TE Vwgh Beschluss 2021/5/17 Ra 2021/21/0044

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Veröffentlicht am 17.05.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19100000
E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1
FrPolG 2005 §76 Abs3
FrPolG 2005 §80 Abs4 Z2
FrPolG 2005 §80 Abs5
VwGG §34 Abs1
32008L0115 Rückführungs-RL Art15 Abs6 litb
62014CJ0146 Mahdi VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A G A, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2020, W278 2232595-4/15E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 11. April 2016 nach seiner illegalen Einreise nach Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2018 vollumfänglich abgewiesen wurde; unter einem wurden eine Rückkehrentscheidung samt der Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und ein zehnjähriges Einreiseverbot erlassen. Letzterem lag insbesondere eine strafgerichtliche Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren zugrunde. Am 6. Dezember 2018 erfolgte eine weitere strafgerichtliche Verurteilung wegen Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten.

2        Am 10. Juni 2020 wurde die bedingte Entlassung des Revisionswerbers aus der Strafhaft mit 27. Juli 2020 angeordnet. Am 29. Juni 2020 stellte er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 15. Juli 2020 wurde über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet und ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung aus der Strafhaft eintreten würden.

4        Am 22. Juli 2020 wurde dem Revisionswerber vom BFA in Bezug auf den genannten Folgeantrag mit mündlich verkündetem Bescheid der faktische Abschiebeschutz aberkannt; das Bundesverwaltungsgericht erklärte dies mit Beschluss vom 28. Juli 2020 für rechtmäßig.

5        Am 27. Juli 2020 wurde der Revisionswerber in Schubhaft genommen. Die gegen den Schubhaftbescheid vom 15. Juli 2020 und die Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28. August 2020 als unbegründet ab, und es stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorlägen.

6        Mit Erkenntnis vom 26. November 2020 stellte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft weiterhin vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei (vgl. dazu den Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2020/21/0548).

7        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 22. Dezember 2020 stellte das Bundesverwaltungsgericht abermals gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

8        Das Bundesverwaltungsgericht führte - nachdem vom BFA zusätzlich zum Vorlagebericht eine Stellungnahme eingeholt worden war und sich der Revisionswerber jeweils dazu geäußert hatte - begründend aus, dass für den 15. Dezember 2020 eine Charterabschiebung des Revisionswerbers geplant gewesen sei, wofür ihm ein EU-Laissez-Passer ausgestellt worden sei. Am 12. Dezember 2020 sei dem BFA von den für die Charterrückführung zuständigen schwedischen Behörden jedoch mitgeteilt worden, dass Afghanistan der Rückführung von Personen mit EU-Laissez-Passer nicht (mehr) zustimmen würde. Der Revisionswerber sei daher wieder von der Charterliste abgemeldet worden. Am 18. Dezember 2020 habe die afghanische Botschaft dem BFA zugesichert, EU-Laissez-Passer für die Rückführung afghanischer Staatsangehöriger aus Österreich künftig zu akzeptieren. Die realistische Möglichkeit einer Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer bestehe somit weiterhin. Diese höchstzulässige Dauer der Schubhaft betrage im Fall des Revisionswerbers 18 Monate, weil seine Abschiebung im Sinn des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG daran gescheitert sei, dass die für die Einreise nach Afghanistan erforderliche Bewilligung der afghanischen Behörden nicht vorgelegen sei. Überdies seien angesichts des noch anhängigen Asylfolgeantrags des Revisionswerbers auch die Voraussetzungen des § 80 Abs. 5 FPG erfüllt, was eine Schubhaft in der Dauer von zehn Monaten erlaube. Die nächste Charterrückführung sei für Februar 2021 geplant, wofür das noch gültige EU-Laissez-Passer vom 2. Dezember 2020 laut Zusicherung der afghanischen Vertretungsbehörde nunmehr akzeptiert werde. Soweit der Revisionswerber auf die pandemiebedingten Einschränkungen verweise, laufe dies vor dem Hintergrund ins Leere, dass der derzeitige Lockdown voraussichtlich am 18. Jänner 2021 enden werde und die letzte Charterrückführung am 15. Dezember 2020 trotz vorangegangenen Lockdowns stattgefunden habe.

9        Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen können, weil sich das Bundesverwaltungsgericht bei allen Sachverhaltselementen auf eine klare Sachlage stützen habe können und der Revisionswerber in seinen Stellungnahmen kein davon abweichendes Vorbringen erstattet habe.

10       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13       Der Revisionswerber geht im Hinblick auf die rechtskräftige Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ausdrücklich von einer Anwendbarkeit der RückführungsRL (Richtlinie 2008/115/EG) aus. Das wird daher auch den folgenden Ausführungen, ohne nähere Prüfung, zugrunde gelegt. Er macht dann insbesondere geltend, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der Schubhafthöchstdauer nach § 80 Abs. 4 Z 2 FPG nicht vorgelegen seien. Es seien nämlich keine „Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten“ im Sinn des - durch § 80 Abs. 4 Z 2 FPG umgesetzten - Art. 15 Abs. 6 lit. b der RückführungsRL vorgelegen. Vielmehr habe die afghanische Botschaft selbst bestätigt, dass ein Heimreisezertifikat nicht notwendig sei, sondern das EU-Laissez-Passer ausreiche. Fehlende Unterlagen seien also nicht ausschlaggebend dafür gewesen, dass die Abschiebung nicht erfolgt sei. Vielmehr sei sie zunächst an den pandemiebedingten Flugreisebeschränkungen und dann an „zumindest temporären rechtlichen Sonderpositionen der afghanischen Behörden“ gescheitert.

14       Gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG kann die Schubhaft (abweichend von § 80 Abs. 2 Z 2 FPG) für 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn „eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt“. Nach Art. 15 Abs. 6 lit. b der RückführungsRL darf die Hafthöchstdauer von sonst maximal sechs Monaten im Fall von „Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten“ um höchstens zwölf Monate verlängert werden.

15       Die Abschiebung des Revisionswerbers am 15. Dezember 2020 scheiterte nach den - letztlich unbestrittenen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts daran, dass für ihn nur ein EU-Laissez-Passer, aber kein Heimreisezertifikat ausgestellt worden war, und das EU-Laissez-Passer von den afghanischen Behörden nicht akzeptiert wurde. Damit war grundsätzlich der Tatbestand des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG erfüllt, fehlte es doch an einer „für die Ein- oder Durchreise erforderlichen Bewilligung“. Art. 15 Abs. 6 lit. b der RückführungsRL stellt darüber hinaus darauf ab, dass es - trotz angemessener Bemühungen des Mitgliedstaates - zu „Verzögerungen“ bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen gekommen sein muss. § 80 Abs. 4 Z 2 FPG ist richtlinienkonform im Sinn dieser Bestimmung zu verstehen. Sie verlangt von der Behörde den Nachweis, dass die Abschiebung trotz ihrer Bemühungen länger dauern wird als vorgesehen (vgl. dazu auch EuGH 5.6.2014, Mahdi, C-146/14 PPU, Rn. 83), wofür die Verzögerungen bei der Übermittlung der Unterlagen - also Umstände in der Sphäre des betreffenden Drittstaats - kausal sein müssen. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass eine Verzögerung im Sinn dieser Bestimmung auch dann vorliegt, wenn sie darauf zurückzuführen ist, dass vom Drittstaat im Lauf des Verfahrens zur Organisation der Abschiebung andere, noch nicht übermittelte Unterlagen als erforderlich angesehen werden als auf Grund bisheriger Gepflogenheiten oder Zusagen anzunehmen war.

16       Im vorliegenden Fall wurde auch nicht in Abrede gestellt, dass das BFA - das, wie vom Revisionswerber ausdrücklich zugestanden wurde, auf ein Abkommen mit Afghanistan betreffend die Akzeptanz von „EU-Laissez-Passer“ vertrauen konnte - ausreichende Bemühungen an den Tag gelegt hatte. Der geplante Abschiebetermin am 15. Dezember 2020 wäre innerhalb der regulären Schubhafthöchstdauer von sechs Monaten gelegen gewesen. Das Fehlen der von den afghanischen Behörden für die Rückführung als erforderlich erachteten, aber nicht rechtzeitig übermittelten Unterlagen war damit kausal für die Überschreitung dieser regulären Schubhafthöchstdauer; daran ändert nichts, dass es ohne die in den Monaten davor bestehenden Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie möglicherweise schon früher zu einer Abschiebung gekommen wäre.

17       Da somit die Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG erfüllt waren, kam es auf die Frage der (vom Revisionswerber bestrittenen) Anwendbarkeit des § 80 Abs. 5 FPG nicht mehr an.

18       Dass aber die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht ausschließlich auf § 80 Abs. 4 FPG gestützt werden kann - sodass es auf einen allfälligen Wegfall der Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 FPG nicht ankäme - oder dass umgekehrt die Gründe für eine Verlängerung der Schubhaft nach § 80 Abs. 4 FPG nicht durch das Vorliegen von Fluchtgefahr im Sinn des § 76 Abs. 3 FPG substituiert werden können, mit anderen Worten, dass die Voraussetzungen der §§ 76 Abs. 3 und 80 Abs. 4 FPG für eine Aufrechterhaltung der Schubhaft kumulativ vorliegen müssen, ist selbstverständlich und wurde - entgegen dem Revisionsvorbringen - auch vom Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht in Zweifel gezogen.

19       Das Bundesverwaltungsgericht ist angesichts des für Februar 2021 in Aussicht genommenen Abschiebetermins auch in jedenfalls nicht unvertretbarer Weise davon ausgegangen, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht unverhältnismäßig war, wobei es gemäß § 76 Abs. 2a FPG zu Recht auch die Straffälligkeit des Revisionsbewerbers miteinbezogen hat. Gegen die Einhaltbarkeit des genannten Termins wendet der Revisionswerber die pandemiebedingten Reisebeschränkungen und die Unzuverlässigkeit Afghanistans ein. Insoweit durfte sich das Bundesverwaltungsgericht aber darauf stützen, dass einerseits die letzte Charterrückführung am 15. Dezember 2020 stattgefunden und andererseits die afghanische Vertretungsbehörde ausdrücklich zugesichert hatte, das noch gültige EU-Laissez-Passer vom 2. Dezember 2020 zu akzeptieren.

20       Dabei konnte das Bundesverwaltungsgericht nach der zweimaligen Einräumung von schriftlichem Parteiengehör auch vertretbar von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen und daher von einer mündlichen Verhandlung absehen.

21       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. Mai 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62014CJ0146 Mahdi VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210044.L00

Im RIS seit

28.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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