TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/12 Ra 2021/02/0059

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Veröffentlicht am 12.05.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §51f Abs2
VwGG §25a Abs4a
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs2
VwGVG 2014 §29 Abs2a Z1
VwGVG 2014 §29 Abs4
VwGVG 2014 §44
VwGVG 2014 §45 Abs2
VwRallg
ZustG

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des M L in W, vertreten durch Mag. Niki Zaar, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Babenbergerstraße 9/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. November 2020, VGW-042/030/8613/2018-12, betreffend Übertretungen der Bauarbeiterschutzverordnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 12. Juni 2018 sah die belangte Behörde gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG von der Fortführung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Revisionswerber hinsichtlich des Vorwurfs, als handelsrechtlicher Geschäftsführer der M GmbH näher bezeichnete Übertretungen der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) verantworten zu haben, ab und verfügte die Einstellung desselben.

2        Über die dagegen vom Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten erhobene Beschwerde entschied das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 19. Dezember 2019 wie folgt:

„I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und wird ein Straferkenntnis erlassen mit dem folgenden Inhalt:

II. 1) Wegen Verletzung des § 111 Abs. 2 BauV wird verhängt eine Strafe in der Höhe von EUR 2.490,--, Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 5 Stunden.

2) Wegen Verletzung des § 4 Abs. 1 BauV wird verhängt eine Strafe in Höhe von EUR 2.490,--, Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 5 Stunden.

3) Wegen Verletzung des § 110 Abs. 4 BauV wird verhängt eine Strafe in Höhe von EUR 2.490,--, Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 5 Stunden.

III. Der Beschwerdeführer hat daher gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.“

3        Bei der mündlichen Verhandlung war der Revisionswerber nicht anwesend; die Ladung zur mündlichen Verhandlung ist nach den vorgelegten Akten des Verwaltungsgerichtes an eine zum Ladungszeitpunkt nach dem ZMR-Auszug nicht mehr aktuelle Adresse ergangen und wurde vor der Durchführung der Verhandlung an das Verwaltungsgericht mit dem Vermerk „nicht behoben, zurück“ retourniert. Anwesend war ein Vertreter des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten. Nach Ende der Verkündung enthält das Verhandlungsprotokoll folgenden Passus „Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses mit ausführlicher Begründung wird der Partei zugestellt werden“.

4        Die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 19. Dezember 2019 datiert vom 2. November 2020 und wurde dem Revisionswerber entsprechend der Ankündigung in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung zu Handen seiner Rechtsvertreterin zugestellt.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis unter Kostenzuspruch dahingehend abzuändern, dass der Beschwerde gegen den Bescheid vom 12. Juni 2018 keine Folge gegeben werde; in eventu wird beantragt, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6        Die belangte Behörde sah unter Verweis auf das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung ab.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG idF BGBl. I Nr. 24/2017 ist im Falle einer mündlichen Verkündung die Niederschrift den zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof legitimierten Parteien und Organen auszufolgen oder zuzustellen. Der Niederschrift ist eine Belehrung über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zu verlangen, und darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, anzuschließen.

9        Im vorliegenden Fall wurde das angefochtene Erkenntnis am 19. Dezember 2019 mündlich verkündet und die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt protokolliert. Lediglich der anwesenden Partei wurde im Anschluss an die Verhandlung eine Ausfertigung der Niederschrift persönlich ausgefolgt. Eine Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG wurde nicht erteilt; weder der belangten Behörde (vgl. § 18 VwGVG) noch dem Revisionswerber wurde die Niederschrift unter Anfügung einer Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG zugestellt. In der Folge erstellte das Verwaltungsgericht - wie in der Niederschrift angekündigt - eine vollständige schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses und übermittelte sie u.a. dem Revisionswerber.

10       Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht - offensichtlich in Übereinstimmung mit der anwesenden Partei - bereits von einem Verlangen auf Ausfertigung des Revisionswerbers im Sinne des § 29 Abs. 2a Z 1 VwGVG ausgegangen ist und dessen Entsprechung zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat.

11       Ein gesonderter neuerlicher expliziter Antrag auf Ausfertigung war vor diesem Hintergrund nicht mehr erforderlich und stellte somit im Revisionsfall keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof mehr dar (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation bereits VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0157-0159).

12       Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, wonach der Revisionswerber zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden und ihm somit eine Teilnahme an dieser nicht möglich gewesen sei, als zulässig und begründet.

13       Das Verwaltungsgericht hat für den 19. Dezember 2019 eine mündliche Verhandlung anberaumt und die Ladung des Revisionswerbers an einer bestimmten Adresse verfügt, die jedoch von jener des Straferkenntnisses abwich. Nachdem das Schriftstück nicht innerhalb der Abholfrist vom Revisionswerber behoben wurde, wurde dieses an das Verwaltungsgericht rückübermittelt. Eine anschließend vom Verwaltungsgericht durchgeführte Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister vom 17. Dezember 2019 ergab, dass der Revisionswerber seit 27. Oktober 2017 nicht mehr an jener Adresse gemeldet war, an die die Ladung adressiert war und an welche der Zustellversuch unternommen wurde. Eine neuerliche Ladung des Revisionswerbers wurde nicht verfügt; vielmehr wurde die mündliche Verhandlung durchgeführt.

14       § 45 Abs. 2 VwGVG sieht für das Verfahren der Verwaltungsgerichte in Verwaltungsstrafsachen ausdrücklich vor, dass es weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses hindert, wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu § 51f Abs. 2 VStG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013), der inhaltlich dem § 45 Abs. 2 VwGVG entspricht, ausgesprochen, dass eine Verhandlung in Abwesenheit einer Partei nur zulässig ist, wenn die Ladung fehlerfrei erfolgt ist. Jeglicher Mangel der Ladung hindert die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit der Partei (vgl. VwGH 26.5.2009, 2008/02/0353, mwN). Diese Rechtsprechung ist auf § 45 Abs. 2 VwGVG übertragbar.

16       Wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl einer Partei die Ladung zur Verhandlung nicht wirksam zugestellt wurde, ist dies dem rechtswidrigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gleichzuhalten (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2018/01/0040, mwN).

17       Im vorliegenden Fall wurde der Revisionswerber nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen, weil die Ladung nicht an einer aktuellen Abgabestelle des Revisionswerbers zugestellt wurde. Die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit des Revisionswerbers war daher gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG nicht zulässig.

18       Das Unterbleiben einer ordnungsgemäß anberaumten Verhandlung im vorliegenden Strafverfahren stellt jedenfalls - ohne dass es auf die Relevanz dieses Verfahrensmangels ankäme - eine zur Aufhebung der Entscheidung führende Rechtsverletzung dar (vgl. VwGH 23.1.2013, 2010/15/0196, sowie VwGH 11.6.2018, Ra 2018/11/0074; VwGH 3.7.2020, Ra 2019/06/0036, jeweils mwN).

19       Indem das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit des nicht ordnungsgemäß geladenen Revisionswerbers durchführte, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb dieses bereits gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

20       Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund des Urteils des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha vom 21. Juni 2018, mit welchem der Revisionswerber infolge des Unfalles, der auch dem Verwaltungsstrafverfahren zugrunde liegt, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1, Abs. 4 erster Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt und gemäß § 369 Abs. 1 StPO schuldig erkannt wurde, dem Privatbeteiligten € 4.000,-- zu zahlen, insbesondere damit auseinanderzusetzen haben, ob einer Bestrafung des Revisionswerbers im Verwaltungsstrafverfahren das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK entgegensteht.

21       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. Mai 2021

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020059.L00

Im RIS seit

14.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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