TE Lvwg Erkenntnis 2021/6/2 LVwG-S-1279/001-2020

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Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

EpidemieG 1950 §7 Abs1
EpidemieG 1950 §7 Abs1a
EpidemieG §40 Abs1 litb
VStG 1991 §22 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch seinen Einzelrichter Hofrat Dr. Schwarzmann über die Beschwerde von A, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 28.5.2020, ***, betreffend Bestrafung nach dem Epidemiegesetz 1950 – EpiG 1950, zu Recht erkannt:

1.         Der Beschwerde wird stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben. Das Verwaltungsstrafverfahren wird eingestellt.

2.         Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 38, § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG

§ 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen (in der Folge „belangte Behörde“) vom 28.5.2020 wurde über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von 500 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 231 Stunden) verhängt, da sie als bescheidmäßig Verpflichtete einem behördlichen Absonderungsbescheid zuwidergehandelt habe (Verwaltungsübertretung gemäß §§ 7, 40 EpiG 1950). Sie sei am 15.4.2020 im Zuge der Überwachung von Anordnungen nach dem Epidemiegesetz 1950 im Landesklinikum in ***, ***, angetroffen worden und habe somit den angeordneten Aufenthalt an ihrem Absonderungsort verlassen, obwohl ihr mit Bescheid der belangten Behörde, ***, vom 24.3.2020 die Absonderung an ihrem Wohnsitz ***, ***, beziehungsweise im Fall einer notwendigen stationären medizinischen Behandlung in dem durch den Rettungsdienst zugewiesenen Klinikum, für den Zeitraum vom 24.3.2020 auf Dauer ihrer Erkrankung bis zum Vorliegen der Bestätigung ihrer Gesundmeldung zur Verhütung der Weiterverbreitung von 2019-nCoV („2019 neuartiges Coronavirus“) angeordnet worden sei. Sie habe sich am 15.4.2020 von ihrem Sohn ins Landesklinikum *** fahren lassen; diese Fahrt hätte jedoch durch den Rettungsdienst und gegen vorherige Absprache mit diesem erfolgen müssen.

Das Straferkenntnis stützt sich auf einen Strafantrag des Fachgebietes Gesundheitswesen der belangten Behörde vom 17.4.2020, wonach die Beschwerdeführerin trotz ihrer Erkrankung an COVID-19 am 15.4.2020 im Landesklinikum *** zum Zweck der Probenahme (PCR-Testung) gewesen sei.

In ihrer dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde vom 21.6.2020 beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Straferkenntnisses. Sie habe bei der Fahrt ins Krankenhaus mit ihrem Sohn dieselbe Strecke zurückgelegt, die auch der Rettungswagen genommen hätte, und habe nicht gewusst, dass sie den Notruf hätte rufen müssen, es sei ja kein Notfall gewesen, sondern eine simple Verlaufskontrolle. Sie sei aufgrund der Angst vor Folgeerkrankungen ins Spital gefahren, nicht aufgrund eines persönlichen Interesses an einer PCR-Testung. Es müsse differenziert werden, ob jemand mutwillig die Quarantänevorschriften verletze, um etwa Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, oder sich unwissend, aus Angst, ohne Symptomatik in einem Krankenhaus unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen auf Coronafolgeerkrankungen untersuchen lassen möchte.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, dem die belangte Behörde die Beschwerde mitsamt ihrem Akt vorgelegt hat, hat am 4.8.2020 den Akt an die Staatsanwaltschaft *** zur Prüfung des Sachverhalts in Hinblick auf §§ 178, 179 StGB weitergeleitet, das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 28.8.2020, LVwG-S-1279/001-2020, gemäß § 38 VwGVG bis zur Erledigung des bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahrens bzw. eines diesem nachfolgenden strafgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt und sodann Einsicht in diesen Akt *** der Staatsanwaltschaft *** genommen.

Mit Schreiben vom 10.9.2020 zu *** („Verständigung vom vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung unter Bestimmung einer Probezeit“) hat die Staatsanwaltschaft *** dem Landesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass von der Verfolgung der Beschwerdeführerin wegen des Vergehens nach § 178 StGB gemäß § 203 Abs. 1 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig zurückgetreten worden ist.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat nun über die Beschwerde wie folgt erwogen:

Fest steht aufgrund der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens, dass die Beschwerdeführerin mit Bescheid der belangten Behörde vom 24.3.2020, ***, aufgrund ihrer Erkrankung an COVID-19 beginnend mit 24.3.2020 an ihrem Wohnsitz in ***, ***, auf die Dauer ihrer Erkrankung bis zum Vorliegen der Bestätigung über ihre Gesundmeldung abgesondert worden ist und dass sie aber diesem Absonderungsbescheid zuwider am 15.4.2020 ihr Haus verlassen hat und mit ihrem Sohn zu einer Untersuchung ins Landesklinikum *** gefahren ist.

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Gemäß § 7 Abs. 1 Epidemiegesetz werden durch Verordnung jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.

Gemäß der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020 unterliegen der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV („2019 neuartiges Coronavirus“).

Gemäß § 4 der Verordnung des Ministers des Innern im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht vom 22. Februar 1915, betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, in der Fassung BGBl. II Nr. 21/2020, sind bei einer Infektion mit 2019-nCoV („2019 neuartiges Coronavirus“) sind die Kranken und Krankheitsverdächtigen abzusondern oder nach den Umständen des Falles lediglich bestimmten Verkehrsbeschränkungen zu unterwerfen.

Gemäß § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

Gemäß § 40 Abs. 1 lit. b Epidemiegesetz macht sich, wer durch Handlungen oder Unterlassungen den auf Grund der in § 7 angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten zuwiderhandelt, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen.

Gemäß § 22 Abs. 1 VStG ist, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

§ 178 StGB lautet: „Wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört.“

Die – nach den obigen Feststellungen verwirklichte – Tat der Beschwerdeführerin, konkret das Verlassen des im Absonderungsbescheid angeordneten Ortes, trotz aufrechter behördlicher Absonderung aufgrund einer Erkrankung an COVID-19 ist nur dann als Verwaltungsübertretung (gemäß § 7 Abs. 1a, § 40 Abs. 1 lit. b EpiG 1950) strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig einem gerichtlichen Straftatbestand unterfällt (§ 22 Abs. 1 VStG und § 40 Abs. 1 lit. b Epidemiegesetz 1950).

§ 22 Abs. 1 VStG stellt dabei ausschließlich auf die "Tat" ab. Dass die Verwaltungsstrafnorm gegebenenfalls eine andere Schutzrichtung aufweist als die gerichtliche Strafnorm, ändert an der Subsidiarität nichts. Es kommt nur darauf an, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet; auf die tatsächliche Einleitung oder gar den Abschluss eines Strafverfahrens kommt es daher nicht an. Auch die Frage, ob die Tat verschuldet wurde oder ein Entschuldigungsgrund in Betracht zu ziehen ist, ist für die Subsidiarität der Verwaltungsstrafdrohung nicht entscheidend (vgl. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0344).

Im gegenständlichen Fall hat die Staatsanwaltschaft *** der Beschwerdeführerin mit dem Angebot des vorläufigen Rücktritts für eine Probezeit von zwei Jahren und der Leistung eines Pauschalkostenbeitrages von 100 Euro Folgendes mitgeteilt: „Sie stehen im Verdacht, am 15.4.2020 in *** eine Handlung begangen zu haben, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, wobei die Krankheit ihrer Art nach zu den anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört, indem Sie, obwohl Sie ab 24.3.2020 aufgrund einer COVID-19-Erkrankung in Quarantäne befanden, am 15.4.2020 das Landesklinikum *** aufsuchten und dadurch das Vergehen der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten begangen zu haben.“ – Die Beschwerdeführerin hat in der Folge die Pauschalkosten von 100 Euro tatsächlich bezahlt, d.h. das Diversionsangebot angenommen.

Die Staatsanwaltschaft hat dann das Verfahren nicht nach den §§ 190 bis 192 StPO eingestellt, d.h. es lag kein Fall vor, wonach die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht oder sonst die weitere Verfolgung aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre (§ 190 Z. 1 StPO), wonach kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung der Beschuldigten bestanden hätte (§ 190 Z. 2 StPO) oder wonach eine Einstellung wegen Geringfügigkeit (§ 191 Abs. 1 StPO) oder wegen des Vorliegens mehrerer Straftaten (§192 Abs. 1 StPO) in Betracht gekommen wäre. Vielmehr erfolgte ein Rücktritt von der Verfolgung (Diversion) nach § 198 Abs. 1 Z. 3 i.V.m. § 203 Abs. 1 StPO (unter Bestimmung einer Probezeit), d.h. die gegenständliche Tat der Beschwerdeführerin vom 15.4.2020 (das Verlassen ihrer Wohnung durch die Fahrt ins Landesklinikum) ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sehr wohl mit gerichtlicher Strafe bedroht, also eine Straftat (vgl. § 203 Abs. 1 StPO), und die Beschwerdeführerin trifft daran auch ein Verschulden, das aber nicht als schwer anzusehen ist (vgl. § 198 Abs. 2 Z. 2 StPO).

Da also gegenständlich die von der belangten Behörde der Beschwerdeführerin angelastete Tat vom 15.4.2020 den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung (§ 178 StGB) bildet, ist sie gemäß § 22 Abs. 1 VStG und § 40 Abs. 1 EpiG als Verwaltungsübertretung nicht strafbar bzw. liegt keine Verwaltungsübertretung vor (vgl. dazu abermals VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0344).

Gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG ist die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zu verfügen, wenn der bzw. die Beschuldigte die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen. Mangels Strafbarkeit als Verwaltungsübertretung liegt im gegenständlichen Beschwerdefall der angeführte Einstellungsgrund vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht aufzuerlegen, da der Beschwerde Folge gegeben worden ist.

Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfiel eine öffentliche mündliche Verhandlung, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist unzulässig, da sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der eindeutigen Rechtslage (vgl. VwGH 15.5.2019, Ro 2019/01/0006) und der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Zudem stellen die – hier im Einzelfall beurteilten – Fragen (insb. hinsichtlich der fallbezogenen Subsidiarität) keine „Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung“ (vgl. VwGH 23.9.2014, Ro 2014/01/0033) dar.

Schlagworte

Gesundheitsrecht; COVID-19; Verwaltungsstrafe; Absonderung; gerichtlich strafbare Handlung; Diversion; Subsidiarität;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.1279.001.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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