TE Vwgh Beschluss 2021/5/19 Ra 2019/01/0343

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Veröffentlicht am 19.05.2021
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Index

24/01 Strafgesetzbuch
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §69 Abs1 Z1
StbG 1985 §10 Abs1 Z6
StGB §192

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des R B, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 16. Jänner 2019, Zl. VGW-152/071/12141/2017-19, betreffend Wiederaufnahme in einer Angelegenheit der Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den in Ägypten geborenen Revisionswerber als unbegründet abgewiesen (I.) und sein Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23. September 2004 gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen (II.). Die Revision wurde für unzulässig erklärt (III.).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei von 22. Oktober 2004 bis 18. April 2014 bigamisch mit Frau M P, einer österreichischen Staatsangehörigen, (Eheschließung am 3. Oktober 2003, Scheidung am 18. April 2014, jeweils in Österreich) sowie mit Frau R H (Eheschließung am 22. Oktober 2004 in Ägypten), einer ägyptischen Staatsangehörigen, verheiratet gewesen. Der Revisionswerber sei im Zuge des Verleihungsverfahrens mehrfach zu seiner Familiensituation befragt worden. Er habe dabei seine Eheschließung mit einer ägyptischen Staatsangehörigen nie erwähnt. Der belangten Behörde sei es nicht zumutbar gewesen, weitere Erhebungen in diese Richtung, nämlich ob der Revisionswerber „eine Doppel- bzw. Mehrfachehe“ führe, zu führen, zumal keinerlei Anhaltspunkte gegeben gewesen seien. Der Revisionswerber habe sogar im Zuge der Abschlussniederschrift vor Zusicherung der Verleihung angegeben, dass sich nichts an seinen persönlichen Verhältnissen geändert habe, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass er in der Zwischenzeit eine zweite Ehe eingegangen sei. Der Revisionswerber habe im behördlichen Verfahren wiederholt unrichtige Angaben gemacht. Es sei nicht glaubhaft, dass sich der Revisionswerber von seiner ägyptischen Ehegattin nicht habe scheiden lassen, nur weil er Angst vor seinem Schwiegervater gehabt habe. Der Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben des Revisionswerbers und der Verleihung der Staatsbürgerschaft könne nicht in Zweifel gezogen werden. Somit lägen alle Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor.

3        Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-135/08, Rottmann, sei, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge habe, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedsstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliere, zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre. Die belangte Behörde habe ausreichend geprüft, ob fallbezogen Umstände vorlägen, die dazu führen, dass die Entziehung der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 26.1.2012, 2009/01/0060) sei die Entziehung der Staatsbürgerschaft nur „ausnahmsweise unverhältnismäßig“. Der Verwaltungsgerichtshof gehe - dem EuGH folgend - in Fällen, in den die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen worden sei, von der Erwägung aus, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 Z 1 (iVm Abs. 3) AVG grundsätzlich zulässig sei. Die Wiederverleihung der ägyptischen Staatsbürgerschaft an den Revisionswerber sei nach Art. 18 des ägyptischen Staatsbürgerschaftsgesetzes grundsätzlich möglich. Die Ehegattin und zwei Kinder des Revisionswerbers seien ägyptische Staatsbürger und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen. Ein Kind sei österreichischer Staatsbürger auf Grund der Abstammung. „Für die Familienangehörige[n] - wie für den [Revisionswerber] selbst -“ komme bei Verlust des Aufenthaltsrechts, bedingt durch die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens und Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, die Erteilung eines „humanitären“ Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 ff AsylG [2005] in Frage bzw. sei die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet geboten.

4        Dem Revisionswerber sei vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, gültig vom 18. Jänner 2012 bis 18. Jänner 2015 erteilt worden. Durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft am 19. Dezember 2012 sei dieser Aufenthaltstitel gemäß § 10 Abs. 3 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gegenstandslos geworden. Dies bedeute, dass der Revisionswerber seit 19. Dezember 2012 über keinen Aufenthaltstitel verfüge. Da der Revisionswerber derzeit über keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet verfüge, sei sein Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23. September 2004 abzuweisen.

5        Die Behandlung der vom Revisionswerber gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wurde von diesem mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 716/2019-4, abgelehnt.

6        Begründend führte der VfGH dazu unter anderem aus:

„Spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht Wien zu Recht von einer Irreführungsabsicht und damit vom Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes ausgegangen ist (vgl. zB VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0406) sowie in der Folge zu Recht das Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthaltes als Verleihungsvoraussetzung verneint hat, nicht anzustellen.“

7        Die Beschwerde wurde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit weiterem Beschluss vom 8. Juli 2019, E 716/2019-15, an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

8        Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseren Wissens gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. VwGH 6.4.2020, Ra 2019/01/0169, mwN).

13       Mit der pauschalen Behauptung im Zulässigkeitsvorbringen, eine Irreführungsabsicht des Revisionswerbers sei keinesfalls gegeben, wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa neuerlich VwGH 6.4.2020, Ra 2019/01/0169, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung der Beweiswürdigung des BVwG wird in der Revision nicht dargetan.

15       Der Verwaltungsgerichtshof geht - dem EuGH folgend - in Fällen, in denen die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen wurde, von der Erwägung aus, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 Z 1 (iVm Abs. 3) AVG grundsätzlich zulässig ist. Die Staatsbürgerschaftsbehörde hat in derartigen Fällen jedoch zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist; bei dieser Prüfung ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wobei es Sache des Verleihungswerbers ist, konkret darzulegen, dass die Behörde diesen Beurteilungsspielraum überschritten hat (vgl. etwa VwGH 30.9.2019, Ra 2019/01/0281, mwN, unter anderem auf EuGH 2.3.2010, C-135/08, Rottmann, und EuGH 12.3.2019, C-221/17, Tjebbes u.a.; 23.4.2020, Ro 2020/01/0004).

16       Vorliegend ist nicht zu sehen, warum für die vom Verwaltungsgericht fallbezogen beurteilte Wiederaufnahme wegen Erschleichung nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG anderes gelten sollte. So wurde im Revisionsfall eine Doppelehe eingegangen und dieser Umstand im Verfahren über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft - und damit der Unionsbürgerschaft - mit Irreführungsabsicht verschwiegen (vgl. zum Eingehen einer mehrfachen Ehe - Bigamie - bereits VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0406; 11.10.2019, Ra 2019/01/0373).

17       Die Einehe bzw. das Verbot der mehrfachen Ehe (Bigamie) ist Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechts und damit der unverzichtbaren Wertvorstellungen, die die österreichische Rechtsordnung prägen. Dies macht auch der gerichtliche Straftatbestand des § 192 Strafgesetzbuch (StGB) deutlich, wonach eine mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen ist (vgl. neuerlich VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0406, mwN insbesondere zum „ordre public“; 11.10.2019, Ra 2019/01/0373, jeweils mit weiteren Ausführungen zum Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG).

18       Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. für viele VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN). Eine solche Darlegung gelingt dem Revisionswerber mit dem bloß pauschalen Zulässigkeitsvorbringen nicht, seine Ehefrau sei nach der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 22. Jänner 2018 wieder schwanger geworden und das Verwaltungsgericht hätte nach der Verhandlung insofern seine Ermittlungspflicht verletzt.

19       Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht nicht von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, sondern es hat eine im vorliegenden Einzelfall auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und damit den oben angeführten Leitlinien entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen.

20       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019010343.L00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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