Index
VwGGNorm
AVG §71 Abs1 lita implizitBeachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehne und die Senatspräsidenten Dr. Kadecka, Dr. Skorjanec sowie die Hofräte Dr. Hinterauer, Dr. Knoll, Dr. Zach, Dr. Karlik, Dr. Kirschner und Dr. Seiler als Richter, im Beisein des Schriftführers Bezirksrichter Mag. Dr. Kail, den Beschluss gefaßt:
Spruch
Gemäß § 46 VwGG 1965 wird dem Antrag der E-Aktiengesellschaft für elektrische Industrie in W, vertreten durch Dr. Werner Masser und Dr. Ernst Grossmann, Rechtsanwälte in Wien I, Singerstraße 27, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 21. Oktober 1974, Zl. 22.172/3/33/74, stattgegeben.
Der Antrag des Antragsgegners auf Zuspruch eines Schriftsatzaufwandes von S 500,-- für die Äußerung zum Wiedereinsetzungsantrag wird abgewiesen.
Begründung
I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Hauses Wien, X-gasse 59 - 61, von dem mit Bescheid des Bundesdenkmalamtes vom 11. März 1974, Zl. 2264/74, festgestellt wurde, daß die Erhaltung gemäß §§ 1 und 3 Denkmalschutzgesetz im öffentlichen Interesse gelegen ist. Der von der Antragstellerin dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. Oktober 1974, Zl. 22.172/3/33/74, teilweise dahin Folge gegeben, daß lediglich die Erhaltung bestimmter Teile des Objektes im öffentlichen Interesse gelegen sei. Dieser Bescheid wurde der Antragstellerin am Donnerstag, den 24. Oktober 1974 zugestellt, sodaß letzter Tag für die Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nach § 26 Abs. 1 lit. a VwGG 1965 Donnerstag, der 5. Dezember 1974 war.
Die von der Antragstellerin erst am 6. Dezember 1974 zur Post gegebene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Zl. 2196/74) wurde mit Beschluß vom 23. Jänner 1975 wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückgewiesen.
Zur Zl. 265/75 des Verwaltungsgerichtshofes brachte die Antragstellerin den Antrag ein, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 21. Oktober 1974, Zl. 22.172/3/33/74, zu bewilligen. Dieser Antrag wird damit begründet, weil seitens der Antragstellerin zur Beschwerdeerhebung ein Vorstandsbeschluß erforderlich gewesen sei, habe man den Vertretern der Antragstellerin den Auftrag zur Beschwerdeerhebung erst neun Tage vor Ende der Frist angekündigt und erst am 2. Dezember 1974 schriftlich erteilt. Nach Fertigstellung des Rohentwurfes am 3. Dezember 1974 sei am 4. Dezember 1974 die erste, da jedoch in der Kanzlei bei der letzten Korrektur das erste Blatt verknittert und eingerissen worden sei, am 5. Dezember 1974 eine zweite Reinschrift erfolgt. Die Kanzleiangestellte der Vertreter der Antragstellerin, WB, habe die ausdrückliche Weisung erhalten, die Beschwerde am 5. Dezember 1974 eingeschrieben beim Postamt aufzugeben. Entgegen diesem ausdrücklichen Auftrag habe sie die Beschwerde jedoch am Abend des 5. Dezember 1974 um ungefähr 19,15 Uhr in einen in der Nähe ihrer Wohnung befindlichen Briefkasten eingeworfen, dessen Aushebung erst am Morgen des 6. Dezember 1974 erfolgte. Dadurch sei die Beschwerdefrist versäumt worden. Die Antragstellerin habe von diesem Vorgang erst durch die ihren Vertretern am 27. Dezember 1974 zugestellte Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1974 Kenntnis erlangt. WB., die vor ihrer Tätigkeit in der Kanzlei der Vertreter der Antragstellerin vier Jahre lang als Sekretärin „im Büro des Handelsministers“ gearbeitet hätte, habe die ihr übertragenen Aufgaben bis zum gegenständlichen Zeitpunkt gewissenhaft erfüllt, eine derartige Fehlleistung sei nicht voraussehbar gewesen. Auf Grund des gegenständlichen Vorfalles sei das Dienstverhältnis mit dieser Kanzleiangestellten aufgelöst worden.
In ihrem Wiedereinsetzungsantrag führte die Antragstellerin weiter aus, das Verhalten der Kanzleiangestellten, die die ihr gegebene ausdrückliche Weisung mißachtet habe, stelle keinen Irrtum mehr dar, sondern sei auf Grund einer unerklärlichen geistigen Fehlleistung geschehen, die „nicht mehr als Denkvorgang qualifiziert“ werden könne. Ein derart ungewöhnliches, von der Norm abweichendes Verhalten der Kanzleiangestellten sei als „Ereignis“ gleich einem Elementarereignis anzusehen und dürfe nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen. Das Expedieren der Poststücke falle in den selbständigen Pflichtenkreis des geschulten Anwaltspersonals und es sei auf Grund des starken Arbeitsanfalles praktisch unmöglich, daß der Anwalt persönlich die Postaufgabe vornehme. Der Vertreter der Antragstellerin habe daher darauf vertrauen müssen, daß die geschulte Kanzleiangestellte der für den konkreten Fall ausdrücklich erteilten Weisung nachkomme. Das auftragswidrige Verhalten der Kanzleiangestellten habe nicht vorhergesehen werden können, weil diese nach vierjähriger Tätigkeit in einem Ministerbüro ihren Dienst auch in der Kanzlei der Vertreter der Antragstellerin anstandslos verrichtet hätte. Jedenfalls liege auf Grund der oben geschilderten Umstände das eingetretene Ereignis außerhalb des Machtbereiches des vom Geschehen Betroffenen. Hingewiesen werde auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, der grundsätzlich das Verschulden der Kanzleiangestellten, soweit es schwerwiegend genug sei, als Wiedereinsetzungsgrund zulasse. Dabei sei zu bedenken, daß sowohl das VwGG als auch die österreichische ZPO bei den Voraussetzungen von einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ sprächen, sodaß in diesem Punkt eine sachlich nicht gerechtfertigte Divergenz in der Judikatur der beiden Höchstgerichte (gemeint sind Oberster Gerichtshof und Verwaltungsgerichtshof) bestehe. Der Gesetzgeber habe im Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bzw. im Organhaftpflichtgesetz die Haftung der Bediensteten gemindert und damit die Tatsache berücksichtigt, daß im Berufsleben für den einzelnen eine erhöhte Gefahr bestehe, Fehler zu begehen. Dieser Tatsache solle auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung tragen, zumal diese Verminderung der Haftung der Dienstnehmer - wie der gegenständliche krasse Fall zeige - auch eine absolute Verminderung des Verantwortungs- und Pflichtbewußtseins des Dienstnehmers mit sich gebracht habe. Dadurch könne es zu Fehlern kommen, die der gänzlich schuldlosen Partei die Möglichkeit des weiteren Instanzenzuges bzw. einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nähmen. Insbesondere angesichts der Tatsache, daß eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die Unterschrift eines Rechtsanwaltes tragen müsse, erscheine es unbillig, daß Fehler dieses Rechtsanwaltes bzw. seiner Kanzlei, die nicht im Machtbereich der Partei selbst liegen, grundsätzlich nicht als Wiedereinsetzungsgrund Anerkennung fänden. Daher sei die Antragstellerin durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden daran gehindert worden, die Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde einzuhalten und beantrage die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist.
In dem Schriftsatz, der den Wiedereinsetzungsantrag enthält, hat die Antragstellerin die versäumte Prozeßhandlung durch (neuerliche) Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Oktober 1974, Zl. 22.173/3/33/74, nachgeholt.
Der Antragsgegner, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hat diese Stellungnahme in Form einer schriftlichen Gegenäußerung erstattet, in der er ausführte, schon aus dem Antrag gehe hervor, daß das behauptete Ereignis nach der herrschenden Judikatur (zu ergänzen: des Verwaltungsgerichtshofes) keinen Wiedereinsetzungsgrund bilde. Die Ausführungen der Antragstellerin gingen „in großem Umfang“ dahin, ihrer Meinung nach müsse diese Judikatur als für Anwälte und Mandanten eigentlich unbillig betrachtet werden. Aus prinzipiellen Gründen möchte sich der Antragsgegner mit dieser Ansicht nicht auseinandersetzen. Hingegen hätten die Tatsachenbehauptungen im Wiedereinsetzungsantrag einige aufklärungsbedürftige Fragen aufgeworfen, nämlich 1. welche Tätigkeit habe die Kanzleikraft B. im Büro des Handelsministers ausgeübt? (die Bezeichnung „Sekretärin“ werde häufig auch für bloße Schreibkräfte verwendet), 2. wie lange habe die Tätigkeit dieser Kraft in der Kanzlei der Vertreter der Antragstellerin gedauert, also jene Tätigkeit, von der genagt werde, sie sei „bis zum gegenständlichen Zeitpunkt“ gewissenhaft erfüllt worden? Die Klärung dieser Frage sei umso nötiger, als es unüblich sei, das Dienstverhältnis tatsächlich bewährter Kanzleiangestellten wegen eines einmaligen Versagens zu lösen. 3. Klärungsbedürftig seien endlich die näheren Umstände, die dazu geführt hätten, daß die Kanzleiangestellte die Beschwerde um ungefähr 19,15 Uhr in einen in der Nähe ihres Wohnsitzes befindlichen Briefkasten geworfen habe. Der späte Zeitpunkt lasse vermuten, die Angestellte habe die Kanzlei erst nach 18 Uhr, also zu einem Zeitpunkt verlassen, da in Wien nur mehr vier Postämter (Hauptpost, Börseplatz, West- und Südbahnhof) geöffnet hätten, sodaß noch zusätzliche Aufträge an die Kanzleiangestellte erforderlich gewesen wären, um „gesicherter Weise“ das Schriftstück noch am gleichen Tag ordnungsgemäß zur Post zu geben. Ob es sich im vorliegenden Fall also tatsächlich um die „Fehlleistung“ einer Kanzleikraft des Rechtsvertreters der Antragstellerin gehandelt habe und diese „Fehlleistung“ gleichsam als „Elementarereignis“ anzusehen sei, erscheine nach dem derzeitigen Vorbringen nicht ausreichend dargelegt. Für diese Äußerung verzeichnete der Antragsgegner einen Schriftsatzaufwand von S 500,--,
II.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wäre dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Prüfung der darin enthaltenen tatsächlichen Behauptungen aus zwei Gründen nicht Folge zu geben:
Einerseits wurde in einer Reihe von Entscheidungen (z.B. vom 22. März 1950, Slg. N. F. Nr. 3692/A; vom 2. Februar 1960, Zl. 1419/58, vom 13. April 1965, Zlen 1861 und 1862/64, vom 4. November 1965, Zl. 1703/65, und vom 20. Juni 1966, Zl. 1511/65) ausgesprochen, Voraussetzung eines Wiedereinsetzungsantrages sei es, daß die versäumte Handlung im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht gesetzt worden ist. Diese Rechtsmeinung, die im vorliegenden Fall einer Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstünde, weil die Antragstellerin die versäumte Handlung, nämlich die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, zwar mit ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (neuerlich) verbunden, aber schon vorher durch Einbringung der als verspätet zurückgewiesenen Beschwerde zu Zl. 2196/74 des Verwaltungsgerichtshofes gesetzt hatte, wurde mit Beschluß eines verstärkten Senates vom 20. Juni 1966, Zl. 1511/65, aus folgenden Erwägungen beibehalten:
„Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG 1965 ist einer Partei, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Zufolge der Vorschrift des zweiten Satzes des Abs. 3 desselben Paragraphen ist die versäumte Handlung gleichzeitig nachzuholen. Der Wortlaut des Gesetzes läßt sohin keinen Zweifel darüber offen, daß nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers die versäumte Prozeßhandlung mit dem Wiedereinsetzungsantrag zu verbinden - und nicht etwa nur spätestens gleichzeitig mit diesem zu setzen - ist. Für eine berichtigende Auslegung der in Rede stehenden Verfahrensvorschrift in dem Sinne, daß das Erfordernis der Gleichzeitigkeit auch dann als erfüllt anzusehen sei, wenn, wie im vorliegenden Beschwerdefall, die versäumte Prozeßhandlung im Zeitpunkt der Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages schon nachgeholt worden ist, bleibt umsoweniger Raum, als die Forderung des Gesetzgebers nach gleichzeitiger Setzung beider Prozeßhandlungen, und zwar insbesondere unter Bedachtnahme auf die Regelung des § 34 Abs. 1 VwGG, ihren guten und einleuchtenden Sinn hat. Nach der zitierten Bestimmung sind Beschwerden, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist nicht zur Verhandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen. Daß der formelle Mangel der verspäteten Einbringung - bei Vorliegender Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - sanierbar und daher vor einer a limine Zurückweisung der Beschwerde zu untersuchen ist, ob ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werden kann, kann der Verwaltungsgerichtshof aber nur erkennen, wenn der verspäteten Beschwerde ein auf § 46 VwGG 1965 gestützter Antrag angeschlossen ist, in dem Umstände aufgezeigt werden, die nach Meinung des Beschwerdeführers die Behandlung seiner Beschwerde als rechtzeitig zur Folge haben müssen. Fehlt es hingegen - zumindest vorläufig - an einem derartigen Antrag, so hat der Gerichtshof die Beschwerde der in § 34 Abs. 1 VwGG 1965 vorgezeichneten Behandlung zuzuführen. Auch aus diesem Grunde hatte der Gerichtshof keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung, auf die im übrigen Bezug genommen wird, abzugehen.
Dem Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers war daher mangels eines gesetzlichen Erfordernisses keine Folge zu geben und seine demnach verspätete Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG 1965 zurückzuweisen.“
Ähnliche rechtliche Überlegungen wurden nach der Beschlußfassung dieses verstärkten Senates vom Verwaltungsgerichtshof in weiteren Entscheidungen, insbesondere in jenen vom 23. November 1972, Zlen. 1525, 1526/72, und vom 17. Mai 1973, Zlen. 104 und 620/73, vertreten.
Einer Bewilligung der beantragten Wiedereinsetzung stünde über das sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergebende eben dargelegte Hindernis hinaus, aber auch die weitere in dieser Rechtsprechung durch viele Jahre ständig vertretene Rechtsmeinung entgegen, ein Versehen von Kanzleiangestellten des Vertreters eines Beschwerdeführers sei dem Verschulden des Vertreters und dieses wieder dem Verschulden der Partei gleichzusetzen, ein derartiges Kanzleiversehen bilde also keinen Wiedereinsetzungsgrund. Auch dieser Grundsatz wurde schon seit vielen Jahren in einer großen Zahl von Entscheidungen des Gerichtshofes, oft in einigen für den hier gegebenen Fall nicht interessanten Varianten, und zwar sowohl in Entscheidungen über auf § 46 VwGG gestützte Wiedereinsetzungsanträge als auch in Entscheidungen über Bescheidbeschwerden vertreten, die von Verwaltungsbehörden nach Bestimmungen anderer Verfahrensgesetze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (insbesondere § 71 AVG) behandelte Fälle betrafen (vgl. u. a. die Entscheidungen vom 7. Juli 1931, Zl. A 758/29, Slg. N. F. Nr. 18/A, 313/A, 1714/A, 1908/A, 2027/A, 253/F, 628/F, 737/F und viele andere). Auch diese Rechtsprechung erfuhr ihre Festigung durch einen Beschluß eines verstärkten Senates vom 11. Oktober 1961, Zl. 3/1-Präs/1961, der im folgenden Rechtssatz gipfelte:
„Ein dem Erfüllungsgehilfen eines Rechtsanwaltes unterlaufenes Versehen, z. B. ein solches, das zu einer unrichtigen Terminvormerkung geführt hat, kann nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gelten.“
Anlaßfall dieses verstärkten Senates war die Bescheidbeschwerde Zl. 1269/56 gewesen, die sodann mit Erkenntnis vom 11. Oktober 1961, Slg. N. F. Nr. 5643/A, als unbegründet abgewiesen wurde. Zur Begründung wurde in diesem Erkenntnis insbesondere ausgeführt:
„Zunächst muß in Betracht gezogen werden, daß der im vorliegenden Fall angewendete § 71 AVG 1950 von den Wiedereinsetzungstatbeständen der §§ 146 ZPO und 364 StPO abweicht. Bei der Abfassung des § 71 AVG 1950 wurden nämlich die Tatbestandserfordernisse der Wiedereinsetzung in der Zivilprozeßordnung und in der Strafprozeßordnung kombiniert. Der Gerichtshof ist sich des Umstandes bewußt, daß der Wiedereinsetzungstatbestand der Zivilprozeßordnung, ‚um die Schwierigkeiten zu mildern, welche dem Restitutionsverfahren ...... aus der Schuldfrage erwachsen‘, die Statthaftigkeit der Restitution statt unmittelbar auf die Schuldlosigkeit der Versäumung auf andere Kriterien abgestellt hat. Dieses Motiv ist in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage enthalten, und die Merkmale werden dort als ‚mehr objektive‘ bezeichnet (Materialien zu den österreichischen Zivilprozeßgesetzen, 1. Bd., S. 251 ff.). Wenn auch der Tatbestand des § 146 ZPO mit der Schuldfrage zusammenhängt, so ist es doch keine rechtlich bedeutungslose Wiederholung, sondern ein sehr wesentlicher Umstand, daß im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz den Wiedereinsetzungserfordernissen der Zivilprozeßordnung noch ausdrücklich das weitere Erfordernis ‚ohne ihr (der Partei) Verschulden‘ hinzugefügt wurde. Die Kombination der beiden Erfordernisse deutet zunächst schon auf die Absicht des Gesetzgebers hin, die Wiedereinsetzung an strenge Voraussetzungen zu binden. Für die Frage, ob auch ein innerer Vorgang ein Ereignis sein könne läßt sich aus der eben erörterten Kombination von Tatbestandsmerkmalen zunächst noch nichts Entscheidendes ableiten. Gegen die strengere Auslegung des Begriffes ‚Ereignis‘, wie sie auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgenommen wurde, wurde im Laufe der Auseinandersetzung um die hier strittige Frage immer wieder ins Treffen geführt, daß der Reichsrat den Wiedereinsetzungstatbestand der Regierungsvorlage zur Zivilprozeßordnung, wie aus den Materialien eindeutig hervorgehe, wesentlich mildern wollte und auch gemildert habe (vgl. hiezu etwa Sperl, ‚Unwahrheit im Urteil‘, in der Festschrift für Franz Klein, S. 36). Nun hat aber diese Absicht der Volksvertretung, die tatsächlich aus den Materialien ganz eindeutig hervorgeht, im Wortlaut des Gesetzes nur teilweise Ausdruck gefunden. Wenn die Worte ‚unvorhergesehenes, für die Partei unübersteigliches Hindernis‘ durch die Worte ‚unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis‘ ersetzt wurden, so kann daraus abgeleitet werden, daß das unvorhergesehene Ereignis nicht zugleich ein unabwendbares gewesen sein müsse. Die Konsequenzen aus dieser Änderung stehen jedoch im vorliegenden Fall, wenn sie auch in. der Beschwerde erörtert werden, zunächst nicht zur Debatte. Maßgebend ist nämlich, daß das Wort ‚Ereignis‘ in den Gesetzestext eingefügt wurde (vgl. hiezu etwa Klein-Engel, ‚Der Zivilprozeß Österreichs‘, Mannheim 1927, S 251). Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes, daß Vorgänge im Innenleben des Menschen keine Ereignisse seien, findet in sprachwissenschaftlichen Argumenten eine beträchtliche Stütze. So stammt etwa nach Grimms Deutschem Wörterbuch, III. Bd., S. 785, das Wort ‚Ereignis‘ von dem Zeitwort ‚ereignen‘ ab, das ursprünglich ‚eräugen‘ gesprochen und geschrieben wurde. Nach Moriz Heyne, Deutsches Wörterbuch, wird das Wort Ereignis aus einer althochdeutschen Form abgeleitet, die das Zeigen, das Vor-Augen-Stellen, bedeutet. Aber auch nach dem Sprachgebrauch ist die Wortverbindung ‚inneres Ereignis‘ nicht nur nicht geläufig, sondern wird als in sich widerspruchsvoll empfunden. Ein Irrtum, ein Vergessen, aber auch ein Hörfehler sind nach dem Sprachgebrauch keine Ereignisse. Dies alles weist auf das Erfordernis der Sichtbarkeit und damit auf das Geschehen in der Außenwelt, nicht im Inneren des Menschen hin. Der Verwaltungsgerichtshof könnte nur dann einen von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichenden Weg einschlagen, wenn er die sprachliche Aussage des Gesetzes gegenüber einer psychologisch-historischen Interpretation zurückstellen wollte.
Im gleichen Sinne wie die eben angestellten Erwägungen muß auch der Umstand gewertet werden, daß bei der Schaffung der Zivilprozeßordnung die früher bestandene restitutio in integrum propter malam defensionem bewußt fallengelassen wurde. Diese Einrichtung gewährte nämlich auch für jene Fälle Schutz, in denen ein Termin durch das Verhalten eines Rechtefreundes versäumt worden war (vgl. Canstein, Das Zivilprozeßrecht, in Compendien des österreichischen Rechtes, Berlin 1893, 2. Bd., S. 158 ff.). Es kann kaum angenommen, werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers gerade ein bestimmter Einzelfall einer restitutio in integrum propter malern defensionem aufrechterhalten werden sollte. Ob in einem Hörfehler an sich ein Verschulden erblickt werden kann, unter welchen Umständen dies der Fall ist, schließlich ob in dem Verhalten nach dem Hörfehler ein Verschulden gelegen sein könnte (Unterbleiben einer Rückfrage), kann im vorliegenden Fall durchaus dahingestellt bleiben, weil schon der Ereignisbegriff der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einen Erfolg der Beschwerde ausschließt. Hier zeigt sich die volle Bedeutung des Grundsatzes, daß im § 71 AVG die Elemente der Tatbestände der §§ 146 ZPO und 364 StPO verbunden wurden. Selbst wenn man nämlich den Wiedereinsetzungstatbestand der Zivilprozeßordnung als eine Umschreibung der Verschuldensfreiheit von dem Gedanken der Verschuldensfreiheit aus deuten wollte, so müßte doch eine solche Vorgangsweise ausgeschlossen sein, wenn, wie im § 71 AVG 1950, die Verschuldensfreiheit als ein eigenes Erfordernis neben dem Erfordernis eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses formuliert ist.
Zusammenfassend ist zu sagen, daß der verstärkte Senat nach eingehender Prüfung der hier neuerlich aufgerollten Rechtsfrage auch unter Bedachtnahme auf das Ergebnis einer rechtshistorischen Erforschung des damit zusammenhängenden Problems zu der Auffassung gelangte, daß an der bisherigen Rechtsprechung hiezu festzuhalten sei.“
Auch nach diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof in einer langen Reihe von sowohl zu § 46 VwGG 1965 als auch zu § 71 AVG 1950, § 308 Abs. 1 BAO und § 167 FinStrG ergangenen Entscheidungen (aus den letzten Jahren seien hier beispielsweise die Entscheidungen vom 11. September 1972, Zl. 1278/72, vom 10. November 1972, Zlen. 1625 und 1626/72, vom 30. Jänner 1973, Zl. 1927/71, vom 10. Mai 1973, Zl. 1646/72, und vom 17. Mai 1973, Zl. 104/73, angeführt) an den wesentlichen Grundsätzen der oben dargestellten Rechtsprechung festgehalten, sodaß diese Rechtsprechung - wie die vorher dargestellte - als eine ständige des Gerichtshofes angesprochen werden muß.
Auf dem Boden der im Vorstehenden dargestellten Rechtsanschauungen hätte dem hier gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Eingehen auf die Frage, ob die darin aufgestellten Behauptungen überhaupt zutreffen oder nicht, in nichtöffentlicher Sitzung nicht Folge gegeben werden müssen.
Der gemäß § 13 Z. 1 und 3 VwGG 1965 verstärkte Senat vermag jedoch weder die eine noch die andere der beiden Rechtsmeinungen in ihrer in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes vertretenen und oben dargestellten Form aufrechtzuerhalten und hält dafür die folgenden in den Punkten III. und IV. dieser Begründung ausgeführten Erwägungen für maßgebend:
III.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt eine den österreichischen Verfahrensordnungen gemeinsame (wenn auch nicht völlig parallel geregelte) Einrichtung dar, der das essentielle Erfordernis, es müsse die versäumte Handlung, soweit dies der Natur der Sache nach irgend möglich ist, gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt werden, schon von dem im gesamten österreichischen Verfahrensrecht geprägten Begriff dieser Einrichtung her immanent ist. Dem liegt der einleuchtende Gedanke zugrunde, eine Partei, in deren Sphäre sich ein für den Fall der Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Form einer Verfahrensverzögerung auswirkender Umstand ergeben hat, sei nur dann schutzwürdig, wenn sie wenigstens nunmehr alles ihr Mögliche tut, um die Verfahrensverzögerung in den nach der Sachlage unvermeidlichen Grenzen zu halten. Es soll ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt werden dürfen, wenn von der Bewilligung bis zur Nachholung der versäumten Prozeßhandlung eine neuerliche Verfahrensverzögerung einträte, deren Hintanhaltung der Partei nach erfolgtem Wegfall des für sie bestandenen Hindernisses ebenso möglich wie zumutbar war. Daher ist jener in der Rechtsprechung und der neueren Rechtslehre durchwegs vertretenen Auffassung zuzustimmen, nach der die in Betracht kommenden Verfahrensvorschriften (hier § 46 Abs. 3 zweiter Satz VwGG 1965, sonst §§ 149 Abs. 1 zweiter Satz ZPO, 71 Abs. 3 AVG 1950, 308 Abs. 3 zweiter Satz BAO, 364 Abs. 1 Z. 3 StPO) streng, in keinem Fall aber extensiv so ausgelegt werden dürfen, daß damit eine neuerliche Verfahrensverzögerung toleriert würde.
Hingegen kann die im Beschluß des verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1966, Zl. 1511/65, und den in gleicher Richtung ergangenen früheren Entscheidungen vertretene Meinung, eine Partei, die eine Prozeßhandlung bereits (verspätet) gesetzt hatte, könne allein deshalb dem Erfordernis, die versäumte Handlung sei gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen, nicht mehr entsprechen, schon nach eingehender Untersuchung des Gesetzeswortlautes nicht aufrechterhalten werden. Soweit sie ihrerseits die grammatikalische Interpretation in den Vordergrund stellt, sagt sie, was schon getan wurde, könne nicht „nachgeholt“ werden, daher könne die Partei, die ihre Prozeßhandlung bereits vor dem Wiedereinsetzungsantrag gesetzt habe, dem Postulat des Gesetzes nicht mehr entsprechen. Dabei wird übersehen, daß nach dem Gesetz nicht „die Prozeßhandlung“ schlechthin, sondern die versäumte Handlung nachzuholen ist, also nicht nur nachzuholen ist, was bisher überhaupt nicht getan, sondern auch was nach den Prozeßgesetzen „versäumt“, das heißt nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen, also verspätet getan wurde. Die Erfüllung der Voraussetzung, das Versäumte gleichzeitig nachzuholen, ist in keinem der oben angeführten Verfahrensgesetze, und zwar auch nicht ansatzweise, von irgendeiner dem Wiedereinsetzungsantrag vorausgehenden oder ihm nachfolgenden Handlung des Antragstellers abhängig gemacht. Also haben selbst bei streng wörtlicher Auslegung des Gesetzes alle diese Handlungen bei Beurteilung der Frage, ob die Partei das in Rede stehende Essentiale des Wiedereinsetzungsantrages erfüllt hat oder nicht, außer Betracht zu bleiben. Das Erfordernis ist jedenfalls dann erfüllt, wenn die Prozeßhandlung mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbunden und damit „gleichzeitig nachgeholt“ ist, gleichgültig, ob sie vorher verspätet schon gesetzt war oder nicht. Diese Voraussetzung erfüllt der hier vorliegende Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin.
Als noch weniger überzeugend erweist sich die bisher insbesondere im Beschluß des verstärkten Senates vom 20. Juni 1966, Zl. 1511/65, vertretene, dem obigen Ergebnis widersprechende Auffassung unter den Gesichtspunkten der nach dem Gesetz (§ 6 ABGB) der wörtlichen gleichgestellten Interpretation nach der Bedeutung der Worte „in ihrem Zusammenhange“ und nach der klaren Absicht des Gesetzgebers. Den „guten und einleuchtenden Sinn“ der in Frage kommenden Vorschrift erkennt der eben wieder zitierte Beschluß vom 20. Juni 1966 „insbesondere unter Bedachtnahme auf die Regelung des § 34 Abs. 1 VwGG 1965“. Nach der zitierten Bestimmung seien Beschwerden, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist nicht zur Verhandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen. Daß der formelle Mangel der verspäteten Einbringung - bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - sanierbar und daher vor einer a limine Zurückweisung der Beschwerde zu untersuchen sei, ob ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werden könne, sei aber für den Verwaltungsgerichtshof nur zu erkennen, wenn der verspäteten Beschwerde ein auf § 46 VwGG 1965 gestützter Antrag angeschlossen sei, in dem Umstände aufgezeigt würden, die nach Meinung des Beschwerdeführers die Behandlung seiner Beschwerde als rechtzeitig zur Folge haben müßten. Fehle es hingegen - zumindest vorläufig - an einem derartigen Antrag, so habe der Gerichtshof die Beschwerde der in § 34 Abs.1 VwGG 1965 vorgezeichneten Behandlung zuzuführen.
Außer Zweifel steht die Richtigkeit des letzten Satzes dieser Argumentation. Im übrigen aber kommt es bei der Entscheidung über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht darauf an, ob aus der unterlaufenen Säumnis Konsequenzen in Form einer gerichtlichen (allenfalls verwaltungsbehördlichen) Entscheidung bereits gezogen sind oder nicht. Denn das Gesetz fordert nur die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (hier der zwei Wochen des § 46 Abs. 3 erster Satz VwGG 1965) ohne Rücksicht auf alles, was verfahrensrechtlich sonst in der Zwischenzeit vorgegangen sein mag, insbesondere ohne Rücksicht auf die zwischenweilig entfalteten oder unterbliebenen Aktivitäten des Gerichtes, der Verwaltungsbehörden oder anderer Parteien oder Beteiligter des Verfahrens. Aus einer Bestimmung, die sich nur auf den Inhalt des Wiedereinsetzungsantrages bezieht (hier § 46 Abs. 3 zweiter Satz VwGG 1965), kann - auch implicite - keine Beschränkung der Gebrauchnahme der Frist für den Antrag erschlossen werden. Zu nichts anderem führt aber im Ergebnis die mithin abzulehnende Argumentation des verstärkten Senates zu Zl. 1511/65.
Positiv gesehen ergibt die Auslegung des Gesetzes nach seinem Zusammenhang und nach der klaren Absicht des Gesetzgebers nach Auffassung des nunmehr entscheidenden verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes folgendes:
Der Sinn des § 46 Abs. 3 zweiter Satz VwGG 1965 ist vorzugsweise darin zu sehen, daß, soweit es der Natur der Sache nach möglich ist, die versäumte Prozeßhandlung mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt sein muß, damit das Verfahren in der Sache selbst für den Fall der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne (weitere) Verzögerung sogleich fortgesetzt werden kann (in diesem Sinne auch die Entscheidung des OGH vom 22. Jänner 1964, EvBl. Nr. 367/1964, und Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege I/2, S 271). Zusätzlich dazu könnte ein Sinn der in Frage kommenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen auch darin erblickt werden, daß die manipulative Behandlung der Sache in vielen Fällen (vgl. z. B. die im Verwaltungsverfahren der Bundesministerien und anderer Behörden übliche Aktenbildung) dadurch erleichtert wird, daß Wiedereinsetzung und versäumte Prozeßhandlung in einem Zuge gesetzt werden, in der Regel also in einem Schriftsatz enthalten sind. In jedem Fall ist nicht zu erkennen, warum die Nachholung der Prozeßhandlung mit dem Antrag dem Sinn des Gesetzes widersprechen sollte, wenn die Handlung aus Anlaß der unterlaufenen Säumnis vorher schon einmal gesetzt war.
Ein solches Ergebnis kann nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes schon gar nicht erzielt werden, wenn der Auslegung die hervorleuchtende klare Absicht des Gesetzgebers zugrunde gelegt wird, die, wie schon zu Beginn dieses Begründungsabschnittes ausgeführt, bei § 46 Abs. 3 zweiter Satz VwGG 1965 und allen gleichlautenden Bestimmungen der anderen Verfahrensgesetze dahin geht, die Wiedereinsetzung als eine Art „verfahrensrechtlicher Rechtswohltat“ nur dem zu gewähren, der von sich aus alles unternimmt, eine nun einmal wegen einer in seinem Bereich vorgefallenen Tatsache entstandene Verfahrensverzögerung auf das geringstmögliche Ausmaß zu beschränken. Es ist nicht einzusehen, daß eine Partei dagegen dadurch verstoßen haben soll, daß sie das in der erwähnten Absicht vom Gesetzgeber Angeordnete, nämlich die versäumte Handlung, früher vorgenommen hat, als es der Gesetzgeber verlangt. Die Unzulässigkeit einer Wiedereinsetzung soll nur den treffen, der in einem bestimmten Bereich über das Eingetretene hinaus weiter säumig ist.
Schließlich mußte der verstärkte Senat beachten, daß sich der im Anlaßfall behauptete Wiedereinsetzungstatbestand schon vom Sachverhalt her nur dadurch ergeben konnte, daß die verspätete Prozeßhandlung, nämlich die Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, vor dem Wiedereinsetzungsantrag gesetzt wurde. Denn erst beim Setzen dieser Prozeßhandlung selbst, nämlich dem Vorgang, der zum Einbringen der Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof führte, ergab sich das Ereignis, das den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund darstellt. Daher konnte die zeitliche Abfolge hier gar keine andere sein als die, daß zuerst die Handlung verspätet gesetzt und erst nachher das dabei unterlaufene Ereignis (innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall, d.h. hier nach Kenntnis durch die Partei) zum Gegenstand eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemacht und damit gleichzeitig die Beschwerde nochmals eingebracht (jetzt „nachgeholt“) wurde. In solchen Fällen die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu verneinen, hieße, alle beim Setzen einer Prozeßhandlung selbst unterlaufenen unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisse als Wiedereinsetzungsgründe auszuschließen. Eine solche Absicht des Gesetzgebers vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen. Sie hätte wohl auch in den Bestimmungen über die materiellen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand direkt Ausdruck gefunden und nicht im Umweg über die Bestimmung, welchen Inhalt ein Wiedereinsetzungsantrag über die Behauptung eines Wiedereinsetzungstatbestandes hinaus haben muß.
Somit spricht das Ergebnis aller Überlegungen, die der Verwaltungsgerichtshof durch seinen verstärkten Senat im gegebenen Zusammenhang anzustellen vermochte, dafür, die Voraussetzung des § 46 Abs. 3 zweiter Satz VwGG 1965 durch die Verbindung der versäumten Handlung (hier der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde) mit dem Wiedereinsetzungsantrag auch dann als erfüllt anzusehen, wenn die Handlung schon vorher einmal verspätet gesetzt war.
Die weitere Frage, ob das bereits erfolgte Setzen der Prozeßhandlung eine Nachholung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag entbehrlich macht, ist im Hinblick auf den hier gegebenen Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich und konnte daher in diesem Beschluß nicht gelöst werden. Dagegen spräche die Auslegung nach dem strengen Wortlaut des Gesetzes, dafür ließen sich die meisten im Wege der logischen und teleologischen Interpretation gewonnenen Argumente (vgl. auch die bereits zitierte Entscheidung des OGH EvBl. Nr. 367/1964, Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I, S. 276, und die von Reeger-Stoll in „Die Bundesabgabenordnung“ 1969, S. 359 vorgenommene berichtigende Auslegung des § 308 Abs. 3 zweiter Satz BAO) ins Treffen führen.
IV.
In ähnlicher Weise, wie im letzten Absatz des vorangegangenen Abschnittes dieser Entscheidungsbegründung vorgegangen werden mußte, ist auch den folgenden Ausführungen die Einschränkung voranzustellen, daß der Verwaltungsgerichtshof zufolge des ihm hier konkret zur Entscheidung vorliegenden Sachverhaltes (siehe hiezu Abschnitt V) auf die Beurteilung der Frage beschränkt ist, ob das einer Kanzleikraft eines bevollmächtigten Parteienvertreters unterlaufene Versehen von der Partei zu vertreten und mithin für sie kein Wiedereinsetzungsgrund sei, während die weitere Frage, wie vorzugehen ist, wenn die Versäumung durch ein Versehen des Bevollmächtigten der Partei selbst eingetreten ist, hier ausgeklammert bleiben muß.
Die Frage, die also nunmehr zu entscheiden ist, wurde von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wenigstens der beiden letzten Jahrzehnte durchaus bejaht. Die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte in Zivilsachen zu § 146 Abs. 1 ZPO ging und geht in einer großen Zahl der Fälle den entgegengesetzten Weg und anerkennt das Versehen der Kanzleiangestellten des Vertreters als unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis für die Partei, es sei denn, es läge culpa in eligendo auf seiten der Partei selbst (allenfalls auch ihres Bevollmächtigten) vor. Demgegenüber ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der im Umweg über §§ 33 und 35 Abs. 1 VerfGG ebenso wie die Zivilgerichte die Bestimmungen der §§ 146 ff ZPO anzuwenden hat, schwankend. Die Mehrzahl der Entscheidungen steht auf dem von der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vertretenen strengen Standpunkt (Slg. Nr. 4512/1963, 3559/1959, 5571/1967, 5760/1968). Anderseits hat sich der Verfassungsgerichtshof im Beschluß Slg. Nr. 3954/1961 zur Auffassung durchgerungen, daß, bringen besondere äußere Umstände eine außergewöhnliche Verwirrung im Kanzleibetrieb des Beschwerdevertreters und in weiterer Folge den außergewöhnlichen Irrtum einer Kanzleiangestellten bei der Vormerkung der Frist mit sich, die dann infolge dieser unrichtigen Vormerkung versäumt wurde, dieser auf die besonderen äußeren Umstände zurückzuführende Irrtum als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 146 Abs. 1 ZPO anzusehen sei. Zweifellos ist dieses Erkenntnis auf einen speziell und besondere krass gelagerten Sachverhalt zugeschnitten. Es zeigt aber, wie ein Sachverhalt dieser Art das Höchstgericht veranlaßt hat, wegen der offenbar untragbaren Konsequenzen für diesen Fall seine bis dahin prinzipielle Auffassung. Versehen könne, wem immer es unterlaufe, nie Wiedereinsetzungsgrund sein, aufzugeben. Für den Bereich des § 364 StPO ist vom Gesetzgeber selbst klargestellt, daß Verschulden auch des Vertreters die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt. Umso geschlossener zeigt sich die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in der Frage, ob das vereinzelte Versehen eines Kanzleiangestellten des Vertreters einen Wiedereinsetzungsgrund darstellt. Die Frage wird mit der einzigen Einschränkung bejaht, daß der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen sein muß (vgl. die unter Nr. 30 ff zu § 364 StPO abgedruckten Entscheidungen bei Gebert-Pallin-Pfeiffer-Mayerhofer, Das österreichische Strafverfahrensrecht, Wien 1968, Band III, 3. Teil, S 44 ff.). Besondere Erwähnung unter den zahlreichen in dieser Richtung ergangenen Entscheidungen verdient die Entscheidung vom 11. August 1948, EvBl. Nr. 245/1948, weil sie über einen Sachverhalt ergangen ist, der den fast klassischen Parallelfall zu dem nun dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Sachverhalt darstellt. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, die Wiedereinsetzung sei zu bewilligen, wenn die Kanzleiangestellte die Rechtsmittelanmeldung am letzten Tag der Anmeldungsfrist, statt als eingeschrieben aufzugeben, in den Postkasten warf, der aber erst zwei Tage später ausgehoben wurde, sodaß der Aufgabetag nicht postamtlich bestätigt war und das Gericht das Rechtsmittel wegen Verspätung zurückwies. Zum Abschluß dieser kurzen Darstellung der Rechtsprechung sei noch auf eine Entscheidung aus jüngerer Zeit (vom 12. Dezember 1974, 10 Os 111/74, EvBl. Nr. 131/1975) verwiesen, die zeigt, daß der Oberste Gerichtshof an der klaren Linie seiner Rechtsprechung in Wiedereinsetzungssachen in der hier interessierenden Frage nach wie vor festhält. Er sprach (neuerlich) aus, ein vereinzelt gebliebenes Versehen eines bewährten Kanzleiangestellten des Verteidigers sei ein unabwendbarer Umstand im Sinne des § 364 Abs. 1 Z. 1 StPO.
Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, in der im ersten Absatz dieses Abschnittes umschriebenen Frage von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen und hat dabei die nachfolgenden Erwägungen in den Kreis seiner Betrachtung einbezogen:
A) Aus dem Wortlaut des Gesetzes abgeleitete Erwägungen:
Die einander widersprechenden Rechtsmeinungen zu der vom verstärkten Senat zu lösenden Frage werden aus unterschiedlichen Auffassungen über die vom Gesetz verwendeten Begriffe „Ereignis“, „unvorhergesehen oder unabwendbar“ und „ohne ihr Verschulden“ abgeleitet.
a) „Ereignis“ kann nach einer viel vertretenen Auffassung nur ein „Vorgang in der Außenwelt“ sein, der „außerhalb des Machtbereiches des vom Geschehen Betroffenen eintritt“ (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Februar 1948, Zl. 750/47, Slg. N. F. Nr. 313/A). Begründet wird diese Auffassung entweder gar nicht (etwa in der eben zitierten Entscheidung oder bei Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen Wien 1953, I/473), mit dem Hinweis sie ergebe sich „aus der Wortbildung“ (Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Mai 1949, Zl. 1402/48, Slg. N. F. Nr. 810/A) oder aber eingehend unter Heranziehung sprachwissenschaftlicher Argumente, wie sie am ausführlichsten die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Oktober 1961, Zl. 1269/56, enthält. Die Konsequenz dieser Auffassung für die in diesem Verfahren zu lösende Frage ist, daß dem Innenleben angehörige Vorgänge dem Begriff des Ereignisses nicht unterstellt werden können, an sich keine Wiedereinsetzungsgründe sein können (die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Slg. N. F. Nr. 810/A), bloßes Versehen kein „Ereignis“ ist (VerfGSlg. Nr. 5571/1967).
Ein weiteres, aus dem Begriff „Ereignis“ abgeleitetes Hindernis, das im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag Behauptete als geeigneten Wiedereinsetzungsgrund zu qualifizieren, wurde von vielen schon mit Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung darin gesehen, daß als „Ereignis“ nur solche Vorfälle anzusehen seien, die zu den regelmäßigen oder häufig wiederkehrenden Geschehnissen nicht gehören, sondern selten eintreten (FrBeantw JM zu § 146 ZPO, Z. 1). Das war die Meinung des „Schöpfers der Zivilprozeßordnung“ Franz Klein („Der Zivilprozeß Österreichs“, Mannheim 1927, S 251), die in diesem Fall freilich weniger maßgebend ist als sonst, weil - wie im Abschnitt über die aus dem historischen Werdegang abgeleiteten Argumente, noch dargelegt wird (lit. B dieses Teiles der Entscheidungsbegründung) - gerade der hier entscheidende Ausdruck „Ereignis“ in der Regierungsvorlage zur ZPO nicht enthalten war, sondern erst dem Ergebnis parlamentarischer Beratungen zu danken ist.
Gegen diese klare aber harte Auffassung, die nur in wenige Entscheidungen der Zivilgerichte aus den ersten Jahren der Geltung der Zivilprozeßordnung Eingang gefunden hat, der aber wenigstens im Ergebnis eine lange Reihe von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes folgt, stellte sich von Anfang an ein namhafter Teil der Rechtslehre und der überwiegende Teil der Rechtsprechung der Zivilgerichte. Nach der in den Juristischen Blättern des Jahres 1898 (!) auf Seite 317 veröffentlichten Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien sind unter „Ereignis“ nicht nur Vorkommnisse der Außenwelt elementarer Natur, sondern auch Tatsachen zu verstehen, welche dem Menschen, seinem psychischen Leben selbst inhärieren und mit der Anspannung seiner geistigen Kräfte, seiner Aufmerksamkeit und Willenskraft in Relation stehen. Nach einer Rekursentscheidung aus dem gleichen Jahre (JBl. 1898, S 377) ist „Ereignis“ alles was geschieht, „mag die Entstehungsursache in uns liegen oder von außen kommen“. In der Lehre verfocht die Auslegung „Ereignis ist jedes Geschehnis“ mit Vehemenz als erster Dr. Emil Stroß (Wiedergabe eines Vortrages in den Juristischen Blättern 1900, S 37), zu ähnlichem Ergebnis gelangte Sperl (Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, Wien 1928, 1/2). In Richtung des so verstandenen Ereignisbegriffes geht eine Fülle späterer zivilgerichtlicher Entscheidungen, in denen etwa der Irrtum über den Zeitpunkt einer Tagsatzung als „Ereignis“ anerkannt (OLG Wien vom 9. Juni 1937, EvBl. Nr. 612/1937), besonders aber ausgesprochen wurde, Handlungen und Unterlassungen des Vertreters könnten im Sinne des § 146 Abs. 1 ZPO nicht mit denen der Partei identifiziert werden, ein Versehen des Vertreters müsse für die Partei selbst als unabwendbares „und“ (?) unvorhergesehenes Ereignis angesehen werden, sofern dabei kein eigenes Verschulden der Partei unterlaufen sei (OLG Wien vom 27. November 1934, EvBl. Nr. 562/1934).
Der verstärkte Senat des Verwaltungsgerichtshofes ist von der Richtigkeit der Auslegung des Wortes „Ereignis“ im Sinne jedes Geschehens überzeugt. Nichts in den vorhandenen Unterlagen über die Entstehungsgeschichte der Zivilprozeßgesetze deutet darauf hin, der Reichsrat habe, als er den Ausdruck „Hindernis“ in der Regierungsvorlage durch „Ereignis“ ersetzte, eine Verschärfung der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vornehmen wollen; er wollte sie im Gegenteil mildern. Nun ist aber „Hindernis“ zweifelsohne nicht auf Vorgänge der Außenwelt beschränkt; ebensowenig bezeichnet es Vorfälle ganz außergewöhnlichen Charakters, die nur selten eintreten. „Gehindert“ an einer Handlung wird eine Person ebenso durch eine alltägliche Erkrankung wie durch eine Naturkatastrophe, durch ihre eigene menschliche Unzulänglichkeit ebenso wie durch Gewaltanwendung von seiten eines Dritten. Von dieser aus dem Abschnitt über die historischen Interpretationsmöglichkeiten vorgezogenen Überlegung abgesehen scheint die im Erkenntnis Zl. 1269/56 enthaltene, ausführliche, auf Grimm's und Moriz Heyne's Wörterbücher gestützte Auslegung des Begriffes „Ereignis“ als ein „Geschehen in der Außenwelt, nicht im Innern des Menschen“ einseitig, selbst wenn zunächst nur die grammatikalische Auslegungsmethode herangezogen wird. Denn auch bei dieser Methode muß der Begriffsinhalt mitberücksichtigt werden, den die lebendige Praxis der Sprache in der Gegenwart (allenfalls zur Zeit der Entstehung des Gesetzes, doch ist dem Verwaltungsgerichtshof eine seit 1898 in diesem Punkt eingetretene Änderung nicht bekannt) einem Ausdruck beimißt. In dieser lebendigen Praxis werden aber die Worte „sich ereignen“ und „Ereignis“ durchaus synonym mit „geschehen“ und (sprachlich häßlich) „Geschehnis“ verwendet. Dies gilt, weil der letztgenannte Ausdruck aus sprachästhetischen Gründen wenig gebraucht wird, für das Hauptwort noch mehr als für das Zeitwort.
Überdies ist die Frage der wörtlichen Auslegung des Begriffes „Ereignis“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht die im Vordergrund stehende. Die Fehlleistung der Kanzleiangestellten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes war nämlich für die Partei jedenfalls ein Vorgang in der Außenwelt und damit auch „Ereignis“ im Sinne von Grimm und Heyne mit für die Partei durchaus „sichtbaren“ Folgen. Die weitere, vor allem von der Fragebeantwortung und Franz Klein vertretene Forderung, „Ereignis“ sei nur etwas ganz selten Eintretendes, findet nicht einmal in den Wörterbüchern eine Stütze und kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht länger geteilt werden.
b) „unvorhergesehen oder unabwendbar“:
Von diesen beiden alternativ bestehenden Begriffsmerkmalen kommt dem zweiten („unabwendbar“) neben dem ersten („unvorhergesehen“) keine große Bedeutung in Theorie und Praxis zu (vgl. Neumann, Kommentar zu den ZP-Gesetzen, 4. Aufl., I/720). Es ist unbestrittenermaßen objektiv auf die Hinderungsmöglichkeit durch den Durchschnittsmenschen abgestellt (Fasching, Kommentar zu den ZP-Gesetzen, II/727).
Dagegen hat es von Anfang an Schwierigkeiten bereitet, daß der Gesetzgeber in § 146 Abs. 1 ZPO (und dieser Bestimmung folgend in allen späteren Verfahrensgesetzen) den Ausdruck „unvorhergesehen“ und nicht den Ausdruck „unvorhersehbar“ gebraucht hat. Pollak (Österreichische Gerichtszeitung 1898, Nr. 44 bis 46, S 345 ff, 353 ff, 362 ff) verfocht ausführlich die Meinung, es liege ein Redaktionsfehler vor, es müsse „unvorhersehbar“ heißen, eine Meinung, der Sperl („Unwahrheit im Urteil“ in der Festschrift für Franz Klein, Wien 1914, S 29 ff) entgegentrat. Neumann kommt (a.a.O, S 720) der Meinung Pollaks nahe, wenn er ausführt, sei das Ereignis vorauszusehen (also nicht vorausgesehen!) gewesen, z. B. sei die Partei schon längere Zeit vorher krank gewesen, sodaß sie voraussehen konnte (nicht: vorausgesehen hat!), sie werde nicht rechtzeitig handeln können, so habe sie die Pflicht, um Fristerstreckung anzusuchen; wenn sie durch das „Hindernis“(!) nicht auch hievon abgehalten worden sei und es trotzdem unterlassen habe ..... sei ein Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen. Die Lösung der Streitfrage fand nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes Fasching (a.a.O., S 725 f), der dem Begriff „unvorhergesehen“ im Zusammenhalt mit den §§ 128 und 134 ZPO entnimmt, daß, wenn auch unter strenger Würdigung, doch die subjektiven Verhältnisse der Partei zu berücksichtigen sind. Wiedereinsetzungsgründe und ihre Bedeutung seien nicht nur nach dem objektiven Gewicht ihres Tatbestandes, sondern auch nach der Bedeutung, die sie subjektiv für die Partei im Einzelfall hatten, zu beurteilen. Maßgebend sei also nicht der objektive Durchschnittsablauf (wie beim Begriff „unabwendbar“ oder dem vom Gesetzgeber vermiedenen Begriff „unvorhersehbar“), sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse. Unvorhergesehen sei ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte.
Dieser Auslegung des Begriffes „unvorhergesehen“ schließt sich der Verwaltungsgerichtshof an. Er geht damit von seiner bisherigen Rechtsprechung (siehe die bei Dolp zitierten Entscheidungen, S 485 ff) ab, wonach - der (freilich ohne nähere Begründung vorgetragenen) Meinung von Hellbling.(Kommentar I, S 473) folgend - ein Ereignis als „unvorhergesehen“ qualifiziert wurde, wenn auf Grund der Erfahrung des Durchschnittsmenschen damit nicht gerechnet werden konnte, und in manchen Fällen ohne irgendwelche Erörterungen einfach vom objektiv aufgefaßten Begriff „unvorhersehbar“ ausgegangen worden war (z. B. die bereits zitierte Entscheidung Slg. N. F. Nr. 810/A).
Im vorliegenden Fall ist das im Wiedereinsetzungsantrag behauptete Versehen einer Kanzleiangestellten an sich ein Vorfall, der (wie übrigens auch eine Erkrankung) mit der unzulänglichen Natur des Menschen innig zusammenhängt und nicht so absonderlich ist, daß er objektiv nicht in den Kreis der Betrachtungen eines Durchschnittsmenschen einzubeziehen wäre. Er wäre also nicht „unvorhersehbar“, war aber unter Berücksichtigung der konkret gegebenen Verhältnisse für die Antragstellerin „unvorhergesehen“ im Sinne der vorstehenden Rechtsausführungen.
c) „ohne ihr Verschulden“:
Daß dieses Tatbestandsmerkmal nicht in § 146 Abs. 1 ZPO, wohl aber in § 71 AVG 1950 und den dieser Vorschrift nachgebildeten Bestimmungen (VwGG, BAO etc.) enthalten ist, wurde und wird immer wieder als wichtiges Unterscheidungsmerkmal und ein angeblich überzeugender Grund dafür angeführt, daß die Rechtsprechung unter anderem auch in der nun den verstärkten Senat beschäftigenden Frage divergiert. Schon ein Rückblick auf die Darstellung der Rechtsprechung der verschiedenen Gerichte stellt die Richtigkeit dieser Meinung von den Fakten her in Frage, weil einerseits die überwiegende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der die Bestimmung ohne einen im Gesetz erwähnten Begriff „ohne ihr Verschulden“ anzuwenden hat, die „harte“, hingegen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 364 StPO, welche Bestimmung historisch gesehen das Merkmal „ohne Verschulden“ zuerst enthalten hatte, die „milde“ Linie vertritt.
Tatsache ist, daß die Schuldfrage von den Verfassern der Zivilprozeßordnung absichtlich ausgeklammert worden war; um „verfahrensrechtliche Schwierigkeiten zu vermeiden“, hatte man dem Mangel eines Verschuldens „mehr objektive Kriterien substitutiert“ (Materialien zu den Zivilprozeßgesetzen, I/251 ff). Es zeigte sich aber sehr schnell, daß man auch nach der Gesetz gewordenen „mehr objektiven“ Fassung in der Praxis auf eine Berücksichtigung des Verschuldensmomentes nicht verzichten konnte. Die Frage stellte sich besondere jenen, die - wie vorher erörtert - den Begriff „unvorhergesehen“ nicht objektiv als „unvorhersehbar“, sondern nach den bei der Partei subjektiv gegebenen Verhältnissen auffaßten. Denn offensichtlich war, daß es bei der Wiedereinsetzung nicht darauf ankommen konnte, ob es einer Prozeßpartei beliebte, etwas vorauszusehen oder nicht. Daher steht die Rechtslehre heute auf dem Standpunkt, auch in der Zivilprozeßordnung werde der Begriff „unvorhergesehen“ durch den aus dem Gesetz (z. B. § 147 Abs. 3 ZPO) hervorleuchtenden Begriff „unverschuldet“ ergänzt. Die schuldhafte Verletzung der die Partei treffenden Diligenzpflicht (vgl. § 530 Abs. 2 ZPO) schließt auch im Zivilprozeß die Wiedereinsetzung gegen die dadurch entstandenen Säumnisfolgen aus; dazu genügt selbst schon leichte Fahrlässigkeit, also die - allerdings subjektive - Voraussehbarkeit der möglichen Säumnis (Fasching, a.a.O., S 726 f). Selbst ein unabwendbares Ereignis wird nicht als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt, wenn der Eintritt durch die Partei (zu ergänzen ist wohl hier: zumindest leicht fahrlässig) verursacht wurde (Fasching II/727).
Da diese Rechtsmeinung schon im Zeitpunkt der Schaffung des AVG die herrschende war und von der Rechtsprechung der Zivilgerichte nahezu ausnahmslos in ihrem Sinne vorgegangen wurde, ist die Überlegung nicht von der Hand zu weisen, daß die Aufnahme der Worte „ohne ihr Verschulden“ in den Gesetzestext des AVG nicht nur eine Entlehnung aus § 364 Abs. 1 StPO darstellte, sondern auch der Erkenntnis entsprang, daß sich das Bemühen des Gesetzgebers der Zivilprozeßordnung, durch Ausklammerung des Verschuldensmoments eine Vereinfachung des Verfahrens herbeizuführen, als eitel erwiesen hatte, weil ohne dieses Moment vom Begriff des Rechtsinstituts selbst her gesehen nicht auszukommen war. Jedenfalls hat sich gezeigt, daß die zusätzliche Anführung der Worte „ohne ihr Verschulden“ in AVG, VwGG, BAO etc. zwar, wie das Erkenntnis des verstärkten Senates vom 11. Oktober 1961, Zl. 1269/56, richtig betont, keine „rechtlich bedeutungslose Wiederholung“, wohl aber im Vergleich zur Zivilprozeßordnung keine andersartige Regelung, sondern bloß eine Klarstellung bedeutete, mit der der Gesetzgeber im Hinblick auf die mit der ZPO gemachten Erfahrungen allenfalls auch einem Postulat größerer Aufrichtigkeit gefolgt ist.
Damit rechtfertigen die Worte „ohne ihr Verschulden“ im Gesetzestext für sich allein keine andere Beurteilung als jene, die ein Wiedereinsetzungstatbestand auch nach § 146 ZPO zu erfahren hat. Es fällt übrigens auf, daß das eben zitierte Erkenntnis des verstärkten Senates nach der Bemerkung, die bewußten Worte seien keine „rechtlich bedeutungslose Wiederholung“, Konsequenzen in der Richtung, daß deshalb in den Geltungsbereichen des AVG, VwGG etc. das Versehen der Kanzleikraft des bevollmächtigten Rechtsanwaltes für die Partei kein Wiedereinsetzungsgrund sein könne, vermissen läßt. Sie lassen sich nach dem Vorgesagten auch nicht ziehen.
B) Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes abgeleitete Erwägungen: Vorbild für den Wiedereinsetzungstatbestand des § 46 Abs. 1 VwGG war jener des § 71 Abs. 1 AVG, der seinerseits wieder in erster Linie auf § 146 Abs. 1 ZPO zurückgeht. Auf die Vorgänge um die Entstehung der letzten Bestimmung kommt es daher hier im wesentlichen an.
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte die Regierungsvorlage zur Zivilprozeßordnung wie folgt umschrieben:
„§ 159: Wenn sich dem Erscheinen einer Partei bei einer Tagsatzung oder der rechtzeitigen Vornahme einer an eine Frist gebundenen Prozeßhandlung ein unvorhergesehenes, für die Partei unübersteigliches Hindernis entgegenstellte und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte, so ist dieser Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, über ihren Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.“
Der Vergleich mit dem Gesetz gewordenen Wortlaut des § 146 ZPO zeigt eindeutig, daß und in welcher Weise der Reichsrat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung erleichtert hat. Konnte man nach dem Wortlaut der Regierungsvorlage mit Recht bezweifeln, ob wenn auch unvorhergesehene Kanzleiversehen des Rechtsanwaltes für die Partei tatsächlich die Qualifikation „unübersteiglicher“ Hindernisse hätten, so ergibt sich aus dem Ausschußbericht (Materialien I/119, II/395) die Absicht des Gesetzgebers, der Partei nur die Pflicht aufzuerlegen, „wegen voraussehbarer Abhaltungen zur rechten Zeit noch um eine Verlängerung der Frist oder Erstreckung der Tagsatzung anzusuchen“, ihr aber nicht die „positive Bemühung“ zuzumuten, „dem unvorhergesehenen Verlauf der Tatsachen entgegenzuwirken“. Diese Absicht hat im Gesetzestext klaren Ausdruck gefunden und ist ein Grund mehr dafür, Versehen von Kanzleiangestellten des Bevollmächtigten, die die Partei bei Aufwendung aller ihr zumutbaren Sorgfalt nicht hatte voraussehen können, als Wiedereinsetzungsgrund anzuerkennen. Denn wie sie den Folgen solcher Versehen „entgegenwirken“ könnte - wozu sie nach der klaren Absicht des Gesetzgebers nicht einmal verpflichtet sein soll -, hat bisher keine Gegenmeinung dargestellt.
Ein weiteres Argument, das aus der Entstehungsgeschichte der ZPO abgeleitet wird und das eine wesentliche Rolle im Vorerkenntnis des verstärkten Senates vom 11. Oktober 1961