TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/14 W261 2230724-1

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Veröffentlicht am 14.04.2021
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Entscheidungsdatum

14.04.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W261 2230724-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Maga Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 13.12.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 25.09.2019 erstmals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.

2. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.10.2019 erstatteten Gutachten vom 30.10.2019 stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Position 02.01.02, Grad der Behinderung – GdB 30%) und Polyarthrosen ohne höhergradige Funktionsbehinderung (Position 02.02.01, GdB 20%), und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 von Hundert (in der Folge vH) fest.

3. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 07.11.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

4. Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 20.11.2019 eine Stellungnahme ab. Darin führte er im Wesentlichen aus, dass er unter Traumata aus der Kriegszeit leiden würde, welche ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren würden. Wenn er sich unter vielen sich bewegenden Menschenmassen befinde, führe dies dazu, dass die Urticaria (Nesselsucht) auftrete, und er Medikamente nehmen müsse. Er sei nicht in der Lage, mehr als 300-400 Meter weit zu gehen. Sein subjektives Sicherheitsbedürfnis zwinge ihn, eine Krücke oder einen Stock zu benützen. Er fasse das Gutachten als persönliche Beleidigung eines alten Menschen auf, welcher selbst am besten in der Lage sei, seinen Gesundheitszustand zu beurteilen, zumal er sich selbst am längsten kennen würde. Er sei heute nur mit großen Schmerzen in der Lage, die 14 Stufen vom Erdgeschoss seines Hauses in den Oberstock zu überwinden, während er in jungen Jahren in der Lage gewesen sei, diese mühelos mit zwei Betonkübeln in der Hand 20 bis 30-mal pro Tag zu überwinden. Er gab der belangten Behörde bekannt, dass er sich derzeit voraussichtlich bis März 2020 in Chile unter der angegebenen Adresse aufhalten werde und beantragte das Ruhen des Verfahrens bis März 2020. Er werde dann, wenn er wieder in Wien sei, einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens stellen, um Rechtsmittel, wenn notwendig, zeitgerecht einbringen zu können.

5. Die belangte Behörde nahm diese Stellungnahme zum Anlass, um den befassten medizinischen Sachverständigen mit der Erstellung einer ergänzenden Stellungnahme zu beauftragen. Der medizinische Sachverständige führte in dessen Stellungnahme vom 13.12.2019 zusammengefasst aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Argumentation nicht geeignet sei, die bereits vorhandene Leidensbeurteilung zu entkräften, welche daher aufrechterhalten werde.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.12.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten samt ergänzender Stellungnahme in Kopie bei.

7. Gegen diesen Bescheid, welchen der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr aus Chile am 16.03.2020 zugestellt erhalten hatte, erhob er mit Eingabe vom 20.04.2020 fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass der medizinische Sachverständige nicht in der Lage sei, einen älteren Menschen mit multiplen Leiden zu begutachten. Er stelle eine Ungleichbehandlung älterer Menschen fest. Er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und sei anhand einer Selbstanalyse in der Lage, diese Diagnose zu erstellen. Ungeordnete Menschenmassen würden ihm Probleme wie Unbehagen und Unruhe bereiten, und er müsse dann diesen Ort fluchtartig verlassen. Es sei ihm nicht möglich, mehr als 300-400 Meter weit zu gehen, dies sei im Gutachten falsch angegeben worden. Er könne Stufen nur mühsam bewältigen und müsse eine Gehhilfe benützen. Er leide dauernd unter Gelenksschmerzen. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde einen weiteren ärztlichen Befund bei.

8. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 06.05.2020 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W173 einlangte.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.05.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

10. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes holte das Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. Das aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 21.10.2020 erstattete Gutachten vom selben Tag kam zum Ergebnis, dass sich keine Änderung des Grades der Behinderung ergebe.

11. Das Bundesverwaltungsgericht brachte den Parteien des Verfahrens das Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 10.12.2020 zur Kenntnis und räumte ihnen eine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

12. Der Beschwerdeführer führte in seiner Stellungnahme vom 20.12.2020 im Wesentlichen aus, dass es nicht richtig sei, dass der Beschwerdeführer alleine zur Untersuchung gekommen sei, er habe sich in Begleitung seiner Lebensgefährtin befunden. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule (30 %) würden mit den durch die Polyarthrosen (20 %) hervorgerufenen Behinderungen eine Gesamtbehinderung von 50 % ergeben. Der Sachverständige habe dadurch, dass dieser das Wort „traumatisiert“ unter Anführungszeichen gesetzt habe, seinen Krankheitszustand herabgewürdigt. Wenn man durch Selbstanalyse festgestellt habe, in welchen Situationen diese auftrete, dann meide man diese. Man benutze eben keine öffentlichen Verkehrsmittel und Museexn nur dann, wenn wenig Publikum anwesend sei. Jedem 16-jährigen Zuzügler, welcher in Wirklichkeit schon 19 Jahre alt sei, werde die Traumatisierung ohne weiteres bestätigt. Daher sei der Beschwerdeführer nach Coronazeiten genötigt, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch könne er mit dem Begriff „altersentsprechend“ wenig anfangen, zumal 50 % der Personen seines Alters laut Statistik Austria bereits verstorben seien. Da er sich in keinen gutachterlichen Diskurs einlassen wolle, habe er von der Beibringung von Privatgutachten bisher abgesehen, dies auch deshalb, weil die Beweiswürdigung fraglich sei. Er ersuche höflichst um ein faires und objektives Erkenntnis.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

13. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W173 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 03.03.2021 einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 25.09.2019 bei der belangten Behörde ein.

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Auf das Vorgutachten vom 30.10.2019 eines medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Orthopädie:

1)       Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (30%)

2)       Polyarthrosen ohne höhergradige Funktionsbehinderung (20%)

mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30%.

Anamnese:

Nierenzystenoperation, Varikozele-OP, ASK linkes Kniegelenk, ChE, Hämorrhoiden-OP, vor einem Jahr Augen-OP rechts, Zahnimplantate.

Zwischenanamnese seit der Letztuntersuchung: Augen-OP links am 09.09.2020.

Derzeitige Beschwerden:

Herr XXXX habe Schmerzen vor allem rechts lumbal - mit Ausstrahlung der Beschwerden ins rechte Bein bis auf Kniehöhe. Dadurch habe er Probleme beim Gehen und beim Stiegensteigen. Der in den Kriegsjahren „traumatisierte“ Herr XXXX hat auch belastungsabhängige (Stiegensteigen) Atembeschwerden und Extrasystolen. Und bei „Belastung“ treten auch Urtikaria und Angioödeme auf. Zum Hören braucht er ein Hörgerät und seine Augen wurden staroperiert.

Derzeitige Behandlungen und Medikamente:

Bisoprolol, Neurobion, Bezostad, Adamon long retard, Sucralfat, Agopton, Motilium, Lumigan Augentropfen, Voltaren Augentropfen, Chondrosulf.

Status - Fachstatus:

Größe: 174 cm Gewicht: 89 kg Blutdruck: 135/85.

Normaler Allgemeinzustand.

Voll orientiert, Stimmung und Antrieb unauffällig, kooperativ - nur eingeschränkte Mitarbeit bei der Untersuchung des Stütz- und Bewegungsorganes;

Kopf/Hals: Haut und sichtbare Schleimhäute ausreichend gut durchblutet, ausreichender Visus (nach Staroperationen beiderseits - Lesen mit Brille) und ausreichendes Hörvermögen (trägt ein Hörgerät), keine Einflussstauung, Schilddrüse äußerlich unauffällig.

Thorax: inspektorisch unauffällig.

Lunge: auskultatorisch unauffällig. Im Rahmen der Untersuchung keine Atemauffälligkeiten.

Herz: linksbetonte Grenzen, HT- rein, rhythmisch, normfrequent, kompensiert.

Abdomen: über TN, normale Organgrenzen.

Obere Extremitäten:

Eingeschränkte Beurteilbarkeit - vor allem wegen aktivem Gegenhalt bei der Untersuchung der Schultergelenke, soweit beurteilbar: altersentsprechend frei beweglich, kein Tremor.

Untere Extremitäten:

Altersentsprechend frei bewegliche Gelenke, Z. n. ASK linkes Kniegelenk, keine relevante Beinlängendifferenz, keine Ödeme, keine sensomotorischen Defizite. Achsenorgan: unauffälliger struktureller Befund, HWS-Rotation mäßiggradig eingeschränkt, FBA im Stehen: 30 cm.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Freier, etwas verlangsamter, sicherer Gang mit geringem rechtsbetonten Hinken, aktiver KFZ-Lenker.

Beim Beschwerdeführer besteht folgende Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:

-        Degenerative und postoperative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsorgan

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v. H.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 21.10.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag.

Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Im Unterschied zu dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten vom 30.10.2019 werden die beim Beschwerdeführer unbestritten bestehenden Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates unter einer Position zusammengefasst, weil sich dieses Leiden als funktionelle Einheit darstellt. Die geänderten Beurteilungen dieses nunmehr einzelnen Leidens wirkt sich jedoch nicht erhöhend auf den Gesamtgrad der Behinderung aus.

Wenn der Beschwerdeführer kritisch anmerkt, dass der medizinische Sachverständige seine Traumatisierung, welche er im Kriegt erlitten habe, nicht angeführt habe, so ist dem entgegen zu halten, dass diese behauptete psychische Erkrankung des Beschwerdeführers nicht durch entsprechende medizinische Befunde objektiviert ist. Es ist einem medizinischen Sachverständigen im einem Verfahren nach dem Bundesbehindertengesetz verwehrt, Diagnosen aufgrund von Selbstanalysen von medizinischen Laien, wie es der Beschwerdeführer ist, zu erstellen. Oder anders ausgedrückt, sämtlich Leiden, welche bei der Ausstellung eines Behindertenpasses berücksichtigt werden, sind durch entsprechende medizinische Befunde zu belegen und damit zu objektivieren. Nur solche Leiden oder Funktionseinschränkungen, welche auch durch vorgelegte medizinische Atteste belegt werden können, sind für die Ausstellung eines Behindertenpasses von Relevanz. Es liegt am Beschwerdeführer, die entsprechenden fachmedizinischen Befunde hinsichtlich der Traumatisierung, welcher dieser an sich selbst festgestellt habe, der belangten Behörde vorzulegen.

Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gehen in diesem Verfahren ins Leere, weil Gegenstand dieses Verfahrens ausschließlich die Ausstellung eines Behindertenpasses ist, welche mit dem angefochtenen Bescheid aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer mit seinen unbestrittenen bestehenden Leidenszuständen keinen Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. erreicht, abgewiesen wurde.

Der Sachverständige geht in seinem Gutachten vom 21.10.2020 ausführlich auf sämtliche Einwendungen und Befunde des Beschwerdeführers in der Beschwerde ein. Der Beschwerdeführer selbst ist mit seiner Stellungnahme vom 20.12.2020 den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgericht bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 21.10.2020. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

„§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41 (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-        sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-        zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

...“

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Der Beschwerdeführer leidet an degenerativen und postoperativen Veränderungen am Stütz- und Bewegungsorgan, welche der medizinische Sachverständige richtig im unteren Rahmensatz der Position 02.02.02 der Einschätzungsverordnung als generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit Funktionseinschränkungen mittleren Grades mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. einstufte. Dabei berücksichtigte der medizinische Sachverständige, dass beim Beschwerdeführer belastungsabhängige Beschwerden vorliegen, welche durch medizinische Befunde objektiviert sind.

Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).

Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde und seiner Stellungnahme vom 20.12.2020 vorgebrachten Einwendungen waren nicht geeignet, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes, bzw. die Vorlage von medizinischen Befunden, welche die vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Selbstanalyse festgestellte Traumatisierung medizinisch untermauern, die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2230724.1.00

Im RIS seit

11.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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