TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/6 W274 2198113-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2021
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Entscheidungsdatum

06.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §29 Abs4
VwGVG §29 Abs5

Spruch


W274 2198113-1/22E
W274 2198111-1/22E
W274 2228867-1/6E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 2.3.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerden der 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX und 3. XXXX , geb. XXXX , alle iranische Staatsbürger, alle XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, 1. und 2. je vom 14.5.2018, zu 1. ZI. 1186935807 – 180340469/BMI-BFA_STM_AST_01, 2. 1186935905 – 180340455/BMI-BFA_STM_AST_01, und 3. vom 21.1.2020, Zl 1257133501/200024808, in öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Den Beschwerden wird Folge gegeben und 1. XXXX , 2. XXXX , und 3. mj. XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1. XXXX , 2. XXXX , und 3. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der BF1 und die BF2 kamen im April 2018 gemeinsam nach Österreich, der mj. BF3, ehelicher Sohn der BF1 und BF2, ist in Österreich nachgeboren.

Der BF1 und BF2 beantragten jeweils am 09.04.2018 vor der PI-Traiskirchen internationalen Schutz und gaben an, zunächst mit dem Flugzeug von Teheran nach Belgrad und dann nach Österreich weitergereist zu sein.

Als Fluchtgrund gab der BF1 an, er habe vor ca. 4 Monaten mit dem Ehemann seiner Schwester Probleme gehabt, mit dem er gemeinsam ein Werkzeuggeschäft betrieben habe. Als er gemerkt habe, dass der Kassenstand nicht passe, habe er seinen Schwager damit konfrontiert und ihm eine Anzeige angedroht. Dieser habe ihm gesagt, dass er einen Taufschein (vom BF1) habe, den er ihm zuvor gestohlen habe. Wenn der BF1 ihn anzeige, würde er den Taufschein bei der Revolutionsgarde abgeben, die ihn umbringen würde. Bei einer früheren Reise in die Türkei sei er zum Christentum konvertiert und getauft worden.

Die BF2 gab im Wesentlichen die gleichen Fluchtgründe wie der BF1 an.

Beide Parteien wurden am 26.04.2018 durch die belangte Behörde befragt. Sie legten Taufscheine der „International Cyrus Church“ vom XXXX 2017 vor.

Der BF1 gab an, er habe vor ca. 4 Monaten gemerkt, dass etwas in der Buchhaltung nicht stimme. Er habe dies seinem Schwager vorgehalten. Nach zweiwöchigem hin und her habe er dem Schwager mitgeteilt, dass er es zur Anzeige bringen werde. Daraufhin habe ihm sein Schwager gedroht, dass er ein Dokument habe, mit den er den BF1 vernichten würde. Am nächsten Abend habe die Schwester seine Mutter angerufen, dass sein Schwager Beweise habe, die er der Revolutionsgarde übergeben habe, nämlich die Taufscheine. Am gleichen Abend seien die BF2 und er zum Onkel gefahren. Nach einem Monat habe ihm seine Mutter mitgeteilt, dass der Schwager herausgefunden habe, wo sie seien und sie seien dann zur Schwester der BF2 nach Teheran gefahren und von dort über die Türkei nach Serbien geflohen.

Der BF1 habe bereits im Iran das Christentum kennengelernt, mit seiner Frau dort YouTube Videos der „Cyrus Church“ angeschaut und sich, ebenso wie die BF2, am XXXX 2017 in der Türkei taufen lassen. Der Schwager habe auch den Taufschein der BF2 mitgenommen.

Die BF2 gab an, die Schwester des BF1 habe deren Mutter erzählt, dass ihr Mann ein Dokument hätte, das er der Sepah gegeben habe.

Mit den bekämpften Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich Asyl und Subsidiärschutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt. Verneint wurde jeweils die Glaubhaftigkeit asylrelevanter Verfolgung.

Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden der BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Nach mehrfacher Vorlage ergänzender Urkunden erfolgten am 14.12.2020 und am 02.03.2021 mündliche Verhandlungen, in denen die BF1 und BF2 sowie die Zeugen XXXX , XXXX und XXXX vernommen wurden.

Aufgrund dessen steht folgender Sachverhalt fest:

Der BF1 ist am XXXX in XXXX in eine persische schiitische Familie geboren. Er betrieb zuletzt mit seinem Schwager ein Werkzeuggeschäft. Er heiratete am XXXX 2015 die am XXXX - ebenso in eine persisch schiitische Familie geborene - BF2.

Der BF1 erlangte bereits im Iran auf nicht näher feststellbare Weise Kontakt zur in Holland beheimateten „Cyrus Church“ und verfolgte Online-Angebote von dieser. Nach einer Zeit nahm auch die BF2 daran teil. Beide BF ließen sich im Zuge eines Türkeiaufenthaltes am XXXX 2017 von dieser „Cyrus Church“ taufen.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der Schwager des BF1 in einem im Werkzeuggeschäft vom BF1 mitgeführten Aktenkoffer die Taufurkunden vorfand und den BF1 in diesem Zusammenhang bedrohte bzw. diese Urkunden der Sepah übermittelte.

Die BF1 und BF2 verließen etwa im März 2018 den Iran mit Flug nach Belgrad und reisten sodann ohne gültige Einreisepapiere nach Österreich, wo sie Asylanträge stellten. Die BF waren nach einem kurzen Aufenthalt in Graz von Mai 2018 bis Oktober 2018 in XXXX (Kärnten), sodann bis Oktober 2019 in XXXX , sodann bis Februar 2020 in XXXX und seit Februar 2020 in XXXX jeweils in Asylquartieren in Grundversorgung aufhältig.

Zwischenzeitlich ist am XXXX der BF3 geboren.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der BF1 absolvierte am 02.04.2019 das ÖSD-Zertifikat A1, am 15.01.2021 A2 und besucht derzeit den Deutschkurs B1.

Der BF1 absolvierte ehrenamtliche Tätigkeiten. Bereits seit der Zeit ihres Aufenthaltes in XXXX erlangten der BF 1 und die BF2 Kontakt zu Pfarrerin Mag. XXXX der evangelischen Gemeinde A.B. XXXX und besuchten dort Gottesdienste. Während des Aufenthaltes in XXXX besuchten sie die evangelische Kirche XXXX , wo durch Pfarrer Mag. XXXX der BF3 getauft wurde. Seit Juni 2020 sind die BF Mitglieder der evangelischen Kirche A.B. Der BF1 veranstaltete eine Zeit lang aus eigenem Antrieb im Flüchtlingsquartier einen christlichen Glaubenskurs und betreibt aus eigener Initiative die Homepage www. XXXX , auf der er mit Unterstützung der BF2 auf Farsi zu christlichen Themen postet bzw. Fotos veröffentlicht.

Es ist glaubhaft, dass die BF1 und BF2 zwischenzeitig soweit den christlichen Glauben angenommen haben, dass sie auch im Falle geänderter Verhältnisse, wie einer Rückkehr in den Iran, das Bedürfnis hätten, den christlichen Glauben innerlich und äußerlich auszuleben.

Beweiswürdigung:

Die Angaben der BF zu den Kontakten zur „Cyrus Church“ bereits im Iran waren im Wesentlichen glaubwürdig. Ein Taufzertifikat vom Jänner 2017 aus der Türkei wurde vorgelegt.

Nicht glaubhaft waren die Angaben zum behaupteten Ausreisegrund: Es ist schon gänzlich unplausibel, dass jemand im Iran in der geschilderten Situation Taufscheine mit sich führen würde. Des Weiteren waren die diesbezüglichen Angaben im Rahmen der Erstbefragung und jene vor dem BFA nicht in Übereinstimmung zu bringen, zumal die Drohung mit einer Anzeige und eine erfolgte Anzeige ein wesentlicher Unterschied ist. Ein nachvollziehbarer Grund weshalb der Schwager den BF ohne Vorwarnung tatsächlich bei den Sepah hätte verleumden sollen, ist nicht ersichtlich.

Es ist aber glaubhaft, dass sich sowohl der BF1 und die BF2 in Österreich mit dem christlichen Glauben näher beschäftigten, christliche Gemeinden aufsuchten und sich dort integrierten. Insbesondere der BF1 setzte auch darüberhinausgehende Aktivitäten, wie einen Glaubenskurs für Asylbewerber und den Betrieb einer Homepage. Es bestand nicht der Eindruck, dass dies in erster Linie für den Zweck der Darstellung im Asylverfahren erfolgte. Seitens des evangelischen Pfarrers XXXX , einem Gemeindevertreter von XXXX und einem Bekannten aus dem Fußballerkreis wurden dem BF1 bzw. den BF eine Ernsthaftigkeit ihrer christlichen Einstellung vor Gericht bezeugt. Beide BF haben nicht nur oberflächliche Kenntnisse der Bibel. Anhaltspunkte dafür, dass der Lebenswandel im Gegensatz zur behaupteten christlichen Einstellung steht, fanden sich nicht.

Die Umstände der Integration sind großteils urkundlich belegt. An der Identität der BF bestand insbesondere aufgrund der Reisepasskopie kein Zweifel.

Rechtlich folgt:

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass im Falle äußerer Umstände, die einen Glaubenswechsel nicht unwahrscheinlich machen, im Einzelnen begründet werden müsste, weshalb ein solcher innere Glaubenswechsel nicht vorliegt.

Entsprechende äußere Umstände liegen unzweifelhaft vor. Im Rahmen der zwei mündlichen Verhandlungen kamen keine Umstände hervor, die auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit einer damit einhergehenden inneren Konversion hätten schließen lassen. Die belangte Behörde beteiligte sich nicht am gerichtlichen Beweisverfahren.

Im Sinne der durch das LIB dargestellten Verfolgung nicht geborener Christen im Iran stellt die festgestellte innere Konversion der BF1 und BF2 Nachfluchtgründe dar, die Asyl rechtfertigen.

Diese wirken auch für den BF3 als Sohn der BF1 und BF2.

Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision beruht auf dem Umstand, dass sich die Entscheidung als Einzelfallentscheidung im Rahmen der ständigen Rechtsprechung zur Konversion bei Iranern darstellt.

Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.

Schlagworte

Asylgewährung befristete Aufenthaltsberechtigung gekürzte Ausfertigung Konversion Nachfluchtgründe Religion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W274.2198113.1.00

Im RIS seit

14.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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