit, sowie einer zumindest unterstellten Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen IS in Syrien in Zusammenhang stehen – ersichtlich, dass dieser zielgerichtete Maßnahmen gegen Schiiten und damit auch gegen schiitische Hazara setzt. Dem ISKP kommt jedoch lediglich eine beschränkte territoriale Reichweite zu und ist insbesondere für die Herkunftsprovinz keine spezifische Präsenz des ISKP ersichtlich und lediglich ein Angriff für den Zeitraum 2014 bis 2018 verzeichnet.
Hinsichtlich der Taliban kommt es ebenso zu Übergriffen, insbesondere Entführungen und Tötungen von Angehörigen der schiitischen Hazara. Weiter stehen insbesondere Aussonderungen von Hazara-Reisenden häufig in einem anderen Kontext als jenem der Volksgruppenzugehörigkeit. Eine spezifische Häufung von Hazara betreffenden Vorfällen in der Herkunftsprovinz im Sinne einer Gruppenverfolgung nach der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist nicht ersichtlich.
Eine Gruppenverfolgung von Seiten des ISKP, sowie der Taliban im Sinne der oben zitierten Judikatur ist damit bereits mangels zielgerichteter Maßnahmen zu verneinen, weswegen eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob staatliche Schutz bestünde, unterbleiben konnte.
Auch der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (jüngst etwa VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ging zuletzt davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).
Im Übrigen geht auch EASO im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam nicht von einer Gruppenverfolgung aus, sondern stellt auf individuelle Elemente des Betroffenen ab, nämlich etwa die Herkunftsregion insbesondere im Hinblick auf die dortige Präsenz des ISKP, die Teilnahme an religiösen Praktiken, sowie politischer Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87). Auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara stellt EASO auf individuelle Merkmal ab, nämlich ebenso die Herkunftsregion, das Arbeitsgebiet, den Beruf und politischen Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86).
Gegenständlich sind zwar – wie bereits unter 3.1.1. ausgeführt – im Hinblick auf das Herkunftsdorf individuelle Aspekte, die auch eine ethnische Komponente aufweisen und damit mit der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers zusammenhängen, ersichtlich. Im Hinblick auf das übrige Staatsgebiet wurden sie jedoch nicht konkret dargetan und waren auch nicht ersichtlich.
3.1.3. Zur Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative
Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.
Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.
Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG 2005 zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu