TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/12 Ra 2019/13/0101

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Veröffentlicht am 12.05.2021
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Index

E1E
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
59/04 EU - EWR

Norm

ABGB §6
EStG 1988 §16 Abs1
EStG 1988 §16 Abs1 Z9
EStG 1988 §20 Abs1 Z1
EStG 1988 §20 Abs1 Z2 lita
EStG 1988 §20 Abs1 Z2 lite
VwRallg
12010E045 AEUV Art45
12010E045 AEUV Art45 Abs2
62015CJ0300 Kohll und Kohll-Schlesser VORAB
62017CJ0437 Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach VORAB
62017CJ0591 Österreich / Deutschland
62017CJ0703 Krah VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des K in W, vertreten durch Dr. Martin Neid, Rechtsanwalt in 2120 Wolkersdorf, Bachgasse 15, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. Juni 2019, Zl. RV/7104350/2017, betreffend Einkommensteuer 2015, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber war von 19. Jänner 2015 bis 30. September 2015 bei einem Schweizer Arbeitgeber in Schlieren, Kanton Zürich, tätig. Sein Familienwohnsitz verblieb in dieser Zeit in einem Ort im Weinviertel in Österreich. In seiner Arbeitnehmerveranlagung 2015 machte der Revisionswerber Verpflegungsmehraufwendungen für 103 Tage, Ausgaben für die erste und letzte Fahrt sowie Familienheimfahrten in einer § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e iVm § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988 übersteigenden Höhe geltend.

2        Das Finanzamt berücksichtigte diese Kosten im Einkommensteuerbescheid vom 19. April 2017 nicht. Der Revisionswerber erhob dagegen Beschwerde. Dieser wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 8. August 2017 teilweise entsprochen und im Übrigen die Beschwerde abgewiesen. Nach Stellung eines Vorlageantrages und Vorlage an das Bundesfinanzgericht wies dieses die Beschwerde des Revisionswerbers mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab.

3        Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte das Bundesfinanzgericht aus, bei den einzelnen Einkünften dürften Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeitsort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten), soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen Berufstätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988 angeführten Betrag übersteigen, nicht abgezogen werden. Mit der Anerkennung der Kosten für Familienheimfahrten seien auch Kosten für die Fahrten bei Beginn bzw. Ende einer auswärtigen Beschäftigung abgegolten und somit nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Die Bestimmung in § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 ziele darauf ab, sämtliche Fahrtkosten, die sich aus der Tatsache ergeben, dass neben dem Familienwohnsitz ein weiterer Wohnsitz am Arbeitsort begründet werde, abzudecken. Es würde daher dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung widersprechen, wenn - bei Begründung eines Zweitwohnsitzes am Beschäftigungsort - die erste Anfahrt zu einer auswärtigen Beschäftigung sowie die letzte Fahrt zum Familienwohnsitz nach Aufgabe der auswärtigen Beschäftigung zusätzlich als Werbungskosten Berücksichtigung finden könnten, ohne den betraglichen Beschränkungen des § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 zu unterliegen. Soweit der Revisionswerber vorbringe, dass die betragliche Deckelung der gegenständlichen Bestimmung eine unzulässige Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstelle, sei darauf zu verweisen, dass ein Fall, bei dem grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber vergleichbaren inländischen Vorgängen benachteiligt würden, nicht vorliege. § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 unterscheide hinsichtlich der betraglichen Obergrenze, bis zu der Familienheimfahrten berücksichtigt werden können, nicht danach, ob es sich um einen grenzüberschreitenden oder einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt. So werde das Ausmaß der Aufwendungen, die für Familienheimfahrten anfallen, auch typischerweise mehr von anderen Faktoren, wie z.B. der Wahl des Transportmittels und der Entfernung von Arbeits- und Familienwohnsitz abhängen, als davon, ob ein Grenzübertritt stattfinde.

4        Zum Verpflegungsaufwand führte das Bundesfinanzgericht aus, dass die für den Haushalt des Steuerpflichtigen aufgewendeten Beträge sowie Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung grundsätzlich nicht abgezogen werden könnten. Gemäß § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988 könnten Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Verpflegung und Unterkunft bei ausschließlich beruflich veranlassten Reisen als Werbungskosten geltend gemacht werden. Soweit der Revisionswerber vorbringe, ihm seien durch seine Tätigkeit für einen Schweizer Arbeitgeber aufgrund eines erheblichen Kaufkraftunterschiedes Mehraufwendungen für die Verpflegung erwachsen, sei zu beachten, dass ein Verpflegungsmehraufwand nur dann geltend gemacht werden könne, wenn eine beruflich veranlasste Reise vorliege. Eine Reise liege dabei dann vor, wenn sich der Steuerpflichtige zwecks Verrichtung beruflicher Obliegenheiten oder aus sonstigem beruflichem Anlass vom Mittelpunkt seiner Tätigkeit entferne, ohne dass dadurch der bisherige Mittelpunkt der Tätigkeit aufgegeben werde. Diese Voraussetzungen lägen im konkreten Fall jedoch nicht vor. Die Aufnahme einer neuen auswärtigen beruflichen Tätigkeit könne nicht dazu führen, dass Aufwendungen für Verpflegung und Unterkunft abzugsfähig würden. Die mit der Ausübung dieser Tätigkeit verbundene Anreise zum Arbeitsort sei nicht als beruflich veranlasste Reise anzusehen, da keine Entfernung oder Verlagerung des bisherigen Tätigkeitsorts vorliege, sondern ein neuer Tätigkeitsort begründet werde. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass ein Verpflegungsmehraufwand schon begrifflich nicht vorliegen könne, da es der allgemeinen „Lebenserwartung“ entspreche, dass das Entgelt, das für eine am jeweiligen Arbeitsort neu aufgenommene Tätigkeit bezogen werde, den (gegebenenfalls höheren) Lebenserhaltungskosten an diesem Tätigkeitsort angepasst sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die zu ihrer Zulässigkeit ausführt, das Bundesfinanzgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung der Grundsätze von beruflich veranlassten Reisen auf die doppelte Haushaltsführung sowie im Hinblick auf die Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwandes bei längerdauernden beruflichen Auslandsaufenthalten ab. Zudem „erfülle“ die erste und letzte Fahrt nicht die vom Verwaltungsgerichtshof angewendete Rechtsprechung für Familienheimfahrten, sondern die Aufwendungen dafür seien abzugsfähige Umzugskosten. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob Fahrten zwischen Familienwohnsitz und Tätigkeitsort unabhängig von der Veranlassung dem Abzugsverbot nach § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 unterlägen. Weiters fehle Rechtsprechung, ob § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 eine unzulässige Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstelle.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

7        Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

Verpflegungsmehraufwendungen:

8        Im Hinblick auf die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwand aufgrund des höheren Preisniveaus in der Schweiz ist zunächst anzumerken, dass das Bundesfinanzgericht im Revisionsfall zutreffend davon ausgegangen ist, dass Fahrten zwischen den Wohnorten des Revisionswerbers keine Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988 begründen und daher eine Abzugsfähigkeit der Verpflegungsmehraufwendungen aus diesem Titel nicht in Betracht kommt.

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Verpflegungsmehraufwendungen unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Vorliegen einer Reise nach den allgemeinen Grundsätzen als Werbungskosten abgezogen werden (vgl. VwGH 20.2.2008, 2005/15/0135, 2007/15/0183). Strittig ist im vorliegenden Fall, inwieweit eine Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwand aufgrund eines Kaufkraftverlustes bei länger andauernden Auslandsaufenthalten möglich ist. Dafür ist zunächst erforderlich, dass im konkreten Fall tatsächlich ein Mehraufwand aufgrund eines Kaufkraftverlustes eingetreten ist. Dazu hat das Bundesfinanzgericht keine Feststellungen getroffen.

10       Zur Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen außerhalb einer Reise verwies das Bundesfinanzgericht auf die Abzugsverbote des § 20 Abs. 1 Z 1 und Z 2 lit. a EStG 1988. Bei den einzelnen Einkünften dürfen demnach nicht abgezogen werden:

„1. Die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge.

2. a) Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.“

11       In den zum EStG 1972 ergangenen Erkenntnissen vom 13. Februar 1991, 90/13/0199, und vom 11. August 1993, 91/13/0150, wurde demgegenüber die Auffassung vertreten, ein „die üblichen Kosten“ der Verpflegung infolge Berufstätigkeit im Ausland „berufsbedingt“ und „erheblich“ überschreitender Mehraufwand für Verpflegung sei zu berücksichtigen und notfalls zu schätzen. § 20 Abs. 1 Z 1 und Z 2 lit. a EStG 1972, die schon mit der nunmehrigen Rechtslage vergleichbare Abzugsverbote enthielten, fanden in diesen Erkenntnissen keine Erwähnung.

12       Im Erkenntnis vom 1. September 2015, 2012/15/0119, hat der Verwaltungsgerichtshof diese Judikatur auf das EStG 1988 übertragen und dazu nach Wiedergabe des Inhalts des § 20 Abs. 1 Z 1 und Z 2 lit. a EStG 1988 ausgeführt, Aufwendungen für die Verpflegung seien „grundsätzlich nicht abzugsfähige Aufwendungen der Lebensführung. Der Abzug solcher Aufwendungen als Werbungskosten stellt die Ausnahme dar“. Ein Vorbringen zu konkreten Mehraufwendungen oder einem erheblich höheren Preisniveau im Ausland (Deutschland) war im zu beurteilenden Fall nicht erstattet worden. Der Verwaltungsgerichtshof legte in seinen Ausführungen, soweit sie für das Ergebnis tragend waren, dar, die mit Amtsbeschwerde bekämpfte Berücksichtigung eines relevanten Kaufkraftunterschiedes durch den unabhängigen Finanzsenat, die sich nur auf Ableitungen aus der Kaufkraftausgleichszulage nach § 21b Gehaltsgesetz 1956 und aus der Reisegebührenvorschrift 1955 stützte, sei rechtswidrig gewesen, und hob diese Entscheidung auf.

13       Im Schrifttum wurde zu diesen drei - vom Bundesfinanzgericht im vorliegenden Fall nicht erörterten - Entscheidungen angemerkt, die Erkenntnisse von 1991 und 1993 hätten „keine konkrete Rechtsgrundlage“ genannt und es bedürfe einer Prüfung, „ob nicht abzugsfähige Aufwendungen gem § 20 EStG vorliegen“. Der Bestimmung sei „dem ersten Anschein nach“ nicht entnehmbar, dass sie nur auf „übliche“ Kosten der Lebensführung abstelle. Verwiesen wurde dann jedoch auf die anerkannte Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen dem „Basisaufwand“ für die Lebensführung und einem „Mehraufwand“ durch den berufsbedingten Einsatz „zusätzlicher Wirtschaftsgüter“, der sich der Erwerbssphäre zuordnen lasse (Beispiel: berufsbedingte Abonnements ungewöhnlich vieler Zeitungen). Angesichts der auch nach über zwei Jahrzehnten nicht hinreichend geklärten Voraussetzungen für das Vorliegen eines „erheblichen“ Kaufkraftunterschiedes bedürfe es aber weiterhin einer „gesetzlichen Grundlage für Verpflegungsaufwendungen im Ausland“ (Oberbauer, ÖStZ 2015, 653 ff, mwN).

14       Anders als bei zusätzlichen Zeitungsabonnements (Einsatz „zusätzlicher Wirtschaftsgüter“) und auch bei der Rechtsprechung zur doppelten Haushaltsführung (Erfordernis eines zusätzlichen Haushalts) geht es beim Verpflegungsmehraufwand im Ausland aber um die Deckung desselben Basisbedarfs wie bisher, allerdings verbunden mit höheren Kosten. Daher kann nicht damit argumentiert werden, dass es sich nicht mehr um Kosten der „Lebensführung“ handle; dies wurde im Erkenntnis vom 1. September 2015 auch nicht angenommen. Die dort erwähnte „Ausnahme“ ist demnach ein Fall der teleologischen Reduktion, für die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes strenge Voraussetzungen gelten. Es muss eine „planwidrig überschießende Regelung“ vorliegen. Erforderlich ist „stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den eigentlich gemeinten Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre“ (vgl. etwa VwGH 15.9.2016, Ro 2014/15/0034, mwN).

15       Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen für die im Erkenntnis vom 1. September 2015 für den damit entschiedenen Fall nur im negativen Sinn beantwortete Frage, wann ein Unterschied im Preisniveau so erheblich ist, dass er eine im Gesetz nicht enthaltene „Ausnahme“ rechtfertigt. Der Unterschied müsste so gravierend sein, dass der Fall nicht mehr den mit dem Abzugsverbot „eigentlich gemeinten Fallgruppen“ zuordenbar und das Fehlen einer Ausnahme, die der österreichische Gesetzgeber (im Gegensatz zum deutschen) auch im EStG 1988 nie vorgesehen hat, in Bezug auf die zu beurteilende Sachlage „ungerechtfertigt und willkürlich“ wäre. Dass der vorliegende, die Verhältnisse in einem Nachbarland Österreichs betreffende Fall nicht mehr zu den „eigentlich gemeinten“ gehören könnte und das Fehlen einer Ausnahme für Preisverhältnisse wie jene in der Schweiz „willkürlich“ wäre, ist aus dem im Verfahren dazu erstatteten Vorbringen aber nicht ableitbar. Die vom Revisionswerber dargelegten Unterschiede im Preisniveau zwischen der Schweiz und Österreich erreichen bei weitem nicht jene Größenordnung, ab der die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion gegeben wären.

16       Anders verhält es sich mit den vom Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung für die ersten fünf Tage des Auslandsaufenthalts berücksichtigten Beträgen.

17       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verpflegungsmehraufwand bei einer doppelten Haushaltsführung, der auf die Unmöglichkeit der Verpflegung in einem Haushalt am Aufenthaltsort und die daraus resultierende Gasthausverpflegung zurückzuführen ist, wie bei Geschäfts- und Berufsreisen hinsichtlich jenes ersten Zeitraumes von einer Woche, in dem die Kenntnis der örtlichen Gastronomie noch nicht gegeben ist, abzugsfähig (vgl. VwGH 1.9.2015, 2012/15/0119; für die Schweiz: VwGH 20.2.2008, 2005/15/0135, 2007/15/0183).

18       Das Finanzamt hat Verpflegungsmehraufwendungen für die ersten fünf Tage in der Schweiz als Werbungskosten in der Beschwerdevorentscheidung anerkannt. Das der Beschwerdevorentscheidung zugrunde gelegte Einkommen des Revisionswerbers betrug nach Abzug dieser Beträge € 65.976,61 statt wie im Erstbescheid € 66.160,61. Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis auf Seite 5 festgestellt, der Revisionswerber habe „das in der Beschwerdevorentscheidung vom 8. August 2017 festgestellte Einkommen iHv 65.976,91 Euro“ erzielt. Im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses wird die Beschwerde jedoch - anders als in der Beschwerdevorentscheidung - als unbegründet abgewiesen (womit im Übrigen auch die in der Beschwerdevorentscheidung vorgenommene Erhöhung der anrechenbaren ausländischen Steuer zurückgenommen wurde). Durch dieses Vorgehen hat das Bundesfinanzgericht sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

Umzugskosten:

19       Im Recht ist die Revision zudem mit dem Vorbringen, dass die erste und letzte Fahrt im Zusammenhang mit der doppelten Haushaltsführung nicht der Beschränkung des § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 unterliege, sondern es sich dabei um abzugsfähige Umzugskosten handle.

20       Werbungskosten sind nach § 16 Abs. 1 EStG 1988 die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

21       Umzugskosten sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann abzugsfähig, wenn der Umzug überwiegend beruflich veranlasst ist (siehe zur insoweit vergleichbaren Rechtslage im EStG 1972 VwGH 31.5.1994, 91/14/0170). Dies gilt auch für Umzugskosten, die zur Begründung bzw. Aufgabe einer steuerlich anerkannten doppelten Haushaltsführung dienen (vgl. Zorn in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21, § 16 Rz 220; Quantschnigg/Schuch, ESt-HB, § 16 Tz 102; Sutter/Pfalz in Hofstätter/Reichel, EStG65, § 16 Rz 299; aA Lenneis/Jakom, EStG 2020, § 16 Rz 56). Bei zwei Fahrten wie den hier geltend gemachten im Zusammenhang mit einem steuerlich anerkannten Doppelwohnsitz (in der Regel die erste und die letzte Fahrt) handelt es sich um beruflich veranlasste Umzugskosten.

22       Das Bundesfinanzgericht hat die Abzugsfähigkeit dieser Fahrten verneint, weil § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 ein Abzugsverbot der Höhe nach für Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeitsort und Familienwohnsitz enthält und diese Deckelung im Revisionsfall überschritten wurde. Dem Bundesfinanzgericht ist zwar insoweit zuzustimmen, als die strittigen Fahrten zweifellos Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeitsort und Familienwohnsitz darstellen. Aus dem Klammerausdruck „Familienheimfahrten“, den der Gesetzgeber verwendet, ergibt sich jedoch, dass vom Abzugsverbot Besuchsfahrten zum Familienwohnsitz und die darauffolgende Rückkehr erfasst werden sollten. Bei Umzugsfahrten handelt es sich allerdings nicht um solche Besuchsfahrten. Sie unterliegen somit nicht dem Höchstbetrag des § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988.

23       Das Bundesfinanzgericht hat auch insoweit das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Deckelung Familienheimfahrten:

24       Gemäß § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 dürfen bei den Einkünften Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeitsort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten), soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen Berufstätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988 angeführten Betrag übersteigen, nicht abgezogen werden.

25       Bei Familienheimfahrten handelt es sich der Art nach um private Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung bis zu einem Höchstbetrag steuerlich zum Abzug zugelassen sind. Die Deckelung der berücksichtigbaren Kosten führt dazu, dass eine Arbeitsaufnahme in größerer Entfernung zum Familienwohnsitz, die eine doppelte Haushaltsführung erforderlich macht, an Attraktivität einbüßt, weil nicht sämtliche damit zusammenhängende Kosten steuerlich geltend gemacht werden können. Die Begrenzung mit einem Höchstbetrag begegnet dabei keinen grundsätzlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes, weil es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt, den Beitrag der Allgemeinheit zu derartigen Kosten im Wege der steuerlichen Abzugsfähigkeit auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen (siehe auch den Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 28.9.1998, B-1511/98; zur vergleichbaren Thematik des gedeckelten Pendlerpauschales VwGH 25.4.2002, 2001/15/0225).

26       Der Revisionswerber bringt dazu vor, die Begrenzung der Absetzbarkeit von Familienheimfahrten verstoße gegen Unionsrecht. Es liege eine (mittelbare) Diskriminierung vor, weil Arbeitsverhältnisse in EU-Staaten sowie der Schweiz aufgrund größerer Entfernungen in überwiegendem Ausmaß von der Obergrenze betroffen seien und damit gegenüber innerösterreichischen Familienheimfahrten diskriminiert würden. Es liege eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor.

27       Nach der Rechtsprechung des EuGH soll die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeit im gesamten Gebiet der Union erleichtern. Sie steht Maßnahmen entgegen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen (vgl. EuGH 13.3.2019, EurothermenResort Bad Schallerbach, C-437/17, Rn. 36). Weiters ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, auch wenn sie nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, es doch auch verbieten, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert (EuGH 26.5.2016, Kohll und Kohll-Schlesser, C 300/15, Rn. 36). Eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann sich daraus ergeben, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewendet werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewendet wird. Entscheidend ist, dass aus der Sicht der durch Österreich vorgenommenen Besteuerung davon auszugehen ist, dass sich in Österreich ansässige Personen unabhängig davon in einer vergleichbaren Situation befinden, ob sie ihre Einkünfte durch eine Berufstätigkeit in Österreich oder durch eine Berufstätigkeit im benachbarten Ausland erzielen (vgl. VwGH 1.3.2007, 2005/15/0166, VwSlg 8214/F).

28       Wie das Bundesfinanzgericht zutreffend festgestellt hat, begrenzt § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 die Abzugsfähigkeit von Familienheimfahrten mit dem Höchstbetrag des Pendlerpauschales und stellt dabei nicht darauf ab, ob der Steuerpflichtige im Inland oder im Ausland seinen Berufs- und Familienwohnsitz hat. Nach der ständigen Rechtsprechungdes Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 45 Abs. 2 AEUV sind allerdings nicht nur Diskriminierungen, die unmittelbar aufgrund der Staatsangehörigkeit der Arbeitnehmer - oder der Anknüpfung an grenzüberschreitende Sachverhalte - erfolgen, verboten, sondern auch solche, die mittelbar aufgrund dieses Kriteriums erfolgen, d. h. alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen (vgl. EuGH 10.10.2019, Krah, C-703/17, Rn. 23). Eine solche mittelbare Diskriminierung kann dann vorliegen, wenn die große Mehrheit der grenzüberschreitenden Fälle von einer ungünstigen Regelung betroffen ist, während die große Mehrheit der Inlandsfälle nicht unter diese Begrenzung fällt (vgl. etwa EuGH 18.6.2019, Österreich/Deutschland, C-591/17, Rn. 51).

29       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert sich die Unzumutbarkeit einer täglichen Rückkehr bei der doppelten Haushaltsführung an einer Kilometerzahl von etwa 80 km und Fahrtzeiten von mehr als einer Stunde (vgl. VwGH 31.7.2013, 2009/13/0132, VwSlg 8837/F, mwN). Bei kürzeren Fahrtzeiten kann auch eine höhere Kilometerzahl erforderlich sein (vgl. VwGH 15.9.2011, 2008/15/0239, VwSlg 8660/F, mwN). Je nach Verfügbarkeit einer Autobahn kann man sich daher an Strecken zwischen 80 und 100 Kilometern als Grenze für die Zumutbarkeit einer täglichen Rückkehr orientieren. Bei wöchentlichen Familienheimfahrten mit dem PKW sind unter Zugrundelegung eines Kilometergeldes von € 0,42 daher fast alle Arbeitnehmer - unabhängig davon, wo sie ihren Familienwohnsitz und Berufswohnsitz haben - von der Begrenzung betroffen.

30       Die Revision bringt vor, dass typischerweise davon ausgegangen werden müsse, dass größere Entfernungen zwangsläufig mit höheren Kosten verbunden seien, weshalb grenzüberschreitende Fälle immer stärker von der Deckelung betroffen wären, und verweist dabei auch auf das amtliche Kilometergeld. Dabei übersieht die Revision allerdings, dass die Höhe der Aufwendungen für Familienheimfahrten weniger von der zu überwindenden räumlichen Distanz abhängt, sondern - wie auch das Bundesfinanzgericht festgestellt hat - vom verwendeten Verkehrsmittel und davon, ob der Familienwohnsitz und/oder der Berufswohnsitz in infrastrukturell gut erschlossenen Gebieten, etwa in der Nähe eines Flughafens, liegen. Es ist davon auszugehen, dass bei großen räumlichen Distanzen (die Revision führt als Beispiel Griechenland oder Spanien an) für wöchentliche Familienheimfahrten auf Verkehrsmittel wie das Flugzeug oder allenfalls Bahn/Bus zurückgegriffen werden wird. Dass bei diesen Verkehrsmitteln eine größere Entfernung zwangsläufig mit höheren Kosten verbunden ist, wird von der Revision nicht konkret dargelegt. Es ist auch nicht ohne weiteres einsichtig, dass bei innereuropäischen Flügen bzw. Bahn- oder Busfahrten die Entfernung stets mit den Kosten korreliert und es keine günstigen Flüge oder Bahn/Bustickets gibt.

31       Wenn der Revisionswerber vorbringt, dass für die Feststellung einer Diskriminierung auf vergleichbare Sachverhalte abgestellt werden müsse und dabei das gleiche Verkehrsmittel betrachtet werden müsse, ist darauf zu verweisen, dass er mit dem Flugzeug von Zürich nach Wien geflogen ist. Ein vergleichbarer Sachverhalt wäre nach diesem Vorbringen daher ein Steuerpflichtiger, der einen Inlandsflug in Anspruch genommen hat, also etwa von einem Berufssitz in Vorarlberg nach Wien. Dass der Revisionswerber höhere Kosten für seine Flüge zu tragen gehabt hat, als er im vergleichbaren Inlandsfall hätte tragen müssen, wird von ihm nicht vorgebracht. Es kann auch nicht als notorisch angesehen werden, dass Flüge innerhalb Österreichs billiger sind als Auslandsflüge.

32       Der Revision gelingt es daher nicht, im Revisionsfall eine Unionsrechtswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 aufzuzeigen.

33       Das angefochtene Erkenntnis war jedoch aus den zuvor dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

34       Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. Mai 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62015CJ0300 Kohll und Kohll-Schlesser VORAB
EuGH 62017CJ0437 Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach VORAB
EuGH 62017CJ0703 Krah VORAB

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019130101.L00

Im RIS seit

28.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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