TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/15 G307 2240475-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.04.2021
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Entscheidungsdatum

15.04.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3

Spruch


G307 2240475-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.: Rumänien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2021, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, (im Folgenden: BFA) vom 20.01.2021, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) durch Hinterlegung am 22.01.2021 zugestellt, wurde dieser darüber in Kenntnis gesetzt, dass anlässlich seiner wiederholten Verurteilungen und Erwerbslosigkeit die Erlassung einer Ausweisung angedacht sei. Zudem wurde der BF zur Abgabe einer dahingehenden Stellungnahme binnen 14 Tagen ab Erhalt dieses Schreibens ausgefordert.

Der BF gab dazu keine Stellungnahme ab.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF pesönlich zugestellt am 25.02.2021, wurde dieser gemäß §§ 66 Abs. 1 iVm. 55 Abs. 3 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt II.).

3. Mit per Post am 16.03.2021 beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) eingebrachtem Schreiben erhob der BF gegen den im Spruch genannten Bescheid Beschwerde beim BVwG.

Darin wurde sinngemäß die Behebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

4. Das unter I.3. genannte Beschwerdeschreiben des BF wurde vom BVwG mit Verfügung vom 18.03.2021, zur GZ.: G313 2240475-1/2E, gemäß § 6 AVG iVm. § 17 VwGVG zuständigkeitshalber an das BFA weitergeleitet.

5. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem BVwG vorgelegt und langten dort am 29.03.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum), ist rumänischer Staatsbürger und gesund.

1.2. Der BF hält sich seit 29.05.2020 durchgehend gemeldet in Österreich auf und geht nach pandemiebedingter längerer Arbeitssuche seit 22.03.2021 einer Vollzeitbeschäftigung als Arbeiter bei der XXXX in XXXX , nach.

1.3. In Österreich hält sich die Schwester des BF auf. Sonstige familiäre Bezugspunkte im Bundesgebiet bestehen nicht.

1.4. Der BF wurde mit Urteil des BG XXXX zur Zahl XXXX , vom XXXX .2015, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2015, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Tagen verurteilt.

Mit Urteil des BG XXXX zur Zahl XXXX , vom XXXX .2020, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2020, wurde der BF erneut wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Tagen verurteilt, wobei der BF die dem Urteil zugrundeliegende Straftat bereits am XXXX .2015 verwirklicht hat.

Es wird festgestellt, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1. Insofern Feststellungen zu Identität (Name und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Gesundheitszustand, Aufenthalt in Österreich sowie familiären Bezugspunkten des BF in Österreich getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten wurde.

Insofern der BF in der gegenständlichen Beschwerde vorbringt, zwar am 29.05.2020 nach Österreich gereist, jedoch aufgrund pandemiebedingter Erwerbslosigkeit bereits am XXXX .2020 wieder nach Rumänien zurückgereist zu sein, wobei eine Abmeldung des BF aufgrund der Versäumnis seines Vermieters bzw. Schließung des Rathauses nicht erfolgt sei, ist diesem zu entgegnen, keine diesbezüglichen Belege bzw. verifizierbare Nachweise beigebracht zu haben. Die bloße Behauptung, im Juli 2020 wieder ausgereist zu sein, kann, vor dem Hintergrund einer aufrechten und seit 29.05.2020 durchgehenden Wohnsitzmeldung sowie fehlender Angaben zur neuerlichen Einreise nach Österreich als substantiierte Entgegnung demgegenüber nicht genügen. So ist nicht nachvollziehbar, weshalb der BF sich zwar zu Beginn seines Aufenthaltes in Österreich regelkonform angemeldet, jedoch bei seiner Ausreise eine Abmeldung pflichtwidrig unterlassen haben sollte. In Ermangelung entsprechender Nachweise gelang dem BF sohin keine Glaubhaftmachung seines diesbezüglichen Vorbringens und ist von einem durchgehenden Aufenthalt desselben in Österreich seit 29.05.2020 auszugehen.

Der vom BF in der gegenständlichen Beschwerde vorgebrachten Behauptung, in Österreich nach Arbeit gesucht, jedoch aufgrund der Pandemie-Lage lange Zeit, konkret bis 22.03.2021, keine Einstellung erreicht zu haben, kann vor dem Hintergrund der pandemiebedingten teils vorübergehenden Schließung unzähliger Unternehmen sowie letztlich am 22.03.2021 vom BF tatsächlich aufgenommenen Erwerbstätigkeit Glauben geschenkt werden.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF, der Zeitpunkt der letzten Straftat sowie die Feststellung, dass er die besagten Straftaten begangen hat, beruhen auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Ausübung der derzeitigen Erwerbstätigkeit sowie die Wohnsitzmeldung des BF ergeben sich ferner aus dem Inhalt des auf seinen Namen lautenden Sozialversicherungsdatenuszuges sowie jenem des Zentralen Melderegisters.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 8 leg cit. als EWR-Bürger, ein Fremder der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF ist auf Grund seiner rumänischen Staatsbürgerschaft EWR-Bürger gemäß § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG idgF lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:

§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.

Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

"Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessem Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind." (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (Hinweis E vom 28. April 2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (Hinweis E vom 22. Juli 2011, 2009/22/0183). (vgl. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168)

Der Begriff "Privatleben" iSd Art 8 MRK folgt einem breiten Konzept, das keiner vollständigen Definition zugänglich ist. Es umfasst die körperliche und seelische Integrität einer Person (EGMR vom 26. März 1985, X und Y, Nr 8978/80, Tz 22; EGMR vom 20. März 2007, Tysiac, Nr 5410/03, Tz 107). Es kann in manchen Fällen auch Gesichtspunkte der körperlichen und gesellschaftlichen Identität des Einzelnen miteinbeziehen (EGMR vom 7. Februar 2002, Mikulic, Nr 53.176/99, Tz 53). Art 8 MRK schützt auch das Recht auf persönliche Entwicklung sowie das Recht zur Begründung und Entwicklung von Beziehungen zu anderen Menschen und zur Außenwelt ohne Eingriffe von außen (EGMR vom 16. Dezember 1992, Niemietz, Nr 13.710/88, Tz 29; EGMR vom 24. Februar 1998, Botta, Nr 21.439/93, Tz 32). (vgl. VwGH 18.10.2016, Ra 2016/03/0066)

„Zum Umfang der Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts hat der EuGH im Urteil vom 4. Juni 2009, C-22/08 und 23/08 "Vatsouras u. a.", Rn. 36, darauf hingewiesen, dass auch Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, in den Anwendungsbereich von Art. 39 EG (nunmehr Art. 45 AEUV) fallen. Der Begünstigte muss bereits während der Arbeitssuche als Arbeitnehmer im Sinn des Unionsrechts qualifiziert werden, solange er ernsthaft im Aufnahmestaat einen Arbeitsplatz sucht, sich ernsthaft und nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemüht und sein Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist. Es muss sich grundsätzlich um die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit handeln, damit die Eigenschaft als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinn verschafft wird (Hinweis Urteil des EuGH vom 11. Juli 2002, C-224/98 "D'Hoop", Rn. 18).“ (vgl. VwGH 26.02.2013, 2010/22/0104)

3.1.3. Wie dem gegenständlichen Sachverhalt zu entnehmen ist, hält sich die BF seit 29.05.2020 durchgehend im Bundesgebiet auf und geht seit 22.03.2021 nach längerer Arbeitssuche einer Erwerbstätigkeit in Österreich nach.

Dem BF kommt aufgrund seiner Erwerbstätigkeit zum Entscheidungszeitpunkt sohin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd. § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu. Ferner ist festzuhalten, dass einem EWR-Bürger bereits während seiner ernsthaften und objektiv nicht aussichtslosen Arbeitssuche ebenfalls ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt (vgl. VwGH 26.02.2013, 2010/22/0104) und der BF – wie oben ausgeführt – seine ernsthafte Arbeitssuche glaubhaft machen konnte.

Demgegenüber weist der BF zwei einschlägige strafgerichtliche Verurteilungen in Österreich wegen Diebstahls auf, woraus sich an sich eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen durch ableiten lässt. Gegenständlich gilt jedoch zu beachten, dass die letzte Straftat des BF bereits beinahe 5 ½ Jahre zurückliegt und der BF sich seither in strafgerichtlicher Hinsicht nichts mehr zu Schulden kommen hat lassen. Angesichts des seit der letzten Straftat des BF vergangenen Zeitraums und des Wohlverhaltens des BF lässt sich letztlich keine aktuelle Gefährdung öffentlicher Interessen durch einen weiteren Verbleib des BF in Österreich ausmachen.

Im Ergebnis kommt das BVwG daher zum Schluss, dass dem BF ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt und mangels vorliegender Beeinträchtigung öffentlicher Interessen die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung iSd. §§ 66 FPG iVm. § 55 NAG gegenständlichen nicht vorliegen (siehe VwGH 16.02.2012, 2009/01/0062: hinsichtlich der nur deklaratorischen Wirkung einer Anmeldebescheinigung).

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und sich zudem aus der Aktenlage ergibt, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG sowie 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Ausweisung Behebung der Entscheidung EU-Bürger individuelle Verhältnisse strafrechtliche Verurteilung Unionsrecht Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G307.2240475.2.00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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