Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** P*****, vertreten durch Dr. Gerd Grebenjak, Mag. Simone Hiebler, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, *****, vertreten durch Draxler Rexeis OG in Graz, wegen 6.653,35 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. November 2020, GZ 6 Ra 54/20p-12, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Juni 2020, GZ 25 Cga 28/20d-8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den
Antrag,
gemäß Art 89 Abs 3 B-VG (Art 140 Abs 4 B-VG) auszusprechen, dass
- in § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk. L-DBR idF LGBl 2011/74 die Wortfolgen „aa) bis zu drei Jahren“, „und“, „bb) bis zu weiteren drei Jahren zur Hälfte“ sowie
- in § 256 Abs 2 S 1 Stmk. L-DBR idF LGBl 2011/74 die Wortfolge „Abs. 1 Z 2 lit. b sublit aa und“
verfassungswidrig sind.
II. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin war vom 1. 8. 2014 bis 31. 7. 2019 bei der Beklagten im Dienstzweig Fachdienst des Pflegedienstes als Diplomkrankenpflegerin beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74) anzuwenden.
[2] Vom 1. 8. 2014 bis 30. 9. 2014 war die Klägerin im Ausmaß von 75 % (30 Wochenstunden) beschäftigt. Ab 1. 10. 2014 wurde das Beschäftigungsausmaß auf 50 % (20 Wochenstunden) reduziert. Das Dienstverhältnis wurde zunächst bis zum 30. 6. 2015 befristet abgeschlossen und in weiterer Folge bis zum 17. 12. 2016 verlängert. Mit Verlängerung vom 2. 9. 2016 ging das Dienstverhältnis in ein solches auf unbestimmte Zeit über.
[3] Die facheinschlägigen Vordienstzeiten der Klägerin als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP) stellen sich wie folgt dar:
1998 bis 2001 Besuch der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege (3 Jahre bzw 1095 Kalendertage);
15. 10. 2001 bis 28. 2. 2003 DGKP bei der Stadt *****;
10. 3. 2003 bis 14. 7. 2014 DGKP beim Krankenhaus ***** B*****.
[4] In Entsprechung des damals geltenden § 256 Abs 1 Z 2 Stmk L-DBR wurden diese Vordienstzeiten der Klägerin im Umfang von 5 Jahren, 10 Monaten und 17 Tagen angerechnet; der Vorrückungsstichtag wurde mit 15. 9. 2008 festgelegt. Folglich wurde die Klägerin in das Entlohnungsschema S II/3 Stufe 2 eingereiht. Die Zeit bei der Stadt ***** wurde im vollen Umfang von einem Jahr, 4 Monaten und 17 Tagen (502 Kalendertage) angerechnet, ebenso jene des Besuchs der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege im Umfang von 3 Jahren (1095 Kalendertage); hingegen wurden die Zeiten beim Krankenhaus ***** B***** aufgrund der bestehenden Regelung nur teilweise im Umfang von einem Jahr und 6 Monaten angerechnet.
[5] Würde man der Klägerin fiktiv Vordienstzeiten im Umfang von 4197 Kalendertagen (11 Jahre, 6 Monate und 2 Tage), also zur Gänze, zum Dienstbeginn am 1. 8. 2014 anrechnen, ergäbe sich ein Vorrückungsstichtag zum 1. 2. 2003. Unter Zugrundelegung dieser Vordienstzeitenanrechnung wäre die Klägerin (ausgehend von Vorrückungen alle zwei Jahre) in S II/3 Stufe 6 einzustufen gewesen.
[6] Im Hinblick auf die zu erwartenden Entscheidungen des EuGH zur Anrechnung von Vordienstzeiten gab die Beklagte eine Verjährungsverzichtserklärung vom 7. 10. 2014 ab.
[7] Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von zuletzt 6.653,35 EUR brutto sA an Entgeltdifferenzen für den Zeitraum August 2014 bis Juli 2019 mit der wesentlichen Begründung, dass durch § 256 Stmk L-DBR (LGBl 2011/74) die ursprünglich bestandene altersbedingte Ungleichbehandlung fortgeschrieben worden sei. Dies sei altersdiskriminierend, grob unsachlich und verfassungswidrig. Die Klägerin sei daher so zu stellen, dass nicht die durch die Bestimmung normierte verlängerte Vorrückung, sondern eine Vorrückung nach 2 Jahren zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus seien sämtliche facheinschlägige Vordienstzeiten als DGKP im Krankenhaus ***** B***** verpflichtend zur Gänze anzurechnen. Die Regelung des § 256 Abs 1 Z 2 lit b sublit bb Stmk L-DBR verstoße gegen die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, weshalb sie unangewendet zu lassen sei. Dieser Grundsatz sei auch auf einen rein innerstaatlichen Sachverhalt anzuwenden, weil der Grundsatz der Unionsbürgerschaft dadurch missachtet bzw dagegen verstoßen werde. Unabhängig davon läge eine Inländerdiskriminierung vor. Die Anrechnung dieser facheinschlägigen Zeiten sei zweifach unzulässig eingeschränkt. Einerseits beschränke § 256 Abs 1 Z 2 Stmk L-DBR die Anrechnung dieser Zeiten mit 4,5 Jahren, wovon durch die Anrechnung der Ausbildung zur DGKP schon drei Jahre konsumiert würden. Zudem sei eine weitere Einschränkung durch § 256 Abs 3 Z 1 Stmk L-DBR gegeben, wonach nur Dienstzeiten zur KAGES, zu einem Gemeindeverband oder zu einer Gebietskörperschaft, beide im Inland gelegen, gezählt würden. Die Beschränkung auf inländische Einrichtungen verstoße gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Mit Einführung des § 256a Stmk L-DBR zum 1. 3. 2018 seien die Rechtswidrigkeiten mangels Rückwirkung und mangels zwingender Anwendung nicht beseitigt worden. Die diskriminierende Rechtslage sei für den Zeitraum 1. 8. 2014 bis 28. 2. 2018 unverändert aufrecht.
[8] Für einen neuen Vorrückungsstichtag habe sich die Klägerin nach Herantreten der Beklagten an sie entschieden, weil die Berechnung für sie günstiger gewesen sei. Der Einwand der Beklagten, die Klägerin könne keine Differenzen aus den Zeiträumen davor geltend machen, wäre rechtsmissbräuchlich. Werde dem Standpunkt der Klägerin gefolgt, werde die Vereinbarung des neuen Vorrückungsstichtags wegen Irrtums angefochten. Die geltend gemachten Ansprüche seien auch nicht verjährt, weil die Beklagte einen unbefristeten Verjährungsverzicht abgegeben habe. Mit diesem habe sie unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie den Einwand der Verjährung nicht erhebe, solange die innerstaatliche Rechtslage nicht zur Gänze in Bezug auf das Unionsrecht geklärt sei.
[9] Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass die Klägerin entsprechend der bei ihrer Aufnahme anzuwendenden Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74 eingestuft worden sei. Für die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten des Unionsrechts bedürfe es eines Unionsrechtsbezugs, der hier nicht gegeben sei. Sämtliche Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit sowie die Bestimmung der Verordnung Nr 492/2011 sollten den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und Maßnahmen entgegenstehen, die sie benachteiligen könnten. Ein Sachverhalt mit Auslandsbezug liege konkret nicht vor. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfe nicht nur die Bestimmung des § 256 Stmk L-DBR bei Klärung einer angeblichen Unionsrechtskonformität herangezogen werden, sondern sei auch die zuletzt gültige Regelung des § 256a Stmk L-DBR (LGBl 2018/17) zu beachten. Diese Neufassung, mit der ein neuer Vorrückungsstichtag errechnet worden sei, setze bereits Änderungen um. Diese Änderung habe die Klägerin auch ausdrücklich gewünscht und beantragt. Sei tatsächlich ein Diskriminierungstatbestand vorgelegen, was bestritten werde, sei durch die Einführung dieser Regelung Unionsrechtskonformität hergestellt worden. Eine etwaige Benachteiligung sei als behoben anzusehen. Keine Ungleichbehandlung könne darin erblickt werden, wenn Vordienstzeiten auf einen Maximalzeitraum eingeschränkt würden. Der Verfassungsgerichtshof sehe darin keine Gleichheitswidrigkeit. Auch die Bestimmungen des AEUV seien nicht auf einen Sachverhalt anzuwenden, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinauswiesen. Durch die Dienstrechtsnovelle 2018 sei die Anrechnung von Vordienstzeiten auf 10 Jahre begrenzt; damit seien die Dienstzeiten, der Klägerin bei den B***** im Ausmaß von 2600 Kalendertagen zur Gänze angerechnet worden. Hingegen sehe die Bestimmung keine Anrechnung von Ausbildungszeiten vor, weshalb diese in der Neuberechnung 2018 unberücksichtigt geblieben seien. Eine zeitliche Höchstbegrenzung für einschlägige Vordienstzeiten habe der EuGH nicht als unionsrechtswidrig qualifiziert. Schließlich sei auch der für die Vorrückung erforderliche Zeitraum mit zwei Jahren vereinheitlicht worden. Diese Novelle sei ab November 2018 umgesetzt worden, zumal sich die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt in Karenz befunden habe. Es sei eine Nachverrechnung für den Zeitraum ab November 2019 erfolgt. Im Übrigen seien die Differenzansprüche aufgrund der dreijährigen Verjährungsfrist des § 163 Stmk L-DBR verjährt. Der abgegebene Verjährungsverzicht habe sich nur auf die bis zum 7. 7. 2014 beim EuGH anhängigen Verfahren bezogen. Ein Verzicht auf künftige Fälle sei nicht abgegeben worden. Die letzte Entscheidung des EuGH sei am 28. 1. 2015 ergangen, weshalb bei Einbringung der Klage im Februar 2020 nur mehr jene Ansprüche geltend gemacht werden könnten, die bis Februar 2017 zurückreichten.
[10] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die vor dem 18. 2. 2017 fällig gewordenen Ansprüche seien verjährt. Eine Berufung auf das Unionsrecht komme bei Vorliegen eines reinen Binnensachverhalts nicht in Frage. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die anzuwendenden Normen des Stmk L-DBR wegen einer Inländerdiskriminierung bestünden nicht.
[11] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin keine Folge. Im Hinblick auf Art 45 AEUV und die VO 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union liege hier kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor. In Anbetracht des auf dem Vorrückungsstichtag beruhenden Systems der Einstufung der Klägerin zum Zeitpunkt ihres Beschäftigungsbeginns bei der Beklagten (§ 256 Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74) liege keine (Alters-)Diskriminierung der Klägerin vor, zumal die ursprünglich diskriminierende Bestimmung betreffend die vor Vollendung des 18. Lebensjahres absolvierten Zeiten bereits beseitigt gewesen sei. Zwar stehe nach der Judikatur des EuGH Art 2 und Art 6 Abs 1 der RL 2000/78/EG einer nationalen Regelung entgegen, die zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung die vor dem vollendeten 18. Lebensjahr zurückgelegten Vordienstszeiten berücksichtige, aber zugleich eine tatsächlich nur für Bedienstete, die Opfer dieser Diskriminierung seien, geltende Bestimmung enthalte, die den Vorrückungszeitraum in den ersten Gehaltsstufen verlängere und damit eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festschreibe. Dies treffe auf die Klägerin jedoch nicht zu, weil es in ihrem Fall zu keinem Fortschreiben der Diskriminierung gekommen sei. Es müsse dem Gesetzgeber unbenommen bleiben, für – neu – eintretende MitarbeiterInnen ein diskriminierungsfreies neues System zu schaffen. Dazu komme, dass sich der unmittelbare Anspruch der Arbeitnehmer aus der RL 2000/78/EG auf die Anwendung eines diskriminierungsfreien Vorrückungssystems richte. Mit der Dienstrechtsnovelle 2018 sei § 256a Stmk L-DBR mit März 2018 eingeführt worden, aufgrund dessen die Klägerin die Neufestsetzung ihres Vorrückungsstichtags im Hinblick auf Zeiten einer einschlägigen Verwendung gemäß § 256a Abs 1 Z 3 lit c Stmk L-DBR habe beantragen können. Davon habe sie auch Gebrauch gemacht, weshalb es zu einer Neufestsetzung ihres Vorrückungsstichtags gekommen sei. § 256a Stmk L-DBR sehe keine Anrechnung von Ausbildungszeiten, jedoch die Anrechnung von Zeiten einer einschlägigen Verwendung in vergleichbaren privaten stationären, extramuralen oder ambulanten Einrichtung im Inland oder in einem EU Mitgliedstaat jeweils bis zum Ausmaß von 10 Jahren vor. Im neuen System seien die unterschiedlichen Vorrückungszeiträume beseitigt worden. Damit sei jedenfalls Unionsrechtskonformität hergestellt, sodass zumindest ab diesem Zeitpunkt keine Ansprüche im Zusammenhang mit einem Anspruch auf Herstellung eines diskriminierungsfreien Vorrückungssystems bestünden. Verfassungsrechtliche Bedenken zu § 256 Stmk L-DBR wegen einer allfälligen Inländerdiskriminierung bestünden nicht (8 ObA 34/17h). Die Revision sei angesichts der dazu divergierenden Rechtsprechung (9 ObA 64/19f) und der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Frage zulässig.
[12] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgebung.
[13] Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision ist zulässig.
[15] Die Klägerin richtet sich in ihrer Revision erneut gegen § 256 Abs 1 Z 2 lit b, sublit bb, Abs 2 und Abs 3 Z 1 Stmk L-DBG, der die Anrechnung ihrer Vordienstzeiten rechtswidrig beschränke. Ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei auch bei einem reinen Binnensachverhalt zu bejahen. Sonst liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unionsbürgerschaft und eine verfassungswidrige Inländerdiskriminierung vor. Mit der Einführung des § 256a Stmk L-DBR sei jedenfalls für den Zeitraum 1. 8. 2014 bis 28. 2. 2018 auch die Altersdiskriminierung nicht beseitigt worden. Die Ansprüche seien auch nicht verjährt.
[16] 1. Zur Altersdiskriminierung
[17] Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass sie durch die verlängerte erste Vorrückung von zwei auf fünf Jahre durch § 153 Stmk L-DBR idF der Novelle LGBl 2011/74 gegenüber einem am 1. 9. 2003 eingetretenen Dienstnehmer ungleich behandelt werde und dadurch das altersdiskriminierende System fortgeschrieben werde, ist auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Hervorzuheben ist, dass der Gesetzgeber nicht schon grundsätzlich gehindert ist, eine Verlängerung des Vorrückungszeitraums von der ersten in die zweite Bezugsstufe vorzunehmen (EuGH C-539/15 Bowman) und dass das Einstufungssystem der Beklagten zum Zeitpunkt des Beschäftigungsbeginns der Klägerin auf alle Vertragsbediensteten, die sich in derselben Situation befanden, gleichermaßen anzuwenden war. Dass Arbeitnehmer, die zu einem vor Inkrafttreten der Novelle LGBl 2011/74 liegenden Zeitpunkt eingetreten waren, nicht vom verlängerten Vorrückungszeitraum erfasst wurden, begründet keine Diskriminierung aufgrund des Alters (Stichtagsprinzip; zB EuGH 14. 2. 2019, Rs C-154/18, Horgan, Keegen/Irland; 9 ObA 86/20t).
[18] 2. Zur Verjährung
[19] Auch wenn man dem Verjährungseinwand der Beklagten Rechnung tragen wollte – zur Reichweite des Verjährungsverzichts wird hier jedoch nicht abschließend Stellung genommen –, könnten die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nur teilweise, nämlich bis Februar 2017 (Klagseinbringung 18. 2. 2020), davon erfasst sein. Das gesteht auch die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zu.
[20] Die Einführung des § 256a Stmk L-DBR idF der Novelle LGBl 2018/17 hat zu keiner rückwirkenden Änderung des von der Klägerin bekämpften § 256 Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74 geführt. § 256a leg cit trat am 1. 3. 2018 ohne Rückwirkungsanordnung in Kraft (§ 306 Abs 26 Stmk L-DBR idF LGBl 2018/17). Nach der Übergangsbestimmung des § 294a Abs 3 Stmk L-DBR idF LGBl 2018/17 erfolgt die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags gemäß § 256a Abs 1 Z 3 nach ordnungsgemäßer Mitteilung und Nachweis mit Wirksamkeit des nächstfolgenden Monatsersten. Ergibt die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags eine Verbesserung der besoldungsrechtlichen Stellung, wird der/die Vertragsbedienstete in jene Entlohnungsstufe übergeleitet, die sich aus der Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags ergibt (§ 294a Abs 4 Stmk L-DBR idF LGBl 2018/17). Eine Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags wurde auch für die Klägerin vorgenommen.
[21] Damit verbleiben in jedem Fall unverjährte Ansprüche der Klägerin, deren Berechtigung nach Maßgabe des § 256 Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74 zu beurteilen ist. Es ist daher auf die in der Revision aufgeworfenen Fragen einer Primärrechtswidrigkeit der Norm und einer verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung einzugehen.
[22] 3. Gesetzeslage
[23] Die hier maßgebliche Bestimmung des § 256 Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74 lautet:
„(1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass Zeiten nach dem 30. Juni des Jahres, in dem nach der Aufnahme in die erste Schulstufe neun Schuljahre absolviert worden sind oder worden wären, unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs. 12 bis 15 dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:
1. die in Abs. 3 angeführten Zeiten zur Gänze
2. sonstige Zeiten, die
a) die Erfordernisse des Abs. 10 erfüllen, zur Gänze,
b) die Erfordernisse des Abs. 10 oder 11 nicht erfüllen,
aa) bis zu drei Jahren zur Gänze und
bb) bis zu weiteren drei Jahren zur Hälfte.
(2) Das Ausmaß der gemäß Abs. 1 Z 2 lit. b sublit. aa und Abs. 3 Z 6 vorangesetzten Zeiten und der gemäß Abs. 3 Z 4 lit. d vorangesetzten Lehrzeiten darf insgesamt drei Jahre nicht übersteigen. Wurde jedoch
1. eine Ausbildung gemäß Abs. 3 Z 6 abgeschlossen, die auf Grund der jeweiligen schulrechtlichen Vorschriften mehr als zwölf Schulstufen erforderte, so verlängert sich dieser Zeitraum um ein Jahr für jede über zwölf hinausgehende Schulstufe;
2. eine Lehre gemäß Abs. 3 Z 4 lit. d abgeschlossen, die auf Grund der jeweiligen Vorschriften eine Lehrzeit von mehr als 36 Monate erforderte, so verlängert sich dieser Zeitraum um einen Monat für jeden über 36 Monate hinausgehenden Monat der Lehrzeit.
(3) Gemäß Abs. 1 Z 1 sind voranzusetzen:
1. die Zeit, die
a) in einem Dienstverhältnis
aa) zu einer inländischen Gebietskörperschaft oder zu einem inländischen Gemeindeverband oder
bb) bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H. oder
b) im Lehrberuf
aa) an einer inländischen öffentlichen Schule, Universität oder Hochschule oder
bb) an der Akademie der bildenden Künste oder
cc) an einer mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten inländischen Privatschule
dd) an einer Pädagogischen Hochschule oder Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik Wien zurückgelegt worden ist, ...
…
(9) Soweit Abs. 3 die Berücksichtigung von Dienstzeiten oder Zeiten im Lehrberuf von der Zurücklegung bei einer inländischen Gebietskörperschaft, einer inländischen Schule oder sonst genannten inländischen Einrichtung abhängig macht, sind diese Zeiten auch dann zur Gänze für den Vorrückungsstichtag zu berücksichtigen, wenn sie
1. bei einer vergleichbaren Einrichtung eines Staates zurückgelegt worden sind, der oder dessen Rechtsnachfolger nunmehr Mitgliedsstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Europäischen Union ist;
2. nach dem 31. Dezember 1979 bei einer vergleichbaren Einrichtung des Staates zurückgelegt worden sind, mit dem das Assoziierungsabkommen vom 29. Dezember 1964, Zl. 1229/1964 abgeschlossen worden ist,
3. bei einer vergleichbaren Einrichtung der Schweiz (Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, BGBl. III Nr. 133/2002) zurückgelegt worden sind oder
4. bei einer Einrichtung der Europäischen Union oder bei einer sonstigen Einrichtung, der Österreich angehört, zurückgelegt worden sind.
(10) Zeiten, gemäß Abs. 1 Z 2, in denen der Beamte/die Beamtin eine Tätigkeit ausgeübt oder ein Studium betrieben hat, können im öffentlichen Interesse insoweit zur Gänze berücksichtigt werden, als die Tätigkeit oder das Studium für die erfolgreiche Verwendung des Beamten/der Beamtin von besonderer Bedeutung ist.
(11) Zeiten gemäß Abs. 10 sind jedenfalls zur Gänze zu berücksichtigen,
1. soweit sie bereits im unmittelbar vorangegangenen Landesdienstverhältnis nach Abs. 10 oder nach einer gleichartigen Bestimmung einer anderen Rechtsvorschrift zur Gänze berücksichtigt worden sind und
2. der Beamte/die Beamtin des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses nach wie vor die hierfür maßgebende Verwendung ausübt.
...“
[24] 4. Zur Primärrechtswidrigkeit
[25] Zur Frage der Primärrechtswidrigkeit der Bestimmung wegen eines möglichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist auf die Rechtsprechung zu verweisen, dass mangels eines grenzüberschreitenden Sachverhalts der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet ist (s schon 8 ObA 34/17h mwN, 8 ObA 8/17k; VwGH 27. 5. 2019 Ra 2017/12/0047 Pkt 17; 9 ObA 64/19f, 9 ObA 65/19f; jüngst 9 ObA 111/20v). Das ist auch hier nicht der Fall (nicht berücksichtigte facheinschlägige Vordienstzeiten der Klägerin im Krankenhaus ***** B*****).
[26] Die weitere Ausführung, „dass für den Fall des Verlangens eines grenzüberscheitenden Sachverhalts und der damit einhergehenden Inländerdiskriminierung gegen den Grundsatz der Unionsbürgerschaft verstoßen wird“, enthält keine ausreichenden Erwägungen zu letzterem und lässt folglich keinen Gewinn für den Standpunkt der Klägerin erkennen.
[27] 5. Zur Inländerdiskriminierung
[28] 5.1. Der Oberste Gerichtshof hat im Hinblick auf eine mögliche Inländerdiskriminierung jüngst zu § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk L-DBR in der Vorläuferfassung LGBl 2003/29 einen Aufhebungsantrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt (9 ObA 111/20v).
[29] Jene Fassung des § 256 Stmk L-DBR lautete auszugsweise wie folgt:
„(1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass unter Ausschluss der vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten und unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs. 4 bis 8 dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:
1. die im Abs. 2 angeführten Zeiten zur Gänze,
2. sonstige Zeiten,
a) die die Erfordernisse des Abs. 3 erfüllen, zur Gänze,
b) die die Erfordernisse des Abs. 3 nicht erfüllen, soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, zur Hälfte.
(2) Gemäß Abs. 1 Z 1 sind voranzusetzen:
1. die Zeit, die
a) in einem Dienstverhältnis
aa) zu einer inländischen Gebietskörperschaft oder
bb) bei der Steiermärkischen Krankenanstalten-gesellschaft m.b.H. oder
b) im Lehrberuf
aa) an einer inländischen öffentlichen Schule, Universität oder Hochschule oder
bb) an der Akademie der bildenden Künste oder
cc) an einer mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten inländischen Privatschule
zurückgelegt worden ist;
…
(3) Die Anrechnung eines Studiums gemäß Abs. 2 Z 8 umfasst bei Studien, auf die das allgemeine Hochschul-Studiengesetz, BGBl. Nr. 177/1966, und die nach ihm erlassenen besonderen Studiengesetze
1. anzuwenden sind, höchstens die in den Studiengesetzen und Studienordnungen für den betreffenden Studienzweig vorgesehene Studiendauer,
2. nicht anzuwenden sind, höchstens das in der Anlage festgesetzte Höchstausmaß.
…
(5) Soweit Abs. 2 die Berücksichtigung von Dienstzeiten oder Zeiten im Lehrberuf von der Zurücklegung bei einer inländischen Gebietskörperschaft, einer inländischen Schule oder sonst genannten inländischen Einrichtung abhängig macht, sind diese Zeiten auch dann zur Gänze für den Vorrückungsstichtag zu berücksichtigen, wenn sie
1. nach dem 7. November 1968 bei einer vergleichbaren Einrichtung eines Staates zurückgelegt worden sind, der oder dessen Rechtsnachfolger nunmehr Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes ist, oder
2. nach dem 31. Dezember 1979 bei einer vergleichbaren Einrichtung des Staates zurückgelegt worden sind, mit dem das Assoziierungsabkommen vom 29. 12. 1964, 1229/1964, abgeschlossen worden ist.
...“
[30] 5.2. Zu den weiteren gesetzlichen Grundlagen wurde ausgeführt:
„1.4. Mit der Dienstrechts-Novelle 2018 LGBl 2018/17 wurden auch für Vertragsbedienstete des Entlohnungsschemas SII/Gesundheitsberufe der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH facheinschlägige Zeiten (Erläuterungen zu LGBl 2018/17, Seite 2) bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags berücksichtigt. Die seit 1. 3. 2018 in Kraft stehende Bestimmung des § 256a Stmk L-DBR lautet auszugsweise wie folgt:
'(1) Abweichend von § 256 ist bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtages zu berücksichtigen: ...
3. für Vertragsbedienstete des Entlohnungsschemas SII/Gesundheitsberufe die Zeit, einer einschlägigen Verwendung in einem Dienstverhältnis, die
a) bei der Steiermärkischen Krankenanstalten-gesellschaft m.b.H.
b) bei einer Gebietskörperschaft im Inland oder in einem EU Mitgliedstaat und/oder
c) bei einer vergleichbaren privaten stationären, extramuralen oder ambulanten Einrichtung im Inland oder in einem EU Mitgliedstaat
jeweils bis zum Ausmaß von zehn Jahren zurückgelegt worden ist.'
§ 294a Abs 3 Stmk L-DBR sieht vor, dass die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags gemäß § 256a Abs 1 Z 3 Stmk L-DBR nach ordnungsgemäßer Mitteilung und Nachweis mit Wirksamkeit des nächstfolgenden Monatsersten erfolgt.“
[31] 5.3. Zur Frage der Verfassungswidrigkeit des § 256 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/74 wegen möglicher Inländerdiskriminierung wurde in der Entscheidung 9 ObA 111/20v Folgendes erwogen:
„4. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken:
4.1. Gemäß § 62 Abs 1 VfGG hat der Antrag die gegen die Verfassungsmäßigkeit sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art – präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (VfGH 12. 6. 2019 G 34/2019 Pkt II.2.1. mwN).
4.2. Unionsrechtliche Vorfrage
4.2.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Regelung, wonach bei österreichischen Gebietskörperschaften zurückgelegte Vordienstzeiten zur Gänze angerechnet werden, aber eine Anrechnung von bei anderen Arbeitgebern zurückgelegten einschlägigen Vordienstzeiten ausgeschlossen ist, geeignet, Wanderarbeitnehmer, die bei anderen Arbeitgebern eine einschlägige Berufserfahrung erworben haben oder gerade erwerben, davon abzuhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (EuGH 5. 12. 2013 Rs C-514/12, Salzburger Landeskliniken, Rz 28, 35; 8. 5. 2019 C-24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rz 82, 92).
4.2.2. Nach den im gegenständlichen Fall anzuwendenden Bestimmungen sind die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH zurückgelegte Vordienstzeiten zur Gänze anrechenbar (§ 256 Abs 2 Z 1 lit a) sublit aa) und bb) iVm Abs 1 Z 1 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29). Soweit § 256 Abs 2 leg cit die Berücksichtigung von Dienstzeiten oder Zeiten im Lehrberuf von der Zurücklegung bei einer inländischen Gebietskörperschaft, einer inländischen Schule oder sonst genannten inländischen Einrichtung abhängig macht, sind diese Zeiten auch dann zur Gänze für den Vorrückungsstichtag zu berücksichtigen, wenn sie 1. dem 7. 11. 1968 bei einer vergleichbaren Einrichtung eines Staats zurückgelegt worden sind, der oder dessen Rechtsnachfolger nunmehr Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums ist, oder 2. nach dem 31. 12. 1979 bei einer vergleichbaren Einrichtung des Staats zurückgelegt worden sind, mit dem das Assoziierungsabkommen vom 29. 12. 1964, 1229/1964, abgeschlossen worden ist (§ 256 Abs 5 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29). Sonstige Zeiten, die die Erfordernisse des Abs 3 nicht erfüllen – das sind die vom Anfechtungsumfang betroffenen Vordienstzeiten – sind hingegen, soweit sie insgesamt drei Jahre nicht übersteigen, nur zur Hälfte anrechenbar. Zeiten gemäß § 256 Abs 2 Z 1 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29, in denen der Beamte eine Tätigkeit ausgeübt oder ein Studium betrieben hat, können zwar zur Gänze berücksichtigt werden, aber nur insoweit, als die Tätigkeit oder das Studium für die erfolgreiche Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung ist (§ 256 Abs 6 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29). Auf diese Bestimmung stützt die Klägerin die begehrte Anrechnung ihrer Vordienstzeiten nicht.
4.2.3. Diese Beschränkungen gelten auch dann, wenn die Arbeitnehmer – wie hier ... – gleichartige oder identische (und nicht bloß 'schlicht nützliche') Vordienstzeiten aufzuweisen haben. Sie können Wanderarbeitnehmer daher davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Da dafür auch keine sachliche Rechtfertigung vorliegt (und die Beklagte auch keine Rechtfertigungsgründe vorgebracht hat) verstoßen sie gegen Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl EuGH 5. 12. 2013 C-514/12, Salk; EuGH 10. 10. 2019 C-703/17, Adelheid Krah/Universität Wien; EuGH 8. 5. 2019 C-24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund; vgl auch 9 ObA 40/20b Pkt 3, 4).
4.2.3. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sind diese Beschränkungen daher nicht anzuwenden, sodass Wanderarbeitnehmern im Ergebnis gleichartige oder identische Vordienstzeiten jedenfalls zur Gänze anzurechnen sind, unabhängig davon, bei welchen Arbeitgebern diese Vordienstzeiten zurückgelegt wurden.
4.3. Anwendungsbereich des Unionsrechts:
Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts setzt jedoch voraus, dass sich der betroffene Arbeitnehmer auf das Unionsrecht berufen kann. Mangels grenzüberschreitenden Sachverhalts ist der Anwendungsbereich des Unionsrechts dann nicht eröffnet, wenn es um die Anrechnung von in Österreich zurückgelegten Vordienstzeiten inländischer Arbeitnehmer geht (9 ObA 64/19f Pkt 5.3. vom 17. 12. 2019 unter Bezugnahme auf 8 ObA 34/17h Pkt 4.2.; 8 ObA 8/17k Pkt 4.; VwGH 27. 5. 2019 Ra 2017/12/0047 Pkt 17). Solche Arbeitnehmer – wie hier die Klägerin – können sich auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts daher nicht berufen.
4.4. Inländerdiskriminierung:
4.4.1. Der Umstand, dass sich ein Inländer nicht unmittelbar auf Art 45 AEUV berufen kann, schließt allerdings nicht aus, dass der allfällige Verstoß einer nationalen Regelung gegen das Primärrecht in diesem Fall als Vorfrage für die nach nationalem (Verfassungs-)Recht zu beurteilende Frage zu prüfen ist, ob ein Inländer durch die weitere Anwendung der nationalen Regelung faktisch schlechter behandelt werden darf als ein EU-Ausländer, der sich auf die Nichtanwendbarkeit berufen kann (4 Ob 145/14y Pkt 4.1. ff; vgl 4 Ob 200/14m Pkt 4.4.; 9 ObA 64/19f Pkt 5.4.1. vom 17. 12. 2019; 9 ObA 65/19b Pkt 5.4.1. vom 17. 12. 2019).
4.4.2. Im vorliegenden Fall führt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts dazu, dass in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug (Wander-)Arbeitnehmern sämtliche einschlägige Vordienstzeiten zur Gänze und ohne quantitative (§ 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29) oder formale (§ 256 Abs 6 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29) Einschränkung anzurechnen waren; inländischen Arbeitnehmern wurden demgegenüber die genannten Einschränkungen aufgebürdet. Aus diesem Grund scheint § 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29 Sachverhalte ohne Unionsbezug im Verhältnis zu jenen mit einem solchen Bezug zu diskriminieren.
4.4.3. Nach österreichischem Verfassungsrecht kann der Gesetzgeber zwar zwischen Zeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt wurden, einerseits und sonstigen Zeiten andererseits unterscheiden (VfGH 18. 6. 2010 B 1427/08 Pkt 3.2., VfSlg 19.110). Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn bestimmten Arbeitnehmern aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts solche sonstigen Zeiten unterschiedslos anzurechnen sind. Eine solche Inländerdiskriminierung wird nach ständiger Rechtsprechung des VfGH am Gleichheitssatz gemessen und bedarf daher einer sachlichen Rechtfertigung, und zwar selbst dann, wenn – wie hier – erst der Anwendungsvorrang des Unionsrechts die Differenzierung zwischen Binnen- und Unionssachverhalten erkennen lässt (VfGH 1. 3. 2004 G 110/03 Pkt II.2.1. ff, VfSlg 17.150).
4.4.4. Im österreichischen Recht widerspricht es im Regelfall dem Gleichheitsgrundsatz, österreichische Staatsbürger gegenüber Ausländern ohne sachliche Rechtfertigung zu benachteiligen (VfGH 7. 10. 1997 V 76/97 und V 92/97, Pkt II.3.c) bb), VfSlg 14.963). Wenn es dabei auch nicht um Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft geht, sondern um die Benachteiligung rein innerstaatlicher Sachverhalte gegenüber Sachverhalten mit Unionsbezug, so sind inländische Staatsbürger davon doch meist besonders betroffen (VfGH 1. 3. 2004 G 110/03 Pkt II.2.1., VfSlg 17.150). Darüber hinaus werden auch österreichische Staatsbürger untereinander ungleich behandelt, nämlich Wanderarbeitnehmer mit österreichischer Staatsbürgerschaft (die etwa im Ausland Vordienstzeiten erworben haben, die sie nach Unionsrecht angerechnet erhalten) im Vergleich zu sonstigen österreichischen Arbeitnehmern, bei denen kein Auslandsbezug vorliegt.
4.5. Sachliche Rechtfertigung:
Eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung ist nicht zu erkennen. Dies gilt sowohl für die quantitative Begrenzung der Anrechnung (§ 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29) als auch für die im Ermessen der Beklagten stehende Anrechnung von Vordienstzeiten unter der im Vergleich zur Anrechnung von Zeiten nach § 256 Abs 2 Z 1 lit a) sublit aa) und bb) Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29 strengeren Voraussetzung, dass diese Tätigkeit für die erfolgreiche Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung sein muss (§ 256 Abs 6 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29) (vgl EuGH 30. 11. 2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst, C-195/98, Rn 44). Wie bereits erwähnt, stützt die Klägerin die begehrte Anrechnung ihrer Vordienstzeiten aber nicht auf § 256 Abs 6 Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29, weshalb diese Bestimmung mangels Präjudizialität nicht an den VfGH zur Prüfung herangetragen wird.
4.6. Aus den dargelegten Gründen hegt der Senat Bedenken gegen die Anwendung der antragsgegenständlichen Bestimmung wegen Verstoßes gegen Art 7 B-VG und Art 2 StGG, sodass er gemäß Art 89 iVm Art 140 B-VG einen Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim VfGH zu stellen hat (vgl RS0053977).
5. Antrag:
5.1. Da im gegenständlichen Verfahren § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk L-DBR idF LGBl 2003/29 präjudiziell ist, diese Bestimmung aber aus den oben dargelegten Gründen unionsrechtswidrig und verfassungswidrig erscheint, soweit vergleichbare Vordienstzeiten bei anderen Dienstgebern als einer inländischen Gebietskörperschaft oder der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH erworben wurden, diese Zeiten aber, soweit sie drei Jahre übersteigen, nur bis zur Hälfte angerechnet werden, war mit dem vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Bestimmung an den VfGH heranzutragen.
5.2. Wird dem Hauptantrag stattgegeben, verbleibt in § 256 Abs 1 Z 2 lit b) Stmk L-DBR der Satzteil 'die die Erfordernisse des Abs 3 nicht erfüllen'. Zu dem mit dem Unions- und Verfassungsrecht in Einklang stehenden Ergebnis gelangt man dann durch ergänzende Auslegung des verbleibenden Teils der Bestimmung dahin, dass die die Erfordernisse des § 256 Abs 3 Stmk L-DBR nicht erfüllenden sonstigen Zeiten zur Gänze anzurechnen sind. Dieses Ergebnis wird auch durch Stattgabe des Eventualantrags erreicht.“
[32] 6. Da die gleichen Erwägungen auch für die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des § 256 Abs 1 Z 2 lit b Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74 und die bezughabende Wendung „Abs 1 Z 2 lit b sublit aa“ in Abs 2 S 1 Stmk L-DBR idF LGBl 2011/74 gelten, ist der aus dem Spruch ersichtliche Antrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Bei Aufhebung der genannten Wortfolgen entfallen die quantitativen Beschränkungen der anrechenbaren Zeiten.
[33] Die zeitliche Beschränkung anrechenbarer Zeiten nach § 256a Stmk L-DBR idF LGBl 2018/17 ist nicht revisionsgegenständlich.
[34] 7. Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf § 62 Abs 3 VfGG.
Textnummer
E131866European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00029.21M.0429.000Im RIS seit
16.06.2021Zuletzt aktualisiert am
16.06.2021