Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, sowie die Hofrätinnen und Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny, Dr. Faber und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch die Pallauf, Meißnitzer, Staindl & Partner, Rechtsanwälte (OG) in Zell am See, gegen die beklagten Parteien 1. E*****, 2. E*****, vertreten durch die Mag. Friedrich Kühleitner Mag. Franz Lochbichler Rechtsanwälte – Strafverteidiger OG in Schwarzach, wegen Wiederherstellung, Unterlassung und Feststellung, über die Revision und den Rekurs der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 13. November 2020, GZ 53 R 147/20d-23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 27. Juli 2020, GZ 18 C 1105/19x-19, teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Dem Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist seit 2015 Eigentümer eines Grundstücks, auf dem ein Einfamilienhaus aus den späten 1970er-Jahren steht. Auf der Südseite seines Hauses errichtete der Kläger ohne Baubewilligung eine Terrasse, die bis zur Grundstücksgrenze reicht.
[2] Die Beklagten sind Hälfteeigentümer des im Süden unmittelbar angrenzenden Grundstücks. Gemäß der in einem Bauplatzbewilligungsbescheid aus 1978 enthaltenen Auflage dient es dem öffentlichen Verkehr als Aufschließungsstraße für mehrere Parzellen.
[3] Zwischen der Terrasse des Klägers und der Straße liegt – großteils auf dem Grundstück der Beklagten – eine Böschung aus autochthonem Material und aufgebrachten Bauschuttmassen, die zum Grundstück der Beklagten hin abfällt.
[4] Die Bezirkshauptmannschaft forderte im Jahr 2018 zunächst den Rechtsvorgänger der Beklagten und nach Schenkung des Grundstücks diese mit Bescheid auf, die im Bauplatzbewilligungsbescheid vorgeschriebene Straßenbreite von 6 m herzustellen. Die Beklagten entfernten daraufhin den Bewuchs und trugen die Böschung ohne Hilfe von Fachleuten händisch ab. Dadurch erhöhte sich die Böschungsneigung auf bis zu 90°, wurde der Terrasse des Klägers die Stütze entzogen und wurden Setzungen der Terrasse ausgelöst. Jedenfalls beim westlichen Teil der Terrasse, möglicherweise aber über ihre gesamte Breite müssen Sicherungsmaßnahmen gesetzt werden, um eine Destabilisierung zu verhindern. Mit künftigen Schäden an der Terrasse ist zu rechnen.
[5] Die Breite der Aufschließungsstraße liegt auch nach der Abgrabung unter 6 m.
[6] Der Kläger begehrt die Wiederherstellung der Hangstütze beispielsweise durch eine Stützmauer, die Unterlassung künftiger Veränderungen des natürlichen Hangverlaufs, wenn damit eine Gefährdung seines Grundstücks einhergeht, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus der Abgrabung. Seine Terrasse und seine 40 cm hohe Gartenmauer hätten dem Stand der Technik entsprochen und keiner Genehmigungen bedurft. Die behördlich angeordnete Straßenverbreiterung werde durch die unsachgemäße Abgrabung der Beklagten nicht verwirklicht.
[7] Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, die Abtragung habe keine Gefahr für das Grundstück des Klägers verursacht. Der Kläger oder seine Rechtsvorgänger hätten die Böschung selbst aufgeschüttet. Seine Terrasse und Gartenmauer entsprächen nicht dem Stand der Technik; außerdem wären sie bewilligungspflichtig gewesen. Da die Abgrabung auf einem behördlichen Auftrag beruhe, könne sie als genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB nicht untersagt werden. Bauplatzwerber und damit Adressaten des Bescheids aus 1978 seien die Rechtsvorgänger (auch) des Klägers gewesen.
[8] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Beklagten hätten ihr Grundstück vertieft und dem Grundstück des Klägers die Stütze entzogen, sodass dieser nach § 364b ABGB Wiederherstellung und Unterlassung fordern könne. Da die Beklagten die Arbeiten trotz fehlender Fachkenntnis selbst vorgenommen haben, würden sie dem Kläger überdies für Schäden haften.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte die Stattgebung der Unterlassungs- und Feststellungsbegehren mit Teilurteil. Hinsichtlich des Wiederherstellungsbegehrens hob es die erstgerichtliche Entscheidung auf, weil aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt weder beurteilt werden könne, ob die Abgrabungen der Beklagten über die gesamte Grundstücksbreite, nur im Bereich der Terrasse oder nur in einem Teilbereich der Terrasse zum Verlust der Hangstütze führten noch ob die Bauwerke auf dem Grundstück des Klägers überhaupt einer Bewilligung bedurft hätten. Es ließ die ordentliche Revision und den Rekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob das Fehlen einer Baubewilligung einem Anspruch nach § 364b ABGB entgegenstehen könne und ob nicht nur Vertiefungen, sondern auch Abgrabungen, die nur dem Boden die erforderliche Stütze entziehen, einen solchen Anspruch begründen könnten.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die von den Beklagten erhobene und vom Kläger beantwortete Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, der vom Kläger beantwortete Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
[11] 1. Das Rechtsmittel der Beklagten ist nur als ordentliche Revision bezeichnet, zielt aber auf die Abweisung der gesamten Klage ab. Die Beklagten vertreten insbesondere auch die Ansicht, dass statt einer Zurückverweisung zum Wiederherstellungsbegehren bereits dessen Abweisung geboten gewesen wäre. Tatsächlich sind daher eine Revision und ein Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu behandeln.
[12] Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch der Rekurs rechtzeitig, weil gemäß § 521 Abs 1 ZPO für einen Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO eine vierwöchige Frist gilt.
[13] 2. Zur Revision
[14] Offenbar in Zusammenhang mit den Unterlassungs- und Feststellungsbegehren nannte das Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung für die Revision die Rechtsfrage, ob auch die Abgrabung eines Hanges, die nur dem Boden selbst auf dem Nachbargrundstück die Stütze entzieht, eine Vertiefung iSd § 364b ABGB sein könne. Diese Frage wird im Rechtsmittel der Beklagten nicht mehr aufgegriffen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht in diesem Punkt im Übrigen der bereits dazu ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 364b Rz 2 [Stand 1. 7. 2016, rdb.at] unter Hinweis auf 1 Ob 620/94).
[15] Damit ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
[16] 3. Zum Rekurs
[17] 3.1. Dagegen ist der Rekurs gegen die Aufhebung der Rechtssache im Hinblick auf das Wiederherstellungsbegehren zulässig, weil keine höchstgerichtliche Entscheidung vorliegt, ob das völlige Fehlen einer Baubewilligung einen Anspruch nach § 364b ABGB ausschließt.
[18] 3.1.1. Das Berufungsgericht ging aufgrund des Vorbringens der Beklagten davon aus, dass die Terrassenfläche und die Gartenmauer des Klägers nicht bewilligungspflichtig seien. Die in der Berufung geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel zur Höhe der Terrasse und der Milchglaselemente verneinte es wegen eines Verstoßes gegen das Neuerungsverbot.
[19] Die Beklagten rügen die sekundären Feststellungsmängel zur Bewilligungspflicht im Rekurs erneut. Tatsächlich erstatteten sie in erster Instanz konkretes Vorbringen, dass die Terrasse über 1,5 m über dem natürlichen Straßenniveau unmittelbar an der Grundgrenze errichtet worden und deshalb bewilligungspflichtig sei. Ohne entsprechende sekundäre Feststellungsmängel würde sich im Übrigen die vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung angeführte Rechtsfrage auch gar nicht stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Aufhebung „zur Verbreitung der Entscheidungsgrundlage“ sehr wohl auch in Zusammenhang mit der Bewilligungspflicht erfolgte.
[20] 3.1.2. § 364b ABGB verbietet Baumaßnahmen im Bereich bzw unter der Erdoberfläche auf dem eigenen Grundstück auf eine Weise, dass dem Nachbargrund dadurch die Stütze entzogen wird. Aus der Bestimmung resultiert ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch gegen den Nachbarn, auf den in analoger Anwendung des § 364a ABGB die Bestimmung des § 1323 ABGB über die Naturalrestitution anzuwenden ist (RS0053282).
[21] Verstöße des Geschädigten gegen Verwaltungsnormen können daher nach den allgemeinen Grundsätzen, zB bei der Adäquanzprüfung, in Form von Mitverschulden, oder bei der Prüfung der (rechtlichen) Möglichkeit einer Wiederherstellung berücksichtigt werden. So hat der Oberste Gerichtshof etwa klargestellt, dass der Eigentümer einer verwaltungsbehördlich nicht genehmigungsfähigen Tankanlage keinen entgangenen Gewinn fordern kann, wenn seine Anlage beschädigt wird. Konnte der Geschädigte vor dem schädigenden Ereignis einen Vermögensvorteil nur durch rechtswidriges Verhalten erzielen, so kann er die durch die entfallene Möglichkeit eines fortgesetzten, auch durch eine nachträgliche verwaltungsbehördliche Genehmigung nicht sanierbar rechtswidrigen Verhaltens eingetretene Vermögenseinbuße, die den Entgang eines Gewinns bewirkte, nicht auf einen Dritten überwälzen (1 Ob 114/01y zu entgangenem Gewinn wegen Beschädigung einer nicht genehmigungsfähigen Tankanlage).
[22] 3.1.3. Dagegen ist eine Haftung nach §§ 364b iVm 364a ABGB für Substanzschäden am Gebäude nach der jüngeren Rechtsprechung nur dann ausgeschlossen, wenn die Schäden am Gebäude auch auf Baugebrechen zurückzuführen sind, die schon als solche, also unabhängig von der Einwirkung vom Nachbargrund, wegen der Gefährdung von Personen oder Sachen zu einem Einschreiten der Baubehörde führen müssten (2 Ob 1/19i [ErwGr 3.4.]). In diesem Fall können Schäden, die (auch) auf einer Einwirkung vom Nachbargrund beruhen, nämlich nicht mehr als typische und damit kalkulierbare Folge dieser Einwirkung angesehen werden; die Adäquanz der Schadensverursachung ist zu verneinen (2 Ob 1/19i [Pkt 3.3.] zu einer Haftung nach § 364a ABGB).
[23] Eine bloße Konsenswidrigkeit des Gebäudes schließt einen Ersatzanspruch somit nicht aus, weil mit solchen Mängeln schon nach allgemeiner Lebenserfahrung zu rechnen ist. Würde man auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen regionalen Bauordnungen abstellen, führte dies zum Ergebnis, dass die Ersatzpflicht nach §§ 364b iVm 364a ABGB je nach Bundesland unterschiedlich zu beurteilen wäre (2 Ob 1/19i [Pkt 3.3.] zu einer Haftung nach § 364a ABGB).
[24] 3.1.4. Dass die Schäden an der Terrasse des Klägers auf Baugebrechen zurückzuführen wären, die schon als solche, also unabhängig von der Einwirkung vom Nachbargrund, wegen der Gefährdung von Personen oder Sachen zu einem Einschreiten der Baubehörde führen müssten, haben die Beklagten nicht einmal behauptet. Weitere Feststellungen zur Bewilligungspflicht sind daher entbehrlich; eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage ist nur noch zum Umfang der nötigen Wiederherstellungsmaßnahmen erforderlich.
[25] 3.2. Entgegen der Argumentation im Rekurs unterlief dem Berufungsgericht auch kein Fehler bei der Beurteilung der Beweislastverteilung. Vielmehr hob es das Ersturteil hinsichtlich des Wiederherstellungsbegehrens ja gerade deswegen auf, weil die nicht ausreichend präzisen Feststellungen aufgrund der Beweislast des Klägers keine Klagsstattgebung für die gesamte Grundstücksbreite oder die gesamte Terrasse tragen können.
3.3. Schließlich kann auch die Bezugnahme der Beklagten auf § 364a ABGB der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Der Bauplatzbewilligungsbescheid aus 1978 enthält nur die Auflage, eine Aufschließungsstraße in bestimmter Breite herzustellen. Der Bescheid aus 2018 trug den Beklagten auf, diese Auflage zu erfüllen. Keiner der Bescheide verpflichtete oder berechtigte die Beklagten, die konkreten – noch dazu unsachgemäßen – Grabungsarbeiten durchzuführen. Schon aus diesem Grund kann es sich bei der Abgrabung des Hangs um keine behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB handeln (vgl 1 Ob 239/14z).
Darüber hinaus lässt das Wiederherstellungsbegehren des Klägers den Beklagten die Wahl, in welcher Form sie die Hangstütze wiederherstellen. Eine Wiederaufschüttung der Böschung, die einer Verbreiterung der Straße hinderlich sein könnte, begehrte der Kläger nicht.
4. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
Textnummer
E131876European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00008.21A.0512.000Im RIS seit
16.06.2021Zuletzt aktualisiert am
27.10.2021