TE OGH 2021/5/19 17Ob5/21s

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Veröffentlicht am 19.05.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch die Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** G*****, und 2. L***** T*****, beide vertreten durch Dr. Maximilian Schludermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 145.056,90 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse hinsichtlich der erstbeklagten Partei 129.881,20 EUR, hinsichtlich der zweitbeklagten Partei 145.065,90 EUR) und der erstbeklagten Partei (Revisionsinteresse 15.184,70 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 1. Dezember 2020, GZ 1 R 87/20a-77, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. März 2020, GZ 62 Cg 36/15d-71, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.740,27 EUR (hierin enthalten 465,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Erstbeklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (hierin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin, eine große Versicherungsanstalt, vermietete am 25. 9. 2013 einer GmbH (erneut) ein Geschäftslokal, in dem diese eine Modeboutique betrieb. Ab Ende 2013 zahlte die GmbH keine Miete mehr.

[2]          Der Erstbeklagte war Alleingeschäftsführer der GmbH. Er kümmerte sich um die Buchhaltung und die Administration der Mitarbeiter (Einstellung, Dienstpläne, Urlaube). Die GmbH war bereits zum 31. 12. 2012 zahlungsunfähig, was bei ordnungsgemäßer Buchführung erkennbar gewesen wäre.

[3]            Die Zweitbeklagte war bei der GmbH teilzeitbeschäftigt. Sie ist die Mutter der im Ausland lebenden und in die Geschäftstätigkeit nicht involvierten Alleingesellschafterin der GmbH. Die in der Modebranche erfahrene Zweitbeklagte war für die GmbH vor allem im Einkauf bei Lieferanten in Frankreich tätig. Teilweise streckte sie dabei Zahlungen der GmbH mit eigenem Geld vor. Fallweise half sie als Verkäuferin aus oder beriet bei der Schaufensterdekoration. Ein paar Mal war sie auch bei einem Vorstellungsgespräch dabei. In finanzielle Belange hatte sie – abseits der genannten Punkte – keinen Einblick. Nachdem im Frühjahr 2013 in das Geschäftslokal eingebrochen und fast die gesamte Ware gestohlen worden war, handelte sie mit den französischen Lieferanten eine spätere Fälligkeit aus. Um die anderen Belange im Zusammenhang mit dem Diebstahl kümmerte sich der Erstbeklagte, der später auch den Mietvertrag vom 25. 9. 2013 unterfertigte und mit der Klägerin bei Vertragsabschluss zugleich eine Fristverlängerung für den Erlag der Kaution aushandelte.

[4]       Bei zwei im Jahr 2014 zwischen der Klägerin und der GmbH geführten Gesprächen nahm auf Seiten der GmbH neben dem Erstbeklagten auch die Zweitbeklagte teil. In den Gesprächen ging es um den Abbau des Mietzinsrückstandes und den Erlag der vereinbarten Kaution. Es wurde auch vorgeschlagen, dass das Mietobjekt zurückgestellt wird, was die Zweitbeklagte vehement ablehnte. Bei diesen zwei Terminen trat der Erstbeklagte eher passiv, ruhig und bedächtig auf und sprach wenig, während die Zweitbeklagte das Wort führte, deutlich emotionaler agierte und argumentierte, dass die Miete zu hoch sei, und um eine Minderung der Kaution ersuchte. Beide Termine gingen letztlich ergebnislos zu Ende.

[5]       Über Antrag der GmbH vom Vortag wurde am 11. 3. 2015 über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Es wurde am 5. 5. 2017 wegen Masseunzulänglichkeit nach Verteilung an die Massegläubiger gemäß §§ 123a iVm 124a IO aufgehoben.

[6]          Am 11. 5. 2016 wurde über das Vermögen des Erstbeklagten das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Am 7. 12. 2016 wurde ein Zahlungsplan angenommen. Die Rechtskraft der Bestätigung des Zahlungsplans wurde am 3. 1. 2017 in der Insolvenzdatei bekannt gemacht. Die Klägerin meldete im Schuldenregulierungsverfahren des Erstbeklagten ihre Schadenersatzforderung nicht an.

[7]       Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz des ihr durch unterlassene Insolvenzantragstellung verursachten, näher aufgeschlüsselten Vertrauensschadens in Höhe von 145.065,90 EUR (Mietzinse bis zur Insolvenzeröffnung samt Zinsen und Kosten, eine wegen Masseunzulänglichkeit unbeglichene Massemietzins-forderung). Der Erstbeklagte habe seine Verpflichtung als Geschäftsführer zur rechtzeitigen Beantragung der Insolvenzeröffnung nach § 69 IO verletzt. Wäre er seiner Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung nachgekommen, hätte die Klägerin durch Vermietung an Dritte Mietzinse in der mit der GmbH vereinbarten Höhe lukriert. Der Erstbeklagte habe der Klägerin die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über sein Vermögen verschwiegen; nur aus seinem Verschulden habe die Klägerin ihre Forderungen im Schuldenregulierungsverfahren nicht angemeldet. Die Zweitbeklagte sei faktische Geschäftsführerin und damit verpflichtet gewesen, auf den Erstbeklagten dahin einzuwirken, dass dieser rechtzeitig einen Insolvenzantrag stelle.

[8]       Die Beklagten wenden ein, die GmbH habe sich 2014 und 2015 nur in saison- und wetterbedingten Schwierigkeiten befunden. Die Zweitbeklagte sei nicht faktische Geschäftsführerin, sondern bloß für den Einkauf zuständige Angestellte gewesen. Eine Verurteilung des Erstbeklagten könne nur nach Maßgabe des Zahlungsplans erfolgen.

[9]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren gegenüber der Zweitbeklagten ab. Den Erstbeklagten verpflichtete es, (richtig) 15.184,70 EUR sA zu zahlen. Hinsichtlich der zukünftig fällig werdenden Zahlungsplanraten stellte das Erstgericht dabei die Haftung des Erstbeklagten nur fest. Das Mehrbegehren von (richtig) 129.881,20 EUR sA wies das Erstgericht ab. Die Zweitbeklagte sei nicht faktische Geschäftsführerin gewesen und hafte daher nicht. Der mittlerweile selbst insolvente Erstbeklagte habe seine Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung verletzt; die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei objektiv erkennbar gewesen. Er hafte jedoch wegen eines Mitverschuldens der Klägerin, die die öffentliche Bekanntmachung des Insolvenzverfahrens nicht beachtet habe, nur mit der Quote. Dass die Klägerin die Forderung in dem über den Erstbeklagten eröffneten Insolvenzverfahren nicht angemeldet habe, sei unbeachtlich, weil dieser nicht eingewendet habe, dass die Quote seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht entspreche. Der Vertrauensschaden der Klägerin als Neugläubigerin liege darin, dass sie mit der GmbH im Vertrauen auf deren Zahlungsfähigkeit einen neuen Mietvertrag schloss. Gemäß § 273 ZPO könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bei Vermietung an einen Dritten einen Mietzins wie mit der GmbH vereinbart erhalten hätte. Allerdings sei bei der Schadensberechnung eine zweimonatige Leerstehung vor Neuvermietung zu berücksichtigen.

[10]           Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil unter mehrfacher Berichtigung in der Hauptsache. Es billigte im Wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, Lehre und Rechtsprechung zu den Kriterien für die Annahme einer faktischen Geschäftsführung befänden sich noch im Fluss.

[11]           Die Klägerin bekämpft in ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erhobenen Revision das Berufungsurteil in seinem klageabweisenden Umfang und stellt einen auf gänzliche Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.

[12]           Der Erstbeklagte wendet sich mit seiner wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision demgegenüber gegen den klagestattgebenden Teil des Berufungsurteils und strebt eine gänzliche Klageabweisung an.

[13]           In den Revisionsbeantwortungen wird jeweils die Zurückweisung der Revision beantragt, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[14]           Beide Revisionen sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[15]     Vorauszuschicken ist, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Berichtigung des erstinstanzlichen Urteils, die sich ua auf den Ausspruch bezieht, dass der Erstbeklagte schuldig ist, der Klägerin 15.184,70 EUR samt 4 % Zinsen von 22. 6. 2015 bis 10. 5. 2016 gemäß dem im Schuldenregulierungsverfahren über den Erstbeklagten geschlossenen Zahlungsplan, also in sieben gleichen Jahresraten, die erste Rate am 6. 12. 2017, die weiteren Raten jeweils am 6. 12. der Folgejahre samt Zinsen ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen, von keiner Partei beanstandet wurde. Auf die Zulässigkeit einer Verurteilung vor Fälligkeit der Zahlungsplanraten ist daher nicht einzugehen.

[16]           Zur Revision der Klägerin:

[17]           I.1. Die geltend gemachten Begründungsmängel wurden geprüft. Sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[18]           I.2. Die Klägerin vertritt in ihrer Revision die Ansicht, die Zweitbeklagte sei entgegen der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts sehr wohl faktische Geschäftsführerin der GmbH und daher als solche verpflichtet gewesen, den formellen Geschäftsführer – den Erstbeklagten – zur (rechtzeitigen) Stellung eines Insolvenzantrags zu bewegen. Weil sie dies unterlassen habe, hafte sie der Klägerin für deren durch die Konkursverschleppung entstandenen Vertrauensschaden.

[19]           I.2.1. Richtig ist, dass der „faktische Geschäftsführer“ („De-facto-Geschäftsführer“) auf den formellen Geschäftsführer („De-iure-Geschäftsführer“) aktiv einzuwirken hat, damit dieser seiner Pflicht nach § 69 Abs 2 iVm Abs 3 IO zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachkommt (8 Ob 124/07d = GesRZ 2008, 159 [krit Luschin]; idS auch 8 Ob 108/08b = GES 2009, 269 [Jaufer] = ÖBA 2010/1657 [zust Dellinger]; Schumacher in KLS § 69 Rz 40 f mwN).

[20]           I.2.2. Unter einem „faktischen Geschäftsführer“ wird zumeist eine Person verstanden, die – ohne wirksam zum Geschäftsführer bestellt worden zu sein – das Unternehmen leitet (so 2 Ob 238/09b [Pkt I.3.] mwN; 6 Ob 11/18p [Pkt 1.1.]) oder (zumindest) maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung nimmt (so 4 Ob 173/12p [Pkt 8.]; RIS-Justiz RS0119794). Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob es sich um einen Angestellten, Gesellschafter, Angehörigen oder Außenstehenden handelt (6 Ob 202/11s [Pkt 4.3.]; 4 Ob 173/12p [Pkt 8.]; RS0119794). Regelmäßig wird „faktische Geschäftsführung“ dann bejaht, wenn die eigentlich bestellten Geschäftsführer als Strohmänner ihre Organfunktionen nicht ausüben und stattdessen ein anderer (meist ein Mehrheitsgesellschafter) die Gesellschaft tatsächlich leitet. Zumeist wird auch ein nach außen erkennbares Gerieren wie ein Geschäftsführer als erforderlich erachtet (2 Ob 238/09b [Pkt I.3.]; 6 Ob 202/11s [Pkt 4.3.]; 6 Ob 11/18p [Pkt 1.1.]).

[21]           I.2.3. Für den Fall der Konkursverschleppungshaftung ist aus der Teleologie des § 69 Abs 3 IO eine Orientierung an der formellen Organfunktion zu fordern und daher zu verlangen, dass es sich beim „faktischen Geschäftsführer“ um eine Person handelt, die dauerhaft und ausgeprägt den Platz eines zum Insolvenzantrag legitimierten Organs einnimmt (8 Ob 124/07d; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 II/2 [2004] § 69 Rz 183; Ruhm/Toms, Zur Haftung von faktischen Geschäftsführern und Nichtgesellschaftern, ecolex 2009, 682 [683]).

[22]           I.2.4. Im vorliegenden Fall führte das Auftreten der Zweitbeklagten nicht dazu, dass der Erstbeklagte als formeller Geschäftsführer so sehr in den Hintergrund rückte, dass sein Agendenkreis in der GmbH vernachlässigbar gewesen wäre. Vielmehr verblieben wesentliche Bereiche, namentlich die – gerade für die Verantwortlichkeit nach § 69 IO entscheidenden – Finanzangelegenheiten der GmbH, in seiner Kompetenz. Dass er bestimmte Tätigkeiten an die Zweitbeklagte abgab, stellte bloß eine Aufgabendelegierung an eine Angestellte der GmbH dar. Weil es nicht unüblich ist, dass Angestellte mit Aufgaben betraut werden, bei denen sie den Rechtsträger nach außen zu vertreten haben, könnte selbst dann noch keine faktische Geschäftsführung angenommen werden, wenn feststünde, dass die Zweitbeklagte in ihren Bereichen – insbesondere dem Einkauf in Frankreich – selbstständig Entscheidungen traf.

[23]           Daran ändert auch nichts, dass die Zweitbeklagte bei den beiden Besprechungen mit der Klägerin das Wort führte. Dass ein Geschäftsführer jemanden zu einer Besprechung mitnimmt, kann viele Gründe haben, etwa dessen Expertise. Daraus, dass diese Person in der Besprechung das Wort führt, lässt sich nicht ableiten, dass sie faktisch die Geschäftsführerin sei, weil genauso möglich ist, dass der formelle Geschäftsführer, der ja anwesend ist und somit jederzeit eingreifen könnte, die Ausführungen dieser Person teilt und es nur für nicht notwendig erachtet, dies explizit zu äußern.

[24]           Entgegen der Ansicht der Klägerin kann auch aus der Mutterschaft der Zweitbeklagten zur Alleingesellschafterin nichts für ihre faktische Geschäftsführung abgeleitet werden. Dass die Zweitbeklagte zu verstehen gegeben hätte, was sie sage, sei Position der GmbH, weil ihre Tochter ja deren Alleingesellschafterin sei, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen.

[25]           I.2.5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Zweitbeklagte sei nicht faktische Geschäftsführerin der GmbH gewesen, ist aus den genannten Gründen nicht zu beanstanden.

[26]           I.3. Hinsichtlich des Erstbeklagten vertritt die Klägerin in der Revision die Ansicht, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von einer Restschuldbefreiung ausgegangen. Es habe ihr unter Anlegung eines zu strengen Maßstabs zum Vorwurf gemacht, die öffentliche Bekanntmachung des Schuldenregulierungsverfahrens des Erstbeklagten übersehen und deshalb ihre Schadenersatzforderung nicht angemeldet zu haben, und deshalb zu Unrecht verneint, dass ihre Forderung „nur aus Verschulden des Schuldners“ iSd § 156 Abs 4 IO im Verfahren unberücksichtigt geblieben wäre. Weiters führt die Klägerin ins Treffen, dass sich ihre Forderung aus der Verletzung des § 69 Abs 2 IO und somit eines Schutzgesetzes ergebe. Der Erstbeklagte habe in böser Absicht die Anhängigkeit seines Insolvenzverfahrens ihr gegenüber verheimlicht.

[27]           I.3.1. Nach § 193 Abs 1 Satz 2 iVm § 156 Abs 1 IO wird der Schuldner durch den rechtskräftig bestätigten Zahlungsplan von der Verbindlichkeit befreit, den Gläubigern den Ausfall zu ersetzen. Der Forderungsnachlass tritt bereits mit der rechtskräftigen Bestätigung des Zahlungsplans ein (3 Ob 51/11p [Pkt 4.1.]). Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderung bei Abstimmung über den Zahlungsplan nicht angemeldet haben. Solche Gläubiger haben aber nach der besonderen Vorschrift des § 197 Abs 1 Satz 1 IO „Anspruch auf die nach dem Zahlungsplan zu zahlende Quote nur insoweit, als diese der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners entspricht“.

[28]           I.3.2. Nach § 197 Abs 1 Satz 2 IO bleibt § 156 Abs 4 IO unberührt. Nach dieser Vorschrift können Gläubiger, deren Forderungen nur aus Verschulden des Schuldners im Sanierungsplan (bzw hier: Zahlungsplan) unberücksichtigt geblieben sind, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Bezahlung ihrer Forderungen im vollen Betrag vom Schuldner verlangen. Ist der Tatbestand des § 156 Abs 4 IO verwirklicht, tritt eine Forderungskürzung auf die Quote unabhängig von der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners von vornherein nicht ein (3 Ob 189/14m [Pkt 3.2.] = ÖBA 2016/2295 [Posani]; iglS bereits Mohr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [1998] § 197 KO Rz 6). Auf diesen Tatbestand beruft sich hier die Klägerin.

[29]           I.3.3. Schon aus dem Wortlaut von § 156 Abs 4 IO („nur aus Verschulden des Schuldners“) ergibt sich, dass bereits ein leichtes Mitverschulden des Gläubigers die Anwendung des § 156 Abs 4 IO ausschließt. Die Nichtberücksichtigung der Forderung im Sanierungs- oder Zahlungsplan muss daher ausschließlich durch ein zumindest fahrlässiges Verhalten des Schuldners verursacht worden sein (3 Ob 189/14m [Pkt 5.2.]; RS0052293). Ist die Nichtberücksichtigung der Forderung auch auf eine eigene Sorglosigkeit (§ 1304 ABGB) des Gläubigers zurückzuführen, so schuldet ihm der Schuldner nur die Sanierungs- oder Zahlungsplanquote (RS0027281).

[30]           I.3.4. Nach Rechtsprechung und Literatur handelt ein Gläubiger grundsätzlich fahrlässig, wenn er die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht beachtet (RS0052291; Lovrek in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2008] § 156 KO Rz 140; Nunner-Krautgasser/Anzenberger in KLS § 156 Rz 6 mwN). Einem besonders strengen Maßstab unterliegen große Banken; die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht gebietet es, sich über den letzten Stand der Insolvenzen durch – laufende – Einsicht in die Insolvenzdatei Kenntnis zu verschaffen (4 Ob 65/01i). Gleiches gilt grundsätzlich für Sozialversicherungsträger (2 Ob 550/82). Aber auch von Mittel- und Kleinunternehmern ist grundsätzlich eine Einsicht in die Insolvenzdatei zu fordern (3 Ob 189/14m [Pkt 5.3.] mwN). Demgegenüber sind Nichtunternehmer (Verbraucher) abseits besonderer, die Annahme einer Insolvenz nahelegender Verdachtsmomente grundsätzlich nicht verpflichtet, in die Insolvenzdatei Einsicht zu nehmen (vgl jüngst 9 Ob 33/20y RZ 2021/4 [Spenling] mwN; dazu Schneider, Zu den Sorgfaltsanforderungen bei Zahlungen an den Schuldner, ZIK 2021/47). Ob einem Gläubiger die Nichtanmeldung seiner Forderung in einem Insolvenzverfahren zum Vorwurf zu machen ist, richtet sich grundsätzlich auch nach der Höhe der Forderung und der Dauer ihres Bestehens sowie danach, wie viel Zeit zwischen der Verfahrenseröffnung und der Annahme des Sanierungs- oder Zahlungsplans verstrich, somit wie lange der Gläubiger Gelegenheit gehabt hätte, sich durch Einsichtnahme in die Insolvenzdatei Kenntnis vom Verfahren zu verschaffen und sodann seine Forderung anzumelden, sodass diese im Sanierungs- oder Zahlungsplan berücksichtigt worden wäre (vgl 3 Ob 189/14m [Pkt 5.4.]; Lovrek, § 156 KO Rz 140). Gegebenenfalls kann somit selbst einem Gläubiger, der Nichtunternehmer ist, vorgeworfen werden, seine Forderung nicht rechtzeitig angemeldet zu haben.

[31]           I.3.5. Hier verfolgte die Klägerin ihre – der Höhe nach mit 145.056,90 EUR nicht unbeträchtliche – Schadenersatzforderung gegenüber dem Erstbeklagten bereits mehr als ein Jahr gerichtlich, als über dessen Vermögen am 11. 5. 2016 ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und sodann über ein halbes Jahr geführt wurde. Der Vorwurf des Berufungsgerichts an die Klägerin, als große Versicherungsanstalt über ein halbes Jahr keine Onlineabfrage in der Ediktsdatei gemacht zu haben, ist zutreffend.

[32]           I.3.6. Hat – so wie hier – der Gläubiger selbst ein Verschulden an der Nichtberücksichtigung seiner Forderung im Sanierungs- oder Zahlungsplan zu verantworten, so ist es nach dem klaren Wortlaut des § 156 Abs 4 IO ohne Relevanz, ob und bejahendenfalls welches Verschulden dem Schuldner anzulasten ist. Ebenso ist – lege non distinguente – irrelevant, ob die nicht angemeldete Forderung auf einer Schutzgesetzverletzung beruht.

[33]           I.4. Der Revision der Klägerin war aus diesen Gründen der Erfolg zu versagen.

[34]     Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

[35]           Zur Revision des Erstbeklagten:

[36]           II.1. Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen bei Abstimmung über den Zahlungsplan nicht angemeldet haben, haben gemäß § 197 Abs 1 Satz 1 IO Anspruch auf die nach dem Zahlungsplan zu zahlende Quote „nur insoweit, als diese der Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners entspricht“.

[37]           Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, der Erstbeklagte hätte im Prozess einwenden müssen, dass die Begleichung des Schadenersatzanspruchs der Klägerin im Ausmaß der Zahlungsplanquote nicht seiner Einkommens- und Vermögenslage entspreche.

[38]           In seiner Revision hält der Erstbeklagte diese rechtliche Beurteilung für unrichtig. Dass die Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners die Zahlung der Quote für eine nicht angemeldete Forderung erlaube, sei eine anspruchsbegründende Tatsache. Es wäre nach Ansicht des Erstbeklagten Sache der Klägerin gewesen, im Prozess zu behaupten, dass sich seine Einkommens- und Vermögenslage verbessert hätte, sodass es ihm nunmehr möglich wäre, auch ihre Schadenersatzforderung im Ausmaß der Zahlungsplanquote zu befriedigen. Mangels eines solchen Vorbringens der Klägerin wäre nach Ansicht des Erstbeklagten die Klage ihm gegenüber abzuweisen.

[39]           II.1.1. Dass die für eine „nachträgliche“ (nicht angemeldete) Forderung zu zahlende Quote nicht den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Schuldners entspricht, ist nach Rechtsprechung und Literatur eine anspruchshemmende Tatsache (8 Ob 117/06y; 3 Ob 64/07v; G. Kodek, Verfahrensrechtliche Fragen der Berücksichtigung nicht angemeldeter Forderungen im Zahlungsplan [§ 197 KO], ZIK 2001, 8 [9]; ders, Privatkonkurs2 Rz 439; I. Faber in KLS § 197 IO Rz 5).

[40]           II.1.2. Es ist im Prozess Sache des Schuldners, das Vorliegen einer anspruchshemmenden Tatsache zu behaupten und zu beweisen (vgl RS0109832 [T7]).

[41]           II.1.3. Es wäre daher Sache des Erstbeklagten gewesen, im Prozess einzuwenden und unter Beweis zu stellen, dass eine Begleichung der Schadenersatzforderung der Klägerin in der Höhe der Zahlungsplanquote mit seiner Einkommens- und Vermögenslage – ganz oder teilweise (vgl Schneider, Wiederaufleben und Exekution einer nicht angemeldeten Forderung, ZIK 2011, 165 [166]) – unvereinbar sei (I. Faber in KLS § 197 IO Rz 18, 24). Der behauptete Rechtsfehler des Berufungsurteils liegt daher nicht vor.

[42]           II.2. Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen fort. Die auf diesen Zeitraum entfallende – und daher eine Masseforderung darstellende – Miete beglich er nur zum Teil.

[43]           Wie bereits das Erstgericht bejahte das Berufungsgericht eine Haftung des Erstbeklagten auch für die vom Masseverwalter unbeglichene Miet-Masseforderung. Der Erstbeklagte wendet in der Revision dagegen ein, die Abwicklung des Insolvenzverfahrens sei in der Obliegenheit des Insolvenzverwalters gelegen; er habe hierauf keinen Einfluss gehabt. Mangels eines adäquaten Kausalzusammenhangs und eines eigenen Verschuldens hafte der Erstbeklagte der Klägerin nicht für diese Masseforderung.

[44]           II.2.1. Dabei lässt der Erstbeklagte unberücksichtigt, dass die Vorinstanzen die Kausalität der Insolvenzverschleppung für den der Klägerin als Neugläubigerin entstandenen Schaden damit begründeten, dass die Klägerin bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung über das Vermögen der seit 31. 12. 2012 zahlungsunfähigen GmbH mit dieser am 25. 9. 2013 keinen Mietvertrag geschlossen hätte, sondern das Objekt nach zweimonatigem Leerstand zum selben Mietzins an einen zahlungsfähigen Bestandnehmer vermietet hätte.

[45]           II.2.2. In diesem Zusammenhang rügt der Erstbeklagte, dass ihm eine Haftung auch hinsichtlich eines zweimonatigen Leerstands des Geschäftslokals auferlegt worden sei. Er übersieht dabei, dass die Vorinstanzen seine Haftung für einen zweimonatigen Zeitraum, in dem das Geschäftslokal jedenfalls unvermietet leergestanden wäre, ohnedies verneinten. Die Revision geht insofern ins Leere.

[46]           II.3. Die Kausalität der Insolvenzverschleppung auch für den in Rede stehenden Schadensteil steht aus diesem Grunde fest. Die Zahlungsunfähigkeit der GmbH war für den Erstbeklagten objektiv erkennbar. Sein Einwand des fehlenden Verschuldens ist daher unberechtigt.

[47]           II.4. Auch der Revision des Erstbeklagten war aus diesen Gründen der Erfolg zu versagen.

[48]     Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E131828

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0170OB00005.21S.0519.000

Im RIS seit

14.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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