Entscheidungsdatum
06.04.2021Norm
ASVG §430 Abs3aSpruch
W217 2234422-1/10Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von Mag. Dr. XXXX , MA, geb. XXXX , vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vom 30.06.2020, Zl. XXXX beschlossen:
A)
Das Bundesverwaltungsgericht stellt gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 135 Abs. 4 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den
Antrag,
§ 430 Abs. 3a letzter Satz Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes – SV-OG, BGBl. I Nr. 100/2018, als verfassungswidrig aufzuheben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 9 B-VG iVm § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Sachverhalt
Beim Bundesverwaltungsgericht ist ein Verfahren betreffend eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden kurz: BMSGPK) anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1. Mit Schreiben vom 28.01.2020 beantragte der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht als weiterer Versicherungsvertreter in der Hauptversammlung der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) die Erlassung eines Bescheides des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 450 ASVG und begehrte die Feststellung, dass ihm als Versicherungsvertreter, der nicht dem Verwaltungsrat oder einem Landesstellenausschuss zugehörig ist, das passive Wahlrecht für die Funktion des Vorsitzes der Hauptversammlung unabhängig von der wahlwerbenden Gruppe, von der er vorgeschlagen wurde, zukommt.
Für die Funktion in einem Verwaltungskörper zu kandidieren, sei ein zentrales, verfassungsgesetzlich garantiertes (Grund-)Recht. Es handle sich demnach um ein Recht der Versicherungsvertreter/innen. Die Vorsitzführung in der Hauptversammlung, in der Satzung und Krankenordnung beschlossen werden würden und der Kontrollbefugnisse zukommen würden, sei zentral für die Funktionsweise des Versicherungsträgers. Diese sicherzustellen sei eine Pflicht der angelobten Versicherungsvertreter/innen.
2. Mit Bescheid vom 30.06.2020 stellte der BMSGPK fest, dass dem Beschwerdeführer als Versicherungsvertreter, der nicht dem Verwaltungsrat oder einem Landesstellenausschuss zugehörig sei, das passive Wahlrecht für die Funktion des Vorsitzes in der Hauptversammlung der ÖGK unabhängig von der wahlwerbenden Gruppe, von der der Beschwerdeführer vorgeschlagen worden sei, gemäß § 430 Abs. 3a letzter Satz ASVG nicht zukomme.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte mit Wirkung vom 01.01.2020 als Versicherungsvertreter aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen in die Hauptversammlung der ÖGK entsendet worden. Er gehöre weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss dieses Versicherungsträgers an. Als Obmann des Verwaltungsrates aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen sei XXXX , MBA der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) als wahlwerbenden Gruppe zuzurechnen. Der Beschwerdeführer gehöre ebenfalls dieser wahlwerbenden Gruppe an.
Gemäß § 430 Abs. 3a ASVG wähle die Hauptversammlung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt aus ihrer Mitte zu Beginn jeder Amtsperiode eine/n Vorsitzende/n aus der Dienstnehmer/innen- und aus der Dienstgeber/innengruppe. Die Vorsitzenden dürften weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürften diese Personen nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates bzw. sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in zuzurechnen sei. Da der Beschwerdeführer derselben wahlwerbenden Gruppe angehöre, der der Obmann des Verwaltungsrates aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen zuzurechnen sei, komme dem Beschwerdeführer gemäß § 430 Abs. 3a ASVG das passive Wahlrecht für die Funktion des Vorsitzes der Hauptversammlung der ÖGK nicht zu.
3. Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 28.07.2020. Der Ausschluss einzelner bzw. einer ganzen Gruppe von Versicherungsvertreter/innen vom passiven Wahlrecht für die Funktion des/der Vorsitzenden der Hauptversammlung der ÖGK aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten wahlwerbenden Gruppe verstoße sowohl gegen die verfassungsrechtlichen Prinzipien der Selbstverwaltung (Art. 120a ff B-VG), insbesondere die Wahl der Organe der Selbstverwaltungskörper aus dem Kreis der Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen abzuhalten, als auch gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG, Art. 14 EMRK, da diese Bestimmung eine Diskriminierung aufgrund der politischen Zugehörigkeit und eine unsachliche Ungleichbehandlung sei. Zudem werde gegen Art. 3 StGG, wonach alle öffentlichen Ämter für alle Staatsbürger gleich zugänglich seien, verstoßen.
4. Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 26.08.2020 zur Entscheidung vorgelegt.
5. Mit Schreiben vom 20.01.2021 trat der Beschwerdeführer den Ausführungen der belangten Behörde, wonach eine paritätische Besetzung nach Zugehörigkeit zu den wahlwerbenden Parteien sachlich sei, entgegen. Neben umfassenden Ausführungen zum Modus der Mandatsverteilung in der Hauptversammlung der ÖGK und AUVA verwies der Beschwerdeführer auf Unterschiede der auf Unselbständige (ÖGK, PVA, AUVA und BVAEB) und Selbständige (SVS) anzuwendenden gesetzlichen Grundlagen. § 24 Abs. 2a SVSG sehe im Unterschied zu den entsprechenden Regelungen des ASVG und B-KUVG eine Ausnahmeregelung dergestalt vor, wonach Personen nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören dürfen, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates bzw. sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in zuzurechnen sei, „es sei denn, es steht keine Person einer anderen wahlwerbenden Gruppe zur Verfügung.“ Damit seien die Bestimmungen im ASVG wohl unsachlich, da der Gesetzgeber in einer Insich-Betrachtung Gleiches ungleich behandle und damit gegen den auch für die Selbstverwaltung wesentlichen Art. 7 B-VG verstoße. Darüber hinaus gäbe es in keinem anderen Selbstverwaltungskörper entsprechende „Fraktionssperren“. Weder der Verfassungsgerichtshof, noch andere Höchstgerichte hätten zur Frage der Fraktionssperre bereits Entscheidungen getroffen.
6. Mit Schreiben vom 26.01.2021 verwies die belangte Behörde auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zuletzt G78/2019) und ergänzte, dass dem Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung der demokratischen Repräsentation in den Organen des Versicherungsträgers ein erheblicher rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt werde. Vor dem Hintergrund der in dieser Judikatur als verfassungskonform beurteilten Parität von Dienstgeber- und Dienstnehmervertreter/innen erscheine die Ansicht konsequent, dass auch eine paritätische Besetzung nach Zugehörigkeit zu den wahlwerbenden Parteien eine Abgrenzung durch ein objektives und sachlich gerechtfertigtes Moment darstelle.
7. Mit Schreiben vom 26.02.2021 übermittelte die belangte Behörde die aktuellen Listen sämtlicher Versicherungsvertreter/innen der ÖGK, der AUVA sowie der PVA, jeweils mit Fraktionszugehörigkeitsausweis.
8. Mit E-Mail vom 16.03.2021 teilte die belangte Behörde mit, dass sowohl die Wahl als auch die Angelobung der Vorsitzenden der Hauptversammlung der ÖGK am 28.01.2020 erfolgt sei.
II. Rechtslage:
§ 430 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung des SV-OG, BGBl. I Nr. 100/2018, lautet auszugsweise wie folgt (die zur Prüfung beantragte Stelle ist durch Unterstreichung hervorgehoben):
„Vorsitz in den Verwaltungskörpern
§ 430. […]
(3a) Die Hauptversammlung der Österreichischen Gesundheitskasse sowie der Pensionsversicherungsanstalt hat aus ihrer Mitte zu Beginn jeder Amtsperiode je eine/n Vorsitzende/n aus der Dienstnehmer/innen- und aus der Dienstgeber/innengruppe zu wählen. Diese führen abwechselnd jeweils für die Dauer von sechs Monaten den Vorsitz, beginnend mit jenem/jener Vorsitzenden, der/die nicht der Gruppe angehört, der der/die den Vorsitz führende Obmann/Obfrau des Verwaltungsrates angehört. Für die Wahl ist die einfache Mehrheit der Mitglieder der Hauptversammlung erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die einfache Mehrheit in der Gruppe jener Versicherungsvertreter/innen, der die zu wählende Person angehört. Die den Vorsitz nicht führende Person ist Stellvertreter/in der den Vorsitz führenden Person. Die Vorsitzenden dürfen weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürfen sie nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates zuzurechnen ist.
(3b) Die Hauptversammlung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt hat für ihre Amtsdauer aus ihrer Mitte eine/n Vorsitzende/n zu wählen. Er/Sie muss der Gruppe der Dienstgeber/innen angehören. Für die Wahl ist die einfache Mehrheit aller Mitglieder der Hauptversammlung erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die einfache Mehrheit in der Gruppe der Dienstgeber/innen. Im Anschluss an die Wahl des/der Vorsitzenden ist für diese/n aus der Mitte der Hauptversammlung ein Stellvertreter/eine Stellvertreterin aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen zu wählen. Der/Die Vorsitzende sowie sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in dürfen weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürfen diese Personen nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates bzw. sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in zuzurechnen ist.
[…]“
§ 139 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG), BGBl. Nr. 200/1967, in der Fassung des SV-OG, BGBl. I Nr. 100/2018, lautet auszugsweise wie folgt:
„Vorsitz in den Verwaltungskörpern
§ 139 […]
(2a) Die Hauptversammlung der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau hat für ihre Amtsdauer aus ihrer Mitte eine/n Vorsitzende/n zu wählen. Er/Sie muss der Gruppe der Dienstnehmer/innen angehören. Für die Wahl ist die einfache Mehrheit aller Mitglieder der Hauptversammlung erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die einfache Mehrheit in der Gruppe der Dienstnehmer/innen. Im Anschluss an die Wahl des/der Vorsitzenden ist für diese/n aus der Mitte der Hauptversammlung ein Stellvertreter/eine Stellvertreterin aus der Gruppe der Dienstgeber/innen zu wählen. Der/Die Vorsitzende sowie sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in dürfen weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürfen diese Personen nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates bzw. sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in zuzurechnen ist.
[…]“
§ 24 Selbständigen-Sozialversicherungsgesetz (SVSG), BGBl. I Nr. 100/2018, lautet auszugsweise wie folgt:
„Vorsitz in den Verwaltungskörpern
§ 24 […]
(2a) Die Hauptversammlung der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen hat für ihre Amtsdauer aus ihrer Mitte eine/n Vorsitzende/n zu wählen. Er/Sie muss dabei aus dem Kreis jener Versicherungsvertreter/innen stammen, der die größere Gruppe nach § 18 Abs. 2 repräsentiert. Für die Wahl ist die einfache Mehrheit aller Mitglieder der Hauptversammlung erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die einfache Mehrheit in der größeren Gruppe nach § 18 Abs. 2. Im Anschluss an die Wahl des/der Vorsitzenden ist für diese/n aus der Mitte der Hauptversammlung ein Stellvertreter/eine Stellvertreterin zu wählen, der/die nicht der gleichen Versichertengruppe wie der Obmann/die Obfrau angehören darf. Der/Die Vorsitzende sowie sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in dürfen weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürfen diese Personen nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates bzw. sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in zuzurechnen ist, es sei denn, es steht keine Person einer anderen wahlwerbenden Gruppe zur Verfügung. Darüber hinaus kann aus der Mitte der Hauptversammlung ein zweiter Stellvertreter/eine zweite Stellvertreterin gewählt werden. Dieser ist nicht Mitglied der Hauptversammlung nach § 441b ASVG.
[…]“
III. Zur Zulässigkeit des Antrages:
1. Anfechtungsberechtigung:
Gemäß Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 135 Abs. 4 B-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, wenn es gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat, einen Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG auf Aufhebung dieser Rechtsvorschrift beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.
Anlässlich der Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.06.2020 sind beim Bundesverwaltungsgericht Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der im Antrag angeführten Bestimmung entstanden.
Gemäß § 452a ASVG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den Bescheid des BMSGPK als Aufsichtsbehörde gemäß § 448 Abs. 1 ASVG vom 30.06.2020 zuständig. Da keine Senatszuständigkeit vorgesehen ist, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 6 BVwGG durch Einzelrichter. Folglich ist der zur Entscheidung über diese Beschwerde zuständige Einzelrichter zur Anfechtung berechtigt (und verpflichtet).
2. Präjudizialität:
Im gegenständlichen Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Beschwerde gegen den Bescheid des BMSGPK vom 30.06.2020 (vgl. oben Punkt I.2.) darüber zu entscheiden, ob dem Beschwerdeführer als Versicherungsvertreter, der nicht dem Verwaltungsrat oder einem Landesstellenausschuss zugehörig ist, das passive Wahlrecht für die Funktion des Vorsitzes der Hauptversammlung der ÖGK unabhängig von der wahlwerbenden Gruppe, von der er vorgeschlagen wurde, zukommt.
Gemäß § 430 Abs. 3a ASVG hat die Hauptversammlung der ÖGK sowie der Pensionsversicherungsanstalt aus ihrer Mitte zu Beginn jeder Amtsperiode je eine/n Vorsitzende/n aus der Dienstnehmer/innen- und aus der Dienstgeber/innengruppe zu wählen. Diese führen abwechselnd jeweils für die Dauer von sechs Monaten den Vorsitz, beginnend mit jenem/jener Vorsitzenden, der/die nicht der Gruppe angehört, der der/die den Vorsitz führende Obmann/Obfrau des Verwaltungsrates angehört. Für die Wahl ist die einfache Mehrheit der Mitglieder der Hauptversammlung erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die einfache Mehrheit in der Gruppe jener Versicherungsvertreter/innen, der die zu wählende Person angehört. Die den Vorsitz nicht führende Person ist Stellvertreter/in der den Vorsitz führenden Person. Die Vorsitzenden dürfen weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürfen sie nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates zuzurechnen ist.
Der Beschwerdeführer wurde von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte mit Wirkung vom 01.01.2020 als Versicherungsvertreter aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen in die Hauptversammlung der ÖGK entsendet. Er gehört weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss dieses Versicherungsträgers an. Als Obmann des Verwaltungsrates aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen ist XXXX MBA der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) als wahlwerbenden Gruppe zuzurechnen. Der Beschwerdeführer gehört ebenfalls dieser wahlwerbenden Gruppe an.
Damit hat das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren, in dem es über das passive Wahlrecht des Beschwerdeführers zur Funktion des Vorsitzenden der Hauptversammlung der ÖGK zu entscheiden hat, die angefochtene Bestimmung des § 430 Abs. 3a letzter Satz ASVG ohne Zweifel anzuwenden.
Eine Unzulässigkeit des Feststellungsbegehrens im Hinblick darauf, dass sowohl die Wahl als auch die Angelobung zum Vorsitzenden der Hauptversammlung der ÖGK am 28.01.2020 erfolgte, ist nach derzeitiger Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht erkennbar. Mangels entsprechender, speziellerer Wahlregeln wie bei anderen Selbstverwaltungskörpern (z.B. bei der Arbeiterkammer die Arbeiterkammerwahlordnung) sind keine wahlrechtlichen Einspruchsverfahren mit verkürzten Entscheidungsfristen normiert, die dem gegenständlichen Feststellungsbegehren als grundsätzlich subsidiärem Rechtsbehelf vorgehen würden.
Die Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht als verfassungswidrig angesehenen Norm führt dazu, dass der Beschwerdeführer, der der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), und damit derselben wahlwerbenden Gruppe wie der Obmann des Verwaltungsrates der ÖGK angehört, vom passiven Wahlrecht generell und von vornherein aufgrund eines nicht objektiv sachlich gerechtfertigten Grundes für diese Funktion ausgeschlossen wäre.
3. Anfechtungsumfang:
Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu den Verfahrensvoraussetzungen ist der Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Rechtsvorschrift derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall bildet, dass aber andererseits der verbleibende Teil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt (vgl. zB VfSlg. 8155/1977, 13.965/1994, 16.542/2002, 16.911/2003). Der Verfassungsgerichtshof hat in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und welchem dieser Ziele der Vorrang gebührt (vgl. dazu zB VfSlg. 7376/1974, 7786/1976, 13.701/1994). Es ist dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, der Rechtsvorschrift durch Aufhebung bloßer Teile einen völlig veränderten, dem Normsetzer überhaupt nicht mehr zusinnbaren Inhalt zu geben, weil dies im Ergebnis geradezu ein Akt positiver Normsetzung wäre (vgl. VfSlg. 12.465/1990, S 128; 13.915/1994, 15.090/1998).
Letztlich ist der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen, dass die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg. 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003). Ein untrennbarer Zusammenhang ist anzunehmen, wenn sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vom Verfassungsgerichtshof anzuwendenden Bestimmungen nicht ohne Mitberücksichtigung weiterer Bestimmungen beantworten lässt, insbesondere deshalb, weil sich ihr (gegebenenfalls verfassungsrechtlich bedenklicher) Inhalt erst mit Blick auf diese weiteren Bestimmungen erschließt. Ein solcher Zusammenhang kann sich aber auch daraus ergeben, dass diese weiteren Bestimmungen durch die Aufhebung der verfassungsrechtlich bedenklichen Normen einen völlig veränderten Inhalt erhielten (vgl. VfSlg. 8155/1977, 8461/1978 uva.). Die Grenzen der Aufhebung sind nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes so zu ziehen, dass der verbleibende Teil einer Rechtsvorschrift nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt (VfSlg. 13.965 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).
Die jüngere Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes besagt, dass eine zu weite Fassung eines Antrags diesen nicht in jedem Fall unzulässig macht. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängende Bestimmungen erfasst, führt dies - ist der Antrag in der Sache begründet - im Fall der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. VfGH 8.10.2014, G 83/2014 ua.; 9.12.2014, G 136/2014 ua.; 10.3.2015, G 203/2014 ua.). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht nicht präjudiziell sind, führt dies - wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit trennbar sind - im Hinblick auf diese Bestimmungen zur partiellen Zurückweisung des Antrags und nicht mehr zur Zurückweisung des gesamten Antrags (VfGH 9.12.2014, G 136/2014 ua.; 10.3.2015, G 203/2014 ua.).
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Bereinigung der - wie folgend unter Punkt IV. dargelegt wird - verfassungswidrigen Rechtslage die Aufhebung des letzten Satzes "Darüber hinaus dürfen sie nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates zuzurechnen ist." in § 430 Abs. 3a ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, idF BGBl. I Nr. 100/2018, notwendig.
IV. Zu den Bedenken zur Verfassungskonformität des § 430 Abs. 3a letzter Satz ASVG:
1. Verstoß gegen die Grundsätze der Selbstverwaltung, insbesondere die Wahl der Organe der Selbstverwaltungskörper aus dem Kreis der Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen:
Gemäß Art. 120c Abs. 1 B-VG sind die Organe der Selbstverwaltungskörper aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind (jedenfalls) die mit "entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen" betrauten Organe des Selbstverwaltungskörpers (die leitenden Organe, vgl. VfSlg. 11.469/1987) von diesem "autonom" (VfSlg. 8644/1979), dh. aus der Mitte seiner Angehörigen bzw. für die soziale Selbstverwaltung "abgeleitet" (VfSlg. 17.023/2003), zu bestellen, um demokratisch legitimiert zu sein. Diese demokratische Bestellung der Organe entspricht einem Kerngedanken der Selbstverwaltung (vgl. VfSlg. 17.023/2003 mwN).
In der Frage, in welcher Weise die demokratische Legitimation der Organe eines Selbstverwaltungskörpers gewährleistet wird, kommt dem Gesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (VfSlg 17.023/2003; VfGH 13. 12. 2019, G 78/2019). Die für Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern geltenden Grundsätze (Art 26 Abs. 1, Art 95 Abs. 2, Art 117 Abs. 2 B-VG) sind als solche nicht anwendbar (VfSlg 8590/1979). In einer gegliederten Interessenvertretung würde ein Wahlrecht, das allen Grundsätzen des Art 26 Abs 1 entspricht, im Übrigen gar nicht zum erwünschten Ergebnis führen: Hier ist nämlich der Grundsatz der indirekten Wahl wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Interessen aller Gruppen in den obersten Organen der Selbstverwaltung vertreten sind (VfSlg 14.440/1996).
Allgemeine Ausschlussgründe für in diese Organe zu entsendende Mitglieder vorzusehen, ist dem Gesetzgeber zwar nicht schlechthin verwehrt, doch darf – abgesehen davon, dass diese Ausschlussgründe sachlich zu sein haben – keine Anforderung vorgesehen werden, die geeignet wäre, eine Entsendung nach demokratischen Grundsätzen zu konterkarieren. Damit könnte sich nämlich der Gesetzgeber über das verfassungsrechtliche Gebot des Art. 120c Abs. 1 B-VG hinwegsetzen (vgl. VfGH vom 13.12.2019, G78-81/2019) (
Grabenwarter/Frank, B-VG Art 120c (Stand 20.6.2020, rdb.at) Rz 2).
Vor diesem Hintergrund sprach der VfGH aus, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sei, bei der Regelung der Entsendung von Versicherungsvertretern auf fachliche Qualifikationen Bedacht zu nehmen, es jedoch in einer Zusammenschau gegen Art. 120c Abs. 1 B-VG verstoße, dass er ein Instrumentarium in Form einer Prüfung mit von außerhalb des Selbstverwaltungskörpers festgelegten (überzogenen, wohl weit über das Notwendige hinausgehenden) Inhalten durch eine außerhalb des Selbstverwaltungskörpers einzurichtende Prüfungskommission schafft, gehe dies doch weit über die bis zum Inkrafttreten des SV-OG bestehende, verfassungsrechtlich unbedenkliche Voraussetzung der "fachlichen Eignung" hinaus (vgl. das zuvor genannte Erkenntnis vom 13.12.2019, G78-81/2019).
Im Hinblick auf die im gegenständlichen Beschwerdeverfahren zu beurteilende Besetzung einer leitenden Funktion eines Verwaltungskörpers des Sozialversicherungsträges aus dem Kreis der Versicherungsvertreter/innen, wirft die oben dargelegte Judikatur gleichermaßen erhebliche Bedenken gegen die im Beschwerdeverfahren strittige Regelung auf:
Gemäß § 428 Z 1 ASVG besteht die Hauptversammlung der ÖGK aus 42 Versicherungsvertreter/innen. Gemäß § 426 Abs. 2 ASVG setzt sich die Hauptversammlung bei der ÖGK (sowie auch bei AUVA und PVA) zusammen aus zwölf Versicherungsvertreter/innen aus der Gruppe der Dienstnehmer/innen, zwölf Versicherungsvertreter/innen aus der Gruppe der Dienstgeber/innen, wobei die ersten sechs Mitglieder der jeweiligen Gruppe die Mitglieder des jeweiligen Verwaltungsrates sind, den Vorsitzenden der jeweiligen Landesstellenausschüsse samt ihren Stellvertreter/inne/n, jeweils drei Senior/inn/envertreter/inne/n, die vom Österreichischen Seniorenrat zu entsenden sind und jeweils drei Behindertenvertreter/inne/n, von denen je einer/eine vom ÖZIV Bundesverband, vom Österreichischen Behindertenrat und vom Kriegsopfer- und Behindertenverband Österreich zu entsenden ist.
Nach dem Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts ist dafür Sorge zu tragen, dass das Recht gewählt zu werden (passives Wahlrecht) allen Staatsbürgern zukommt, ohne dass die Wahlberechtigung von Voraussetzungen — 'ohne Ansehung der Person und des Geschlechts und ohne Bedachtnahme auf Stand, Bildung, Religion, Steuerleistung etc' (Stolzlechner in Rill/Schäffer, Art 120c B-VG Rz 14), wozu auch die politische Weltanschauung zählt — abhängig gemacht werden darf, die nicht jeder Bürger im wahlfähigen Alter erfüllen kann. Das bedeutet für die Organisation von Selbstverwaltungskörpern der sonstigen Selbstverwaltung, dass das passive Wahlrecht allen dort zusammengefassten Personen zuzukommen hat.
Mit Stand 25.02.2021 setzt sich die Hauptversammlung der ÖGK auf der Seite der Dienstnehmervertreter aus acht Mitgliedern der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) und drei Mitgliedern der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) zusammen. Ein Mitglied der Fraktion Freiheitlicher Arbeitnehmer (FA) wurde aktuell nicht nachbesetzt. Davon gehörten fünf Mitglieder der FSG und ein Mitglied der FCG zugleich dem Überleitungsausschuss bzw. Verwaltungsrat an. Dies hat zur Folge, dass aufgrund des Ausschlusses der Verwaltungsratsmitglieder und jener Mitglieder, die derselben wahlwerbenden Gruppe wie der Obmann des Verwaltungsrats (auf Dienstnehmerseite sohin FSG) angehörten, auf Seite der Dienstnehmervertreter/innen lediglich tatsächlich drei Personen ein passives Wahlrecht für die Funktion des Vorsitzenden der Hauptversammlung zukommt, wobei noch dazu derzeit eine Position nicht besetzt ist.
Zwar ist nach der oben dargelegten Judikatur (in Bezug auf die Entsendung in den Kreis Versicherungsvertreter/in) im Regime des Art. 120c Abs. 1 B-VG nicht grundsätzlich ausgeschlossen, bestimmte in der Person gelegene Eigenschaften (z.B. fachliche Eignung) der Versicherungsvertreter vorauszusetzen. Indem bereits die Zugehörigkeit zu einer bestimmten wahlwerbenden Gruppe – zumal diese im gegenständlichen Fall die Mehrzahl der Versicherungsvertreter/innen stellt und damit die Mehrzahl der Dienstnehmer/innen repräsentiert – schlechthin zum Ausschluss vom passiven Wahlrecht für die Funktion des Vorsitzenden der Hauptversammlung führt, geht diese Bestimmung jedoch weit darüber hinaus und wird der in Frage kommende Personenkreis so weit eingeschränkt, dass eine demokratische Legitimation des gewählten Organs durch Ausschluss der Mitglieder einer Fraktion vom passiven Wahlrecht nicht mehr gewährleistet ist.
Der Ausschluss vom passiven Wahlrecht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten wahlwerbenden Gruppe (politische Fraktion/Organisation) greift unter diesen vom VfGH aufgestellten Schranken und Kriterien zweifellos in verfassungswidriger und unzulässiger Weise in die Selbstverwaltung ein und verstößt daher gegen Art 120c B-VG.
Vergleichend sei auch noch darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss vom Wahlrecht oder von der Wählbarkeit, auch in jeweils unterschiedlichem Umfang, zwar nur durch Bundesgesetz als Folge rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilung vorgesehen werden kann (vgl. Art. 26 Abs. 5 B-VG). Nicht wählbar bei Nationalratswahlen, Bundespräsidentenwahlen, Europawahlen sowie bei Landtagswahlen ist, wer durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener und von Amts wegen zu verfolgender gerichtlich strafbarer Handlungen rechtskräftig zu einer nicht bedingt nachgesehenen sechs Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer bedingt nachgesehenen ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Während jedoch bei Straftätern nicht alle Straftäter als Gruppe vom Ausschluss umfasst sind, sieht die fallgegenständliche Regelung ihrem Umfang nach einen Ausschluss sämtlicher Angehöriger einer gesamten Fraktion vor.
Folglich sieht das Bundesverwaltungsgericht durch § 430 Abs. 3a letzter Satz ASVG den Grundsatz der Bildung der Organe der Selbstverwaltungskörper aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen verletzt.
2. Verstoß gegen den Gleichheitssatz; Verstoß gegen die gleiche Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter:
Aus Art 120c B-VG folgt — bestätigt durch die ständige Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg 8644, 10.306, 11.469, 17.023) -, dass die Regelungen der Organkreation ein sachliches aktives und passives Wahlrecht beinhalten müssen (vgl. auch Stolzlechner in Rill/Schäffer, Art 120c B-VG). Das Wahlrecht ist trotz eines Spielraumes des Gesetzgebers ein gleiches, freies und geheimes (vgl. VfSlg 10.412). Auch das Stimmrecht der Mitglieder muss sachlich ausgestaltet sein (VfSlg 19.751).
Der Gleichheitssatz bindet auch die Gesetzgebung (vgl. VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihr insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl. VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl. VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es der Gesetzgebung jedoch von Verfassungs wegen nicht verwehrt, ihre (sozial-)politischen Zielvorstellungen auf die ihr geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl. VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.167/2001, 16.504/2002). Sie kann im Rahmen ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen und darf bei der Normsetzung generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl. VfSlg 13.497/1993, 15.850/2000, 16.048/2000, 17.315/2004 und 17.816/2006, 19.722/2012, jeweils mwN) sowie auch Härtefälle in Kauf nehmen (vgl. VfSlg 16.771/2002 mwN).
Nach dem Wortlaut des § 430 Abs. 3a ASVG sind mit der Funktionsausübung des Vorsitzenden der Hauptversammlung Unvereinbarkeiten mit anderen Funktionen verbunden. Unvereinbar ist es, dass der Vorsitzende der Hauptversammlung der ÖGK und der PVA dem Verwaltungsrat, einem Landesstellenausschuss oder derselben wahlwerbenden Gruppe wie der Obmann/Obfrau des Verwaltungsrates angehört (Abs. 3a). Entsprechendes gilt für den Stellvertreter, der nach dem Rotationsprinzip für ein halbes Jahr den Vorsitz innehat.
Den Materialien zum SV-OG, BGBl. I Nr. 100/2018 (329 der Beilagen XXVI. GP) sind in Bezug auf diesen Punkt, wie auch zu den gleichlautenden Bestimmungen des § 430 Abs. 3b ASVG und des § 139 Abs. 2a B-KUVG, keinerlei erläuternde Bemerkungen zu entnehmen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass dem Bundesverwaltungsgericht mit Ausnahme der soeben genannten Parallelbestimmungen, keine in Geltung stehenden gleich- oder ähnlich gelagerten gesetzlichen Bestimmungen, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten wahlwerbenden Gruppe als Ausschlusskriterium definieren, bekannt sind.
Damit konterkariert der Gesetzgeber das in den Art 120a, b, c B-VG enthalte Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft und deren Selbstverwaltung und verwehrt den Akteuren der Selbstverwaltung der ÖGK selbst unter demokratischen Voraussetzungen die für ihre Aufgaben am besten geeigneten Personen auszuwählen. Dies ist rechtsstaatlich unzulässig. Überdies ist das Grundrecht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 3 StGG) — auch bei der gegenständlichen Position handelt es sich um ein solches öffentliches Amt (vgl. dazu Stolzlechner in Rill/Schäffer, Art 120c B-VG) - verletzt.
Die Wirkung des § 430 Abs. 3a ASVG letzter Satz geht sogar so weit, dass durch die Regelung, wonach der Vorsitzende der HV nicht derselben wahlwerbenden Gruppe wie der Obmann des Verwaltungsrats angehören darf, aufgrund § 441 b Abs. 3 ASVG, den Vertretern dieser Fraktion auch die Möglichkeit genommen wird, die Mitgliedschaft in der Hauptversammlung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger zu erlangen und in letzter Konsequenz auch die Vorsitzführung in der Hauptversammlung des Dachverbandes zu übernehmen. § 430 Abs. 3a ASVG ist schon alleine deshalb überschießend.
Selbst wenn man der Ansicht von Aubauer und Rosenmayr-Khoshideh, Die Versicherungsvertreter nach dem SV-OG – Neue Gremienstrukturen in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, in Festschrift Marhold (2020) 249, folgen will, dass sich der Gesetzgeber bei der gegenständlichen Bestimmung der Stärkung der Minderheitenrechte bei der Besetzung des Vorsitzenden bzw. des Stellvertreters der Hauptversammlung verschrieben haben will – wofür es in den Erläuterungen mangels Ausführungen keine Anhaltspunkte gibt, so ist darauf hinzuweisen, dass ähnlich weitreichende Regelungen von Minderheitenrechten aus Sicht der antragstellenden Richterin selbst dem Gesellschaftsrecht unbekannt sind.
Unvereinbarkeitsbestimmungen finden sich im Regime des ASVG auch in § 420 Abs. 6 ASVG für die Entsendung von Personen als Versicherungsvertreter in die Verwaltungskörper der Sozialversicherungsträger bzw. des Hauptverbandes. § 420 Abs. 6 ASVG normiert mehrere Sachverhalte, die die Bestellung zum Versicherungsvertreter ausschließen (z.B. Dienstverhältnis zu Versicherungsträger oder Dachverband, regelmäßige geschäftliche Beziehung mit einem Versicherungsträger oder Dachverband). Ziel des Abs. 6 ist offenkundig der Schutz der Verwaltungskörper und ihrer „unverfälschten demokratischen Legitimation“ (so Souhrada in Sonntag, ASVG 11. Auflage, § 420 Rz 12, 15: Verhinderung der Beeinflussung der Funktionäre durch demokratiefremde Motive, etwa wirtschaftliche Beweggründe) (Sild in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 420 ASVG (Stand 1.7.2020, rdb.at) Rz 27). Der durch das SV-OG neu hinzugekommene Ausschluss von Mitgliedern der gesetzgebenden Organe auf EU-, Bundes- und Landesebene (Europäisches Parlament, NR/BR und Landtage) sowie der Bundes- und der Landesregierungen (§ 420 Abs. 6 Z 1 ASVG) soll der Vermeidung von Interessenkonflikten zwischen dem politischen Mandat und der Funktion als Versicherungsvertreter dienen (vgl. Sild in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 420 ASVG (Stand 1.7.2020, rdb.at) Rz 29 mit Verweis auf die ErläutRV 329 BlgNR 26. GP 15 f).
Demgegenüber erhellt sich für das erkennende Gericht nicht, inwiefern bereits allein in der Zugehörigkeit des Vorsitzenden der Hauptversammlung und des Obmannes des Verwaltungsrates zu derselben wahlwerbenden Gruppe ein gleichgelagerter Interessenskonflikt begründet wäre und ein Ausschluss der betroffenen Versicherungsvertreter/innen von der Funktion des/der Vorsitzenden der Hauptversammlung gerechtfertigt wäre. Erneut darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Erläuterungen zur Regierungsvorlage hierzu keinen Aufschluss geben.
Das Bundesverwaltungsgericht vermag insofern der Argumentation der belangten Behörde, wonach eine Parität nach wahlwerbenden Gruppen in analogiam zu der vom VfGH als zulässig beurteilten Parität der Dienstgeber- und Dienstnehmer/innenvertreter in den Verwaltungskörpern der Sozialversicherungsträger sachlich gerechtfertigt wäre, nicht zu folgen, geht es hierbei schließlich um eine gänzlich anders gelagerte Problematik, nämlich die Frage der Zulässigkeit der demokratischen Repräsentation der Dienstgeber in den Organen der Sozialversicherungsträger, die auf Leistungsseite einzig Dienstnehmer als Versicherte betrifft. Dabei fand der VfGH aufgrund der Beitragsleistung auch vonseiten der Dienstgeber und dem gemeinsamen Interesse an der Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung für die nach dem ASVG versicherten keine Bedenken an der gesetzlich normierten (sozialpartnerschaftliche) Parität von Dienstgebern und Dienstnehmern in den Organen der Sozialversicherungsträger (vgl. VfGH G78/2019). Die Grundsätze dieser Judikatur lassen sich freilich nicht auf das Verhältnis der unterschiedlichen in den Verwaltungskörpern der Sozialversicherungsträger vertretenen wahlwerbenden Gruppen untereinander umlegen, zumal der demokratischen Zusammensetzung der Verwaltungskörper im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse der einzelnen Fraktionen ohnehin aufgrund der Entsendung der Versicherungsvertreter/innen durch die zuständigen öffentlich-rechtlichen Interessensvertretungen nach dem System d´Hondt (§ 421 Abs. 2 ASVG) Rechnung getragen ist. Damit finden bei der Wahl des/der Vorsitzenden der Hauptversammlung, für die gemäß § 430 Abs. 3a 3. Satz ASVG die einfache Mehrheit der Mitglieder der Hauptversammlung erforderlich ist, in der alle Fraktionen gemäß ihren Stimmenverhältnissen vertreten sind, eine Ausgestaltung nach demokratischen Grundsätzen, die durch Abs. 3a letzter Satz eine insofern sachlich nicht zu rechtfertigende Einschränkung erfährt.
Darüber hinaus enthält § 430 Abs. 3a ASVG auch im System der Sozialversicherung nach dem SV-OG im Hinblick auf § 24 Abs. 2a SVSG eine unsachliche Differenzierung. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
„[…] Der/Die Vorsitzende sowie sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in dürfen weder dem Verwaltungsrat noch einem Landesstellenausschuss angehören. Darüber hinaus dürfen diese Personen nicht derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Obmann/die Obfrau des Verwaltungsrates bzw. sein/seine/ihr/ihre Stellvertreter/in zuzurechnen ist, es sei denn, es steht keine Person einer anderen wahlwerbenden Gruppe zur Verfügung.“
Der Gesetzgeber scheint also bei den Selbständigen durchaus den Fall vor Augen gehabt zu haben, dass keine andere Person „zur Verfügung steht“. Denn es bleibt freilich denkunmöglich, dass es in einem Träger, der aus zwei Interessenvertretungen beschickt wird, nicht zumindest eine andere wahlwerbende Gruppe gibt (z.B. in WKÖ „Wirtschaftsbund, in LWK „Bauernbund“)
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, aus welchem Grund im Regime des Sozialversicherungsrechts der Selbständigen eine Ausnahme normiert wurde, diese in ASVG bzw. B-KUVG jedoch ausgespart wurde. Erneut enthalten die einschlägigen Materialien keine Hinweise auf die dahinterstehende Absicht des Gesetzgebers.
Auch vor diesem Hintergrund ist die relevierte Bestimmung unsachlich, weil der Gesetzgeber in einer Insich-Betrachtung Gleiches ungleich behandelt.
Folglich sieht das Bundesverwaltungsgericht durch § 430 Abs. 3a letzter Satz ASVG auch den Gleichheitssatz iSd Art. 7 Abs. 1 B-VG, Art. 2 StGG und Art. 14 EMRK sowie Art. 3 StGG verletzt.
3. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 StGG (Erwerbsfreiheit):
§ 420 Abs. 5 ASVG lautet:
„(5) Die Tätigkeit als Mitglied eines Verwaltungskörpers erfolgt auf Grund einer öffentlichen Verpflichtung und begründet kein Dienstverhältnis zum Versicherungsträger. Hiefür gebühren Entschädigungen nach folgenden Grundsätzen:
1. Die Mitglieder der Verwaltungskörper haben Anspruch auf Ersatz der Reise- und Aufenthaltskosten nach Maßgabe von Richtlinien nach § 30a Abs. 1 Z 31.
2. Die Obmänner/Obfrauen und ihre Stellvertreter/innen, die Vorsitzenden der Hauptversammlungen und ihre Stellvertreter/innen sowie die Vorsitzenden der Landesstellenausschüsse und ihre Stellvertreter/innen haben Anspruch auf Funktionsgebühren. Das Nähere hat die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz nach Anhörung des Dachverbandes durch Verordnung unter Bedachtnahme auf den örtlichen Wirkungsbereich und die Zahl der Versicherten des jeweiligen Versicherungsträgers zu bestimmen; dabei darf die für ein Jahr zustehende Funktionsgebühr 40% des einem Mitglied des Nationalrates jährlich gebührenden Bezuges nicht übersteigen.
3. Die Mitglieder der Verwaltungskörper, soweit sie nicht unter Z 2 fallen, haben Anspruch auf Sitzungsgeld, dessen Höhe durch Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz nach Anhörung des Dachverbandes festzusetzen ist.
§ 107 Abs. 4 ist anzuwenden.“
Maßgeblich für die Höhe und die Auszahlung der Funktionsgebühr ist dabei die Entschädigungs-Verordnung, BGBl II Nr. 82/2019.
Der Ausschluss vom passiven Wahlrecht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten wahlwerbenden Gruppe greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Erwerbsausübung ein, da nur die Vorsitzenden der Hauptversammlung und ihre Stellvertreter/innen Anspruch auf Funktionsgebühren haben, weshalb das Bundesverwaltungsgericht durch § 430 Abs. 3a letzter Satz ASVG auch Art. 6 StGG verletzt sieht.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG bestimmt das die Organisation und das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes regelnde besondere Bundesgesetz inwieweit gegen Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Revision erhoben werden kann. Gemäß § 25a Abs. 3 VwGG ist eine abgesonderte Revision gegen verfahrensleitende Beschlüsse nicht zulässig.
Schlagworte
Erwerbsfreiheit Gesetzprüfungsantrag Gleichheitsgrundsatz Hauptversammlung passives Wahlrecht politische Zugehörigkeit Präjudizialität Selbstverwaltung verfassungsrechtliche Bedenken Versicherungsvertreter Wahlrecht - AusschlussEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W217.2234422.1.00Im RIS seit
10.06.2021Zuletzt aktualisiert am
10.06.2021