TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/8 W208 2192934-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.04.2021
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Entscheidungsdatum

08.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W208 2192934-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER im Verfahren über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAN, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.03.2021, Zl. 1107912104/201241785, zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. XXXX (in Folge: beschwerdeführende Partei bzw bP) stellte am 09.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2018, Zahl 1107912104 -160361725, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Unter einem wurde der bP ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Iran zulässig sei. Schließlich wurde der bP eine 14-tägige Frist für deren freiwillige Ausreise gewährt.

1.2. Die gegen diesen Bescheid erhobene, rechtzeitige Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 23.01.2019, W241 2192934-1/12E (nach einer am 12.11.2018 durchgeführten Verhandlung) vollinhaltlich abgewiesen. Die von der bP als Asylgrund angeführte Verfolgung wegen seiner Hinwendung zum Christentum (trotz Taufe durch die evangelisch-koreanische Gemeinde); seine Desertion und Verfolgung durch das iranische Militär, wegen seiner Ablehnung des Islam, dass unter anderem auch seine Mutter in ihrem Haus in TEHERAN aufgesucht und dieses mehrmals durchsucht hätte; seine Verhaftung und Folterung durch die Polizei bereits in den Jahren 2011/2012, wurden für nicht glaubhaft erachtet.

1.3. Aus der Aktenlage ergibt sich, dass gegen das unter 1.2. dargestellte Erkenntnis eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) erhoben wurde, deren Behandlung der VfGH mit Beschluss vom 13.03.2019, E 814/2019-6 abgelehnt und zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) abgetreten hat.

Eine Revision an den VwGH wurde von der bP nicht erhoben, sondern reiste die bP in der Folge nach Deutschland aus und stellte dort am 21.11.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 27).

1.4. Am 10.12.2020 wurde er nach dem Dublin-Regime rücküberstellt, stellte am selben Tag abermals einen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag) und wurde einer Erstbefragung (AS 21) unterzogen. In dieser gab die bP an, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht bleiben würden. Er sei damals von der Armee desertiert und deswegen seien die iranischen Behörden Ende 2019 zu seiner Mutter nach Hause gekommen und hätten sich nach ihm erkundigt. Er habe sich 2017 in Österreich taufen lassen und sei dies ebenfalls ein Grund, dass er nicht mehr in den Iran zurück könne (AS 24).

Am 15.02.2021 wurde die bP einer 1. Einvernahme (AS 131) durch ein Organ des Bundesamtes unterzogen. Nunmehr gab sie an römisch-katholischer Konfession zu sein. Als Beweismittel legte sie ein Schreiben eines deutschen Priesters (Dr. Nobert XXXX [im Folge: N) vor (AS 141).

In diesem Schreiben führte der Priester zusammengefasst an, dass sie die bP seit Dezember 2019 kenne und dieser bei ihm regelmäßig in die Katechese gekommen sei. Die entscheidende Bekehrung der bP habe Anfang 2019 durch eine Frau stattgefunden, die die bP mit geweihtem Öl gesalbt, mit ihr im Stephansdom geweint und vor dem Marienbild „Maria Poetsch“ gebetet und ihr eine Medaille von der „Rue du Bac (la Médaille Miraculeuse) in Paris“ gegeben habe. Daraufhin habe sich die bP von den Drogen abgewandt. In der Folge sei die bP zweimal in der Woche in den Stephansdom gegangen um zu beten. Er könne – auch wenn die Katechese – noch nicht abgeschlossen gewesen sei, bestätigen, dass die bP nunmehr „in seinem ganzen Wesen wirklich Christ“ geworden sei (AS 167).

Die bP gab dazu an, dass der Priester damit geschildert habe, was Entscheidendes in ihrem Leben geschehen sei, sie gehe regelmäßig in die Kirche in XXXX , deren Namen sie aber nicht wisse. Danach beantwortete sie noch einige Fragen zu Aposteln, zur Bibel und zum Unterschied von evangelischer und protestantischer Kirche.

Die bP gab weiters an, sie habe in der Befragung im ersten Asylverfahren eine Mischung aus Wahrheit und Lüge erzählt, habe aber alle Fluchtgründe gänzlich angeführt. Sie sei drogensüchtig gewesen, trotzdem zum Militär gegangen und dorthin nach einem Urlaub nicht mehr zurückgekehrt. Deswegen werde sie im Iran gesucht. Sie habe nur erzählt, dass sie Christ werden wolle bzw. sei, weil andere Asylwerber ihr das geraten hätten.

Darüber hinaus gab die bP zu ihren Verwandten befragt an, dass sie keine Verwandten in Österreich habe. Zwei Schwestern und zwei Brüder würden in TEHERAN leben. Sie selbst sei gesund, ledig und habe keine Kinder. Freiwillig würde sie nicht in den Iran zurückkehren.

Über den genannten Brief hinaus legte sie noch eine iranische Geburtsurkunde und einen iranischen Personalausweis im Original vor (AS 141, 155-165).

Am 25.02.2021 wurde die bP einer 2. Einvernahme (AS 253) durch ein Organ des Bundesamtes unterzogen. Dort gab sie gleich zu Beginn an, mit ihrer Schwester über Whats-App in Kontakt zu stehen. Danach wurde sie befragt, warum sie vom evangelischen Glaubensbekenntnis zum römisch-katholischen gewechselt hat und gab dazu wörtlich an:

„Ich habe früher Drogen genommen, war auf der Straße. Eines Tages kam eine Frau zu mir, die mir helfen wollte. Als sie über meine Situation erfahren hat, hat sie geweint. Sie hat in der Tasche Öl gehabt, mit diesem hat sie auf meiner Stirn etwas mit dem Finger geschmiert. Sie hat mir Euro 50,-- gegeben, mit einer Münze von Maria, weil ich damals einen Landesverweis bekommen habe. Diese Münze habe ich immer dabei. Deswegen musste ich das Land verlassen. Als ich gesehen habe, dass sie wegen meiner Situation geweint hat, habe ich auch geweint. Dann, in Wien gibt es eine große Kirche auf dem Stephansplatz. Dort habe ich ein Bild von Maria gesehen. Vor diesem Bild habe ich geweint, habe ihr meine Geschichte erzählt. Meine Drogengeschichte habe ich erzählt, meine Situation habe ich erzählt. Damals habe ich im 10. Bezirk in Wien gelebt, Luxemburgerstraße hieß dieses Quartier. Eines Tages habe ich mich im Zimmer mit meinem Freund eingesperrt und wir haben gesagt, dass wir mit den Drogen aufhören müssen. Wir haben gebetet und für ein Monat haben wir das Zimmer nicht mehr verlassen. Somit haben wir mit den Drogen aufgehört. Danach habe ich mit Sport angefangen, betrieb Sport, und habe einem Freund von mir geholfen und mitgearbeitet. Das war eine Arbeit für mich, er hat alte Waschmaschinen transportiert. Beim Heben und Tragen habe ich mitgeholfen. Dann habe ich einen Brief von der Polizei bekommen und ich ging zur Polizei. Dort wurde mir mitgeteilt, dass mein Akt geschlossen ist und ich die weiße Karte abgeben muss, ich einen neuen Antrag stellen muss. Das war im zweiten Stock, dann musste ich zum ersten Stock gehen, denn mein Akt war entschieden. Dann bin ich nicht mehr zur Polizei gegangen, habe keinen Antrag gestellt. Ich habe geweint und bin nach Hause gegangen. Als der Sicherheitsmann von unserem Quartier gesehen hat, dass ich weine, hat er mich umarmt und gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen muss, ich nicht abgeschoben werde. Danach kam ein anderer Freund von mir und der sagte, dass ich nach Deutschland muss und dort einen Antrag stellen soll. Dort werde ich eine Bleibe bekommen. Ich habe zu ihm gesagt, dass ich hier bleiben werde, niemand hat mir was Schlechtes getan. Hier sind gute Menschen, das sagte ich meinem Freund. Ich bin dann schon nach Deutschland gegangen, dort habe ich einen Herren kennengelernt, er heißt Dr. [N]. Er hat mir sehr geholfen, ich habe mit ihm ehrenamtlich gearbeitet, für seine Schüler. Wir haben Veranstaltungen gehabt, ich habe dort immer teilgenommen. Die Veranstaltungen waren von der katholischen Kirche. Ich habe von ihm viel gelernt, vergeben. Er sagte zu mir, dass ich nie schlecht reden und schlecht denken muss. Ich kenne ihn seit über einem Jahr. Ich war bei ihm auch Zuhause. Ich habe niemandem etwas Schlechtes getan, nur mir selbst, habe Drogen genommen. Nach 13, 14 Jahren hat Jesus mir geholfen, dass ich meinen Weg machen konnte und das ist hier in Österreich passiert. Ich hatte falsche Freunde, die mich falsch beraten haben.“

Näher befragt, konnte sie den Namen der Frau mit der sie geweint und gebetet hatte, nicht nennen. Sie sei aber die Freundin eines Freundes vom ihm und bei der Caritas. Er sei in Deutschland durch die Angehörigen der röm.-kath. Kirche integriert worden. Am Schluss der Vernehmung – nachdem mitgeteilt worden war, dass beabsichtigt sei, den Antrag zurückzuweisen – zog die bP ihr Mobiltelefon hervor und zeigte einen Chatverlauf mit einem Bekannten aus dem Iran, der sie bedroht habe. Sie habe auf Facebook und Instagram Bilder geteilt, die Bewohner in seiner Heimat wüssten nun Bescheid, dass sie vor fünf Jahren konvertiert sei. Sie habe die erste Nachricht aus dem Chat vor einem Monat erhalten. Sie habe früher auch auf Facebook über das Christentum gepostet, auf Instagram hingegen nicht.

1.5. Mit im Spruch bezeichneten Bescheid wurde der unter 1.4. dargestellte Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) zurückgewiesen. Unter einem wurde der bP gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde gegen die bP gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt VII.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für ihre freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Der Bescheid wurde der bP am 24.03.2021 zugestellt.

1.6. Gegen den im Spruch bezeichneten und unter 1.5. näher dargestellten Bescheid richtet sich die am 31.03.2021 bei der Behörde eingebrachte Beschwerde (AS 429). Der Beschwerde waren eine Vollmacht der BBU vom 29.03.2021 eine Bestätigung des Integrationsbeauftragten des Stadtpfarramtes St. J XXXX in XXXX über den regelmäßigen Kirchenbesuch, die Gespräche mit der pP nach der Messe sowie die Mitnahme von anderen Personen aus dem Camp (gemeint vmtl. die Flüchtlingsunterkunft) zur Messe und deren Hilfsbereitschaft bei Arbeiten in der Pfarre vorgelegt. Weiters wurde eine Kopie samt Übersetzung (AS 473) des Chatverlaufes mit einer Person namens „ XXXX “ vom 21.02.2021 vorgelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage.

3. Rechtlich folgt daraus:

Zu A)

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde und zum Verfahren

Soweit die bP in der Beschwerde die Anregung macht, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des VwGH dem jeweiligen Asylwerber nach den maßgeblichen Vorschriften des § 16 Abs. 2 und Abs. 4 sowie des § 17 BFA-VG kein Antragsrecht auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zukommt (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0133). Der Anregung wird daher nicht gefolgt. Über diese Anregung hinaus ist die Beschwerde nicht nur rechtzeitig, sondern auch zulässig.

In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn sich schon aus der Aktenlage ergibt, dass der Bescheid aufzuheben ist, liegen – wie unten gezeigt wird - vor.

3.2. Zur Aufhebung des Bescheides:

3.2.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen durfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem BVwG ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).

„Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (zum Asylantrag: VwGH 10.06.1998, 96/20/0266), nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zum Asylantrag: VwGH 25.4.2007, 2004/20/0100) ist jedoch nicht nur von der Rechtskraft der Entscheidung umfasst, was der Beschwerdeführer im Erstverfahren vorgebracht hat, sondern auch, was er hätte vorbringen können. Im AsylG 2005 ist – im Gegensatz zum AsylG 1997 – über einen Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden. Ein Antrag auf internationalen Schutz ist gemäß § 2 Abs. 2 Z 13 AsylG das – auf welche Weise auch immer artikulierte – Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; der Antrag gilt als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Ein Antrag auf internationalen Schutz wird nicht auf einen bestimmten Sachverhalt gestellt, sondern umfasst in seiner Allgemeinheit alle Tatsachen, die – nach erfolgter rechtlicher Würdigung – zur Gewährung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten führen können; daher ist es der Behörde auch nicht verwehrt, den jeweiligen Status auf Grund von Tatsachen zu gewähren, die zwar außerhalb des Vorbringens des Asylwerbers liegen, jedoch amtsbekannt sind. Daher umfasst die Rechtskraftwirkung einer (rechtskräftigen) Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz alle zuvor gegebenen Tatsachen. Soll diese Rechtskraft durchbrochen werden – etwa weil ein neues Beweismittel eine andere Beurteilung nahe legt – bedarf es eines Wiederaufnahmeantrages, nicht eines Folgeantrages.

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das BVwG grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung – obgleich auch diese Möglichkeit besteht – nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung (nach Rechtskraft der zuletzt in der Sache ergangenen Entscheidung) zu entnehmen sein, die – falls feststellbar – zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344)

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Ein auf das Asylgesetz 2005 (in Folge: AsylG) gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

3.2.2. Die bP behauptet im gegenständlichen Verfahren, dass ihr wegen Konversion zum Christentum sowie Desertion vom Militär die Verfolgung drohe. Dies hat sie zwar bereits im Erstverfahren behauptet und stünde daher die Rechtskraft des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2019, in der Fassung des Erkenntnisses des BVwG vom 23.01.2019 entgegen.

Nach der Rechtsprechung kann asylrelevante Verfolgung nach § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, was sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012, 27.2.2018, E 2958/2017 mwN; 21.09.2020, E 2618/2020).

Seit dieser Entscheidung bzw. der Verhandlung des BVwG in der Sache am 12.11.2018 sind jedoch über zwei Jahre vergangen und können auch aus opportunistischen Motiven gesetzte Aktivitäten im Herkunftsstaat einer bP asylrelevante Verfolgung auslösen; dies wäre nur dann nicht der Fall, würde der der Aktivität zugrundeliegende Opportunismus für jeden, einschließlich den potentiellen Verfolgern im Herkunftsstaat einer bP offensichtlich sein.

Es ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich die bP in diesem Zeitraum von zwei Jahren entweder aus einer inneren Überzeugung dem nunmehr (katholischen) Christentum zugewendet hat und dieses zu einem wesentlichen Teil ihrer persönlichen Identität geworden ist oder ihr auf Grund einer Unterstellung der Abwendung vom Islam und Konversion zum Christentum eine asylrelevante Verfolgung droht.

Zwar hat das BVwG bei seiner Entscheidung vom 23.01.2019 dies aus guten Gründen noch ausdrücklich als nicht vorliegend angesehen und folgerichtig auch eine Verfolgung im Iran nicht als hinreichend wahrscheinlich erachtet (vgl die Ausführung im Erkenntnis, Seiten 73 und 74). Diesbezüglich könnte aber nunmehr ein neuer Sachverhalt vorliegen, sofern den Ausführungen der bP zu seinem Leben in den letzten zwei Jahren ein „glaubhafter Kern“ zu bescheinigen ist. Die Bedenken der belangten Behörde zur mangelnden Glaubhaftigkeit des nunmehrigen Vorbringens der bP mögen im Rahmen einer ganzheitlichen Glaubhaftigkeitsbeurteilung des Vorbringens und der Beweismittel bei einer inhaltlichen Antragsprüfung ausschlaggebend sein bzw. entscheidendes Gewicht haben; ein bereits mangelnder „glaubhafter Kern“ ist damit allerdings noch nicht aufgezeigt.

Für das Vorliegen dieses glaubhaften Kerns spricht der Brief des deutschen Pfarrers N, der ein Jahr lang mit der bP Kontakt hatte und entgegen den Ausführungen im Bescheid zum Schluss seines Schreibens angab, dass die bP, nachdem Besuch der Katechese in Deutschland, nunmehr „in [ihrem] ganzen Wesen wirklich Christ geworden ist“. Was freilich noch nicht bedeutet, dass die bP deswegen im Iran auch verfolgt würde.

Ein Verfolgungsrisiko auf Grund der religiösen Überzeugung der bP liegt erst dann vor, wenn die maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel, wie beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel nunmehr vorliegen (vgl. auch dazu etwa jüngst VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, Rn. 28 bis 32, mwN; VwGH 06.08.2020, Ra 2020/18/0017). Wobei es sich beim Wissen über die neue Religion handelt lediglich um eines von mehreren Indizien, das bei einer im Rahmen einer Gesamtbetrachtung durchzuführenden Beurteilung eines aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsels zu berücksichtigen ist handelt (VwGH 30.07.2020, Ra 2019/20/0383, mwN). Dabei wird auch der intellektuelle Horizont der bP zu berücksichtigen sein.

Die Schilderungen vom Treffen mit der Freundin eines Freundes im Stephansdom und der folgende Drogenentzug Anfang 2019 können – sofern sie einer Überprüfung standhalten und der Wahrheit entsprechen – als auslösendes Ereignis für einen Religionswechsel angesehen werden. Die bP hat auch geschildert seitdem regelmäßig Gottesdienste zu besuchen.

3.3.3. Die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war zusammengefasst vor diesem Hintergrund nicht rechtmäßig und der Beschwerde folglich stattzugeben. Die Behörde hätte inhaltlich – nach entsprechenden ergänzenden Ermittlungen, an denen die bP insbesondere durch Angabe von Zeugen für ihre Behauptungen mitzuwirken hat – inhaltlich über den Folgeantrag entscheiden müssen.

Die Behörde wird im fortgesetzten Verfahren durch die Einvernahme von Zeugen, insbesondere des Freundes der bP mit dem er gemeinsam Anfang 2019 den Drogenentzug durchgezogen hat (AS 257) und der Freundin des Freundes der bP, die mit ihm im Stephansdom gebetet und geweint hat (AS 259), Angehörigen der Stadtpfarre ST. J XXXX in XXXX sowie allenfalls des Priesters N, zu klären haben, ob die bP tatsächlich aufgrund ihrer Erlebnisse seit Beginn 2019 eine innere und äußerlich erkennbare christliche Überzeugung angenommen hat, die im Fall einer Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen würde. Dazu werden auch die Hintergründe des vorgelegten Instagram-Chats zu klären und die Angaben der bP zu seinen Facebook-Aktivitäten zu prüfen sein.

3.3.4. Lediglich abschließend hält das BVwG fest, dass mit der vorliegenden Entscheidung keine Aussage darüber getroffen wird, ob die Behauptungen der bP glaubhaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sind oder dass die im angefochtenen Bescheid und in der Beschwerdevorlage angestellten Erwägungen – nach ergänzenden Ermittlungen - der belangten Behörde im Rahmen einer vollinhaltlichen Glaubhaftigkeitsbeurteilung nicht tragend sein können.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Bescheidbehebung Folgeantrag glaubhafter Kern Konversion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W208.2192934.2.00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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