TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/13 VGW-242/043/RP28/13866/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.11.2020

Index

L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien

Norm

WMG §14
WMG §15

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Landesrechtspfleger Mag. Fahrngruber über die Beschwerde des Herrn A. B., Wien, C.-gasse, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Region 2, Sozialzentrum D., vom 11.09.2020, Zahl …, mit welchem der Antrag vom 23.06.2020 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) gemäß §§ 4, 7, 8, 9, 10 und 12 des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) in der geltenden Fassung in Zusammenhang mit der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG-VO) idgF abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

I.     Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

II.    Der Bedarfsgemeinschaft werden folgende Leistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt:

von 23.06.2020 bis 30.06.2020 € 697,18

von 01.07.2020 bis 30.09.2020 € 2.614,42

von 01.10.2020 bis 31.12.2020 € 1.614,42

III.   Der Bedarfsgemeinschaft wird für den über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs hinausgehenden Bedarf eine Mietbeihilfe von 01.07.2020 bis 31.12.2020 pro Monat von je € 57,-- zuerkannt.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Zum Gang des Verfahrens

1. Am 23.06.2020 stellte die Bedarfsgemeinschaft, wohnhaft in Wien, C.-gasse, vertreten durch Herrn A. B., einen Antrag auf Zuerkennung von Leistungen nach dem WMG. Nach Prüfung des Antrages forderte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, als zuständige Behörde die Antragsteller unter Hinweis auf § 16 WMG und seine Rechtsfolgen auf, näher bezeichnete Unterlagen der Behörde vorzulegen. Dieser Aufforderung kamen die Antragsteller vollständig nach. Die Behörde erließ am 08.09.2020 einen Rückforderungsbescheid wegen zuviel bezogener Leistungen und am 11.09.2020 einen abweisenden Bescheid. Begründet wurde die Abweisung wie folgt:

A. B., 1973
Lohn und Gehalt aus unselbstständiger Arbeit:
€ 3.000,-- von 01.04.2020 bis 30.06.2020

„Laut Gesellschaftsvertrag vom 25.02.2020 vertreten Sie seit 15.04.2020 als unbeschränkt haftender Gesellschafter die Firma „E. und B. KG“ selbstständig.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass durch eine selbständige Erwerbstätigkeit der Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft gesichert ist. Die Mindestsicherung hat nicht den Zweck, unzureichende oder schwankende Erträge im Rahmen einer selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. Unternehmensführung auszugleichen. Wenn sich herausstellt, dass die selbständige Erwerbstätigkeit keine Erträge abwirft, die ein Ausmaß erreichen, das den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft sichert, ist die selbständige Erwerbstätigkeit bzw. das Unternehmen allenfalls sogar stillzulegen und der Versuch zu unternehmen, eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies folgt auch aus § 14 Abs. 1 WMG, wonach die Arbeitskraft möglichst so einzusetzen ist, dass daraus der Lebensunterhalt bestritten werden kann.

Es wurden im Verfahren weder Tatsachen vorgebracht noch Beweismittel vorgelegt, die geeignet sind glaubhaft zu machen, dass durch die selbstständige Erwerbstätigkeit keine ausreichenden Einkünfte zur Deckung des Lebensunterhalts erzielt werden. Eine Notlage im Sinne des Gesetzes war daher nicht als erwiesen anzusehen.

Ihr Antrag war somit abzuweisen.“

2. Gegen diesen Bescheid brachte der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft und nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge kurz: BF) frist- und formgerecht Beschwerde ein und führte zusammengefasst aus, dass er als Selbstständiger erst ab 05.08.2020 tätig gewesen sei. Außerdem sei er mit einer Rückforderung konfrontiert.

3. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Akt dem Verwaltungsgericht Wien mit der Beschwerde zur Entscheidung vor. Auf Anforderung des Gerichtes wurde der Bescheid vom 08.06.2020, Zl. …, mit welchem Leistungen für den Zeitraum 01.08.2019 bis 31.07.2020 zuerkannt wurden, vorgelegt, zum festgestellten Einkommen wurde seitens der Behörde mitgeteilt, dass

„… anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden kann, aufgrund welcher Informationen oder Unterlagen ein monatliches Einkommen von EUR 3000,- zur Berechnung herangezogen wurde. Im Akt befindet sich kein Hinweis der dieses Einkommen belegt.“ und weiters

„Aufgrund der selbständigen Tätigkeit des Klienten, welche nicht gemeldet wurde, besteht ab Mai 2020 kein Anspruch auf Mindestsicherung. Das den Richtsatz übersteigende Einkommen in der Höhe von 3.000 Euro wurde fiktiv zur Berechnung herangezogen. Unabhängig von der Höhe des Einkommens besteht jedoch kein Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung.“

4. Zur Klärung der Sachlage hat das Verwaltungsgericht Wien ein Ermittlungsverfahren (Einsicht in die Behördenportale des Firmenbuchs, der Gewerbebehörde und des AMS sowie Kontakt mit dem Steuerberater) durchgeführt, das im Wesentlichen das Vorbringen des BF, wie es auch dem Behördenakt zu entnehmen ist, wiederspiegelt.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Gesetzliche Bestimmungen:

5. Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) hat nach § 1 Abs. 1 WMG zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern. Die BMS erfolgt nach Absatz 2 dieser Bestimmung durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.

6. Die Zuerkennung von Leistungen der BMS ist nach § 1 Abs. 3 WMG subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.

7. Gemäß § 4 Abs. 1 WMG hat Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer

1.   zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,

2.   seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,

3.   die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,

4.   einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.

8. Nach § 5 Abs. 1 WMG stehen Leistungen nach diesem Gesetz grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.

9. Zu Folge § 5 Abs. 2 Z 1 WMG in der Fassung LGBl. Nr. 22/2020 sind Asylberechtigte, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgestellt, wenn sie volljährig sind, sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist.

10. Nach § 6 Z 4 und 6 WMG haben Hilfe suchende oder empfangende Personen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Ansprüche, die der Deckung der Bedarfe nach diesem Gesetz dienen, nachhaltig zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos, unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbunden ist sowie ihre Mitwirkungspflichten im Verfahren und während des Bezuges von Leistungen zu erfüllen.

11. Gemäß § 7 Abs. 1 WMG in der Fassung LGBl. Nr. 22/2020 haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2 Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.

12. Nach § 7 Abs. 2 WMG erfolgt die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft nach folgenden Kriterien:

1.   Volljährige Personen bilden jeweils eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit anderen Personen in der Wohnung leben (Wohngemeinschaft), sofern nicht Z 2 oder 4 anzuwenden ist.

2.   Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht oder volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht und die im gemeinsamen Haushalt leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben.

3.   Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.

4.   Volljährige Personen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil bilden mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft, wenn sie ihre Schulausbildung vor dem 18. Lebensjahr begonnen und noch nicht abgeschlossen haben, sofern nicht Z 2 anzuwenden ist.

5.   Volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr und volljährige auf Dauer arbeitsunfähige Personen bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben.

13. Gemäß § 8 Abs. 1 WMG in der Fassung LGBl. Nr. 22/2020 erfolgt die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten.

14. Zu Folge § 8 Abs. 2 Z 2 WMG betragen die Mindeststandards für den Bemessungszeitraum von einem Monat 75 vH des Wertes nach Z 1 für volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr, die mit anderen Personen in einer Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft (Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2) leben.

15. Gemäß § 8 Abs. 2 Z 9 WMG betragen die Mindeststandards für den Bemessungszeitraum von einem Monat 27 vH des Wertes nach Z 1 für minderjährige Personen in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 3.

16. Nach § 9 Abs. 1 WMG wird ein über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs nach § 8 Abs. 1 hinausgehender Bedarf an die anspruchsberechtigten Personen als Bedarfsgemeinschaft in Form einer monatlichen Geldleistung (Mietbeihilfe) zuerkannt, wenn dieser nachweislich weder durch eigene Mittel noch durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Die Mietbeihilfe gebührt ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat.

17. Die Mietbeihilfe ist nach Absatz 2, bei durch unbedenkliche Urkunden nachgewiesenen tatsächlich höheren Kosten der Abdeckung des Wohnbedarfs, bis zur Höhe der Bruttomiete zuzuerkennen und wird wie folgt berechnet:

1.   Den Ausgangswert bilden die nach Abzug sonstiger Leistungen tatsächlich verbleibenden Wohnkosten bis zu den Mietbeihilfenobergrenzen nach Abs. 3.

2.   Dieser Ausgangswert wird durch die Anzahl der in der Wohnung lebenden volljährigen Personen geteilt und mit der Anzahl der volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft multipliziert.

3.   Von dem für die Bedarfsgemeinschaft ermittelten Wert wird ein Betrag in folgender Höhe vom jeweiligen Mindeststandard nach § 8 Abs. 2 abgezogen:

a)   für jede volljährige Hilfe suchende oder empfangende Person ein Betrag in der Höhe von 25 vH;

b)   für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die am 1. Jänner 2014 das 50. Lebensjahr vollendet hat und für die Dauer von mindestens einem halben Jahr arbeitsunfähig ist, für jede Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf Dauer arbeitsunfähige Person, wenn sie alleinstehend ist oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft lebt, ein Betrag in der Höhe von 13,5 vH;

c)   für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die am 1. Jänner 2014 das 50. Lebensjahr vollendet hat und für die Dauer von mindestens einem halben Jahr arbeitsunfähig ist, für jede Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf Dauer arbeitsunfähige Person, wenn bei mehr als einer Person der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vorliegen, ein Betrag von 9 vH.

18. Die Mietbeihilfenobergrenzen werden pauschal nach Maßgabe der in der Wohnung lebenden Personen und der angemessenen Wohnkosten unter Berücksichtigung weiterer Beihilfen durch Verordnung der Landesregierung festgesetzt (§ 9 Abs. 3 WMG).

19. Auf den Mindeststandard ist gemäß § 10 Abs. 1 WMG das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft, für die die jeweiligen Mindeststandards gelten, anzurechnen.

20. Zu Folge § 1 Abs. 3 lit. a Verordnung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien - WMG-VO beträgt der Mindeststandard für volljährige Personen ab dem 25. Lebensjahr, die in einer Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft (Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 WMG leben), € 688,01. Dieser enthält
€ 171,99 als Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs.

21. Nach § 1 Abs. 12 WMG-VO beträgt der Mindeststandard für minderjährige Personen gemäß § 7 Abs. 2 Z 3 WMG € 247,68.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt fest:

22. Die Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Bedarfsgemeinschaft sind als Asylberechtigte österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, haben ihren Lebensmittelpunkt in Wien und sind daher berechtigt, Leistungen aus Mitteln der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu beziehen.

23. Die Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Bedarfsgemeinschaft verfügen bis 01.10.2020 über kein Arbeitseinkommen und beziehen auch keine Leistungen der Österreichischen Gesundheitskasse oder des AMS. Für den BF besteht ab Oktober 2020 eine monatliche Privatentnahme in Höhe von € 1.000,--, die als Einkommen anzusehen ist.

24. Die E. B. KG, deren unbeschränkt haftender Gesellschafter der BF ist, wurde am 27.02.2020 beim Handelsgericht Wien angemeldet und mit 15.04.2020 ins Firmenbuch eingetragen (Behördenakt S 32). Die gewerberechtliche Genehmigung zur Ausübung des beantragten Gewerbes „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe und Handelsagent“ erfolgte am 05.08.2020. Ab diesem Zeitpunkt war auch die Ausübung dieses Gewerbes möglich. Zeitgleich teilte der Steuerberater des BF der Behörde mit, dass – Corona bedingt - noch keine geschäftlichen Aktivitäten gesetzt worden wären und dass keine Privatentnahmen erfolgt sind (Behördenakt S 34).

25. Die Bedarfsgemeinschaft bezahlt für die Wohnung in Wien, C.-gasse, eine monatliche Gesamtmiete von € 622,94, sie erhält keine Wohnbeihilfe.

26. Das im angefochtenen Bescheid angeführte „Einkommen aus unselbstständiger Arbeit“ in Höhe von € 3.000,-- wurde von der belangten Behörde aktenwidrig angenommen, aus dem vorgelegten Behördenakt sowie den entsprechenden Behördenportalen (AMS, ÖGK, SVA) ergeben sich keinerlei Hinweise auf ein unselbstständiges Einkommen. Gleiches gilt für ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit.

27. Diese Feststellungen beruhen auf dem unbedenklichen und unbestrittenen Inhalt des Verwaltungsaktes und dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Beweisverfahrens.

In rechtlicher Hinsicht wurde dazu erwogen:

28. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Abweisung des Antrages durch die belangte Behörde.

29. Der Ansicht der belangten Behörde, dass die Anmeldung einer Firma am Handelsgericht Wien bereits ausreichend sei, um ein ausreichendes Einkommen als Selbstständiger zu erzielen, muss entgegen getreten werden. Nach der ständigen Judikatur reicht es nicht aus, aus der Selbstständigkeit eines Mitgliedes einer Bedarfsgemeinschaft den Schluss zu ziehen, dass das Einkommen derselben ausreichend sein muss. Die von der belangten Behörde bescheidmäßig ergangene Abweisung des gesamten Anspruches der Bedarfsgemeinschaft bedeutet de facto eine 100% Kürzung des gesamten Anspruches.

30. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Kürzung des gesamten Anspruches um 100% aufgrund der selbstständigen Tätigkeit einer Person als rechtswidrig erklärt:

„§ 14 WMG normiert die Verpflichtung von Hilfe suchenden bzw. empfangenden Personen zum Einsatz der Arbeitskraft und zur Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen. Das Verwaltungsgericht kam zum Ergebnis, dass die Revisionswerberin dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Es vertrat die Ansicht, dass in einem derartigen Fall nach dem in § 1 Abs. 3 WMG verankerten Grundsatz der Subsidiarität kein Anspruch auf Mindestsicherung bestehe.

Damit hat das Verwaltungsgericht verkannt, dass die Rechtsfolgen der Verletzung der Pflichten zum Einsatz der Arbeitskraft und zur Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen in § 15 WMG geregelt sind. Nach dessen Abs. 1 ist bei Verletzung der Pflicht zum Einsatz der Arbeitskraft bzw. zur Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen der im Rahmen der Bemessung auf die diese Pflicht verletzende Person entfallende Mindeststandard zur Deckung des Lebensunterhalts stufenweise bis zu 50 % zu kürzen. Erst bei fortgesetzter beharrlicher Weigerung ist eine weitergehende Kürzung bis zu 100 % zulässig.

Vorliegend hat das Verwaltungsgericht den Mindestsicherungsantrag der Revisionswerberin wegen Verletzung der Pflichten gemäß § 14 WMG zur Gänze abgewiesen und somit den gesamten Anspruch um 100 % gekürzt. Infolge der dargestellten Verkennung der Rechtslage hat sich das Verwaltungsgericht nicht damit auseinandergesetzt, ob die Voraussetzungen gemäß § 15 Abs. 1 WMG für eine derartige Kürzung vorliegen.

Aus diesen Gründen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.“ (Erkenntnis vom 25.05.2016, GZ: Ra 2015/10/0115).

31. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung mehrfach festgestellt hat, erlaubt die Möglichkeit, eine selbstständige Erwerbstätigkeit auszuüben, der Behörde nicht per se, den Bezug von Leistungen nach dem WMG einzustellen. Im gegenständlichen Verfahren hat das Verwaltungsgericht Wien durch einfache Nachschau in diversen Behördenportalen festgestellt, dass der BF alle – für die ordnungsgemäß Ausübung des Gewerbes notwendigen – Schritte zwar ab Februar 2020 gesetzt hat, dass aber die Gewerbeberechtigung erst mit Wirksamkeit vom 05.08.2020 erteilt wurde.

32. Das Vorbringen des BF, er erziele zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung noch kein Einkommen, führt die Beschwerde letztlich zum Erfolg. Das freie Handelsgewerbe kann erst ausgeübt werden, wenn die Gewerbeberechtigung erteilt wurde. Dies ist auch im Akt entsprechend dokumentiert und war es dem BF daher zumindest bis Jahresende 2020 nicht möglich, sein – aus selbstständiger Erwerbstätigkeit resultierendes Einkommen - auch nachweislich zu erzielen.

33. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch Folgendes zu berücksichtigen:

Gemäß § 14 Abs. 1 Wr MSG 2010 sind Hilfe suchende oder empfangende Personen verpflichtet, zumutbare Beschäftigungen anzunehmen, sich nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen und von sich aus alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, wobei nach angemessener Frist auch Arbeiten anzunehmen sind, die nicht der beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen. Diese Pflicht besteht nach dem zweiten Satz der zitierten Bestimmung insbesondere auch dann, wenn mit einer ausgeübten Beschäftigung der Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht gedeckt werden kann, wobei das Gesetz nicht zwischen selbstständiger und unselbstständiger Beschäftigung unterscheidet. Somit sind nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch Selbstständige, deren Bedarf im Sinn von § 3 legcit durch Einnahmen aus der selbständigen Erwerbstätigkeit und durch das verwertbare Vermögen nicht gedeckt ist, und die daher Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch nehmen, verpflichtet, ihre Arbeitskraft - in objektiver Hinsicht - so gut wie möglich einzusetzen. Sie haben daher - gegebenenfalls eine andere, auch unselbständige - Arbeitsmöglichkeit zu ergreifen und an arbeitsintegrativen Maßnahmen mitzuwirken.“ (Erkenntnis vom 25.05.2016, GZ: Ra 2015/10/0115)

34. Es ist daher dem BF die Möglichkeit einzuräumen, einen Nachweis über das Einkommen zu erbringen, das aus seiner Selbstständigkeit erzielt werden. Kann. Es ist aber auch nach der bestehenden Gesetzeslage klar, dass der BF – bei Ausbleiben entsprechender geschäftlicher Erfolge – sich dem Arbeitsmarkt für eine unselbstständige Tätigkeit zur Verfügung stellen muss.

35. Im Hinblick auf die anzuwendenden Bestimmungen wird festgestellt, dass betreffend den Anspruch der Ehefrau und der Kinder des BF in jedem Fall Leistungen zuzuerkennen waren. Die Privatentnahme des BF in Höhe von € 1.000,-- wird seitens des erkennenden Gerichtes als angemessen erachtet, eine Prüfung – etwa durch Vorlage von Unterlagen durch den Steuerberater – ist als Sinnvoll zu erachten. Diese Privatentnahme ist als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnen. Das von der Behörde angerechnete Einkommen erweist sich als aktenwidrig, da diese Annahme durch keinerlei Beweismittel oder Erhebungen gestützt wird. Die Anrechnung dieses Einkommens erfolgte nach Auskunft der Behördenmitarbeiterin „fiktiv“ ohne jede rechtliche Grundlage, der angefochtene Bescheid erweist sich daher als rechtswidrig und war daher zu beheben.

36. Im Hinblick auf § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG war das Verwaltungsgericht zur Entscheidung berufen, da die Sachlage (Anspruch der BG, tatsächliches Einkommen bekannt) vollständig geklärt war.

37. Die BG hat folgenden Anspruch:

Mindeststandard für den BF und seine Ehefrau nach §§ 7 und 8 WMG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 WMG-VO (Ehepaar-Richtsatz): € 688,01.

Mindeststandard für alle fünf Kinder (geboren zwischen 2009 und 2019) nach §§ 7 und 8 WMG in Verbindung mit § 1 Abs. 12 WMG-VO (minderjährige Personen): je
€ 247,68.

Der Anspruch der BG beträgt daher in Summe pro Monat € 2.614,42.

38. Die BG verfügte bis 01.10.2020 über kein Einkommen. Der Anspruch für den Zeitraum 23. bis 30.06.2020 war zu aliquotieren (€ 2.614,42/30*8) und ergibt sich daher der Betrag € 697,18. Für die Monate Juli bis inklusive September 2020 war der unter Punkt 27 errechnete Anspruch zuzuerkennen.

39. Ab 01.10.2020 hat der BF eine Privatentnahme in Höhe von € 1.000,-- pro Monat als Einkommen angegeben, dieses ist mit dem Anspruch gegenzurechnen. Für die Monate Oktober bis Dezember 2020 ergibt sich daher die folgende Leistung:
€ 2.614,42 (Anspruch) - € 1.000,-- (Einkommen) = € 1.614,42.

40. Die Mietbeihilfe ist unter Heranziehung der Mietbeihilfenobergrenze zu berechnen, da die Miete (€ 622,94) höher liegt (Obergrenze für 7-Personen-Haushalt: € 400,98). € 400,98 (Obergrenze) - € 343,98 (2 x Grundbetrag Wohnen) = € 57,--.

41. Eine öffentliche Verhandlung konnte im Hinblick auf § 24 Abs. 2 Z 3 VwGVG entfallen.

42. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Mindestsicherung; Leistungen; selbstständige Erwerbstätigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.242.043.RP28.13866.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.06.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten