Entscheidungsdatum
15.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2184028-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.01.2021 sowie am 10.03.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 23.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.07.2015 führte der BF zu seinen Fluchtgründen soweit wesentlich aus, er habe sein Land verlassen, weil er gemeinsam mit seinem Vater und einem Bruder beschuldigt werde, eine Person ermordet zu haben. Der Vater und der Bruder seien bereits deswegen in Haft. Der BF betonte jedoch, dass er niemanden umgebracht habe. Dies sei sein Asylgrund.
Der BF habe Bangladesch über Indien und Pakistan in den Iran gereist (5 Jahre); danach schlepperunterstützt in die Türkei, Griechenland (über 3 Jahre), Mazedonien, Serbien nach Ungarn (ca. 2 Monate) weitergereist, wo er einen Asylantrag stellte. Er habe jetzt jedoch das Lager in Ungarn verlassen und sei nach Österreich gekommen.
Seine Eltern und ein Bruder würden in Bangladesch leben. Er sei drei Jahre in die Grundschule gegangen, sein letzter Beruf war Landarbeiter. Er stamme aus Chandipur in Bangladesch und sei Sunnit/Moslem.
I.2. In der Einvernahme vor dem BFA am 09.12.2016 gab der BF nochmals seine Personalia zu Protokoll. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass der BF in Griechenland ca 20 Monate lang in Haft war, weil er illegal eingereist sei (VA 115).
Zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich befragt gab der BF an, dass er keine Verwandten hier habe. Er lebe von der Grundversorgung.
Zu den Fluchtgründen gab der BF – zusammengefasst – an, dass gegen ihn, seinen Vater und seinen Bruder eine Anzeige vorliege. Es habe wegen eines Grundstückes einen Streit mit einem Anwalt gegeben. Der Vater und der Bruder hätten deswegen eine Tante väterlicherseits, welche ca. einen halben Kilometer entfernt wohnte, des Nachts umbringen wollen, aber eine Nichte hätte sie dabei erkannt. Der Vater und der Bruder wollten nämlich den Tod der Tante dem genannten Anwalt „umhängen“ wollen.
Die Tante sei tatsächlich in der Nacht mit einer Machete getötet worden. Der BF sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, sondern bei einem Freund. Der BF habe von diesem Plan nichts gewusst.
In der Früh seien alle Leute aus dem Dorf zusammengekommen und hätte der Neffe allen erzählt, dass es „ XXXX (Bruder des BF) sowie der Großvater mütterlicherseits gewesen wären. Zwischen 07.00 und 08.00 sei die Polizei gekommen.
Der BF denke, dass sein Vater ursprünglich den Plan gehabt habe, in der Früh die Polizei zu benachrichtigen und eine Anzeige gegen den Anwalt zu machen. Der Vater sei aber dann, weil der Neffe erzählt habe, wer es gewesen sei, aus Angst, festgenommen zu werden, nicht zur Polizei gegangen. Als der BF davon gehört habe, sei er dann nach Hause gekommen. Danach, am Abend, habe er das Dorf verlassen und sei in ein anderes Dorf gegangen.
Der Anwalt habe später auf Grund der Aussage des Neffen eine Anzeige gegen den BF, den Vater und den Bruder gemacht. Der Vater, die Mutter und der Bruder seien festgenommen worden; die Mutter sei später freigelassen worden.
Da der Neffe 12, 13 Jahre alt gewesen sei, würde seine Aussage als Zeuge nicht ganz zählen. Der Anwalt würde sich um den Jungen kümmern, er lebe bei diesem nun. Mittlerweile sei der Neffe 22 Jahre alt.
Der Vater sei nicht verurteilt worden, sei zuvor jedoch bereits zweimal im Gefängnis gewesen, dies wegen zwei anderen Delikten. Wegen des Mordes seien sie aber nach einer Berufung freigekommen. Der BF hätte keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Er habe jedoch „vor kurzem“ wieder Kontakt aufgenommen; daher wisse er, dass sie vor drei Jahren wieder freigelassen wurden. Sie hätten Angst vor der Polizei, weil der Fall „neu eröffnet werde“.
Man wolle nunmehr nicht nur den Vater und den Bruder, sondern auch den BF und seine Mutter verurteilen. Sein Freund, bei dem er zur Tatzeit aufhältig war, würde bei einem Prozess nicht für ihn aussagen, weil er Angst hätte.
Dem Grunde nach ginge es – zusammengefasst – um Grundstücksstreitigkeiten, sowohl mit dem Anwalt als auch der Tante; deren Grundstücke lägen benachbart. Die Grundstücke des Vaters wurden mittlerweile verkauft, um die Prozesskosten abzudecken.
Zwischen dem Tod der Tante und der Ausreise aus Bangladesch sei mehr als ein Jahr vergangen. In dieser Zeit habe der BF „im Kleiderbereich als Bügler“ gearbeitet, um Geld für die Flucht aufzutreiben. Er sei in der Stadt gewesen, einen Polizeikontakt habe er damals nicht gehabt.
Der BF befürchtet, wenn er jetzt nach Bangladesch zurückkehren müsste, dass er zumindest für 8 bis 10 Jahre ins Gefängnis käme.
Weitere Fluchtgründe habe der BF nicht.
I.3. In einer weiteren Einvernahme am 03.11.2017 vor dem BFA gab der BF an, dass er mangels geeigneten Deutschunterrichtes keine Deutschkenntnisse habe.
Er habe in Österreich niemanden und lebe von der Grundversorgung. Er habe zeitweilig als Erntehelfer ausgeholfen.
Da die Unterlagen, die der BF bei der letzten Einvernahme übergeben hatte, in der Zwischenzeit vom BFA übersetzt wurden, wurde nochmals auf die Fluchtgründe des BF eingegangen.
Es sei um Grundstücksstreitigkeiten gegangen. Der Vater des BF habe die Ermordung der alten und schwachen Tante geplant, um dies dem benachbarten Anwalt umzuhängen. Der BF habe davon „abgeraten“, denn sie wäre doch die Tante. Als er zu einer Musikveranstaltung gegangen sei, und über Nacht bei einem Freund blieb, sei er am nächsten Tag nach Hause zurückgekehrt und habe von der Ermordung erfahren.
Nach mehrmaligem Nachfragen wird festgestellt, dass sich die Tat am 17.03.2006 gegen 04.00 Uhr ereignet habe (AV 177).
Sein Freund würde keine Aussagen zu Gunsten des BF machen, weil er den BF nicht so gut kenne und er auch nicht zu Gericht fahren würde wegen der Kosten. Er wisse es aber nicht, weil er nicht mit dem Freund gesprochen habe.
Der Vater, die Mutter und der Bruder seien festgenommen worden, nur die Mutter gegen Kaution wieder freigelassen worden. Der Neffe sei noch nicht 18 Jahre alt, erst ab 18 Jahre würde man als Zeuge bei Gericht genommen. Zum Tatzeitpunkt sei der Neffe 8, 9 oder 10 Jahre alt gewesen. Der BF habe manchmal Kontakt zur Mutter, zuletzt vor sechs Monaten. Sie habe ihm gesagt, er solle nicht nach Bangladesch zurückkehren, es gäbe sonst noch mehr Probleme. Andere Fluchtgründe habe er nicht.
I.6. Mit Bescheid vom 21.12.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und die Abschiebung nach Bangladesch für zulässig erklärt (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Im Wesentlichsten zusammengefasst führte das BFA in seiner Begründung aus, das Gesamtvorbringen wäre widersprüchlich und nicht nachvollziehbar sowie die Glaubwürdigkeit des BF sei nicht gegeben.
Das BFA listet in seiner Entscheidung Angaben des BF aus, welche besonders die Widersprüchlichkeit und Unglaubwürdigkeit des Vorbringens darstellen, wie etwa der vom BF getätigte Widerspruch hinsichtlich des „Zeugen“ - „Nichte“ oder „Neffe“ - sowie das unterschiedliche Alter des Tatzeugen. Es sei auch absurd, dass die Beschuldigten aus der Haft entlassen worden wären, weil der BF noch nicht gefasst worden sei; erst dann würden sie alle miteinander verurteilt werden. Darüber hinaus sei es nicht glaubwürdig, dass der BF als Beschuldigter in einem Mordfall sich problemlos ein Jahr lang in XXXX – auch mit einer Beschäftigung - aufhalten konnte, ohne dass ein Polizeikontakt stattgefunden habe. Widersprüchlichkeiten gäbe es auch zwischen der vorgelegten Anzeige und der vom BF geschilderten Tat. Auch sei ein Widerspruch zwischen Tattag und Anzeigentag von über vier Monaten erkennbar.
Aus den vom BF geschilderten Fluchtgrund sei ein asylrelevantes Vorbringen nicht erkennbar. Es gäbe auch keinen Grund für die Gewährung von subsidiären Schutz. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen im Inland könne, insbesondere in Anbetracht der Familie des BF, welche in Bangladesch lebe, und wegen der geringen Integrationsfortschritte ebenso nicht abgeleitet werden, weshalb die Abschiebung und eine Rückkehrentscheidung zu treffen war.
I.7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, in der der BF den angefochtenen Bescheid vollumfänglich wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften anficht. Der zum damaligen Zeitpunkt von der XXXX unterstützte BF führte in der Beschwerde aus, dass der BF auf Grund der ungerechtfertigten Beschuldigung hinsichtlich der Beteiligung an einem Mord verfolgt werde. Es sei dem BF glaubwürdig gelungen, sowohl darzulegen, dass er an dieser Straftat nicht beteiligt war, als auch, dass er trotzdem von den langsam arbeitenden Behörden und Gerichten des Landes weitere Verfolgung bei einer allfälligen Rückkehr zu erwarten habe.
Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, Spruchpunkt II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, Spruchpunkt III. aufzugeben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt werde und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt werde, in eventu die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung das BFA zurückzuverweisen.
I.8. Mit Schreiben vom 22.01.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.9. Mit Schreiben vom 07.01.2021 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand November 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 25.01.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.10. Der BF erschien trotz ausgewiesener Ladung nicht zur Verhandlung zum Bundesverwaltungsgericht. In weiterer Folge erging die mündliche Entscheidung, protokolliert im Rahmen der Verhandlungsniederschrift.
I.11. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.02.2021, XXXX wurde dem Wiedereinsetzungsantrag des BF (nunmehr von der XXXX vertreten) stattgegeben und das Verfahren in die Lage vor Eintritt der versäumten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 25.01.2021 versetzt. Begründend wurde festgehalten, dass trotz ordnungsgemäßer Ladung der BF, der vermeinte, dass er weiterhin von der XXXX vertreten werde, nicht Kenntnis davon erlangt hatte, dass diese die Vertretungsvollmacht zum 31.12.2020 aufgelöst hatte und das Schreiben (Ladung zur Verhandlung), welches ihm danach direkt rechtens zugestellt worden war, nicht lesen konnte. Zwar war diesem Schreiben auch der Hinweis auf die Rechtsberatung durch die XXXX in bengalischer Schrift beigefügt gewesen, der BF war sich jedoch als Analphabet der Bedeutung dieses Schreibens und seines Inhaltes nicht bewusst.
I.12. Mit der Ladung zur (neuerlichen) Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF – nunmehr vertreten durch die XXXX – wiederum der aktuelle Länderinformationsbericht übermittelt.
I.13. Am 10.03.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters des BF XXXX - eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Zu seinen Kontakten nach Bangladesch gab der BF an, ein Freund habe ihm mitgeteilt, dass sein Vater gestorben sei. Wo sich seine Mutter und sein Bruder befänden, wisse er nicht. Sie seien nach dem Gefängnisaufenthalt für ihn derzeit nicht erreichbar.
In Bangladesch habe der BF weder eine Schul- noch eine Ausbildung erfahren. In Österreich habe der BF, der im Juli 2015 im Bundesgebiet aufgegriffen worden war, bisher keinen Deutschkurs absolviert. Dementsprechend war auch eine Unterhaltung in deutscher Sprache nicht möglich, selbst Basiswissen ist nicht vorhanden.
Seine Zukunft in Österreich stelle er sich so vor, dass er arbeiten werde; zuvor müsse er aber Deutsch lernen (BVwG S 12f). Es würde ihn die „Hotelarbeit“ interessieren, er würde aber „jegliche Arbeit“ annehmen, zuvor jedoch Deutsch lernen.
Gefragt, was der BF so den ganzen Tag in Österreich mache, meinte dieser schlicht „Nichts“. (BVwG S 5). Nachgefragt meinte der BF, er ginge spazieren, versuche sich mit Leuten zu unterhalten, aber es „kommt nichts in meinen Kopf hinein“.
Er arbeite nicht, er bekäme Geld vom Staat und zahle deswegen auch keine Miete, dies sei staatlich, „so macht man das.“
Er habe in Österreich auch keine Freunde, keine Beziehung, keine Kinder.
Aus Bangladesch sei er geflohen, weil – zusammengefasst – sein Vater und sein Bruder ein Mordkomplott gegen seine Tante durchführten.
Im Jahr 2006 ermordeten sie die Tante, um diesen Mord sodann ihrem Neffen in die Schuhe zu schieben, was allerdings misslang. Der Vater, der Bruder und zeitweilig auch die Mutter wurden in Haft genommen und verbrachten Jahre im Gefängnis. Der BF, der glaubwürdig darlegte, dass er an diesem besagten Abend bzw. in dieser Nacht nicht zu Hause, sondern in einem anderen Dorf bei einem Freund übernachtete, war nicht an diesem Vorfall beteiligt. Als er am nächsten Tag in das Dorf kam, habe er von diesem Mord von Nachbarn erfahren.
Der Grund für diesen Mord an der Tante, den sein Vater und der Bruder durchführten, war der Versuch, den Neffen mit der Mordtat anzuschwärzen und damit Grundstücksstreitereien zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Er selbst sei unmittelbar darauf aus dem Dorf weggegangen und in die Stadt XXXX gezogen.
Sein Vater und der Bruder seien nach drei Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden, die Mutter zuvor schon gegen Kaution, welche der Onkel mütterlicherseits organisierte, indem die Grundstücke verkauft wurden.
Der BF habe in XXXX ca sechs Monate lang gearbeitet und gelebt, danach sei er nach XXXX gegangen und habe dort in einer Kleidungsfirma gearbeitet, um sich Geld für einen Schlepper zu verdienen. 2009 – also drei Jahre nach diesem Mord - habe er sodann Bangladesch verlassen.
Angeblich sei auch der BF angezeigt worden; dies habe ihm ein Freund mitgeteilt, der meinte, dass der BF nicht nach Bangladesch zurückkehren sollte.
Am Ende der Verhandlung wurde noch auf den Länderinformationsbericht sowie die aktuelle Corona-Situation in Bangladesch eingegangen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.
Der BF hat in seinem Heimatland weder eine Schul- oder Berufsausbildung erhalten.
Der BF ist ledig und ohne Kinder; er hat keine Freunde und keine Beziehung in Österreich.
Der BF hat keinen Kontakt zu seiner Mutter und einem Bruder, lediglich zu einem Freund in Bangladesch. Sein Vater sei mittlerweile verstorben.
Der BF ist im Juli 2015 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist in die staatliche Grundversorgung einbezogen.
Der BF hat keine Deutschkenntnisse. Der BF macht, nach eigenen Angaben, „nichts“. Er wisse, dass er Deutsch lernen müsse, bevor er eine Arbeit fände.
Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Der BF hat keine Vorstrafen.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete politische oder sonstige Verfolgung des BF durch staatliche Akteure in Bangladesch.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, der Vater, der Bruder und die Mutter (letztere beteiligt) hätten eine Tante ermordet und wollten diese Tat einem Neffen in die Schuhe schieben; der BF sei an diesem Mordkomplott nicht beteiligt gewesen, er war in dieser Nacht in einem anderen Dorf bei einem Freund. Als er am nächsten Morgen in das Dorf zurückkehrte hätten ihn Nachbarn erst darüber informiert, die Polizei habe ihn nicht festgenommen. Grundlage dieses Mordkomplottes waren Grundstücksstreitigkeiten.
Der BF ist nach diesem behaupteten Mord unbehelligt nach XXXX gezogen, wo er ein halbes Jahr lebte, danach wohnte und arbeitete der BF in der Hauptstadt XXXX Erst nach mehr drei Jahren nach dem geschilderten Vorfall hat der BF Bangladesch schlepperunterstützt verlassen.
Festgestellt wird, dass der BF sich in seinen Schilderungen hinsichtlich der angeblichen Tat mehrfach widersprach.
Der BF wurde in Bangladesch nicht inhaftiert, obwohl er sich am Tag nach der Tat im Heimatdorf, unweit des Tatortes, befand, sich mit den Nachbarn unterhielt und einzelne Familienmitglieder des BF bereits beschuldigt worden waren.
Festgestellt wird, dass die Schilderungen des BF hinsichtlich des Vorfalles (im Jahr 2006) nicht mit der in der Übersetzung der vom BF vorgelegten angeblichen Anzeige (aus 2005) zusammenpasst.
Festgestellt wird, dass der BF trotz der behaupteten Anzeige wegen Mordes drei Jahre lang in Bangladesch aufhältig war und den Beruf eines Büglers in der Bekleidungsbranche ausübte.
Festgestellt wird, dass das geschilderte Fluchtgeschehen – soweit es den BF betrifft - nicht glaubwürdig ist.
Da der BF nicht von staatlichen Behörden oder Gerichten gesucht wird, hat der BF auch keinerlei Befürchtungen hinsichtlich der Rückkehr in sein Heimatland zu erwarten.
Allfälligen Behelligungen, etwa durch Angehörige der Ermordeten, kann der BF durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen ausweichen.
II.1.2. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020
Politische Lage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).
Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020
? Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020
? Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail
? Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020
? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020
Sicherheitslage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).
Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020
? ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
? AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020
? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020
? EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020
? TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020
Rechtsschutz / Justizwesen:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).
Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
Sicherheitsbehörden:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).
Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).
Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).
Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020).
Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).
Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 9.2020).
Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).
Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).
Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).
Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/document/2023864.html, Zugriff 12.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 9.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 13.11.2020
Allgemeine Menschenrechtslage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Die Menschenrechte werden nach der Verfassung mit Gesetzesvorbehalten garantiert (AA 21.6.2020). Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 9.2020; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 9.2020). Die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Rechte ist nicht ausreichend (AA 21.6.2020).
Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen sowie Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2.000 Mitglieder der RABs (Rapid Action Battalion (RAB), Spezialkräfte für u.a. den Antiterrorkampf) wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 9.2020, siehe auch Abschnitt 4).
Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Verleumdungsdelikten juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).
Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Poliz