TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/31 W209 2224717-3

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Veröffentlicht am 31.03.2021
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Entscheidungsdatum

31.03.2021

Norm

ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33

Spruch


W209 2224717-2/16E

W209 2224717-3/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter in Erledigung der Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch Dr. Ingrid SCHWARZINGER, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Stiftgasse 21/20, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) vom 23.09.2019, GZ: 12-2019-BE-VER10-0002K, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für die von der XXXX GmbH zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren und Verzugszinsen sowie ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist vom 28.11.2019

A)

beschlossen:

I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

zu Recht erkannt:

II. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit angefochtenem Bescheid vom 23.09.2019 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: ÖGK) aus, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG für die von der XXXX GmbH (im Folgenden: Primärschuldnerin) zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für die Zeiträume August 2017 bis Februar 2018 in Höhe von € 23.268,90 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG ergebenden Höhe, das seien ab 10.10.2019 3,38 % p.a. aus € 22.781,50, hafte.

Begründend führte die ÖGK aus, dass das am 04.04.2018 zur GZ XXXX über die Primärschuldnerin eröffnete Konkursverfahren beim Landesgericht Korneuburg gemäß § 139 IO (Vollzug der Schlussverteilung) am 13.08.2019 rechtskräftig aufgehoben worden sei. Die Verteilungsquote von 1,57 % sei beim Haftungsbetrag rückstandsmindernd berücksichtigt worden. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit haften, als diese infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden könnten. Die Beschwerdeführerin sei mit Schreiben vom 20.08.2019 ersucht worden, die Schuld zu begleichen oder Tatsachen vorzubringen, die ihrer Ansicht nach gegen ihre Haftung sprächen. Da sie diesem Ersuchen nicht nachgekommen sei und die Bezahlung unterblieben sei, sei die Haftung der Beschwerdeführerin für die ausstehenden Beiträge samt Nebengebühren auszusprechen gewesen.

Dem Bescheid war ein Rückstandsausweis vom selben Tag angeschlossen, in dem die Zusammensetzung des oben angeführten Betrages näher aufgeschlüsselt wurde.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertreterin mit Schriftsatz vom 23.10.2019 Beschwerde. Begründend wurde diese damit, dass die Beschwerdeführerin als normale Büroangestellte tätig gewesen sei. Sie spreche für den Büroalltag ausreichend deutsch. Ihre Muttersprache sei russisch. Sie sei von ihrem Chef zur Geschäftsleiterin befördert worden und ihr erklärt worden, dass sie in diesem Zusammenhang beim Notar Dokumente unterschreiben müsse, was sie auch getan habe. Einer Bestellung zur Geschäftsführerin habe sie nie wissentlich zugestimmt. Sie habe bis zum Herantreten der Gläubiger an sie keine Ahnung gehabt, dass die vermeintlich übernommene bessere Stellung im Unternehmen mit Haftungen verbunden sein könnte. Sie habe nie Einblick in die Buchhaltung und zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf die Finanzgebarung der Gesellschaft gehabt. Dies sei in der Ingerenz ihres Chefs und dessen Schwester, welche die Buchhaltung geführt habe, gelegen.

3. Am 07.11.2019 einlangend legte die ÖGK die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

4. Mit Verspätungsvorhalt vom 13.11.2019, mittels ERV zugestellt am 15.11.2019, teilte das Bundesverwaltungsgericht der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin mit, dass die Beschwerde aufgrund falscher Einbringung erst am 24.10.2019 bei der belangten Behörde eingelangt sei. Ausgehend von der gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG vorgesehenen vierwöchigen Beschwerdefrist und der nach der Aktenlage am 25.09.2019 erfolgten Bescheidübernahme sei die Beschwerde als verspätet anzusehen.

5. Mit Telefax vom 28.11.2019 beantragte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde wegen Versäumung der Beschwerdefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Begründet wurde der Antrag zusammengefasst damit, dass die Beschwerdeführerin erst durch den ihr am 15.11.2019 zugestellten Verspätungsvorhalt von der Versäumung der Beschwerdefrist Kenntnis erlangt habe und ihre Rechtsvertreterin durch eine plötzlich auftretende, ihre Dispositionsfähigkeit beeinträchtigenden Krankheit, mit der sie nicht gerechnet habe, an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert gewesen sei. Zugleich wurde die verspätete Beschwerde nachgeholt.

6. Mit Beschluss vom 04.05.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag ab und die Beschwerde als verspätet zurück. Zur Begründung der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der – trotz bereits erfolgter Beschwerdevorlage entgegen § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG bei der belangten Behörde eingebrachte – Wiedereinsetzungsantrag erst am 09.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt sei und daher verspätet sei.

7. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht eine auf Art. 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

8. Mit Erkenntnis vom 07.10.2020, E 2075/2020-10, wurde der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.05.2020 wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufgehoben, nachdem der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 06.10.2020, G 178/2020, die Wortfolge „bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht“ in § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG aufgehoben hatte.

9. Mit Stellungnahme vom 25.02.2021 teilte die ÖGK über Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts um Darlegung, welche Pflichtverletzungen der Beschwerdeführerin konkret zur Last gelegt werden, mit, dass die Primärschuldnerin ein „Selbstabrechner“ (iSd § 58 Abs. 4 ASVG) gewesen sei und daher die Sozialversicherungsbeiträge für alle Beschäftigten selbst zu ermitteln und diese mittels (monatlicher) Beitragsnachweisung melden habe müssen. Die Beschwerdeführerin sei ausdrücklich auf die §§ 58 Abs. 5 und 67 Abs. 10 ASVG (wonach die Vertreter juristischer Personen insbesondere dafür zu sorgen haben, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden) aufmerksam gemacht worden, habe sich hierzu aber nicht geäußert.

10. Mit Parteiengehör vom 11.03.2021, mittels ERV am gleichen Tag der Rechtvertreterin der Beschwerdeführerin übermittelt, wurde die Stellungnahme der ÖGK vom 25.02.2021 der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht und diese aufgefordert, sich hierzu binnen zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens schriftlich zu äußern. Innerhalb der gewährten Frist langte keine Stellungnahme der Beschwerdeführerin ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender entscheidungswesentliche Sachverhalt zugrunde gelegt.

1.1. Hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Die Beschwerde gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse wurde erst nach Ablauf der vierwöchigen Beschwerdefrist bei der belangten Behörde eingebracht.

Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin war durch eine plötzlich auftretende, ihre Dispositionsfähigkeit beeinträchtigende Krankheit, mit der sie nicht gerechnet hatte, an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert, erlangte erstmals durch den ihr am 15.11.2019 zugestellten Verspätungsvorhalt von der Versäumung der Beschwerdefrist Kenntnis und holte die Beschwerde zugleich mit dem am 28.11.2019 bei der belangten Behörde eingelangten Wiedereinsetzungsantrag nach.

1.2. Hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde:

Die Beschwerdeführerin war seit 30.11.2017 (bis zur Löschung der Firma) als selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin der Primärschuldnerin im Firmenbuch (FN XXXX ) eingetragen.

Die Primärschuldnerin schuldete der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) zum 23.09.2019 für die Zeiträume August 2017 bis Februar 2018 Beiträge samt Nebengebühren und Verzugszinsen in Höhe von € 23.268,90.

Die Beiträge sind uneinbringlich geworden.

Die Beschwerdeführerin hat es unterlassen, dafür Sorgen zu tragen, dass die Beiträge rechtzeitig entrichtet werden.

2. Beweiswürdigung:

Zu 1.1. Die Verspätung der Beschwerde steht aufgrund der Aktenlage fest, zumal die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag einräumte, dass die Beschwerde verspätet bei der belangten Behörde eingelangt ist.

Dass letztere durch eine plötzlich auftretende, ihre Dispositionsfähigkeit beeinträchtigende Krankheit, mit der sie nicht gerechnet hatte, an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert war und sie erstmals durch den ihr am 15.11.2019 zugestellten Verspätungsvorhalt von der Versäumung der Beschwerdefrist Kenntnis erlangte, entspricht dem Vorbringen der Rechtsvertreterin, dass zum festgestellten Sachverhalt erhoben wird, ohne dessen Richtigkeit überprüft zu haben.

Das Einlangen des Widereinsetzungsantrages bei der belangten Behörde am 28.11.2019 sowie der Umstand, dass die Beschwerde zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt wurde, stehen aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.

Zu 1.2. Die Organstellung der Beschwerdeführerin als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Primärschuldnerin ab dem oben angeführten Zeitpunkt ergibt sich aus dem Firmenbuch.

Die Höhe der geschuldeten Beiträge ergibt sich aus dem Rückstandsausweis vom 23.09.2019, dessen Inhalt die Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten ist. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (vgl. VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028).

Die Uneinbringlichkeit der Beiträge ergibt sich aus dem zu XXXX ergangenen Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 13.08.2019, mit dem das am 04.04.2018 über die Primärschuldnerin eröffnete Kursverfahren gemäß § 139 IO (Vollzug der Schlussverteilung) rechtskräftig aufgehoben wurde.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin es unterlassen hat, für die rechtzeitige Entrichtung der geschuldeten Beiträge zu sorgen, gründet auf dem Umstand, dass es an der Beschwerdeführerin gelegen wäre, Behauptungen über Tatsachen aufzustellen, dass sie ohne ihr Verschulden an der Erfüllung der ihr obliegenden gesetzlichen Pflichten gehindert war (§ 1298 ABGB; vgl. VwGH 26.05.2004, 2001/08/0209, mwN).

Wurden Beiträge nicht oder nicht rechtzeitig entrichtet und wurden sie in der Folge uneinbringlich, so hat der in Anspruch genommene Vertreter im Verfahren initiativ darzulegen, aus welchen Gründen ihn an der nicht rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge kein Verschulden trifft (VwGH 99/08/0075, ZfVB 2000/1575 = ARD 5141/26/2000 = SVSlg 45.036)

Ein derartiges Vorbringen wurde trotz zweimaliger Aufforderung der Beschwerdeführerin nicht erstattet.

Das in der Beschwerde geäußerte Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin nie Einblick in die Buchhaltung und zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf die Finanzgebarung der Gesellschaft gehabt habe, weil sie gar nicht von ihrer Bestellung als Geschäftsführerin gewusst habe, ist – wie der folgenden rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist – nicht geeignet darzulegen, dass die Beschwerdeführerin an der nicht rechtzeitigen Beitragsentrichtung kein Verschulden trifft.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind.

Da über eine Sache nach § 410 Abs. 1 Z 4 (Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 ASVG) entschieden wird und auch keine Angelegenheit gemäß § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG als Vorfrage zu beurteilen ist, liegt im gegenständlichen Beschwerdeverfahren Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Im vorliegenden Fall gelangt folgende maßgebende Bestimmung zur Anwendung:

§ 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, in der Fassung des BGBl. I Nr. 119/2020 (VfGH):

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.“

§ 67 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des BGBl. I Nr. 86/2013:

„Haftung für Beitragsschuldigkeiten

§ 67. (1) bis (9) […]

(10) Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.“

§ 83 ASVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. Nr. 588/1991:

„Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze

§ 83. Die Bestimmungen über Eintreibung und Sicherung, Haftung, Verjährung und Rückforderung von Beiträgen gelten entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.“

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

I. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt bei Versäumung der Frist zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde die Anwendbarkeit des § 33 VwGVG an, wobei das Verwaltungsgericht über einen nach Vorlage der Beschwerde gestellten Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden hat (vgl. VwGH 26.09.2018, Ra 2017/17/0015).

Gemäß § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG in der geltenden Fassung ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen, wobei der Antrag bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen ist.

Den Feststellungen folgend erkannte die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin erst durch die Zustellung des Verspätungsvorhalts am 15.11.2019, dass die Beschwerde entgegen § 12 VwGVG nicht bei der belangten Behörde eingebracht wurde, wodurch sie sich als verspätet erwies. Somit ist das Hindernis zur fristgerechten Erhebung der Beschwerde am 15.11.2019 weggefallen und war daher der Wiedereinsetzungsantrag bis spätestens 28.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen, zumal diesem die Beschwerde bereits vorgelegt worden war.

Mit Erkenntnis vom 06.10.2020, G 178/2020, hat der Verfassungsgerichtshof jedoch die Wortfolge "bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht" in § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG, BGBl I 33/2013, als verfassungswidrig aufgehoben. Zwar ordnete der Verfassungsgerichtshof an, dass die Aufhebung erst mit Ablauf des 30. Juni 2021 in Kraft tritt. Mit Erkenntnis vom 07.10.2020, E 2075/2020-10, sprach er jedoch aus, dass die gegenständliche Beschwerdesache ein Anlassfall iSd Art. 140 Abs. 7 B-VG ist, wodurch die Aufhebung fallgegenständlich sofort zur Anwendung gelangt.

Damit ist die Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages bei der belangten Behörde am 28.11.2019 im vorliegenden Fall als zulässig und somit als fristwahrend anzusehen.

Wie den Feststellungen weiters zu entnehmen ist, war die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin durch eine plötzlich auftretende, ihre Dispositionsfähigkeit beeinträchtigende Krankheit, mit der sie nicht gerechnet hatte, an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert. Die Erkrankung stellt ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Im Hinblick auf das plötzliche Auftreten und den Umstand, dass die Beschwerdeführerin nicht damit rechnen konnte, trifft sie – trotz Unterlassung präventiver Dispositionen – kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden (vgl. VwGH 21.05.1992, 92/06/0086; 10.10.1995, 95/20/0523).

Die Beschwerde wurde zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt.

Damit war dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben und inhaltlich über die Beschwerde zu entscheiden.

II. Zur Abweisung der Beschwerde:

§ 67 Abs. 10 ASVG zufolge haften u.a. die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Voraussetzung für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist, dass die betreffenden Sozialversicherungsbeiträge beim Primärschuldner uneinbringlich sind. Erst wenn dies feststeht, ist auf die Prüfung der für die Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (vgl. VwGH 16.09.1991, 91/15/0028; 09.02.1982, 81/14/0072).

Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 13.08.2019 wurde das am 04.04.2018 über die Primärschuldnerin eröffnete Kursverfahren gemäß § 139 IO (Vollzug der Schlussverteilung) rechtskräftig aufgehoben. Die Verteilungsquote von 1,57 % wurde beim Haftungsbetrag rückstandsmindernd berücksichtigt. Damit steht die Uneinbringlichkeit der im Rückstandsausweis vom 23.09.2019 angeführten Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren und Verzugszinsen fest.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH trifft ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht den Vertreter die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann. Stellt er dabei nicht bloß ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen auf, so ist er zur weiteren Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens aufzufordern, wenn auf Grund dessen – nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens – die Beurteilung des Bestehens einer Haftung möglich ist. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht entsprochen hat (vgl. VwGH 26.05.2004, 2001/08/0043; 26.01.2005, 2002/08/0213; 25.05.2011, 2008/08/0169).

Wie den Feststellungen und der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, wurden die der (rechtfreundlich vertretenen) Beschwerdeführerin zur Last gelegten Pflichtverletzungen trotz mehrmaliger Aufforderung nicht substantiiert bestritten, sodass im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung von der (gänzlichen) Haftung der Beschwerdeführerin für die darauf zurückzuführenden Beitragsausfälle auszugehen ist.

Soweit die Beschwerdeführerin vorbrachte, sie habe von der Bestellung als Geschäftsführerin nichts gewusst, ist dem entgegenzuhalten, dass es nicht auf die Erlangung der Kenntnis von der Funktion des Geschäftsführers ankommt, weil die Beschwerdeführerin die Funktion einer Geschäftsführerin durch den von ihr abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag erlangt hat und allfällige Willensmängel bei Abschluss dieses Gesellschaftsvertrages nur zur Vertragsanfechtung vor den Zivilgerichten berechtigen, nicht aber in einem Verwaltungsverfahren eingewendet werden können, in dem es um die Erfüllung der Pflichten des Geschäftsführers geht. Die Beschwerdeführerin konnte sich aber auch nicht darauf berufen, dass die Kenntnis von rechtlichen Verpflichtungen keinesfalls von jedermann, insbesondere von der deutschen Sprache nicht mächtigen Personen, verlangt werden könne. Es ist nämlich jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn betreffenden Gesetzen zu verschaffen; diese Verpflichtung gilt auch für Ausländer. Die Rechtsunkenntnis ist nur dann nicht vorwerfbar, wenn die Rechtskenntnis unzumutbar war. Tatsachen, die auf eine solche Unzumutbarkeit schließen ließen, wurden im vorliegenden Fall weder behauptet noch ist sie in Anbetracht der klaren Gesetzeslage zu sehen. Zum angeblichen Fehlen von deutschen Sprachkenntnissen ist auf das eben Gesagte zu verweisen; bei gehöriger Sorgfalt hätte die Beschwerdeführerin auch Kenntnis von den ihre Haftung als Geschäftsführerin regelnden Rechtsvorschriften erlangen können (vgl. VwGH 26.05.2004, 2001/08/0127).

Da der von der belangten Behörde ermittelte Rückstand (zum 23.09.2019) der Höhe nach unbestritten blieb, ist im Ergebnis festzuhalten, dass der Ausspruch über die Haftung für die aufgrund von Pflichtverletzungen uneinbringlich gewordenen Beiträge sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht erfolgt ist.

Die Haftung umfasst im Hinblick auf §§ 58 Abs. 5 und 83 ASVG auch die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach § 59 Abs. 1 ASVG (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038). Dementsprechend erfolgte auch der Ausspruch über die Haftung für die aufgelaufenen und noch auflaufenden Verzugszinsen zu Recht.

Die Beschwerde war daher gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Beschwerdeführerin hat einen solchen Antrag gestellt.

Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin brachte – obwohl sie dazu vor der Gebietskrankenkasse aufgefordert wurde – keine Tatsachen vor, die gegen ihre Haftung sprechen, und holte dies auch in der Beschwerde nicht nach. Damit ist sie ihrer besonderen Mitwirkungspflicht im Verfahren trotz Aufforderung nicht nachgekommen, sodass ohne weitere Ermittlungen und somit auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden konnte (vgl. VwGH 25.03.2019, Ra 2019/08/0059).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Beitragsrückstand Geschäftsführer Haftung Krankheit Pflichtverletzung Rechtsvertreter Uneinbringlichkeit unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W209.2224717.3.00

Im RIS seit

10.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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