TE Vwgh Beschluss 2021/5/19 Ra 2020/15/0065

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Veröffentlicht am 19.05.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §278
BAO §279
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 - Rechnungs- und Abgabenwesen, Dezernat Abgaben und Recht Landes- und Gemeindeabgaben in 1082 Wien, Ebendorferstraße 2, 3. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 20. Jänner 2020, Zl. RV/7400053/2019, betreffend Glücksspielautomatenabgabe für März 2017 (mitbeteiligte Partei: E Kft., in S), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei war - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - von September 2016 bis einschließlich März 2017 Mieterin eines Lokals, das am 7. März 2017 von einem Mitarbeiter einer Onlineplattform besucht und in einem darüber angefertigten „Besuchsprotokoll“ (inklusive Fotomaterial) samt den darin stehenden Geräten näher beschrieben wurde. Auf Basis dieses Berichts wurde am 10. März 2017 eine private Sachverhaltsdarstellung betreffend das Halten von Spielapparaten iSd § 1 Wiener Glücksspielautomatengesetz beim Magistrat Wien eingebracht. Im Zuge einer am 29. März 2017 daraufhin durchgeführten Erhebung der Magistratsabteilung 6 (MA 6) wurde die Tür zum Lokal nach Anklingeln nicht geöffnet. Eigene Wahrnehmungen der MA 6 wurden nicht gemacht.

2        Mit Schreiben vom 28. November 2017 wurde die mitbeteiligte Partei von der MA 6 über die eingebrachte Sachverhaltsdarstellung informiert und ihr die Möglichkeit gegeben, sich dazu zu äußern oder die Glücksspielautomatenabgabe nachzuzahlen. Mit Schreiben vom 26. Februar 2018 gab die mitbeteiligte Partei bekannt, dass das Mietverhältnis für das Lokal mit 31. März 2017 beendet worden sei.

3        Am 4. Juni 2018 erließ der Magistrat der Stadt Wien einen Bescheid bezüglich Glücksspielautomatenabgabe für März 2017, mit welchem der mitbeteiligten Partei ein Betrag in Höhe von 16.800 € für 12 Spielapparate vorgeschrieben wurde (1.400 € x 12 Apparate x 1 Monat). Begründend wurde ausgeführt, dass die mitbeteiligte Partei in dem gegenständlichen Lokal für 12 Spielapparate, mit denen ein Gewinn in Geldwert erzielt werden könne, keine Glücksspielautomatenabgabe entrichtet habe, weshalb diese gemäß § 201 BAO bescheidmäßig festzusetzen sei. Der Sachverhalt sei durch die eingebrachte Sachverhaltsdarstellung erwiesen.

4        Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde, in der sie vorbrachte, dass es sich bei den gegenständlichen Geräten um gewöhnliche Internetterminals, aber nicht um Spielapparate handle. Zudem hätten an diesen Geräten keine Gewinne erzielt werden können und sei eine Teilnahme an Glücksspielen nicht möglich gewesen.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde Folge und hob den angefochtenen Bescheid ersatzlos auf. Begründend führte das BFG aus, nach § 1 Wiener Glücksspielautomatenabgabegesetz sei für das Halten von Spielapparaten, durch deren Betätigung ein Gewinn in Geld oder Geldeswert erzielt werden könne und für die keine Bewilligung oder Konzession nach den §§ 5, 14 oder 21 GSpG erteilt worden sei, eine Steuer von 1.400 € je Apparat und begonnenem Kalendermonat zu entrichten. Die Steuerpflicht bestehe unabhängig davon, ob die Entscheidung über das Spielergebnis durch den Apparat selbst, zentralseitig oder auf eine sonstige Art und Weise herbeigeführt werde. Auch internetfähige PC, bei denen man die gewünschte Glücksspielseite erst eingeben müsse, könnten in Verbindung mit einem Geldterminal ein Glücksspielapparat sein, da es für das Vorliegen eines Glücksspiels im Sinne des § 1 Abs. 1 GSpG nicht maßgeblich sei, ob und wie viele Einzelhandlungen oder Spieletappen erforderlich seien, um das Glücksspiel durchführen zu können (Hinweis auf VwGH 28.6.2011, 2011/17/0068).

6        Dass die mitbeteiligte GmbH Glücksspiele zugänglich gemacht und Spielapparate in ihrem Lokal gehalten habe, könne ausschließlich auf Grund der Behauptungen einer Onlineplattform festgestellt werden, die gegen illegales Glücksspiel vorgehe. Die MA 6 habe keinerlei eigene Wahrnehmungen in dieser Hinsicht gemacht. Bei einer Begehung sei sie nicht eingelassen worden, und hätten daher keine Testspiele etc. durchgeführt werden können. Die MA 6 habe sich zwar an die Finanzpolizei gewandt, aber zu einer Begehung sei es erst im November 2017 gekommen. Dabei habe die Finanzpolizei Wahrnehmungen gemacht, die sich mit der Sachverhaltsdarstellung der Onlineplattform weitgehend deckten; diese könnten aber für den Revisionsfall nicht herangezogen werden, da sie zu einem Zeitpunkt erfolgt seien, als die mitbeteiligte GmbH nicht mehr Mieterin des Lokals gewesen sei und daher ein anderes Unternehmen Geräte zur Verfügung gestellt habe. Das Vorbringen der mitbeteiligten GmbH, dass es sich bei den Glücksspielgeräten um normale PC gehandelt habe, mit denen eine Teilnahme am Glücksspiel durch eine Lokalsoftware unmöglich gewesen sei, und dass auf der fallgegenständlichen Internetadresse keine Gewinne in Aussicht gestellt worden seien, habe daher nicht entkräftet werden können.

7        Das BFG habe mangels behördlicher Wahrnehmungen zum gegenständlichen Zeitpunkt nicht feststellen können, dass die aufgestellten Geräte als Spielapparate verwendet worden seien, durch deren Betätigung ein Gewinn in Geld oder Geldeswert habe erzielt werden können, zumal auch die Fotos auf dem Bericht der Onlineplattform nicht scharf und auch nicht geeignet seien, einem konkreten Lokal zugeordnet zu werden, da großteils nur Bildschirme fotografiert worden seien. Auch die Erhebungen der Finanzpolizei hätten für diesen Fall nicht herangezogen werden können, da sie nicht zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt erfolgt seien und danach ein anderer Betreiber die Geräte zur Verfügung gestellt habe.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Magistrats der Stadt Wien, die deren Zulässigkeit mit drei Rechtsfragen begründet. Zum Ersten sei der Magistrat der Ansicht, dass das BFG eine Entscheidungspflicht nach § 279 Abs. 1 BAO, gegebenenfalls nach § 278 Abs. 1 BAO treffe, die es verletzt habe. Wenn das BFG der Ansicht sei, dass der Abgabensachverhalt nicht ordnungsgemäß erhoben worden sei, weil nur eine Anzeige Dritter, aber keine eigenen abgabenbehördlichen Wahrnehmungen zum Abgabensachverhalt vorlägen, hätte es nach § 279 Abs. 1 BAO die aus seiner Sicht erforderlichen Ermittlungen selbst vornehmen oder veranlassen müssen oder die Sache nach § 278 Abs. 1 BAO an den Magistrat zwecks Vornahme weiterer Ermittlungen wie der Befragung von Auskunftspersonen bezüglich der Anzeige zurückverweisen müssen, statt eine ersatzlose Aufhebung des Bescheides vom 4. Juni 2018 durchzuführen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liege daher darin, ob das BFG gemäß § 279 Abs. 1, gegebenenfalls § 278 Abs. 1 BAO, befugt und verpflichtet sei, von ihm als erforderlich angesehene Ermittlungsschritte zur Feststellung eines Abgabensachverhaltes wegen fehlender eigener abgabenbehördlicher Wahrnehmungen, insbesondere zur Feststellung von durch Dritte wahrgenommener entscheidungsrelevanter Tatsachen, durchzuführen bzw. durchführen zu lassen, um eine Sachentscheidung über eine Beschwerde über einen Abgabenbescheid erlassen zu können.

9        Zum Zweiten sei nach Ansicht des Magistrats die ersatzlose Aufhebung im Revisionsfall rechtswidrig. Eine weitere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liege dabei darin, ob das BFG gemäß § 279 Abs. 1 BAO befugt sei, einen Bescheid über die Glücksspielautomatenabgabe nach § 201 BAO ersatzlos aufzuheben, nur weil seiner Ansicht nach keine eigenen abgabenbehördlichen Wahrnehmungen, sondern bloß eine Anzeige Dritter über den Abgabensachverhalt vorlägen, ohne sich mit dieser Anzeige inhaltlich bspw. durch Einvernahme der Auskunftspersonen auseinanderzusetzen.

10       Die dritte Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung betreffe die Zulässigkeit von Anzeigen Dritter über Abgabensachverhalte als Beweismittel iSd BAO, nämlich ob und inwieweit eine private Wahrnehmung (eines Anzeigenlegers) zur abgabenbehördlichen Entscheidungsfindung herangezogen werden könne oder ob nur eine amtliche Wahrnehmung - im klaren Widerspruch zur freien Beweiswürdigung nach §§ 166 und 167 Abs. 2 BAO - für das abgabenrechtliche Ermittlungsverfahren und die Beweisaufnahme entscheidend sei. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage sei insofern maßgebend für die Revision, als bei Bejahung der Beweismittelfähigkeit von privaten Wahrnehmungen (eines Anzeigenlegers) das BFG bei Bestehen von Zweifel am angezeigten Abgabensachverhalt weitere diesbezügliche Ermittlungen, wie die Befragung der Auskunftspersonen bezüglich der Anzeige durchführen bzw. durchführen hätte lassen müssen und in weiterer Folge über die Abgabe zu entscheiden gewesen wäre.

11       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

12       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

14       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15       Mit seinem ersten Zulässigkeitsvorbringen weist der Magistrat zwar zutreffend darauf hin, dass die Verwaltungsgerichte - allenfalls auch nach ergänzenden eigenen Ermittlungen - grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gegenüber einer kassatorischen Erledigung anzunehmen ist (vgl. zB VwGH 1.9.2015, Ro 2014/15/0029, mwN).

16       Allerdings verkennt der Magistrat, dass das BFG im Revisionsfall eine solche meritorische Entscheidung getroffen hat, stellt doch auch die ersatzlose Behebung eines Bescheids eine Sachentscheidung dar. Wie der Magistrat selbst zu Recht ausführt, entfaltet die ersatzlose Behebung eines Bescheides nämlich im Rahmen seiner bisherigen Sache Bindungswirkung, sodass ihm ein neuerlicher Abspruch verwehrt ist (vgl. VwGH 15.9.2020, Ro 2020/16/0028, mwN). Das heißt: das BFG ist im Revisionsfall in der Sache - anders als der Magistrat - vom Nichtbestehen einer Abgabepflicht ausgegangen.

17       Gemäß § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist (vgl VwGH 8.10.2020, Ra 2020/13/0044). Insofern stellt - wie der Magistrat in seinem zweiten Zulässigkeitsvorbringen zutreffend ausführt - auch die Anzeige einer Onlineplattform mit einer darin enthaltenen Sachverhaltsdarstellung ein zu würdigendes Beweismittel dar.

18       Dies hat das BFG im angefochtenen Erkenntnis allerdings auch gar nicht in Zweifel gezogen, sondern hat die vorgelegten Unterlagen vielmehr einer solchen Beweiswürdigung unterzogen, wobei es ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Fotos auf dem Bericht der Onlineplattform einerseits nicht scharf seien und andererseits nicht geeignet seien, einem konkreten Lokal zugeordnet zu werden, da großteils nur Bildschirme fotografiert worden seien. Da - neben der Anzeigenlegung der Onlineplattform - keine weiteren Wahrnehmungen vorlägen und das Mietverhältnis der mitbeteiligten GmbH zwischenzeitig beendet worden sei, ist das BFG von der Nichterweisbarkeit des (von der mitbeteiligten Partei bestrittenen) Abgabentatbestandes ausgegangen.

19       Die Frage, ob eine (weitere) Beweisaufnahme im Rahmen der amtswegigen Ermittlung notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 16.9.2020, Ra 2019/16/0219, sowie 11.3.2021, Ra 2021/18/0059, jeweils mwN).

20       Derartiges hat die Revision, die auf die konkrete Beweiswürdigung des BFG im Zulässigkeitsvorbringen nicht näher eingeht, jedoch nicht aufgezeigt.

21       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150065.L00

Im RIS seit

14.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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