TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/12 W189 2180825-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.01.2021
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Entscheidungsdatum

12.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W189 2180825-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.07.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein ukrainischer Staatsangehöriger, stellte gemeinsam mit seiner nunmehr geschiedenen Frau und seinem Sohn, nach legaler Einreise mit einem tschechischen Visum in das Bundesgebiet, am 29.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinem Ausreisegrund gab er im Wesentlichen an, dass in der Ukraine Bürgerkrieg herrsche. Im Falle einer Rückkehr befürchte er gegen sein Volk kämpfen zu müssen. Im Rahmen der Erstbefragung legte der BF seinen ukrainischen Inlandsreisepass und Führerschein vor.

2. Nach Konsultationen mit Tschechien über die Anwendung der Dublin II Verordnung, einer niederschriftlichen Einvernahme am 02.09.2014 und einer gutachterlichen Stellungnahme nach ärztlicher Untersuchung im Zulassungsverfahren, wurde der Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 19.12.2014 als unzulässig zurückgewiesen sowie gegen den BF die Außerlandesbringung angeordnet, demzufolge die Abschiebung nach Tschechien zulässig ist.

3. Gegen den Zurückweisungsbescheid wurde Beschwerde erhoben. Am 10.02.2015 erging ein Abschiebe- und Festnahmeauftrag. Schließlich wurde der Beschwerde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.03.2015 stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen, nachdem die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Tschechien bereits abgelaufen war.

4. Am 20.11.2017 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen und führte ergänzend aus, dass er seit 21.06.2017 geschieden sei. Zum Fluchtgrund gab der BF an, dass im April/Mai 2014 Militärflugzeuge die Stadt bombardiert haben und dabei sei ein Freund umgebracht worden. Er und seine Familie haben täglich Schießereien mitbekommen und hätten große Angst gehabt. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm als Separatist von Radikalen umgebracht zu werden. Russischsprechende Ukrainer würden von den in Kiew lebenden Ukrainern sehr gehasst werden. Der BF legte Besuchsbestätigungen von Deutschkursen und ein Empfehlungsschreiben vor.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 28.11.2017 (zugestellt am 04.12.2017) wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

6. Mit Schriftsatz vom 20.12.2017 erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und monierte nach Wiederholung des Fluchtgrundes im Wesentlichen eine unrichtige rechtliche Beurteilung, insbesondere würden zahlreiche Länderberichte die Angaben des BF im Asylverfahren untermauern und gravierende Menschenrechtsverletzungen würden zum Alltag gehören. Eine Rückkehr in seine Heimat sei für den BF nicht möglich, weil keine ausreichende Versorgungslage gegeben sei und beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.07.2020 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin der Sprache Russisch durch, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Der BF wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu seinen Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der BF legte einen Kurzarztbrief des KH XXXX vom 23.09.2016 (Beilage ./1) und ein Konvolut an Integrationsunterlagen (Beilage ./2) vor, die als Kopien zum Akt genommen wurden. Ergänzend wurde dem BF aufgetragen innerhalb von drei Tagen gegenständliche aktuelle Befunde betreffend seinem vorgebrachten psychischen Gesundheitszustand an das Gericht zu übermitteln. Der Rechtsvertreter beantragte eine zweiwöchige Frist für die Abgabe einer abschließenden Stellungnahme zur Integration des BF in Österreich.

Es wurden keine weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt und auch keine Stellungnahme zur Integration des BF eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht fest.

Der BF ist ukrainischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Ukrainer an und ist christlich-orthodoxen Glaubens. Der BF ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Russisch, Ukrainisch und anfänglich Deutsch (Niveau A1). Er hat acht Jahre die Grundschule besucht und anschließend für dreieinhalb Jahre eine Ausbildung für die Wartung von Anlagen gemacht. Zuletzt hat er gemeinsam mit seiner Exfrau in der Ukraine Katzen und Hunde gezüchtet.

Der BF ist in XXXX geboren und lebte dort bis kurz vor seiner Ausreise. Er reiste im Juli 2014 gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau und einem Sohn mit einem Visum für Tschechien mit dem Flugzeug von Kiew aus. Ein weiterer Sohn verblieb in der Ukraine. Am 29.07.2014 stellte er mit seiner Exfrau und seinem Sohn den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mittlerweile leben beide Söhne in Tschechien und der BF ist seit 21.06.2017 geschieden.

Seine Eltern sind ebenfalls geschieden und leben in der Ukraine. Der BF ist nur im Kontakt mit seiner Mutter, die gemeinsam mit seiner Großmutter in XXXX lebt. Der BF hat eine Schwester, die in der Zentralukraine, Stadt XXXX aufhältig ist und noch weitere Verwandte (Onkel und Tante) in der Ukraine.

Der BF ist bis auf vergangene psychische Probleme gesund. Er hat keine ernsthafte physische oder psychische Erkrankung. Im Jahr 2016 wurde beim BF nach einem stationären Aufenthalt in der Klinik für Psychische Gesundheit eine suizidale Krise im Alkoholrausch, eine depressive Episode und Hyperlipidämie diagnostiziert. Aktuell nimmt der BF keine Medikamente ein und plant keine weiteren Konsultationen einer Psychologin.

Er ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

Der BF unterlag in der Ukraine keiner individuellen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung noch besteht eine Bedrohungsgefahr im Falle einer Rückkehr.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

1.3.1. Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine

1.3.2. Sicherheitslage – Ostukraine

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. IDPs sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer geflohen (AA 29.2.2020). An der Dynamik des Konfliktes hat sich wenig verändert, obwohl 2019 einige Durchbrüche gelangen, wie der mehrmalige Austausch von Gefangenen, die Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, und eine relativ erfolgreiche Waffenruhe im August 2019 (KAS 4.2020). Auch im April 2020 kam es wieder zu einem Gefangenenaustausch (RFE/RL 16.4.2020).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es besonders 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 29.2.2020).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. 2018 wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen, wenn eine Person an Verbrechen gegen die Sicherheit von DPR oder LPR beteiligt gewesen sein soll. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter und wird als hart und teils lebensbedrohlich bezeichnet. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie körperliche Misshandlung, Folter, Hunger, sexuelle Gewalt, öffentliche Demütigung, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020).

Die separatistischen Kräfte im Gebiet Donezk verbieten die humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung und schränken die Hilfe internationaler humanitärer Organisationen ein. Infolgedessen sind Berichten zufolge die Preise für Grundnahrungsmittel für viele Personen, die auf dem von Russland kontrollierten Gebiet verblieben, zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 11.3.2020). Die laufende Handelsblockade zwischen den besetzten Gebieten in der Ostukraine und dem Rest der Ukraine dämpfte, kombiniert mit Korruption und anhaltenden Kampfhandlungen, die Bemühungen zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft. Viele Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (FH 2020).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019). Die Bewegungsfreiheit nach Russland ist weniger eingeschränkt (FH 2020).

Es gibt Berichte über Entführungen auf beiden Seiten der Kontaktlinie. Am häufigsten wurden Zivilisten von den von Russland geführten Streitkräften an Ein-/Ausreisekontrollpunkten entlang der Kontaktlinie festgenommen. Beide Konfliktparteien setzen Landminen ohne Umzäunung, Beschilderung oder andere Maßnahmen ein, wodurch Opfer unter der Zivilbevölkerung verhindert werden könnten. Besonders akut sind die Risiken für Personen, die in Städten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie leben, sowie für Personen, welche die Kontaktlinie täglich überqueren müssen (USDOS 11.3.2020). Von Jänner bis November 2019 dokumentierte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte 162 konfliktbezogene zivile Unfallopfer; davon kamen 26 zu Tode, 136 wurden verletzt. Dabei wurden 101 der Unfälle durch Handfeuerwaffen und 58 durch Minen und Sprengstoffe verursacht. Insgesamt war im Jahr 2019 gegenüber 2018 ein Rückgang konfliktbedingter Unfälle um fast 40% zu verzeichnen (AA 29.2.2020). Zu den fünf Gruppen, die am stärksten vom Konflikt betroffen sind, gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, IDPs, Kinder und Familien von Alleinerzieherinnen (UN 1.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020),

-        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World Index 2020, Eastern Donbas,

-        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Ukraine,

-        KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1,

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine,

-        PCU – Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine,

-        RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (16.4.2020): Ukraine, Russia-Backed Separatists Hold Another Prisoner Swap,

-        UN – United Nations (1.2020): UKRAINE, At a glance: 2020 Humanitarian Needs Overview,

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine,

-        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine

1.3.3. Rechtschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.4. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Das Ministerium beaufsichtigt das Personal der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) ist für den Staatsschutz im weitesten Sinne, den nicht-militärischen Nachrichtendienst sowie für Fragen der Spionage- und Terrorismusbekämpfung zuständig. Das Innenministerium untersteht dem Ministerkabinett, der SBU ist direkt dem Präsidenten unterstellt (USDOS 11.3.2020).

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

In den letzten Jahren wurden u.a. Reformen im Bereich der Polizei durchgeführt (AA 29.2.2020). Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“ (AC 30.6.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        AC – Atlantic Council (30.6.2020): Ukraine’s powerful Interior Minister Avakov under fire over police reform failures

-        AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Ukraine [EUR 01/1355/2020]

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 3.2020a). Jedoch bestehen in der Ukraine gegenwärtig noch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und Gewährung der Menschenrechte, was insbesondere die Bereiche Folter, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Behandlung von Geflüchteten und sozialen (LGBTQ) bzw. ethnischen Minderheiten (Roma) betrifft. 2019 stufte Freedom House die Ukraine auf „partly free“ ab (GIZ 3.2020a). Zu den Menschenrechtsproblemen gehören darüber hinaus u.a. rechtswidrige oder willkürliche Tötungen; Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen durch Vollzugspersonal; schlechte Bedingungen in Gefängnissen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Internetfreiheit und Korruption. Die Regierung hat es im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Fehlverhalten von Beamten strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest (USDOS 11.3.2020).

Die Möglichkeit von NGOs, sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten (USDOS 11.3.2020).

Die Aktivitäten von Oppositionsparteien und -gruppen sowie die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen rechtsstaatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Medienlandschaft zeichnet sich durch einen beträchtlichen Pluralismus sowie offene Kritik an der Regierung aus (FH 4.3.2020). Meinungs- und Pressefreiheit leiden jedoch weiter hinunter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden. (AA 29.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Von einigen Ausnahmen abgesehen, können Einzelpersonen im Allgemeinen öffentlich und privat Kritik an der Regierung üben und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, ohne offizielle Repressalien befürchten zu müssen. Das Gesetz verbietet jedoch Aussagen, die die territoriale Integrität bzw. nationale Sicherheit des Landes bedrohen, den Krieg fördern, einen Rassen- oder Religionskonflikt befeuern oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen nach diesen Gesetzen (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung sieht die Versammlungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Gelegentlich wird berichtet, dass die Polizei übermäßige Gewalt anwendet, um Proteste aufzulösen. Kleinere Demonstrationen, insbesondere von Minderheiten oder oppositionellen politischen Bewegungen, wurden nicht ausreichend geschützt (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Die Verfassung und das Gesetz sehen die Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsorganisationen berichten für 2019 über einen Rückgang der Angriffe auf Aktivisten, nachdem die Zahl der Angriffe 2018 sprunghaft angestiegen war (37 Angriffe 2019, gegenüber 66 im Jahr 2018). Einige zivilgesellschaftliche Organisationen geben jedoch an, dass dies aufgrund von mangelnder Berichterstattung sei, und dass sich Aktivisten gegen eine Beschwerde entscheiden würden, da sie Verfolgung fürchten. Menschenrechts-NGOs sind nach wie vor besorgt über die mangelnde Rechenschaftspflicht bei Angriffen auf Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen (USDOS 11.3.2020). Angriffe auf Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Angehörige von Minderheitengruppen sind häufig, und die Reaktion der Polizei ist oft unzureichend (FH 4.3.2020). Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren entstanden mehrere politische Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Ukraine

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Ukraine

1.3.6. Russen/Russischsprachige

Die heutige Ukraine ist ein mehrsprachiges Land mit einer dominierenden ukrainisch-russischen Zweisprachigkeit und gemischten Sprachvarietäten (AAU 28.11.2019). Offizielle Staatssprache der Ukraine ist zwar Ukrainisch, Russisch ist als Verkehrssprache weit verbreitet bzw. wird im Süden und Osten überwiegend gesprochen (WKO 2020; vgl. AA 19.12.2019). Eine Quelle gibt an, dass Ukrainisch die Muttersprache von etwa 67% der Bevölkerung ist, Russisch die Muttersprache von fast 30% (RFE/RL 7.12.2019). Russisch ist in der Ukraine keineswegs die Sprache einer kleinen Minderheit und wird nicht bloß regional begrenzt gesprochen. Russisch wird im Durchschnitt des Landes von ca. der Hälfte der Bevölkerung aktiv verwendet und damit nur etwas weniger häufig als Ukrainisch (DS 19.10.2017).

Vor dem Hintergrund der Aggression Russlands gegen die Ukraine seit dem Jahr 2014 haben sich die meisten Russischsprachigen in der Ukraine, selbst in den vermeintlich prorussischen Regionen im Osten und Süden, eher mit ihren Mitbürgern als mit ihren sprachlichen „Brüdern“ auf der anderen Seite der Grenze verbündet. Trotzdem brachte das einen großen Teil der Bevölkerung der Ukraine nicht dazu, den Sprachgebrauch radikal zu verändern. Obwohl viele Menschen, die zuvor fast ausschließlich Russisch gesprochen haben, nun stärker bereit zu sein scheinen, in bestimmten Bereichen etwas Ukrainisch zu verwenden, handelt es sich dabei keineswegs um einen umfassenden Wechsel von einer Sprache zur anderen. Die meisten Menschen in der heutigen Ukraine nutzen sowohl Ukrainisch als auch Russisch in ihrem Alltag, wenn auch zu einem sehr unterschiedlichen Anteil. 21% (2017) kombinieren die beiden Sprachen in mehr oder weniger gleich großen Teilen. Die Förderung des Ukrainischen führte nicht zu einer systematischen Diskriminierung der Russischsprachigen (UA 22.2.2018).

Es gibt in der Ukraine generell keine Diskriminierung der russischen Sprache (UA 29.11.2017). In der Praxis funktioniert die allgegenwärtige ukrainisch-russische Zweisprachigkeit im Alltag in aller Regel erstaunlich reibungslos (UA 29.11.2017). Fälle von Einschüchterung oder Angriffen gegen ethnische Russen oder Vertreter der russischsprachigen Gemeinschaft in der Ukraine sind sporadische Einzelfälle (Cedoca 10.1.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.12.2019): Ukraine: Politisches Portrait

-        AAU – Alpen-Adria Universität Klagenfurt (28.11.2019): Was machen soziale und politische Geschichte mit Sprache? Ukrainisch-russische und russisch-ukrainische Sprachvarietäten

-        Cedoca - Documentation and Research Department of the CGRS (Commissariaat-generaal voor de Vluchtelingen en de Staatlozen) (10.1.2018): OEKRAÏNE. Actuele situatie voor etnische Russen en/of Russischsprekenden op het gebied van taal en veiligheid, per E-Mail

-        DS – Der Standard (19.10.2017): Russisch als Minderheitensprache in der Ukraine?

-        RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (7.12.2019): Council Of Europe's Experts Criticize Ukrainian Language Laws

-        UA – Ukraine Analysen (22.2.2018): Die Identität der russischsprachigen Staatsbürger der Ukraine

-        UA – Ukraine Analysen (29.11.2017): Sprachenpolitik in der Ukraine

-        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2020): Ukraine: Neues Sprachengesetz tritt in Kraft

1.3.7. Bewegungsfreiheit

In Gebieten unter Regierungskontrolle ist die Bewegungsfreiheit im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Das komplizierte ukrainische System, das von Einzelpersonen verlangt, dass sie sich rechtmäßig an einer Adresse registrieren lassen müssen, um wählen und bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, stellt jedoch ein Hindernis für die volle Bewegungsfreiheit dar, insbesondere für Vertriebene und Personen ohne offizielle Adresse, wo sie für offizielle Zwecke registriert werden könnten (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine

1.3.8. Binnenflüchtlinge

Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDPs) lag am 2. Dezember 2019 bei 1.427.211 Personen; die tatsächliche Zahl der dauerhaft vertriebenen IDPs dürfte nach UN-Schätzungen bei ca. 800.000 liegen. Diese Personen erhalten bisher nur durch die Registrierung als IDPs Zugang zu Sozial- und Rentenleistungen. (AA 29.2.2020).

Binnenvertreibung ist nach wie vor ein Problem. Auf der einen Seite gab es 2018 aufgrund von Kampfhandlungen, oder weil das Militär Häuser beschlagnahmte, ca. 12.000 zusätzliche IDPs. Auf der anderen Seite mussten zahlreiche ältere bzw. ärmere Personen in gefährdete Gebiete zurückkehren. 2018 konnten rund 12.000 IDPs ihre Situation in irgend einer Weise zumindest partiell verbessern, etwa durch Heimkehr oder lokale Integration (IDMC 5.2019). Stand 31. Dezember 2019 gab es insgesamt 730.000 IDPs in der Ukraine. Im Jahr 2019 wurden 60 neue Vertreibungen verzeichnet (IDMC 2020).

Die Regierung arbeitet mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Nur registrierte IDPs bekommen Unterstützungsleistungen vom Staat. Die meisten IDPs leben in Gebieten, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk, sowie in den Gebieten Charkiw, Dnipropetrovsk und im Oblast Zaporizhzhya (USDOS 11.3.2020). Die meisten Binnenflüchtlinge leben nahe der Kontaktlinie in gemieteten Unterkünften. Fast die Hälfte der IDP-Bevölkerung sind Familien mit Kindern. Um sich in der Ukraine als IDP registrieren zu lassen, muss man sich im regierungskontrollierten Gebiet befinden. Um IDP-Unterstützung und die weitere Auszahlung von Renten zu beantragen, muss man einen Nachweis über die Registrierung als IDP vorlegen. Umfragen zeigen, dass IDPs anfälliger für Arbeitslosigkeit sind. Der Zugang älterer Menschen zu ihrer Rente stellt eine Herausforderung dar. IDPs werden im Allgemeinen wenig diskriminiert (Landinfo 16.4.2020).

Personen, die als Binnenflüchtlinge registriert sind, können staatliche Beihilfen für IDPs erhalten. Für diese Zahlungen ist das Ministerium für Sozialschutz verantwortlich. Für Menschen, die nicht arbeiten können, also Rentner, Kinder und Studenten, die noch von ihren Eltern abhängig sind (bis 23 Jahre), beträgt die Unterstützung 1.000 UAH pro Person und Monat. Für Arbeitslose beträgt die Unterstützung 442 UAH pro Person und Monat. Familien können nicht mehr als 3.000 UAH (1.130 USD) pro Monat erhalten, es sei denn, sie haben mehr als drei Kinder. Für diese Familien beträgt die Unterstützung 5.000 UAH pro Monat. Die Unterstützung hat sich seit ihrer Einführung nicht wesentlich geändert. Oft reicht die Unterstützung nicht aus, um damit das Leben zu finanzieren, das gilt besonders für Städte, in denen das Kostenniveau höher ist (Landinfo 16.4.2020).

Laut Gesetz sollte die Regierung den Vertriebenen auch eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird. Wohnen, Beschäftigung und Empfang von Sozialleistungen und Renten sind weiterhin die größten Sorgen der IDPs. Für die Integration der IDPs fehlt eine Regierungsstrategie, was die Bereitstellung von Finanzmitteln behindert. Dadurch werden IDPs wirtschaftlich und gesellschaftlich marginalisiert. Ein Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und die allgemein schwache Wirtschaft wirken sich besonders auf IDPs aus und zwingen viele von ihnen, in unzulänglichen Unterkünften wie Sammelunterkünften und provisorischen Unterkünften zu leben. UN-Agenturen berichten, der Zustrom von IDPs habe im Rest des Landes zu Spannungen im Wettbewerb um die knappen Ressourcen (Wohnungen, Arbeitsplätze, Bildung) geführt. Insbesondere in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk haben IDPs oft ungenügenden Zugang zu sanitären Einrichtungen, Unterkünften und Trinkwasser. NGOs berichten von Diskriminierung von IDPs bei der Arbeitssuche. IDPs haben nach wie vor Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Dokumenten. Medienberichten zufolge haben IDPs von der Krim eingeschränkten Zugang zu Bankdienstleistungen, obwohl ein Gerichtsurteil den Banken diese Praxis verbietet (USDOS 11.3.2020).

Das Durchschnittseinkommen pro IDP-Haushaltsmitglied ist zuletzt zwar leicht gestiegen ist - auf 3.631 UAH (ca. 150 USD) pro Monat - liegt aber immer noch ein Drittel unter dem Durchschnitt der Ukraine (IOM 21.2.2020).

Die größte Herausforderung für IDPs stellt die Wohnsituation dar. In der Ukraine gibt es ein öffentliches Wohnungsbauprogramm. Dies gilt für die gesamte Bevölkerung, einschließlich der IDPs. Das Programm basiert darauf, dass der Antragsteller einen Teil der Wohnkosten und der Staat den anderen Anteil tragen muss. Normale Bürger müssen 70% der Kosten und der Staat 30% tragen. Für Binnenflüchtlinge beträgt die Verteilung zwischen dem Antragsteller und dem Staat 50/50. Das Programm umfasst IDPs mit einem monatlichen Einkommen, das unter der Summe von drei durchschnittlichen monatlichen Einkommen liegt. Im Jahr 2018 würde dies theoretisch über 90% aller registrierten IDPs umfassen. 70% der Teilnehmer an diesem Programm im Jahr 2018 (insgesamt 130 Personen) waren IDPs. IDPs haben einen großen Bedarf an psychosozialer Unterstützung, viele haben Traumata aus dem Konflikt, und viele leben mit Unsicherheit über die Zukunft. In einer IOM-Umfrage von Juli bis September 2019 gaben 54% der Befragten an, in die lokale Gemeinschaft integriert worden zu sein, während 34% angaben, teilweise integriert zu sein. 7% fühlten sich nicht integriert. Kiew war der Ort, an dem sich die IDPs am stärksten integriert fühlten. Der Hauptgrund, warum sich IDPs integriert fühlten, war Wohnen, dann festes Einkommen und Arbeit (Landinfo 16.4.2020).

Quellen:

-        IDMC – Internal Displacement Monitoring Centre (ehemals: Global IDP Project) (5.2019): Ukraine Figure Analysis - Displacement related to conflict and violence

-        IDMC – Internal Displacement Monitoring Center (2020): Ukraine, Displacement associated with Conflict and Violence

-        IOM – UN Organization for Migration (21.2.2020): “Struggling to get through each day.” New IOM IDP Survey from Ukraine

-        Landinfo (16.4.2020): Temanotat, Ukraina, Internflyktninger

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.9. Grundversorgung

Die makroökonomische Lage hat sich nach schweren Krisenjahren stabilisiert. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen Umstände wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von 3,3% erzielt, das 2019 auf geschätzte 3,6% angestiegen ist. Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren stark angestiegen und belief sich 2018 auf ca. 62,7% des BIP (2013 noch ca. ein Drittel). Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 29.2.2020).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 12.2018). Die Ukraine gehört trotzt zuletzt deutlich steigender Reallöhne zu den ärmsten Ländern Europas. Das offizielle BIP pro Kopf gehört zu den niedrigsten im Regionalvergleich und beträgt lediglich ca. 3.221 USD p.a. Ein hoher Anteil von nicht erfasster Schattenwirtschaft muss in Rechnung gestellt werden (AA 29.2.2020). Die Mietpreise für Wohnungen haben sich in den letzten Jahren in den ukrainischen Großstädten deutlich erhöht. Wohnraum von guter Qualität ist knapp (GIZ 12.2018). Insbesondere alte bzw. schlecht qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Menschen leben zum Teil weit unter der Armutsgrenze (GIZ 3.2020b). Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger, Schattenwirtschaft) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (Mindestrente zum 1. Dezember 2019: 1.638 UAH (ca. 63 EUR) (AA 29.2.2020). Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70% (ÖB 2.2019; vgl. UA 27.4.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Länderinformationsportal, Ukraine, Wirtschaft & Entwicklung

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2018): Länderinformationsportal, Ukraine, Alltag

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        UA – Ukraine Analysen (27.4.2018): Rentenreform

1.3.10. Medizinische Versorgung

Das ukrainische Spitalswesen ist derzeit nach einem hierarchischen Dreistufenplan organisiert: die Grundversorgung wird in Rayonskrankenhäusern bereitgestellt. Das Rückgrat des ukrainischen Spitalswesens stellen die Distriktkrankenhäuser dar, die sich durch Spezialisierung in den verschiedenen medizinischen Disziplinen auszeichnen. Die dritte Ebene wird durch überregionale Spezialeinrichtungen und spezialisierte klinische und diagnostische Einrichtungen an den nationalen Forschungsinstituten des ukrainischen Gesundheitsministeriums gebildet. Von einigen Ausnahmen abgesehen, ist die technische Ausstattung ukrainischer Krankenhäuser als dürftig zu bezeichnen. Während die medizinische Versorgung in Notsituationen in den Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden kann, bietet sich auf dem Land ein differenziertes Bild: jeder zweite Haushalt am Land hat keinen Zugang zu medizinischen Notdiensten. Die hygienischen Bedingungen, vor allem in den Gesundheitseinrichtungen am Land, sind oftmals schlecht. Aufgrund der niedrigen Gehälter und der starken Motivation gut ausgebildeter MedizinerInnen ins Ausland zu gehen, sieht sich das ukrainische Gesundheitssystem mit einer steigenden Überalterung seines Personals und mit einer beginnenden Ausdünnung der Personaldecke, vor allem auf dem Land und in Bereichen der medizinischen Grundversorgung, konfrontiert. Von Gesetzes wegen und dem ehemaligen sowjetischen Modell folgend sollte die Bereitstellung der jeweils nötigen Medikation – mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich – durch Budgetmittel gewährleistet sein. In der Realität sind einer Studie zufolge in 97% der Fälle die Medikamente von den Patienten selbst zu bezahlen, was die jüngst in Angriff genommene Reform zu reduzieren versucht. Dies trifft vor allem auf Verschreibungen nach stationärer Aufnahme in Spitälern zu. 50% der PatientInnen würden demnach aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten eine Behandlung hinauszögern oder diese gänzlich nicht in Anspruch nehmen. In 43% der Fälle mussten die PatientInnen entweder Eigentum verkaufen oder sich Geld ausleihen, um eine Behandlung bezahlen zu können. In der Theorie sollten sozial Benachteiligte und Patienten mit schweren Erkrankungen (Tbc, Krebs, etc.) von jeglichen Medikamentenkosten, auch im ambulanten Bereich, befreit sein. Aufgrund der chronischen Unterdotierung des Gesundheitsetats und der grassierenden Korruption wird das in der Praxis jedoch selten umgesetzt (ÖB 2.2019).

Im Rahmen der seit 2018 eingeleiteten Reform des Gesundheitswesens wird das sowjetische Finanzierungsmodell pauschaler Vorhaltfinanzierung medizinischer Einrichtungen schrittweise abgeschafft und stattdessen ein System der Vergütung konkret erbrachter medizinischer Leistungen eingeführt. Der neu geschaffene Nationale Gesundheitsdienst (NGD) hat dabei die Funktion einer staatlichen, budgetfinanzierten Einheitskrankenversicherung übernommen. 2018/2019 wurde in einer ersten Phase der Gesundheitsreform die primärmedizinische/ hausärztliche Versorgung auf Finanzierung über den NGD umgestellt. Der NGD übernimmt auch die Kostenerstattung für rezeptpflichtige staatlich garantierte Arzneien (ca. 300 gelistete Arzneien gegen Herz-/Gefäßkrankheiten, Asthma und Diabetes II). Die Datenbank des NGD umfasst zurzeit 1.464 primärmedizinische Einrichtungen (davon 167 Privatambulanzen und 248 private Ärztepraxen) sowie ca. 29 Millionen individuelle Patientenverträge mit Hausärzten, d.h. das neue System staatlich garantierter medizinischer Dienstleistungen und Arzneien erreicht mittlerweile knapp 70% der Einwohner. Ab April 2020 soll die Reform auf die fachmedizinische Versorgung (Krankenhäuser) erweitert werden. Soweit die Gesundheitsreform noch nicht vollständig umgesetzt ist, ist der Beginn einer Behandlung in der Regel auch weiterhin davon abhängig, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft. Neben dem öffentlichen Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren auch private Krankenhäuser bzw. gewerblich geführte Abteilungen staatlicher Krankenhäuser gegründet worden. Die Dienstleistungen der privaten Krankenhäuser sind außerhalb des NGD jedoch für die meisten Ukrainer nicht bezahlbar. Gebräuchliche Medikamente werden im Land selbst hergestellt. Die Apotheken halten teilweise auch importierte Arzneien vor (AA 29.2.2020).

Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, existieren sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal (AA 29.2.2020). Die medizinische Versorgung entspricht jedoch nicht immer westeuropäischem Standard. Außerhalb der großen Städte, insbesondere in den Konfliktregionen im Osten, ist sie häufig unzureichend (AA 25.5.2020). Die medizinische Versorgung ist nur beschränkt gewährleistet. Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (Kreditkarte oder Vorschusszahlung). Die Verfassung der Ukraine sichert zwar jedem Bürger eine kostenlose gesundheitliche Versorgung zu (GIZ 12.2019; vgl. AA 29.2.2020), doch sieht die Realität anders aus. Fast alle Dienstleistungen der medizinischen Versorgung müssen privat bezahlt werden (GIZ 12.2019). Patienten müssen in der Praxis also die meisten medizinischen Leistungen und Medikamente informell aus eigener Tasche bezahlen (BDA 21.3.2018); die Kosten für Medikamente müssen also auch in staatlichen Krankenhäusern vom Patienten selbst getragen werden (EDA 25.5.2020). Ein System der Krankenversicherungen existiert nur auf lokaler Ebene als Pilotprojekte. Durch die politische und wirtschaftliche Instabilität ist das Gesundheitswesen in der Ukraine chronisch unterfinanziert. Auch wenn die elementare Versorgung für Patienten gewährleistet werden kann, fehlt es vielen Krankenhäusern und Polikliniken an modernen technischen Geräten und speziellen Medikamenten. Die Löhne im Gesundheitsbereich sind besonders niedrig und die Korruption ist in diesem Sektor daher hoch (GIZ 12.2019).

Im Gesundheitsbereich bestehen nach Feststellungen der UN sowie des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) insbesondere entlang der Kontaktlinie zu den von Separatisten besetzten Teilen der Gebiete Luhansk und Donezk sowie in den besetzten Gebieten substantielle (z.T. gravierende) Defizite. Diese betreffen sowohl den zumutbaren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen bzw. -dienstleistungen (auch Notfallmedizin, Erstversorgung und Diagnose) als auch die Versorgung mit Medikamenten. Zahlreiche medizinische Versorgungseinrichtungen wurden durch Kampfhandlungen beschädigt oder zerstört. In der „Grauen Zone“ entlang der Kontaktlinie sind knapp 60% der Haushalte (überwiegend alte, chronisch kranke Menschen, darunter überproportional viele mit Behinderungen und Mobilitätseinschränkungen) von solchen Zugangsbeschränkungen betroffen. Die mit Konfliktbeginn einsetzende Abwanderung von medizinischem Personal kommt erschwerend hinzu. Mit Fortdauer des Konflikts steigt die Zahl der traumatherapie- und behandlungsbedürftigen Menschen rasant. Darunter sind neben den direkten Konfliktopfern die zahlreichen Veteranen, Binnenvertriebene, Opfer von Minen, Sprengfallen und nicht explodierten Kampfmitteln sowie Opfer von häuslicher Gewalt (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (25.5.2020): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung),

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020),

-        BDA - Belgian Immigration Office via MedCOI (21.3.2018): Question & Answer, BDA-6768

-        EDA – Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (25.5.2020): Reisehinweise Ukraine,

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2019): Länderinformationsportal, Ukraine, Gesellschaft,

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

1.3.11. Rückkehr

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurück-gekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Neue Dokumente können landesweit in den Servicezentren des Staatlichen Migrationsdiensts beantragt werden. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

1.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr

Dem BF ist die Rückkehr in die Heimatregion Donezk nicht möglich. Eine Niederlassung an einem anderen Ort in der Ukraine, wie etwa Kiew, ist ihm jedoch zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5. Zur Situation des BF in Österreich

Der BF hält sich seit seiner Einreise in Österreich im Juli 2014 im Bundesgebiet auf.

Er bezieht seither Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF verrichtete aber zeitweise Reinigungsarbeiten im Wohnprojekt der Volkshilfe, Hilfsarbeiten für die Stadtgemeinde XXXX im Zeitraum 17.01.2018 bis 30.11.2018 und ehrenamtliche Tätigkeiten im Rahmen von Landschafssäuberungsaktionen am 19.03.2019 und am 11.03.2020.

Der BF ist fähig, zu Alltagssituationen selbständig, aber in einem grammatikalisch noch sehr ausbaufähigen Deutsch zu kommunizieren. Er hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 inklusive Werte- und Orientierungswissen bestanden. Sonstige Kurse oder Ausbildungen besucht der BF nicht.

Der BF hat bekanntschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich gefunden. Darüber hinaus bestehen keine weiteren, familiären oder sonstige verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet.

Mit Beschluss vom 21.06.2017 erfolgte die Scheidung des BF im Einvernehmen.

Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht aufgrund der Vorlage des Inlandsreisepasses und des Führerscheins aus der Ukraine fest. Ein Abruf des Zentralen Fremdenregisters ergab, dass diese Dokumente authentisch (echt) sind.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF gründen sich im Übrigen auf seine insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen (AS 3, 317, 319) sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bzw. seinen Kenntnissen der russischen und ukrainischen Sprache (Niederschrift der mündlichen Verhandlung (in der Folge: NSV) S. 2). Dass er außerdem etwas Deutsch spricht gründet auf dem vorgelegten Deutschzertifikat auf Niveau A1 (NSV, Beilage ./2; siehe ausführlicher Pkt. 2.5). Die Feststellungen über seinen Schulbesuch, seine Ausbildung und berufliche Tätigkeit in der Ukraine, ergeben sich ebenso aus seinen Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (AS 3-5, 317; NSV S. 6). Hinsichtlich der genauen Berufsausbildung machte der BF zwar in der mündlichen Verhandlung widersprüchliche Angaben und verneinte wie bis dahin angegeben, eine Ausbildung als Maschinenbauer zu haben, aber er konnte auf Nachfrage die unterschiedlichen Angaben nachvollziehbar erklären. Er führte aus, dass er eine Ausbildung zur Wartung von speziellen Anlagen in einem Militärbetrieb gemacht habe, für die es in Österreich keine genaue Bezeichnung gäbe und er dadurch falsch verstanden worden sei (NSV S. 6).

Die Feststellung zum Geburts- (AS 3, 52) und Wohnort (AS 7, 317; NSV S. 4) des BF, seiner Ausreise, seinen Familienangehörigen und deren Aufenthaltsort (AS 7, 54; NSV S. 5) und dem Kontakt zu seiner Mutter (NSV S. 5) stützen sich gleichfalls auf seinen größtenteils gleichbleibenden und diesbezüglich glaubhaften Angaben im gesamten Verfahren. Dass seine Söhne mittlerweile in Tschechien leben, gab der BF glaubhaft in der mündlichen Verhandlung an (NSV S. 5). Betreffend die weiteren Verwandten machte der BF widersprüchliche bzw. vage Angaben und konnte dies auf Nachfrage auch nicht nachvollziehbar erklären, weshalb keine genauen Feststellungen zur Anzahl und zum genauen Aufenthalt weiterer Verwandte getroffen werden konnten (NSV S 5: „R: Welche Verwandte leben noch in der Ukraine? BF: Sie meinen außer meinen Eltern?

R: Alle Verwandten.

BF: Ich habe nur mit meiner Mutter Kontakt. Meine Eltern sind geschieden, aber mein Vater ist auch in der Ukraine. Meine Mutter lebt mit meiner Oma zusammen. Es gibt noch eine Tante.

R: Hat sich Ihre Verwandtschaft seit dem erstinstanzlichen Verfahren verringert? Da waren es noch wesentlich mehr. BF: Ich habe auch noch eine Schwester in der Zentralukraine. Einen Onkel und eine Oma.

R: Was ist eigentlich mit den drei Tanten, die Sie väterlicherseits in der ersten Instanz angegeben haben? BF: Ich weiß es nicht, ich habe keinen Kontakt zu ihnen. Man hat mich in der ersten Instanz gefragt, welche Verwandten dort sind.“). Das Gericht konnte folglich nur zweifelsfrei feststellen, dass der BF noch weitere Verwandte, außer der Kernfamilie (Eltern, Schwester, Großeltern) in der Ukraine hat.

Dass seine Schwester in der Zentralukraine, Stadt XXXX lebt, hat der BF glaubhaft vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung angegeben (AS 319, NSV S. 5). Die Feststellungen zur Antragstellung ergeben sich unstrittig aus dem Akt. Dass der BF geschieden ist ergibt sich aus dem vorgelegten Beschluss über die Scheidung im Einvernehmen mit 21.06.2017 (NSV Beilage ./2).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF basieren auf einer Zusammenschau der Angaben in der mündlichen Verhandlung und dem vorgelegten Kurzarztbrief des KH XXXX vom 23.09.2016 (NSV S. 3, Beilage ./1). Befunde über weitere Krankenhausaufenthalte und ärztliche Behandlungen übermittelte der BF trotz Auftrag in der mündlichen Verhandlung nicht. Nachdem der BF ausführte keine Medikamente zu nehmen und auch keine weitere Konsultation einer Psychologin plane, stellte das Gericht bis auf die vergangenen psychischen Probleme keine ernsthafte physische oder psychische Erkrankung fest.

Die Feststellung, dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

Der BF gab zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass in seiner Heimat eine Bürgerkriegssituation gegeben sei, die Stadt bombardiert worden sei und russisch sprechende Leute bzw. die aus dem Gebiet XXXX kommenden würden von den Ukrainern in anderen Gebieten der Ukraine abgelehnt werden. Zudem wolle er nicht als Separatist gegen die Ukrainer oder umgekehrt kämpfen.

Die Angaben zum Fluchtgrund des BF sind insgesamt sehr vage und oberflächlich und beziehen sich größtenteils auf eine allgemeine Bürgerkriegssituation. Anhaltspunkte für eine individuelle Bedrohungssituation oder der Gefahr einer Verfolgung haben sich im gesamten Verfahren nicht ergeben. Während der BF zwar im behördlichen Verfahren andeutete, dass er Angst vor einer Zwangsrekrutierung habe (AS 11, 13), führte er dahingehend keine Befürchtungen in der mündlichen Verhandlung aus und ist zudem auch den Länderberichten nicht zu entnehmen, dass es in der Ostukraine tatsächlich zu einer massenhaften oder systematischen Zwangsrekrutierung durch Separatisten gekommen wäre bzw. drohen könnte. Vielmehr kämpfen auf Seite der Separatisten notorisch im Wesentlichen Freiwilligen- bzw. Söldnerverbände mit internationaler, speziell russischer Beteiligung.

Die allgemeine Bürgerkriegssituation in der Ostukraine, insbesondere in Donezk deckt sich zwar mit den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen, aber ist daraus keine asylrelevante individuelle Bedrohungs- oder Gefährdungslage des BF abzuleiten. Der BF konnte auf Nachfrage auch nicht nachvollziehbar erklären, weshalb es ihm nicht möglich sei bzw. gewesen wäre, in der Westukraine, etwa in Kiew, Sicherheit zu finden. So brachte er lediglich vor, dass die aus dem Gebiet von Donezk, aus dem Osten, kommenden Leute, von den Ukrainern in anderen Gebieten abgelehnt werden würden. Dieses Vorbringen erscheint zum einen vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht plausibel und zum anderen ist es nicht nachvollziehbar, weil der BF angegeben hat, der ukrainischen Volksgruppe anzugehören und Ukrainisch sowie Russisch spricht (NSV S. 7). Den Länderfeststellungen ist auch zu entnehmen, dass die Ukraine ein mehrsprachiges Land mit einer dominierenden ukrainisch-russischen Zweisprachigkeit und gemischten Sprachvarietäten ist. Offizielle Staatssprache der Ukraine ist zwar Ukrainisch, Russisch ist als Verkehrssprache weit verbreitet und es gibt keine generelle Diskriminierung der russischen Sprache in der Ukraine. Fälle von Einschüchterungen oder Angriffen gegen ethnische Russen oder Vertreter der russischsprachigen Gemeinschaft in der Ukraine sind sporadische Einzelfälle. Zumal der BF Ukrainisch und Russisch beherrscht und sich der Volksgruppe der Ukrainer zugehörig fühlt, sind seine Bedenken einer möglichen Diskriminierung nicht plausibel und auch unter Wahrunterstellung erreicht dies nicht die Schwelle einer Verfolgungsgefährdung. Hierbei sei auch hinzuzufügen, dass der BF vor der belangten Behörde die Fragen betreffend individuelle Fluchtgründe verneinte und angab keine Probleme mit Behörden, vor Gericht, politisch durch sein Religionsbekenntnis, mit Privatpersonen gehabt zu haben und niemals an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen zu sein.

Andere Fluchtgründe wurden vom BF weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht und sind auch vor dem Hintergrund der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte nicht hervorgekommen.

Gesamt betrachtet unterlag der BF keiner individuellen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung noch besteht eine Bedrohungsgefahr im Falle einer Rückkehr.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine vom 06.07.2020 wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt 1.3. zi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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