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StVONorm
StVO 1960 §76 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Jurasek als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Weinke, über die Beschwerde des OH in S, vertreten durch Dr. Erich Jung, Rechtsanwalt in Salzburg, Paris Lodronstraße 2, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 1. Juli 1969, Zl. IX-1348/1-1969, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften hinsichtlich der Übertretung nach § 76 Abs. 1 StVO 1960 aufgehoben.
Die Beschwerde wird hinsichtlich der Übertretung nach § 97 Abs. 3 StVO 1960 als unbegründet abgewiesen.
Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 1.097,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Salzburg sprach mit Straferkenntnis vom 18. September 1967 aus, der Beschwerdeführer habe am 16. Dezember 1966 um 14,50 Uhr in Salzburg, Augustinergasse, vor der Volksschule Mülln, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagens a) durch einen schadhaften Auspuff mit dem Personenkraftwagen übermäßigen Lärm erregt, b) sich als Fußgänger auf der Fahrbahn aufgehalten und c) der Weisung des Wachebeamten, den Gehsteig aufzusuchen, nicht Folge geleistet und er habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach a) § 60 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159 (StVO), b) § 76 Abs. 1 StVO und c) § 97 Abs. 3 StVO in der zur Zeit der Tat geltenden Fassung begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurden gegen ihn Geldstrafen zu a) S 150,--, , b) S 100,--, c) S 200,-- bzw. Ersatzarreststrafen zu a) 36 Stunden, b) 24 Stunden, c) 48 Stunden verhängt. In der Begründung wurde dargelegt, es seien die strafbaren Tatbestände durch die Anzeige und das Ermittlungsergebnis erwiesen. Fußgänger hätten, wenn ein Gehsteig vorhanden sei, gemäß § 76 Abs. 1 StVO diesen zu benützen. Die Befolgung der Weisungen des Straßenaufsichtsorganes sei ohne Gefährdung von Personen und Sachen möglich gewesen. In der Berufung vom 2. Oktober 1967 brachte der Beschwerdeführer u. a. vor, das Aufhalten von Fußgängern auf der Fahrbahn sei nicht strafbar. Da es am Tatort nicht den geringsten Verkehr gegeben habe, sei die Voraussetzung für die Berechtigung der Erteilung einer solchen Weisung im Sinne des § 97 Abs. 3 StVO nicht gegeben gewesen. Ergänzend zu dieser Berufung führte er in seiner Eingabe vom 20. Oktober 1967 noch aus, er sei bei der gegenständlichen Amtshandlung nicht Fußgänger, sondern Autofahrer gewesen, weil er im Zug einer das Auto betreffenden Amtshandlung zum Vorweis der Autopapiere verhalten worden sei. Schon aus diesem Grund seien die Bestimmungen des § 76 StVO, die nur von Fußgängern sprächen, auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bezüglich des durch die Veränderungen am Auspufftopf hervorgerufenen Lärmes hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 1. Juli 1969 der Berufung zu a) (Übertretung des § 60 Abs. 1 StVO) gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 Folge gegeben und das Verwaltungsstrafverfahren in dieser Hinsicht gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 eingestellt. Zu b) (Übertretung des § 76 Abs. 1 StVO) wurde der Berufung keine Folge gegeben, zu Punkt c) (Übertretung des § 97 Abs. 3 StVO) wurde der Spruch insofern richtiggestellt, als die Strafe gemäß § 99 Abs. 4 lit. i StVO auszusprechen sei. In der Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei ab dem Zeitpunkt, als er das Kraftfahrzeug verlassen habe, zu Fuß gegangen, weshalb auf ihn auch die Vorschriften über Fußgänger anzuwenden gewesen seien. Gemäß § 76 Abs. 1 StVO sei ein Benutzen der Fahrbahn für Fußgänger, sofern es sich nicht um ein Überqueren handle, unzulässig. Der Beschwerdeführer habe sich trotz Aufforderung, sich auf den Gehsteig zu begeben, auf die Fahrbahn gestellt und daher gegen die Bestimmungen des § 76 Abs. 1 StVO verstoßen. Anordnungen von Organen der Straßenaufsicht sei gemäß § 97 Abs. 3 StVO Folge zu leisten, wenn es die Sicherheit, Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs erfordern. Strafsanktion für die Nichtbefolgung dieser individuellen Weisung eines Straßenaufsichtsorganes sei § 99 Abs. 4 lit. i StVO, weshalb der Spruch in dieser Hinsicht richtigzustellen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
I.
Wie in der Beschwerde zu Punkt b) des angefochtenen Bescheides ausgeführt wird, regle der VIII. Abschnitt der Straßenverkehrsordnung, insbesondere dessen § 76, das Verhalten der Fußgänger. Die Straßenverkehrsordnung enthalte, keine Begriffsbestimmung darüber, wer Fußgänger sei. Eine Person, die als Lenker eines Personenkraftwagens von einem Straßenaufsichtsorgan angehalten werde und zu diesem Zweck kurzfristig ihren Personenkraftwagen verlasse, könne nicht als Fußgänger angesehen werden, weil ihr Verhalten noch im ursächlichen, d. h. zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Fahrzeuglenkers stehe.
Die Straßenverkehrsordnung 1960 trifft Vorschriften über die Benützung von Straßen für den Verkehr. Die Pflichten der einzelnen Verkehrsteilnehmer richten sich danach, in welcher Weise sie am Verkehr teilnehmen, und zwar einerseits, welches Mittel sie zu ihrer Fortbewegung benützen, und anderseits, ob sie die Fahrgeschwindigkeit und Richtung dieses Fortbewegungsmittels bestimmen, es also lenken. Eine Begriffsbestimmung, wer Fußgänger ist, fehlt wohl in der Straßenverkehrsordnung. So wie aber Radfahrer im Sinne des § 65 Abs. 1 StVO ist, wer ein Fahrrad lenkt, oder Reiter im Sinne des § 79 StVO, wer sich eines Tieres zu seiner Fortbewegung bedient, wird als Fußgänger jener anzusehen sein, der den Weg zu Fuß zurücklegt, sich also lediglich auf seinen Füßen fortbewegt, losgelöst von jeder Verbindung mit anderen Fortbewegungsmitteln irgendwelcher Art. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang damit ausgesprochen, daß noch nicht Fußgänger ist, wer sein Fahrzeug (Fahrrad oder Motorrad) schiebt, weil durch das Absteigen die während der Benützung des Fahrzeuges im öffentlichen Verkehr fortbestehende und dauernde Beziehung zwischen Fahrzeug und Lenker noch nicht aufgehoben wird (vgl. die Erkenntnisse vom 15. Juni 1955, Slg. Nr. 3788/A, und vom 27. November 1963, Slg. Nr. 6164/A). Das gleiche muß aber für einen Kraftwagenlenker gelten. Hält demnach der Lenker eines Kraftwagens diesen an und verläßt er sein Fahrzeug, hält sich aber bei diesem unmittelbar - ohne den Weg zu Fuß fortzusetzen - weiter auf, dann bleibt auch er in der Regel Lenker im weiteren Sinne des Wortes und unterliegt daher noch nicht den für den Fußgängerverkehr geltenden Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung.
Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Fall zu prüfen gehabt, ob der Beschwerdeführer nicht etwa noch in einem bestimmten Naheverhältnis zu seinem Kraftwagen gestanden ist, also ob die während der Benützung des Fahrzeuges im öffentlichen Verkehr fortbestehende und dauernde Beziehung zwischen Fahrzeug und Lenker noch vorhanden war. Da die belangte Behörde derartige Feststellungen nicht getroffen hat, war der Sachverhalt in dieser Hinsicht ergänzungsbedürftig.
II.
Zur Bestrafung wegen der Übertretung der Bestimmungen des § 97 Abs. 3 StVO in der zur Tatzeit geltenden Fassung (seit der Straßenverkehrsverordnungs-Novelle 1969, BGBl. Nr. 209, § 97 Abs. 4) meint der Beschwerdeführer, diese Bestimmungen gäben Organen der Straßenaufsicht nicht schlechthin und in jedem Fall die Ermächtigung zur Erteilung von Anordnungen, sondern nur dann, wenn es die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs erfordere. Aus diesen Bestimmungen ein allgemeines uneingeschränktes Weisungsrecht dieser Organe in jedem Fall ableiten zu wollen, widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes. Im angefochtenen Bescheid sei nirgends von der Notwendigkeit einer solchen Anordnung aus den im Gesetz genannten Gründen die Rede. Die vom Beschwerdeführer schon vor der ersten Instanz vorgebrachte Behauptung, zur Tatzeit habe am Tatort kein Verkehr geherrscht, sei unwidersprochen geblieben.
Unbestritten ist, daß das Straßenaufsichtsorgan im vorliegenden Fall den Beschwerdeführer aufgefordert hat, nicht auf der Straße zu verweilen, sondern sich auf den Gehsteig zu begeben, weil er sonst den Verkehr behindere. Diese Anordnung bezweckte die Beseitigung eines verkehrswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers. Sie war auch geeignet, der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu dienen, wie auch die belangte Behörde auf Seite 6 der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt hat. Daß der Verkehr schon konkret behindert sein muß, damit eine solche Weisung überhaupt erst von einem Straßenaufsichtsorgan erteilt werden darf, geht aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht hervor. Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß die belangte Behörde rechtswidrig gehandelt hat, wenn sie den Beschwerdeführer auch der Übertretung des § 97 Abs. 3 StVO in der zum Zeitpunkt der Tat geltenden Fassung schuldig erkannt hat. Soll nämlich eine solche Weisung ihren vom Gesetzgeber bestimmten Zweck erfüllen, dann muß ihr auch mit der nach den Umständen ehestmöglichen Beschleunigung nachgekommen werden, zumal dann, wenn diese Anordnung, wie auch im vorliegenden Fall, die Beseitigung eines verkehrswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers betrifft. Wenn der Betroffene der Meinung ist, die Anordnung des Straßenaufsichtsorganes entspreche nicht der obgenannten Vorschrift, steht es ihm, allerdings erst nach Befolgung der Weisung, frei, den Beschwerdeweg an die dem Organ vorgesetzte Behörde zu beschreiten (siehe z. B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. November 1956, Slg. N. F. Nr. 4222/A, 16. Mai 1963, Zl. 1270/62, Slg. N. F. Nr. 6030/A, sowie des verstärkten Senates vom 24. März 1969, Zl. 812/66). Nur im Fall der lit. b) dieser Bestimmung hätte der Beschwerdeführer eine derartige Anordnung nicht befolgen dürfen, ein solcher Fall wurde aber von ihm nicht behauptet.
Der angefochtene Bescheid war daher, soweit der Beschwerdeführer der Übertretung des § 76 Abs. 1 StVO schuldig erkannt worden ist, gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, weil in dieser Hinsicht der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhang mit der Verordnung des Bundeskanzleramtes, BGBl. Nr. 4/1965.
Wien, am 29. Juni 1970
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1970:1969001323.X00Im RIS seit
15.06.2021Zuletzt aktualisiert am
15.06.2021