Entscheidungsdatum
06.04.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W200 2240075-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen die Beschwerdevorentscheidung des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 17.02.2021, OB: 14337898400037, mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 42 und 47 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. I Nr. 283/1990, idF BGBl. I Nr. 39/2013 iVm § 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH und stellte unter Vorlage von medizinischen Unterlagen am 21.01.2020 einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“.
Das vom Sozialministeriumservice eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 07.04.2020, basierend auf einer Begutachtung am 25.02.2020, ergab Folgendes:
„Anamnese:
Laut Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (Bescheid vom 11/2019) wurde ein GdB von 50 v. H. bei Depressio und Schlafstörungen bei Benzodiazepinabhängigkeit bestätigt.
Beim Antragsteller ist eine chronifizierte Depressio sowie eine Benzodiazepinabhängigkeit vorbekannt. Bis 2007 polytoxikomaner Drogenkonsum und Alkoholkonsum. Derzeit nur noch fallweiser Konsum von Cannabis. Seit 2016 dokumentierte regelmäßige FÄ-psychiatrische Behandlung beim Dialog sowie rezent auch in der Privatpraxis bei FA Dr. XXXX , welcher den Antragsteller bereits beim Dialog behandelt habe. Keine laufende psychotherapeutische Behandlung.
Derzeitige Beschwerden:
Der Antragsteller berichtet über Panikattacken mit Schwitzen, Atemnot und thorakalem Druckgefühl bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Entsprechende Zustände würden auch in anderen Situationen wie z.B. in Menschenansammlungen oder beim Einkaufen auftreten. Der Antragsteller müsse deshalb seine Einkäufe für wenig frequentierte Uhrzeiten planen. Andere beengte Situationen wie z.B. die Benutzung von Aufzügen seien dem Antragsteller problemlos möglich. Panikattacken bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bestünden bereits seit 2007. Medikamentöse Umstellungen hätten keinen positiven Effekt gebracht. Unverändert bestehe eine chronifizierte Benzodiazepinabhängigkeit sowie eine Schlafstörung, welche positiv auf den Konsum von Dronabinol/Cannabis reagiere.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Regelmäßige FÄ-psychiatrische Kontrollen beim Dialog/Dr. XXXX .
Psychopharmakologische Medikation laut Medikamentenliste Dr. Sonnleitner (20.02.2020): Xanor 0,5mg 1 Stück bei Bed., Bromazepan 3mg 0-0-0-2, Mirtazapin 15mg 0-0-0-1.
Sozialanamnese:
Ledig. Keine Kinder. In den ADLs selbstständig.
Ausbildung/Beruf: Lehre zum KFZ Mechaniker abgebrochen in weiterer Folge Gelegenheitsjobs und Berufstätigkeit im Gastgewerbe. Zuletzt 2007 in diesem Bereich selbstständig.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befundbericht Dialog (15.11.2017):
Seit 09/2016 in Behandlung am Dialog.
D: Rez. Depressive Erkrankung gegenwärtig mittelgradig, generalisierte Angststörung, Störung durch Sedativa oder Hypnotika - Anhängigkeitssyndrom, Verdacht auf ADHS.
Seit 2007 depressive- und Angstsymptomatik trotz multipler medikamentöser Versuche nicht remittiert. Benzodiazepinkonsum besteht schon seit 40 Jahren. Auch hier verliefen mehrere Behandlungsversuche frustran. Keine Belastbarkeit oder Stresstoleranz. Dies kontinuierlich seit 2007 nicht mehr gegeben. Es ist nicht davon auszugehen, dass Herr XXXX wieder in der Lage sein wird einer Arbeitstätigkeit nachzugehen.
Befundbericht Dialog (12.06.2018):
D: Generalisierte Angststörung, rez. depressive Erkrankung gegenwärtig mittelgradig, Benzodiazepinabhängigkeit, Verdacht auf ADHS
Befund: idem
FÄ-Gutachten Dr. XXXX bezüglich Arbeitsfähigkeit (29.06.2018):
massive Schlafstörung mit verschobenem zirkadianem Rhythmus, mittelgradig ausgeprägte depressive Erkrankung verbunden mit deutlicher Antriebs- und Konzentrationsminderung. Auch aufgrund der Angststörung keine berufliche Einsetzbarkeit.
Bericht Vorstellung für stationäre Aufnahme am psychosomatischen Zentrum Eggenburg (19.08.2019):
D: Nichtorganische Insomnie, Agoraphobie mit Panikstörung, chronifizierte mittelgradige Depressio, Benozodiazepinabhängigkeit, St.p. Polytoxikomanie, Cannabiskonsum.
Stationäre Aufnahme geplant.
Befundbericht Dr. XXXX (17.01.2020):
Aufgrund von schweren Panikattacken ist es Herrn XXXX nicht möglich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dieser Zustand besteht schon seit mehreren Jahren und konnte auch durch Medikamente nicht gebessert werden. Ich empfehle aus FÄ- Sicht die Ausstellung eines Parkausweises.
Untersuchungsbefund:
(…) Status Psychicus: Wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert. Konzentration und Mnestik grobklinisch unauffällig. Auffassung intakt. Duktus kohärent und zum Ziel führend bei unauffälligem Tempo. Keine produktiv-psychotische Symptomatik explorierbar. Affekt wenig modulierend. Stimmungslage depressiv bei negativ getönter Befindlichkeit. Nihilistisches Gedankengut. Durchschlafstörungen. Rez. Albträume. Panikattacken in Menschenmengen sowie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Benzodiazepinabhängigkeit. In Bezug auf illegale Substanzen bis auf Cannabis abstinent. Keine akute Selbst– oder Fremdgefährdung fassbar.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Depressio, Insomnie, Benzodiazepinabhängigkeit, Agorapohobie
(…) Dauerzustand (…)
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine, da Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht führende Bestandteile des psychischen Leidens darstellen. Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum sind gegeben.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Keine bekannt.
Gutachterliche Stellungnahme: Keine, da Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht führende Bestandteile des psychischen Leidens darstellen. Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum sind gegeben.“
Im vom Sozialministeriumservice gewährten Parteiengehör führte der Beschwerdeführer aus, dass anscheinend übersehen worden sei, dass bei ihm sehr wohl eine Panikstörung mit soziophoben Symptomen vorhanden sei (Befund Dr. XXXX liege bei) und es ihm nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Des Weiteren sei eine Hepatitis C vorhanden, wodurch sein Immunsystem sehr geschwächt sei und er soziale Kontakte so gut wie möglich vermeide.
Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers holte das Sozialministeriumservice eine Stellungnahme der bereits zuvor beauftragten Sachverständigen vom 25.06.2020 ein, die Folgendes ergab:
„Der Antragssteller bringt in seiner Stellungnahme zum Parteiengehör vor, dass lt. Befund von Dr. XXXX (11/2014) eine ‚Panikstörung mit soziophoben Symptomen‘ vorliegen würde, weshalb er das vorliegende GA beeinspruche.
Aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht bleibt jedoch festzuhalten, dass im Rahmen der ho. Untersuchung eine soziophobe Krankheitskomponente allenfalls latent festzustellen war und nicht als führende Krankheitskomponente in den Vordergrund trat. Der vorgelegte Befund von Dr. XXXX bezieht sich auf das Zustandsbild von vor mehreren Jahren, in aktuellen Befunden wird "Sozialphobie" nicht als führender Krankheitsbestandteil beschrieben.
Der vorgelegte Befund bezügl. der Hep C ist von Seiten eines anderen Fachgebiets zu beurteilen.
Aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht keine Änderung im Vergleich zu meinem VGA vom 4/2020.“
Überdies holte das Sozialministeriumservice ein Gutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 05.09.2020, basierend auf einer Untersuchung am 30.07.2020, ein. Dieses ergab Folgendes:
„Anamnese:
BVwG: GdB 50vH wegen Depression
psychiatrisches Gutachten vom 25.2.2020: Abweisung der ZE ‚Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel‘
Stellungnahme vom 25.6.2020: Hepatitis C: Beurteilung durch FA für Innere Medizin
Derzeitige Beschwerden:
‚Habe 6 Monate lang eine Interferon Therapie gemacht, jetzt mache ich keine Kontrollen mehr. Habe so viel Gewicht abgenommen. Bekomme leicht Infektionen.‘
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Bromazepam, Mitrazapin, Atorvastatin, Xanor bB
Sozialanamnese: ledig, keine Kinder
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Labor 19.10.1998: PCR Hep.C positiv
Befund Dr. XXXX vom 28.4.2015: Z.n. Hepatitis C
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut Ernährungszustand: normal
Größe: 190,00 cm Gewicht: 84 kg Blutdruck: 110/70
Klinischer Status – Fachstatus:
HNAP frei,
Hals: Narbe bland, keine Struma, keine pathologischen Lymphknoten palpabel
Thorax: symmetrisch Pulmo: VA, SKS
Herztöne: rein, rhythmisch, normofrequent
Abdomen: Leber und Milz nicht palpabel, keine Druckpunkte, keine Resistenzen, Darmgeräusche lebhaft
UE: keine Ödeme, Fußpulse palpabel
Faustschluss: möglich, NSG: möglich, FBA: ‚Das mach ich nicht, meine Sehnen sind zu kurz‘
ZFS: möglich
Untersuchung im Sitzen und Liegen, selbständiges An- und Ausziehen
Gesamtmobilität – Gangbild: unauffällig, keine Hilfsmittel
Status Psychicus: allseits orientiert, Ductus kohärent
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Depression
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Zustand nach Hepatitis C ohne weiterführendes Therapieerfordernis begründet keinen GdB, da saniert (…) Dauerzustand (…)
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein.
Gutachterliche Stellungnahme: Das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist, bei hierorts gutem Allgemein- und Ernährungszustand, sowie freiem und unauffälligem Gangbild, durch die dokumentierten Leiden aus internistischer Sicht nicht erheblich erschwert. Darüber hinaus liegt eine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems nicht vor. Den Befunden ist weder eine signifikant erhöhte Infektanfälligkeit zu entnehmen, noch gibt es einen Hinweis auf Infektionen mit Problemkeimen. Es liegt kein hochgradiges Immundefizit, welches die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einschränkt, vor. Siehe auch psychiatrisches Fachgutachten.“
Im gewährten Parteiengehör hierzu führte der Beschwerdeführer aus, dass er die Entscheidung nicht verstehen könne, da die beauftragte Fachärztin für Psychiatrie in ihrem Gutachten definitiv keine Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel diagnostiziert hätte (S. 5 des Gutachtens vom 07.04.2020).
Aufgrund dieses Vorbringens wurde erneut eine Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie vom 05.11.2020 eingeholt, die Folgendes ergab:
„In seiner Stellungnahme zum Parteiengehör führt der Antragssteller an, ich hätte in meinem GA vom 4/2020 ‚keine Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel diagnostiziert‘. Dies ist nicht zutreffend, ich habe im Gegenteil festgestellt, dass die Kriterien für die Zusatzeintragung beim Antragssteller NICHT erfüllt sind, da Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht als führende Bestandteile des psychischen Leidens vorliegen und ausreichende Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum besteht.“
Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 05.11.2020 wurde der gegenständliche Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde auf die eingeholten Gutachten verwiesen.
Im Rahmen der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde monierte der Beschwerdeführer, dass er sich seit dem Jahr 2014 in psychiatrischer Behandlung befinde und sein Arzt gegenteiliger Meinung im Vergleich zu den vom SMS beauftragten Ärzten sei. Sein Arzt könne ihn sicher besser befunden als ein Arzt, der ihn keine 20 Minuten untersucht hätte. Der Beschwerdeführer übermittelte zudem einen Arztbrief seines Facharztes für Psychiatrie vom 24.11.2020.
Das Sozialministeriumservice holte daraufhin ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie vom 18.01.2021, basierend auf einer Untersuchung am 08.01.2021, ein. Dieses ergab Folgendes:
„Anamnese:
(…) Es wird ein neuer Befund des betreuenden Psychiaters, Mag. Dr. XXXX beigelegt, vom 24.11.2020:
Diagnose: Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung
Medikamente: Bromazepam 3 mg 0-0-0-2, Mirtazapin 15 mg 0-0-0-1
‚Es ist Herrn XXXX aufgrund einer schweren Angststörung mit Panikattacken nicht möglich, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dieser Zustand besteht schon seit mehreren Jahren (1. Diagnosestellung 2015 durch Frau Dr. XXXX ) und konnte auch nicht durch Medikamente gebessert werden. Insofern ist bei dieser bereits eingetretenen Chronifizierung nicht mehr von einer Remission auszugehen. Eine Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel ist aufgrund dieser psychischen Störung somit nicht zumutbar.‘
Herr XXXX ist seit 2016 in Betreuung beim Psychiater Dr. XXXX , 1x/Monat
Derzeitige Beschwerden: der AW kommt mit einem Einpunktstock rechts geführt, er berichtet über Panikattacken in öffentlichen Verkehrsmittel oder wenn etwas nicht funktioniert, dann flippt er auch leicht aus und entschuldigt sich dann aber gleich wieder. Generell neigt er zu Panikattacken und hat Angst vor Menschen. In den psychiatrisch stationären Aufenthalt in den letzten Jahren nicht dokumentiert.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: - Bromazepam 3 mg 0-0-0-2, - Mirtazepin 15 mg 0-0-0-1, - Xanor bei Bedarf
Sozialanamnese: wohnt alleine, war letztmalig 2007 als Geschäftsführer im Gastrogewerbe tätig
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
siehe oben
Mitgebrachter Befund:
Ärztliches Gutachten MA 15, Dr. XXXX , FA Psychiatrie, 29.6.2018:
Diagnosen: nichtorganische Insomnie, Agoraphobie mit Panikstörung, chronifizierte mittelgradige Depression, Benzodiazepinabhängigkeit, psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch, gegenwärtig abstinent, Cannabiskonsum
Beurteilung: aus psychiatrischer Sicht besteht aufgrund der massiven chronifizierten Schlafstörung mit verschobenen zirkadianem Rhythmus sowie auch vor dem Hintergrund der mittelgradig ausgeprägt depressiven Erkrankung verbunden mit deutlicher Antriebs- und Konzentrationsminderung, weiters auch auf Grund der Angststörung, keine berufliche Einsetzbarkeit.
Entlassungsbrief Eggenburg, 19.8.2019:
Diagnosen: nichtorganische Insomnie, Agoraphobie mit Panikstörung, chronifizierte mittelgradige Depression, Benzodiazepinabhängigkeit, psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, gegenwärtig abstinent, Cannabiskonsum (Vorgespräch zur Abklärung der Aufnahmevoraussetzung).
Die Behandlung wird voraussichtlich in unserem Kompetenzbereich AZ (Affektive und Zwangsstörungen) erfolgen.
Untersuchungsbefund:
(…) Klinischer Status – Fachstatus:
HN: unauffällig
OE: MER stgl. mittellebhaft, VdA o.B., FNV zielsicher, Feinmotorik erhalten, grobe Kraft, Trophik, Tonus stgl.
UE: Trophik, Tonus o.B., MER schwach auslösbar, Babinski bds. neg., grobe Kraft: 5/5, KHV o.B., VdB o.B., Knieschmerz re. wird angegeben
Sensibilität: Hypästhesie entsprechend etwas L5 li.
Gesamtmobilität – Gangbild: Stand: unauffällig
Gang: mit geringer Hink-Schonhaltung re., jedoch ausreichend schnell und sicher möglich
Status Psychicus: Pat. klar, wach, orientiert, Duktus nachvollziehbar, das Ziel erreichend, keine produktive Symptomatik oder wahnhafte Verarbeitung, Stimmung dysthym, bds. wenig affizierbar, Angabe von Durchschlafstörungen (auch mit Medikation), Panikattacken in Menschenmengen werden angegeben, Realitätssinn erhalten, Auffassung, Konzentration unauffällig
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung, Insomnie, Depressio
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: im Vergleich zum VGA vom 25.2.2020 kann auch bei Vorlage des neueren Befundes des betreuenden Psychiaters Dr. XXXX vom 24.11.2020 keine gesundheitliche Änderung festgestellt werden. (…) Dauerzustand (…)
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
keine; weder aus dem VGA noch aus den ho. vorliegenden Befunden, inkl. des letzten Befundes Dr. XXXX vom 24.11.2020 (Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung), kann eine Klaustrophobie, phobische Angst oder Soziophobie als Hauptdiagnose bestätigt werden, insbesondere nicht in einem Ausmaß, das die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich behindert. Das Leiden 1 ist in Art und Ausprägung nicht geeignet, eine maßgebliche Behinderung bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend zu begründen. Eine stationäre Aufnahme an einer endsprechenden fachspezifischen Abteilung ist nicht dokumentiert, somit bestehen noch Therapiereserven. Diesbezüglich keine Abänderung im Vergleich zum Vorgutachten.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? keine. (…)“
Im gewährten Parteiengehör zu diesem Gutachten gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.
Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 17.02.2021 wies das Sozialministeriumservice die Beschwerde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht vorliegen. Begründend wurde auf das Gutachten vom 21.01.2021 [richtig: 18.01.2021] verwiesen.
Gegen diesen Bescheid stellte der Beschwerdeführer rechtzeitig einen Vorlageantrag und führte erneut aus, dass er nicht nachvollziehen könne, wie ein Arzt, der ihn 10 Minuten untersuche, eine andere Meinung vertreten könne, als sein Psychiater, bei dem er schon 10 Jahre lang in Behandlung sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 von Hundert.
1.2. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:
Status:
HNAP frei.
Hals: Narbe bland, keine Struma, keine pathologischen Lymphknoten palpabel.
Thorax: symmetrisch Pulmo: VA, SKS.
Herztöne: rein, rhythmisch, normofrequent.
Abdomen: Leber und Milz nicht palpabel, keine Druckpunkte, keine Resistenzen, Darmgeräusche lebhaft.
Obere Extremität: MER stgl. mittellebhaft, VdA o.B., FNV zielsicher, Feinmotorik erhalten, grobe Kraft, Trophik, Tonus stgl., Faustschluss: möglich, NSG: möglich.
Untere Extremität: Trophik, Tonus o.B., MER schwach auslösbar, Babinski bds. neg., grobe Kraft: 5/5, KHV o.B., VdB o.B., Knieschmerz re. wird angegeben.
Sensibilität: Hypästhesie entsprechend etwas L5 li.
ZFS: möglich.
Untersuchung im Sitzen und Liegen, selbständiges An- und Ausziehen.
Gesamtmobilität - Gangbild: Stand: unauffällig. Gang: mit geringer Hink-Schonhaltung re., jedoch ausreichend schnell und sicher möglich.
Status psychicus: Pat. klar, wach, orientiert, Ductus nachvollziehbar, das Ziel erreichend, keine produktive Symptomatik oder wahnhafte Verarbeitung, Stimmung dysthym, bds. wenig affizierbar, Angabe von Durchschlafstörungen (auch mit Medikation), Panikattacken in Menschenmengen werden angegeben, Realitätssinn erhalten, Auffassung, Konzentration unauffällig.
Funktionseinschränkungen: Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung, Insomnie, Depressio (Leiden 1).
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die körperliche Belastbarkeit ist ausreichend vorhanden. Es liegen auch keine erheblichen Funktionsstörungen der oberen und unteren Extremitäten sowie der Wirbelsäule vor. Der Beschwerdeführer kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und eine kurze Wegstrecke (ca. 300 - 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ohne Unterbrechung zurücklegen.
Die festgestellte Funktionseinschränkung (Leiden 1) wirkt sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus. Es besteht keine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellte Funktionseinschränkung. Es besteht auch keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, es besteht keine schwere Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems oder der Lunge. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen.
Die Greif- und Haltefunktionen sind erhalten. Das Anhalten über Kopf ist möglich, das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist ebenfalls möglich, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten sind ausreichend.
Beim Beschwerdeführer liegen auch keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder der Sinnesfunktionen vor, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen. Es besteht keine Klaustro- oder Soziophobie als Hauptdiagnose, insbesondere nicht in einem Ausmaß, das die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich behindert. Das Leiden des Beschwerdeführers (Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung, Insomnie, Depressio) ist in Art und Ausprägung nicht geeignet, eine maßgebliche Behinderung bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend zu begründen. Eine stationäre Aufnahme an einer entsprechenden fachspezifischen Abteilung ist zudem nicht dokumentiert, somit bestehen noch Therapiereserven.
Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden. Der Zustand nach Hepatitis C ohne weiterführendes Therapieerfordernis begründet keinen GdB, da er saniert ist. Eine erhöhte Infektanfälligkeit liegt nicht vor.
2. Beweiswürdigung:
Zur Klärung des Sachverhaltes war von der belangten Behörde ein psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 07.04.2020 eingeholt worden. Bereits im zitierten Gutachten wurde der Zustand des Beschwerdeführers im Detail dargelegt und kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Die Fachärztin hielt nachvollziehbar fest, dass keine Einschränkungen bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels vorliegen, zumal die Klaustrophobie, Soziophobe und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht führende Bestandteile des psychischen Leidens darstellen. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass die Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum gegeben sind.
Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers im Parteiengehör, wonach eine Panikstörung mit soziophoben Symptomen sowie ein geschwächten Immunsystems aufgrund einer Hepatitis C vorlägen, holte das Sozialministeriumservice eine Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie vom 25.06.2020 sowie ein weiteres Gutachten, nämlich einer Fachärztin für Innere Medizin vom 05.09.2020 ein.
Auch in diesen Gutachten wurde kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Die Leiden des Beschwerdeführers führen laut diesen Gutachten nachvollziehbar nicht zu Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten, die die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken sowie zu keiner erheblichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit bzw. einer Sinnesbeeinträchtigung.
In ihrer Stellungnahme vom 25.06.2020 hält die Fachärztin für Psychiatrie nachvollziehbar fest, dass im Rahmen der Untersuchung eine soziophobe Krankheitskomponente allenfalls latent festzustellen war und nicht als führende Krankheitskomponente in den Vordergrund trat. Der zu dieser Zeit vorgelegte Befund von Dr. XXXX bezieht sich auf das Zustandsbild von vor mehreren Jahren, in aktuellen Befunden wurde „Sozialphobie“ hingegen nicht als führender Krankheitsbestandteil beschrieben.
Hinsichtlich der Hepatitis C Erkrankung hielt wiederum die Fachärztin für Innere Medizin in ihrem Gutachten vom 05.09.2020 treffend fest, dass der Zustand nach Hepatitis C ohne weiterführendes Therapieerfordernis keinen Grad der Behinderung begründet, da er saniert ist. Auch jene Fachärztin hielt fest, dass das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei hierorts gutem Allgemein- und Ernährungszustand, sowie freiem und unauffälligem Gangbild, durch die dokumentierten Leiden aus internistischer Sicht nicht erheblich erschwert ist. Darüber hinaus liegt eine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems nicht vor. Den Befunden ist demnach weder eine signifikant erhöhte Infektanfälligkeit zu entnehmen, noch gibt es einen Hinweis auf Infektionen mit Problemkeimen. Es liegt somit auch aus internistischer Sicht kein hochgradiges Immundefizit vor, welches die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einschränken würde.
Aufgrund des Beschwerdevorbringens des Beschwerdeführers samt übermitteltem Arztbrief seines Facharztes für Psychiatrie vom 24.11.2020 holte das Sozialministeriumservice ein weiteres Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie vom 18.01.2021 ein.
Auch in diesem Gutachten wurde vom nunmehr beauftragten Facharzt für Psychiatrie festgehalten, dass auch unter Zugrundelegung des neu vorgelegten Gutachtens des betreuenden Psychiaters Dr. XXXX vom 24.11.2020 keine gesundheitliche Änderung im Vergleich zum Vorgutachten festgestellt werden konnte. Schlüssig führt dieser sodann aus, dass weder aus dem Vorgutachten noch aus den vorliegenden Befunden, inkl. des letzten Befundes Dr. XXXX vom 24.11.2020 (Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung), eine Klaustrophobie, phobische Angst oder Soziophobie als Hauptdiagnose bestätigt werden können, insbesondere nicht in einem Ausmaß, das die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich behindert. Das Leiden 1 ist in Art und Ausprägung nicht geeignet, eine maßgebliche Behinderung bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend zu begründen. Eine stationäre Aufnahme an einer endsprechenden fachspezifischen Abteilung ist auch jetzt nicht dokumentiert, somit bestehen noch Therapiereserven. Diesbezüglich liegt demnach keine Abänderung im Vergleich zum Vorgutachten vor.
Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der Extremitäten vor. Niveauunterschiede können überwunden werden und das sichere Ein- und Aussteigen sind gewährleistet. Bei ausreichender Funktionsfähigkeit der Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit, Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, ausreichend gegeben. Der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.
Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen. Es besteht auch keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit. Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus. Es ist dem Beschwerdeführer dadurch zumutbar, eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurückzulegen.
Insgesamt liegt somit keine erhebliche Erschwernis der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor.
Es liegen, wie bereits dargelegt, auch keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit bzw. psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vor und auch keine schwere Erkrankung des Immunsystems. Eine Klaustrophobie, phobische Angst oder Soziophobie als Hauptdiagnose konnte von den Gutachtern nicht bestätigt werden, insbesondere nicht in einem Ausmaß, das die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich behindert. Das festgestellten Leiden 1 (Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung, Insomnie, Depressio) ist in Art und Ausprägung nicht geeignet, eine maßgebliche Behinderung bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend zu begründen. Eine stationäre Aufnahme an einer endsprechenden fachspezifischen Abteilung ist nicht dokumentiert, somit bestehen noch Therapiereserven. Den Befunden ist demnach auch weder eine signifikant erhöhte Infektanfälligkeit zu entnehmen, noch gibt es einen Hinweis auf Infektionen mit Problemkeimen.
Ebenso wenig ist das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Gutachten, wonach die Untersuchungen nur sehr kurz durchgeführt worden wären, geeignet, eine andere Einschätzung herbeizuführen zumal die Gutachter allesamt, wie der Beurteilung zu entnehmen ist, eine fachgemäße Untersuchung durchgeführt und sohin ihre Einschätzungen abgegeben haben. Vielmehr relevant ist, ob das jeweilige Leiden eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit oder Mobilität bzw. psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. eine schwere Erkrankung des Immunsystems bewirkt. Eine derartige Einschränkung konnte bei den Untersuchungen aber nicht objektiviert werden.
In den eingeholten Sachverständigengutachten bzw. Stellungnahmen wird auf den Zustand des Beschwerdeführers ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich somit ein nachvollziehbares Bild des Zustandes des Beschwerdeführers. Er ist den eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene ausreichend konkret entgegengetreten bzw. wurde auch der im Rahmen der Beschwerde vorgelegte neue Befund im zuletzt eingeholten Sachverständigengutachten mitberücksichtigt und waren die vorgelegten medizinischen Befunde des Beschwerdeführers insgesamt nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel darzutun. Anhaltspunkte für eine Befangenheit der Sachverständigen liegen nicht vor.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen in Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten. Diese wurden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu A)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).
Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:
Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 wird ausgeführt:
Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin ist nicht ausreichend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen. Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden.
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen
- nachweislich therapierefrektäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)
Beim Beschwerdeführer liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen. Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.
Wie festgestellt, sind die Leiden des Beschwerdeführers (Agoraphobie mit Panikstörung, generalisierte Angststörung, Insomnie, Depressio) in Art und Ausprägung nicht geeignet, eine maßgebliche Behinderung bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend zu begründen. Eine stationäre Aufnahme an einer entsprechenden fachspezifischen Abteilung ist zudem nicht dokumentiert, somit bestehen noch Therapiereserven. Der Zustand nach Hepatitis C ohne weiterführendes Therapieerfordernis begründet keinen GdB, da er saniert ist. Eine erhöhte Infektanfälligkeit liegt nicht vor.
Die allfällige Verwendung eines Hilfsmittels zur Fortbewegung außer Haus (Schuheinlagen, Gehstock, Stützkrücke, orthopädische Schuhe) ist - da die Funktionalität der oberen Extremitäten beim Beschwerdeführer gegeben ist - zumutbar und bedingt kein relevantes Hindernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Es ist beim Beschwerdeführer von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates auszugehen, die vorgebrachte Einschränkung der Gehstrecke konnte nicht in einem Ausmaß festgestellt werden, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren.
Das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist einwandfrei möglich, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten sind ausreichend.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar." rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass in weiterer Folge auch nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO vorliegen, zumal die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass nach dem Bundesbehindertengesetz Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO ist.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)
Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG)
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Zur Klärung des Sachverhaltes waren von der belangten Behörde ein psychiatrisches und in weiterer Folge medizinische Stellungnahmen sowie weitere fachärztliche Gutachten (internistisch, psychiatrisch) eingeholt worden. In den vorzitierten Gutachten wurde der Zustand des Beschwerdeführers im Detail dargelegt und übereinstimmend das Nichtvorliegen der Voraussetzungen – konkret das Nichtvorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen – für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung festgestellt.
Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden die Sachverständigengutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre – wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist der Facharzt für Psychiatrie in seinem nachvollziehbaren Gutachten vom 18.01.2021 ausführlich auf das geschilderte Beschwerdevorbringen eingegangen. Eine Verhandlung konnte angesichts der ausführlichen Beschreibung des medizinischen Zustandes des Beschwerdeführers unterbleiben. Der Beschwerdeführer hat im Vorlageantrag keine neuen Befunde vorgelegt und auch keine neuen Leiden angeführt. Vielmehr wurden seine Leiden und vorgelegten Befunde allesamt nach Durchführung persönlicher Untersuchungen des Beschwerdeführers einer Beurteilung unterzogen und nachvollziehbare Einschätzungen getroffen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W200.2240075.1.00Im RIS seit
11.06.2021Zuletzt aktualisiert am
11.06.2021