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VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §68 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Dolp und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Baumgartner, Dr. Närr und Dr. Degischer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hailzl, über die Beschwerde des MK in B, vertreten durch Dr. Werner Thurner, Rechtsanwalt in Graz, Sporgasse 2, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 27. April 1977, Zl. 11-393/I Ka 92/3-1977, betreffend Zurückweisung eines Wiederaufnahmeantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 5. Februar 1976 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er sei am 30. Juli 1975 um 16.45 Uhr im alkoholisierten Zustand mit einem Pkw auf der Landesstraße Nr. 652 von Unterfresen nach Wernersdorf gefahren und habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 8.000,-- (Ersatzarreststrafe 20 Tage) verhängt worden ist. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer laut Rückschein am 11. Februar 1976 zugestellt.
Gleichzeitig mit der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung stellte der Beschwerdeführer einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsfrist, welcher mit dem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 3. Juni 1976 abgewiesen wurde. In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung vom 22. Juni 1976, welche am 23. Juni 1976 bei der Erstbehörde einlangte, stellte der Beschwerdeführer den Antrag, „nach Eintritt der Rechtskraft gemäß § 69 Abs. 3 AVG die Wiederaufnahme des Verfahrens zu veranlassen“. Mit gesonderten Bescheiden vom 8. Juli 1976 gab die Steiermärkische Landesregierung einerseits der Berufung gegen den den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 3. Juni 1976 keine Folge und wies andererseits die gegen das Straferkenntnis der genannten Behörde vom 5. Februar 1976 eingebrachte Berufung als verspätet zurück. Beide Bescheide wurden dem Beschwerdeführer am 8. September 1976 zugestellt.
Den im Zuge der Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 3. Juni 1976 gestellten Wiederaufnahmeantrag wies diese Behörde mit Bescheid vom 17. März 1977 mit der Begründung als verspätet zurück, der Beschwerdeführer habe den Wiederaufnahmegrund (durch „die Urteilsverkündung im Gerichtsverfahren U 185/1975“) am 21. Mai 1976 erfahren, weshalb er spätestens bis 4. Juni 1976 seinen Wiederaufnahmeantrag hätte einbringen müssen. Der dagegen eingebrachten Berufung gab die Steiermärkische Landesregierung mit dem Bescheid vom 27. April 1977 keine Folge, änderte den angefochtenen Bescheid jedoch gleichzeitig dahingehend ab, daß der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig zurückgewiesen wurde. Sie begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers unzulässig sei, weil er zu einem Zeitpunkt gestellt wurde, als das Verfahren erster Instanz überhaupt nicht rechtskräftig gewesen sei. Demgemäß spiele die Frage der Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrages, auf die die Vorinstanz in ihrer Entscheidung eingegangen sei, im vorliegenden Fall keine Rolle.
Gegen diesen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Die belangte Behörde hat die Akten des Veraltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift eine Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 69 Abs. 1 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) kann einem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens nur stattgegeben werden, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist. Voraussetzung für die Wiederaufnahme eines Verfahrens ist also, daß das Verfahren mit formell rechtskräftigem Bescheid beendet worden ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Oktober 1950, Slg. N.F. Nr. 1678/A). „Verfahren“ im Sinne der zitierten Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist im vorliegenden Fall entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers vom 22. Juni 1976 (wenngleich dieser im Zuge der Berufung gegen den den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 3. Juni 1976 gestellt worden ist) offensichtlich jenes, welches zur Erlassung des eingangs zitierten Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 5. Februar 1976 wegen der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO 1960 geführt hat. Der Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers bezog sich daher nicht auf jenes Verfahren, das durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1950 in Gang gesetzt worden ist.
Bei dieser Sachlage war daher zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt das gegenständliche Strafverfahren formell rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Dies war aber im vorliegenden Fall mit dem Ablauf der einwöchigen (vgl. § 51 Abs. 3 VStG 1950 in der Fassung vor dem Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 101/1977) Frist zur Einbringung der Berufung gegen das am 11. Februar 1976 zugestellte Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 5. Februar 1976, innerhalb welcher keine Berufung erhoben wurde. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis nach Ablauf der Berufungsfrist Berufung erhoben hat, weil dieses Rechtsmittel (im Hinblick auf den gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand übrigens auch nach Auffassung des Beschwerdeführers) verspätet eingebracht worden ist. Im Falle einer verspätet eingebrachten Berufung ist, da „ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist“, nämlich davon auszugehen, daß es sich im Sinne des § 69 Abs. 1 AVG 1950 um ein „durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren“ handelt. Die Erhebung einer nicht oder nicht mehr zulässigen Berufung hindert also den Eintritt der Rechtskraft des Bescheides nicht (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1971, Zl. 1086/70, sowie vom 8. Februar 1977, Zl. 28/77, auf welche unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird).
Damit zeigt sich, daß die belangte Behörde von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist, wenn sie den Wiederaufnahmeantrag deshalb zurückgewiesen hat, weil im Zeitpunkt der Stellung dieses Antrages das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 316/1976, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Da nur der angefochtene und nicht auch der diesem zugrunde liegende erstinstanzliche Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 17. März 1977 Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ist, war auf die Begründung dieses erstinstanzlichen Bescheides nicht einzugehen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG 1965 in der zitierten Fassung in Verbindung mit Art. I A Z. 1 sowie Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 542/1977.
Wien, am 21. Dezember 1978
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1977001441.X00Im RIS seit
14.06.2021Zuletzt aktualisiert am
14.06.2021