TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/7 W169 2228153-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.04.2021
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Entscheidungsdatum

07.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W169 2228153-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2020, Zl. 1243791109-190880045, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.08.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag führte der Beschwerdeführer aus, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme, die Sprache Punjabi spreche und in Indien 12 Jahre die Schule besucht habe. In Indien würden seine Mutter und seine Schwester leben. Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer an, dass sein Vater und sein Großvater Sikhs gewesen seien. Es gäbe nur noch wenige Sikhs und sie würden dort nicht geduldet werden. Eines Tages sei sein Vater mit dem Fahrrad nach Hause gekommen und von einem Mann auf den Kopf geschlagen worden, wodurch er gestorben sei. Seine Mutter habe einen Schock bekommen. Er sei dann auf ein Internat geschickt worden; nach zwei Jahren sei er wieder nach Hause zurückgekommen und habe den Vorfall bei der Polizei anzeigen wollen. Das hätten „die“ aber erfahren und deshalb sei er zur Zielscheibe geworden und oft geschlagen worden. Im Fall einer Rückkehr habe er Angst, umgebracht zu werden.

2. Anlässlich der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.11.2019 führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Angaben im Rahmen der Erstbefragung richtig und vollständig seien und er damals die Wahrheit gesagt habe. Er sei Angehöriger der Sikh, gehöre der Volksgruppe der Punjabi an und sei im Dorf Plassi bei seiner Mutter aufgewachsen. Er habe 11 ½ Jahre eine Schule besucht. Da er jedoch von Leuten mit dem Tod bedroht worden sei, habe er die Schule nicht abschließen können. Er habe Indien vor ca. einem Jahr verlassen. Zur Finanzierung seiner Ausreise habe er 70 Prozent seiner Grundstücke verkauft. In Indien, im Heimatdorf, würden seine Mutter und seine Schwester leben. Er würde im Heimatdorf ein Eigentumshaus besitzen und habe 30 Prozent der Grundstücke an seine Schwester weitergegeben. Er habe keinen Kontakt zu seinen Angehörigen. Er werde in Indien nicht von den Behörden gesucht und habe auch niemals Probleme mit den Behörden gehabt. Er sei im Heimatland aber wegen seiner politischen Gesinnung und wegen seiner Religion verfolgt worden, zumal er ein Mitglied der Sikh Partei sei. Er sei gesund.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor (A: nunmehriger Beschwerdeführer; F: Leiterin der Amtshandlung):

„(…)

F: Warum verließen Sie Ihr Heimatland? Erzählen Sie unter Anführung von Fakten, Daten die Ihnen wichtig scheinenden Ereignisse.

A: Ich möchte zunächst angeben, dass meine Mutter eine Hindu ist und mein Vater ein Sikh war. Der Sikhismus erlaubt grundsätzlich Personen mit anderen Religionen zu heiraten. Der Hinduismus lehnt dies jedoch ab. Diesbezüglich gab es viele Probleme. Mein Vater betete und laß unser heiliges Buch im Sikh-Tempel. Da es bekannt war, dass mein Vater eine Hindufrau heiratete, gab es Streitereien und Gerichte im Sikh-Tempel. Immer als meine Mutter alleine auf der Straße war, wurde sie von Nachbarn oder Dorfbewohner belästigt und betatscht. Sie sahen meine Mutter als eine schlechte Frau. In unserem Dorf leben Sikhs, Hindus und auch Muslime. Da mein Vater miterlebte, wie schlecht meine Mutter im Sikh-Tempel behandelt wurde, hörte er auf, in diesen Tempel zu gehen. Er war eigentlich nur mehr zu Hause. Aber als Wahlen stattfanden, kam eine Partei zu meinem Vater und machte ihm schöne Augen. Sie sagten ihm, sie würden ihm illegale Alkohoflaschen literweiße zur Verfügung stellen. Leider ließ sich mein Vater von dieser Partei überreden und so begann sein Alkohol- und Drogenkonsum. Es kam sogar soweit, dass die Alkohol- und Drogenflaschen auf unserem Feld verkauft wurden. Auf Grund dieses Konsums verstarb mein Vater. Nachgefragt gebe ich an, dass mein Vater von den Personen, welche ihm diese Suchtmittel zur Verfügung gestellt haben, durch mehrere Schläge durch Glasflaschen auf den Kopf gestorben ist. Dieses Attentat überlebte er zwar, zwei Monate danach verstarb er jedoch an diesen Verletzungen. Ich war damals fünf Jahre alt und wusste nicht einmal was Trauer bedeutet. Erst als ich erwachsen war, hat mir meine Mutter erklärt, wie der Tod meines Vaters zustande gekommen ist. Diese Personen, die damals meinen Vater verführten, haben zahlreiche Anzeigen wegen Mordes, Drogenhandel und wegen Schmuggel. Meinem Erachten nach ist es auch ein Mord an meinem Vater gewesen, da diese ihm Suchtmittel zur Verfügung stellten und ihn auch mit Glasflaschen auf den Kopf verprügelt haben. Meine Mutter war am Boden zerstört. Sie wurde alleine gelassen mit zwei Kindern und wurde von der Gesellschaft ausgeschlossen. Meine Mutter schickte mich in der achten Klasse in ein Internat wo ich ca. zwei Jahre verbracht habe. Die Situation zu Hause war sehr schwierig. Meine Mutter sagte mir immer, ich soll in der Schule gut aufpassen damit ich Anwalt werden kann. Aber ich wollte nicht mehr ins Internat gehen, da ich mitbekommen habe, dass es an Geld mangelt. Somit habe ich begonnen zu arbeiten. Als ich in meine Landwirtschaft ging, habe ich gesehen, dass diese Leute offen die Suchtmittel verkauften. Meine Mutter wurde so verspottet und beschimpft, dass sie aufhörte, in den Sikh-Tempel zu gehen. Es war auch nicht erlaubt, dass meine Mutter Zutritt zum Sikh-Tempel hat.

F: Kommen Sie bitte zum Punkt, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben:

A: Ich habe bei dem Dorfvorstand eine Beschwerde eingereicht, da diese Leute von der Partei auf meinem Grund Suchtmittel verkauften. Am nächsten Tag, als ich in die Schule ging und der Unterricht beendet wurde, standen vor der Schule einige Männer. Diese Männer haben mich gestoßen und geschlagen. Es wurde sogar ein Video von diesem Anschlag gefertigt. Auch mein Turban wurde von meinen Haaren gezogen und ich wurde entehrt, beschimpft und brutalst geschlagen. Nach dem Aufenthalt im Spital, erstattete ich Anzeige bei der Polizei. Nachdem ich die Anzeige erstattete, wurde mein Hund erschossen. Diese Männer warnten mich und teilten mir mit, dass ich der Nächste sein werde, sollte ich die Anzeige nicht zurückziehen. Ich habe die Anzeige jedoch nicht zurückgezogen. Jedoch arbeitet die Polizei mit diesen Kriminellen zusammen. Die Polizei wird von diesen Kriminellen bestochen. Es kam sogar soweit, dass die Polizei mir 10.000,- indische Rupien Bestechungsgeld geben wollte, damit meine Kosten für den Spitalaufenthalt und die Medikamentenkosten gedeckt werden. Dies lehnte ich jedoch ab. Dieser Betrag wurde nicht von der Polizei direkt angeboten jedoch aber von den Kriminellen. Die Anzeige wurde jedoch nicht hochgeladen sondern nur aufgenommen. Diese Kriminellen erhöhten sogar die Bestechungssumme auf 20.000,- indische Rupien. Von diesem Betrag habe 10.000,- ich bekommen und 10.000 die indische Polizei bekommen. Auf einem Blatt Papier wurde ein Schreiben angefertigt, wo die Kriminellen ihr Versprechen gegeben haben, dass es zu keinen weiteren Vorfällen kommen wird. Es wurde auch geschrieben, dass diese Personen nicht mehr auf meinem Grundstück Suchmittel verkaufen werden. Dieses Schreiben wurde von mir und diesen Personen unterschrieben. Zwei Tage später wurde das Anschlagvideo auf Facebook veröffentlicht. Diese Personen protzten mit diesem Video und teilten der Öffentlichkeit mit, dass dies mit Personen passiert, welche gegen deren Partei ist. Als ich das Video auf Facebook entdeckte, ging ich sofort zur Polizei und erstattete erneut eine Anzeige. Natürlich wurde diese Nachricht an diese Personen weitergeleitet. In weiterer Folge ritzte sich eine Person und behauptete, dass ich es gewesen wäre. Daher wurde auch eine Anzeige gegen mich erstattet. Diese Personen drohten mir und sagten, wenn ich bereit wäre diese Anzeige zurückzuziehen, würden diese es auch tun. Ich zog die Anzeige jedoch nicht zurück, da mir meine Familie sagte, dass ich dies nicht tun soll. Nach ca. 15 Tagen standen vier Anführer der Partei mit ca. 70 Anhängern vor meinem Grundstück. Es gibt auch ein Video davon welche diese Parteiangehörigen gefertigt haben. Mein Grundstück wurde so zu sagen von diesen Personen in Besitz genommen. Sie wollten mir in diesem Zeitpunkt das Leben nehmen. Da ich diese Personen jedoch schon von weitem gesehen habe, konnte ich weglaufen. Diesmal habe ich die Notrufnummer der Polizei gewählt und mir wurde mitgeteilt, dass die Polizei in ca. einer Stunde bei mir zu Hause sein wird. Als die Polizei bei mir zu Hause war, wurden Schäden an meinem Haus und meinem Motorrad festgestellt. Neben meinem Motorrad standen auch andere Motorräder, diese wurden ebenfalls beschädigt. Dieser Vorfall wurde eingetragen und die Polizei teilte mir mit, dass diese sich in ca. einer Woche bei mir melden werden. Später wurde mir mitgeteilt, dass wenn ich nicht die Anzeige zurückziehe, ein Strafverfahren gegen mich, bzgl. der „Khalistan-Bewegung“ eingeleitet wird. Ich wurde sozusagen von der Polizei erpresst. Es wurde mir auch mitgeteilt, dass gegen mich eine Anzeige Suchtmittelhandel- und Konsum erstattet werden wird. Bis zum Jahr 2020 möchten die Sikhs einen unabhängigen Staat namens „Khalistan“ gründen. Da die indische Regierung dagegen ist, werden alle Aktivisten und Befürworter der Khalistan-Bewegung angezeigt oder eingesperrt. Wenn Khalistan gegründet wird, kann es zu keinem illegalen Drogenhandel mehr kommen. Diese Leute wollen diese Chance nutzen und mir zusätzlich Schaden zufügen. Es gibt sogar ein Gerücht in meinem Dorf, dass ich gestorben bin.

F: Woher haben Sie von diesem Gerücht erfahren?

A: Von einem Freund der in Kanada lebt welchen ich von klein auf kenne und ferner Verwandter ist.

F: Wollen Sie noch etwas zu Ihren Fluchtgründen vorbringen?

A: Ja, diese Personen sind so Mächtig, dass diese sogar Sterbeurkunden von noch lebenden Personen ausstellen können.

F: Wer sind diese Personen und welcher Religion gehören diese an?

A: Bei diesen Personen handelt es sich um Hindus und Muslime.

F: Kennen Sie diese Personen auch mit deren Namen und kennen Sie auch deren Parteizugehörigkeit?

A: Ja, die Namen lauten XXXX , XXXX und XXXX . Alle gehören der Kongress-Partei an. 1984 gab es auch einen Anschlag auf den goldenen Tempel in Amritsar, für welche auch die auch die Kongress-Partei verantwortlich ist.

F: Wann wurde Ihr Vater ermordet?

A: Im Jahr 2004 oder 2005 im März.

F: Arbeiten diese Personen nun mit der Polizei zusammen oder nicht?

A: Ja, diese arbeiten zusammen.

F: Warum bezahlt die Anhängerschaft der Kongress-Partei Ihnen Bestechungsgeld, wenn diese doch mit der indischen Polizei zusammenarbeitet?

A: Damit möchten diese Parteiangehörigen lediglich verhindern, dass diese zu Gerichtsverhandlungen erscheinen müssen.

F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

A: Ich habe alles was ich zu sagen habe nun ausgesprochen. Ich habe nicht ohne Grund meine Mutter alleine gelassen. Ich möchte mich weiterbilden und ein normales Leben führen wie alle anderen.

Vorhalt: Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab. Warum behaupten Sie, dass es nur noch wenige Sikhs gibt?

A: Ich habe nur von meinem Dorf gesprochen.

Vorhalt: Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen. Wollen Sie dazu Stellung nehmen?

A: Das Militär ist nicht bestechbar, aber die Behörden und die Gerichte sind alle bestechbar.

F: Wer genau verfolgt Sie nun?

A: Diese vier Personen welche Anhänger der Kongress-Partei sind und viele andere.

F: Warum haben Sie sich nicht in einem anderen Landesteil Ihres Heimatlandes niedergelassen, um diesen Problemen zu entgehen?

A: Wo anders könnte ich nicht leben, da ich Sikh bin und ich würde wo anders auch keine Arbeit finden da in anderen Landesteilen von Indien Korruption, Kriminalität und Arbeitslosigkeit vorherrscht.

F: Wer würde Sie suchen?

A: Angehörige der Kongress-Partei.

F: Warum mussten gerade Sie aus Ihrem Heimatland flüchten, wo doch Ihre Familienangehörigen weiterhin in Indien leben können?

A: Diese Personen hatten diese Probleme lediglich mit mir.

F: Welche Probleme erwarten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihre Heimat?

A: Das was alles davor geschehen ist, würde wieder passieren.

F: Können Sie diese zwei Videos und Befunde von Ihrem Spitalaufenthalt beschaffen?

A: Ja, dass kann ich.

Anm.: AW wird aufgefordert, diese Videos und die Befunde bis zum 17.11.2019 in Vorlage zu bringen.

Anmerkung: Der AW wird aufgefordert Beweismittel für sein Fluchtvorbringen und auch Identitätsdokumente anzufordern und ehestmöglich in Vorlage zu bringen.

A: Ja, das werde ich machen.

(…)“

Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, dass er nicht Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation sei und er auch keine Kurse oder Ausbildungen absolviert habe. Er spreche nicht Deutsch. Er habe keine Verwandten in Österreich, nicht einmal einen Freund. Er gehe im Bundesgebiet keiner Beschäftigung nach.

Dem Beschwerdeführer wurde am Ende der Einvernahme das aktuelle Länderinformationsblatt zu Indien ausgefolgt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer vorgegebenen Frist eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

3. Am 20.11.2019 legte der Beschwerdeführer dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Beweis seines Vorbringens eine CD vor und gab dazu an, dass sich auf dieser CD ein Video befinde, wo man erkennen könne, dass er geschlagen werde.

4. Am 20.12.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen (Gegenstand der Amtshandlung „Einvernahme Videobeweis“). Im Rahmen der Einvernahme wurde das vom Beschwerdeführer vorgelegte Video im Beisein des Beschwerdeführers abgespielt. Dazu gab der Beschwerdeführer an, dass er die Person sei, die auf dem Boden liege. Auch dieser große Stein sei ihm auf den Kopf geschlagen worden. Wegen dieses Steinschlags habe er heute noch Narben am Hinterkopf. Weiters gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage an, dass der Mann mit der hellen Jogginghose und dem schwarzen Shirt XXXX , der Herr mit dem schwarz-weiß und rot gestreiften Shirt XXXX und die Person, welche mit dem blauen Tuch vermummt sei und eine gefleckte Hose anhabe, Herr XXXX sei. XXXX sei auf dem Video nicht zu sehen. Diese Personen würden der Kongresspartei angehören. Nach Vorhalt, warum er bis jetzt noch keine ärztlichen Befunde über seinen Krankenhausaufenthalt vorgelegt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er mit niemanden in Indien Kontakt habe. Sobald es ihm gelinge, mit jemanden Kontakt herzustellen, könne er diese Befunde auftreiben. Sein Vater sei schon verstorben. Zuhause habe er nur seine Mutter und seine Schwester. Auf die Frage, warum es ihm nicht gelungen sei, innerstaatlich zu flüchten, gab der Beschwerdeführer an, dass in Indien sehr viel Korruption herrsche. Es sei für ihn unmöglich, dort zu bleiben. „Diese Personen“ hätten seine Landwirtschaft in Besitz nehmen wollen. Er habe jedoch diese Landwirtschaft verkauft und werde nun von diesen Personen gesucht. Er habe die Namen dieser vier Personen bereits angegeben und diese seien sehr mächtig und hätten keine Angst vor der Polizei. Er sei bei der Polizei gewesen, habe von dieser jedoch keine Unterstützung erhalten. Auch sei ihm eine innerstaatliche Flucht nicht möglich gewesen, weil die Sikhs nur im Punjab sesshaft seien. Auf Vorhalt, dass aus den Länderfeststellungen hervorgehe, dass Sikhs auch in anderen Bundesstaaten leben würden, gab der Beschwerdeführer an, dass im Punjab und in Jammu Kashmir Sikhs leben würden. Aber in Jammu Kashmir sei die Lage sehr schlimm.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgereicht Beschwerde und wurde nach Wiederholung der Fluchtgründe ausgeführt, dass die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid in keiner Weise nachvollziehbar sei und nicht mit dem Protokoll der Einvernahme übereinstimme. Einen erkennbaren Begründungswert hätten die Vorwürfe des Bundesamtes daher nicht, insbesondere, da das Bundesamt scheinbar einen großen Teil der Aussagen des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis zu nehmen scheine, sondern nur selektiv, in tendenziöser Weise die Aussagen herausglaube, die der Argumentation des Bundesamtes zuträglich seien. Dass der Beschwerdeführer keine Details zu seinen Fluchtgründen angegeben habe, sei nicht richtig, er habe genaue Zeit- und Ortsangaben gemacht, die Ereignisse chronologisch konsistent inklusive Erklärungen über sämtliche relevante Personen, wie auch scheinbar nebensächliche Detailangaben, geschildert. Die Behauptung des Bundesamtes, die Erklärungen des Beschwerdeführers seien nicht „lebensnahe“ gewesen, seien daher angesichts des Protokolls nicht nachvollziehbar. Mit der Frage der Schutzwilligkeit der indischen Behörde dem Beschwerdeführer gegenüber habe sich das Bundesamt überhaupt nicht auseinandergesetzt und liege daher ein wesentlicher Begründungsmangel vor. Der Beschwerdeführer habe in der Einvernahme erklärt, dass er keinen Schutz der indischen Behörden erhalten habe können. Zu einer allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternative sei noch festzuhalten, dass die pauschale Behauptung des Bundesamtes, in Indien gäbe es immer und für jeden eine inländische Fluchtalternative und man brauche sich nur in der Anonymität und der Verleugnung seiner persönlichen Identität verstecken, um einer Verfolgung entgehen zu können, nicht zutreffend sei. Auch wenn im Fall des Beschwerdeführers dringlich um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ersucht werde, werde außerdem festgestellt, dass für den Fall einer Abschiebung die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bestehe, aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage in Indien und der hoffnungslosen Situation, der der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers sei nur eine unzureichende Behandlung mit seinem Vorbringen erfolgt. Es werde der Antrag gestellt, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Indien befasse, und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

7. Am 16.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, Rückkehrbefürchtungen und Integrationsbemühungen in Österreich befragt (siehe Verhandlungsprotokoll OZ 5Z).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab, gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh und der Volksgruppe der Punjabi an. Seine Identität steht nicht fest. Er spricht die Sprache Punjabi. Im Herkunftsstaat besuchte er zwölf Jahre die Grundschule und arbeitete auf der elterlichen Landwirtschaft mit. Der Beschwerdeführer lebte im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem eigenen Haus. Der Vater des Beschwerdeführers ist vor vielen Jahren verstorben. Dass der Vater des Beschwerdeführers vom Onkel des Beschwerdeführers bzw. von Mitgliedern der Kongress Partei ermordet wurde, kann jedoch nicht festgestellt. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und gesund.

Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandtschaft in Österreich. Er spricht kein Deutsch, hat keine Kurse oder Ausbildungen besucht und ist auch nicht Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation. Am Wochenende arbeitet er ab und zu als Zeitungszusteller und lebt mit drei weiteren Personen in einer Wohngemeinschaft. Der Beschwerdeführer nimmt keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch und ist strafgerichtlich unbescholten. Er steht im erwerbsfähigen Alter. In Indien leben die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers, welche eine Krankenschwesterausbildung macht. Beide leben nach wie vor im Haus der Familie im Heimatdorf. Die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers finanzieren ihren Lebensunterhalt von den Einnahmen aus der verpachteten familieneigenen Landwirtschaft. Weiters leben in Indien zwei Tanten mütterlicherseits des Beschwerdeführers. Eine lebt in Himachal Pradesh und eine in der Stadt Jammu. Eine Tante wird von ihrem Sohn versorgt, welcher beim Militär ist, die zweite Tante arbeitet als Krankenschwester. Beide besitzen in Indien eigene Häuser. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt im Heimatdorf des Beschwerdeführers in einem eigenen Haus und besitzt eine eigene Landwirtschaft. Darüber hinaus leben noch die Großmutter des Beschwerdeführers im Heimatort und ein Cousin. Der Beschwerdeführer hat Kontakt mit seinen Angehörigen im Herkunftsstaat bzw. kann diesen zumindest jederzeit wieder herstellen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:

COVID-19

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

?        WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020

1. Sicherheitslage im Bundesstaat Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2019).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Militante der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 8.2019). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 8.2019).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind niedrigkastige oder kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 8.2019).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 8.2019).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 15.3.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 8.2019).

Quellen:

-        BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018

-        MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        SATP - South Asia Terrorism Portal (15.3.2020): Datasheet – Punjab, Data View, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-punjab, Zugriff 17.3.2020

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004219.html, Zugriff 13.8.2019

2. Rechtsschutz / Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 19.7.2019). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 19.7.2019).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 4.3.2020). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 8.2019).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums vom September 2018 hat ergeben, dass von insgesamt 1.079 Planstellen an den 24 Obergerichten des Landes 42714 Stellen nicht besetzt waren (USDOS 11.3.2020). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 18.9.2019). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 18.9.2018).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 4.3.2020). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit der Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 19.7.2019).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 19.7.2019).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 19.7.2019).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationales Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 19.7.2019).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des „Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)“, und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 11.3.2020). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 11.3.2020).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§ 61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 8.2019).

Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse („Public Interest Litigation petitions“, PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        CM – Citizen Matters (2.8.2017): A guide to filing a Public Interest Litigation (PIL), http://citizenmatters.in/a-guide-to-filing-a-public-interest-litigation-pil-4539, Zugriff 13.8.2019

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

3. Sicherheitsbehörden

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2019) und untersteht den Bundesstaaten (AA 19.7.2019). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2019).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Es gab zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 11.3.2020). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 14.1.2020).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2019). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 19.7.2019; vgl. BICC 12.2019). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2019).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 11.3.2020). Den Sicherheitskräften wird weitgehende Immunität gewährt (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu & Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 19.7.2019).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 19.7.2019). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 8.2019). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 19.7.2019).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force)“ unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (19.7.2019): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 11.2.2020

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 17.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

-        War Heros of India (15.1.2017): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html, Zugriff 19.3.2020

4. Korruption

Korruption ist weit verbreitet (USDOS 11.3.2020). Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) im Jahre 2019 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 80. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019).

NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienstleistungen wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 13.3.2019). Die unteren Bereiche des Gerichtswesens sind von Korruption betroffen und die meisten Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte zu erhalten (FH 3.4.2020). Korruption ist auf allen Regierungsebenen vertreten (USDOS 11.3.2020).

Obwohl Politiker und Beamte regelmäßig bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern erwischt werden, gibt es zahlreiche Korruptionsfälle, die unbemerkt und unbestraft bleiben (FH 4.3.2020). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig straflos davon (USDOS 11.3.2020).

Die breite Öffentlichkeit hat im Allgemeinen Zugang zu Informationen über die Regierungsgeschäfte, dennoch ist der gesetzliche Rahmen, welcher Transparenz gewährleisten soll, in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Die Änderungen des Whistleblowers Protection Act seit seiner Verabschiedung im Jahr 2014 wurden dahingehend kritisiert, dass sie die Effektivität des Gesetzes aushöhlen, die ohnehin als begrenzt eingestuft wurde. Das Gesetz über das Recht auf Information (RTI) von 2005 wird weithin genutzt, um die Transparenz zu erhöhen und korrupte Aktivitäten aufzudecken. Jedes Jahr werden Millionen von Anträgen auf der Grundlage dieses Gesetzes eingereicht. Laut der Menschenrechtsinitiative des Commonwealth wurden jedoch mehr als 80 Nutzer des Informationsrechts und Aktivisten ermordet und Hunderte wurden angegriffen oder bedroht (FH 4.3.2020).

Gemäß Angaben der Zentralen Untersuchungsbehörde (Central Bureau of Investigation - CBI) unterhält jeder Bundesstaat in Indien mindestens ein Büro unter der Leitung eines Polizeichefs, in welchem Beschwerden per Post, Fax oder persönlich eingereicht werden können. Dabei kann auf Wunsch auch die Identität des Beschwerdeführers geheim gehalten werden. 2018 und 2019 wurden 43.946 Beschwerden im Zusammenhang Korruption registriert. 41.775 Beschwerden wurden abgelehnt. Im Untersuchungszeitraum zwischen Jänner und Anfang Mai 2019 wurden vom CBI insgesamt 412 Korruptionsfälle registriert (CBI o.D.; vgl. USDOS 11.3.2020).

Eine von Transparency International und Local Circles durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Einsatz von Bestechungsgeldern immer noch das effizienteste Mittel darstellt, um die Arbeit von Regierungsstellen abzuwickeln. Die Zahl jener Personen, die zugaben, ein Bestechungsgeld bei Behörden erlegt zu haben, lag 2019 bei 51 Prozent (2017: 45 Prozent). Die drei korruptionsanfälligsten Bereiche sind Grundbucheintragungen und Grundstücksangelegenheiten, sowie die Polizei und die kommunalen Vertretungen (IT 26.11.2019; vgl. IT 11.10.2018).

Quellen:

-        CBI (o.D.): Join us in Fighting Corruption, http://www.cbi.gov.in/contact.php, Zugriff 7.11.2018

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        IT – India Times (26.11.2019): Incidents of bribery in India reduced by 10 pc since last year: Survey., https://www.indiatoday.in/india/story/incidents-of-bribery-in-india-reduced-by-10-pc-since-last-year-survey-1622859-2019-11-26, Zugriff 17.3.2020

-        IT – India Times (11.10.2018): Bribery records 11 per cent growth in one year, finds survey, https://www.indiatoday.in/india/story/56-per-cent-paid-bribe-in-last-one-year-91-per-cent-don-t-know-about-anti-corruption-helpline-survey-1360392-2018-10-11, Zugriff 7.11.2018

-        TI - Transparency International (2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/cpi2019, Zugriff 20.2.2020

-        TI - Transparency International (2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018, Zugriff 30.1.2019

-        TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017#regional, Zugriff 7.11.2018

-        TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index 2016, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 7.11.2018

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

5. Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 19.7.2019). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 8.2019). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 19.7.2019). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 19.7.2019).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 19.7.2019). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 19.7.2019). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2019). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2019).

Den indische Sicherheitskräften werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (FH 4.3.2020) und auch den separatistischen Rebellen und Terroristen im Bundesstaat Jammu und Kaschmir, im Nordosten und in den von den Maoisten beeinflussten Gebieten werden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde, Folterungen von Angehörigen der Streitkräfte und der Polizei, sowie von Regierungsbeamten und Zivilisten vorgeworfen. Aufständische sind ebenso für die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 10.2.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 18.3.2020

-        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019: Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

6. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 19.7.2019).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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