TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/13 W247 2177609-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2020
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Entscheidungsdatum

13.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W247 2177609-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, unvertreten, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.10.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Die Beschwerdeführerin (BF) ist ukrainische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Ukrainer und dem orthodoxen Glauben zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF) reiste spätestens am 03.07.2016 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am nächsten Tag vor der Landespolizeidirektion XXXX erstbefragt, sowie am 12.10.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , jeweils im Beisein eines der Beschwerdeführerin einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen wurde.

2. Die BF brachte im Rahmen ihrer Erstbefragung am 04.07.2016 vor, dass ihr Ehemann verstorben sei, im Herkunftsstaat jedoch noch ihre Tochter, ihr Sohn, ihre Eltern, sowie ihr Bruder und ihre Schwester leben würden. Ihr letzte Adresse im Herkunftsland sei XXXX in der Ukraine gewesen. Den Entschluss zur Ausreise habe sie am 29.06.2016 gefasst und ihr Ziel sei Österreich gewesen, weil sie 2011 bereits im Bundesgebiet gewesen sei und ihr das Land, sowie das Leben hier gut gefallen habe. Sie habe gehört, wenn das Leben in der Heimat gefährdet sei, könne man in Österreich einen Asylantrag stellen. Sie sei am 29.06.2016 illegal mit einem Linienbus, ohne Reisepass, mit einer Kopie ihres Personalausweises, ausgereist. Originaldokumente habe sie nicht beschaffen können, die Kopie des Personalausweises befinde sich im Akt. Sie sei durch Ungarn gereist, habe jedoch nicht viel gesehen, weil sie nur durchgereist sei. Die BF habe nur in Österreich um Asyl angesucht, habe nun kein Visum, jedoch im Jahr 2011 über ein solches verfügt. Sie wolle in Österreich bleiben, weil das Leben hier schön sei und sie nicht zurück nach Hause könne. Die Reise habe sie selbst organisiert und habe sie in XXXX direkt vor der Grenze jemanden angesprochen. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie an, dass ihr Ehemann ein Autohandelsunternehmen geführt habe. Die Autos habe er von XXXX in ihren Heimatort gebracht, wobei er am 22.05.2016 nach XXXX gefahren sei, um ein Auto abzuholen. Auf der Rückfahrt am 24.05.2016 habe er einen Autounfall gehabt, bei welchem er verstorben sei. Danach habe sie anonyme Anrufe bekommen, wobei verlangt worden sei, sie solle das verschrottete Auto abzahlen. Es sei ein neues Auto gewesen und seien USD 500.000 von ihr verlangt worden. Nachdem sie gesagt habe, sie könne nicht bezahlen, sei ihr Handarbeitsbedarfsgeschäft mit Benzin übergossen und angezündet worden. Sie habe am 26.06.2016 einen Brief gefunden, in dem gestanden sei, dies sei ihr letzte Warnung. Sie fürchte um ihr Leben und das Leben ihrer Tochter. Ihr Sohn sei im Moment bei der Armee, von ihrer Tochter sei sie während ihrer Flucht getrennt worden. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland fürchte sie um ihr Leben.

3.1. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 12.10.2017 gab die BF im Wesentlichen an, dass sie onkologische Beschwerden habe, hier jedoch keinen eigenen Arzt, sondern lediglich ein Beratungsgespräch wahrgenommen habe, damit die Krankheit nicht weiter fortschreite. Sie nehme nicht laufend Medikamente, sondern nur, sofern sie einen Anfall habe. Früher sei sie in der Ukraine in Chemotherapie gewesen, jetzt nicht mehr. Im Bundesgebiet habe sie keine Chemotherapie gemacht, es sei lediglich eine Biopsie gemacht worden, dessen Resultat sie kenne. Schriftlich habe sie nichts. Sie hätte ins Krankenhaus müssen, aber das hätte EUR 360 pro Tag gekostet. Geboren sei sie in XXXX in der Westukraine. Früher habe sie einen Inlandsreisepass und einen internationalen Reisepass gehabt, die jedoch in der Ukraine geblieben seien. Sie habe niemanden, der ihr den Reisepass schicken könne. Zuletzt habe sie ihren Lebensmittelpunkt in der Ukraine in XXXX in XXXX gehabt, wo sie mit ihrem Ehemann und ihren Kindern gewohnt habe. Sie sei christlich-orthodoxen Glaubens und beherrsche Ukrainisch, Russisch und ein bisschen Deutsch. Im Herkunftsstaat habe sie 8 Jahre die Schule besucht und den Mittelschulabschluss gemacht. Drei Jahre sei sie Geschäftsinhaberin eines Handarbeitsgeschäftes in XXXX gewesen. In der Ukraine würden noch ihre Tochter, ihr Sohn, ihre Eltern, sowie ihr Bruder und ihre Schwester leben. Ihr Ehemann sei bei einem Autounfall verstorben und ihre Kinder würden sich in XXXX aufhalten. In Österreich bzw. anderen EU-Staaten habe sie keine Angehörigen. Ende Juni 2016 habe sie die Ukraine über Ungarn illegal verlassen und sei am 28.06.2016 oder 29.06.2016 nach Österreich eingereist. Wo sich die Kopie ihres Personalausweises befinde, wisse sie nicht. In Ungarn habe sie keinen Asylantrag gestellt und sie führe in Österreich kein Familienleben. Ihren Lebensunterhalt bestreite die BF durch die Grundversorgung und gelegentlich arbeite sie schwarz. Zu ihrer Integration befragt, gab sie an, sich in einen Kurs eingeschrieben zu haben, jedoch nicht hingegangen zu sein, weil sie am Vormittag nicht gewollt habe. Für einen Nachmittagskurs hätte es keine Plätze gegeben.

3.2. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab die BF an, dass sie in ihrem Heimatland weder politisch, noch religiös tätig gewesen sei, oder Mitglied einer Partei oder Organisation gewesen sei. Nachdem ihr Mann verunfallt sei, habe sie das Auto bezahlen müssen, weil es nicht Seines gewesen sei. Leute hätten angerufen, seien zu ihnen gekommen und hätten gesagt, sie sollten bezahlen. Sie wisse nicht, was sie vorgehabt hätten. Einmal seien sie in ihr Geschäft gekommen und hätten alles mit Benzin übergossen, aber nicht verbrannt. Sie seien weggefahren, hätten aber noch einmal angerufen. Ihre Tochter und die BF hätten im Geschäft gearbeitet. Am nächsten Tag, hätten sie alles zusammengepackt, das Geschäft geschlossen und seien weggefahren. Ihr Eigentum sei ihm Herkunftsstaat zurückgeblieben, sie hätten nur das mitgenommen, was sie gebraucht hätten. Ihr Ehemann sei am 22.05.2016 verunfallt. Er sei abends weggefahren und habe angerufen, dass er in zwei Tagen wieder nach Hause komme, sei jedoch nicht zurückgekommen. Sie habe weder einen Unfallbericht, noch eine Sterbeurkunde. Der Unfall habe sich nahe XXXX ereignet. Bedroht hätten sie die Leute, die mit ihrem Mann gearbeitet hätten. Er sei einer der Eigentümer eines Autohandelsunternehmens gewesen, der andere (Anm.: Eigentümer), sei aus XXXX gewesen. Der Vorfall in ihrem Geschäft hätte sich Mitte Juni ereignet, diesen hätte sie jedoch nicht angezeigt. Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat wüsste sie nicht, was sie erwarte. Sie müsste die geforderte Summe bezahlen und wüsste es nicht.

Die Beschwerdeführerin brachte erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

?        Medizinische Unterlagen aus April 2011 des Krankenhauses der XXXX

4.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 20.10.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

4.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es hätte keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr eine Verfolgung drohen würde.

4.3. Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dass die BF in ihrer Erzählung sämtliche Details vermissen lasse und ihre Schilderung nicht lebensnah sei. Sofern sie vorbrachte in ihrem Herkunftsstaat von privaten Dritten bedroht zu werden, sei darauf hinzuweisen, dass die Behörden ihres Heimatlandes willens und fähig seien Staatsbürger vor Übergriffen Dritter ausreichend zu schützen. Aufgrund dessen, sei von keiner Bedrohung bzw. Verfolgungssituation zu sprechen gewesen.

4.4. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht hätte. Es ergebe sich auch keine Gefährdungslage nach § 8 AsylG und erscheint eine Rückkehr in die Ukraine zumutbar.

4.5. Demnach – so die belangte Behörde – könnte der von der Beschwerdeführerin behauptete Fluchtgrund nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus führen. Aus ihrem Vorbringen sei nichts ersichtlich, das im Falle ihrer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder sonst extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte einer besonderen Integration der Beschwerdeführerin in Österreich hervorgekommen, zumal sie weder Deutschkenntnisse aufweise, noch einem Verein angehöre und keine besonderen privaten Bindungen in Österreich geltend gemacht habe, sodass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 23.10.2017 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

6. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 23.11.2017 wurde für die BF durch ihren damaligen rechtsfreundlichen Vertreter das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid des BFA, zugestellt am 31.10.2017, in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften, erhoben. Begründend wurde beschwerdeseitig ausgeführt, dass der Ehemann der BF einen Autohandel betrieben habe und am 22.05.2016 nach XXXX gefahren sei, um ein Auto zu holen. Auf der Rückfahrt am 24.05.2016 sei er in einen Autounfall verwickelt gewesen, bei dem er verstorben sei. Danach habe die BF anonyme Anrufe bekommen, wobei von ihr verlangt worden sei, sie solle das zerstörte Auto abbezahlen, was in etwa USD 500.000 ausgemacht habe. Nachdem sie das verweigert habe, sei ihr Geschäft mit Benzin übergossen, jedoch nicht angezündet worden. Sie habe einen Brief gefunden, dass dies die letzte Verwarnung sei. Aus Angst um ihr Leben, sei die BF geflohen. Von ihrer Tochter sei sie auf der Flucht getrennt worden und ihr Sohn sei derzeit bei der Armee. In der Beweiswürdigung werde der BF vorgeworfen den Sachverhalt erfunden zu haben. Die BF habe jedoch bei ihrer Einvernahme vor dem BFA ausführlich, ob in freier Erzählung, oder auf Nachfrage, zu ihren Asylgründen Stellung genommen. Sie habe stets die Wahrheit gesagt. Falls asylrelevante Antworten ausgeblieben seien, wäre sie bereit gewesen, weiter an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken. Die Aussagen zu ihren Fluchtgründen halte die BF weiterhin aufrecht. Sämtliche Fragen, hätte sie wahrheitsgemäß und glaubwürdig beantwortet. Die Anzweifelung der Glaubwürdigkeit der belangten Behörde, sei nicht nachvollziehbar, da die BF während ihrer Einvernahme möglichst detailliert und ausführlich ihre Fluchtgründe geschildert habe. Gemäß § 3 AsylG sei im Asylverfahren nicht der volle Beweis gefordert, sondern genüge die „Glaubhaftmachung“ der asylrelevanten Verfolgung. Eine Abschiebung der BF würde im Übrigen eine reale Gefahr für die BF darstellen, da sie von den Männern denen ihr Mann Geld schule, verfolgt werden würde. Diese würden USD 500.000 verlangen und könne die BF nicht bezahlen. Die ukrainischen Behörden seien nicht in der Lage bzw. gewillt ihr Schutz zu bieten. Die Behörde hätte sohin zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der BF der Status der Asylberechtigten, oder zumindest der subsidiär Schutzberechtigten zustehe. In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) den gegenständlichen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag der BF auf internationalen Schutz Folge gegeben und ihr der Status der Asylberechtigten zuerkannt werde; 2.) in eventu den gegenständlichen Bescheid dahingehend abändern, dass der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde; 3.) in eventu die Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig erklären; 4.). in eventu den Bescheid zur Gänze beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das BFA zurückverweisen; 5.) eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumen.

7. Die Beschwerdevorlage vom 24.11.2017 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsbericht (BVwG) am 27.11.2017 ein.

8. Am 05.10.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, zu der die BF (in der VH-Schrift als BF1 bezeichnet, deren Tochter als BF2) nicht erschienen ist.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„Aufruf der Sache um 08:45 Uhr

Der RI prüft nach Aufruf der Sache die Identität und Stellung der Anwesenden, sowie etwaige Vertretungsbefugnisse wie oben eingetragen.

RI: BF1 ist nicht anwesend, wie ist der Stand er Dinge?

RV (BF1): Wir haben die Mutter angerufen, sie ist nicht erreichbar. Wir haben die Ladung am 14.09. auf ihre Adresse geschickt, aber sie wurde nicht behoben und ist am 01.10. zurückgekommen.

RI: Haben Sie irgendeine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit der BF1?

RV (BF1): Nein, überhaupt nicht weder telefonisch noch per Post. Ich habe auch gerade die Tochter der BF1 gesprochen (vor dem Verhandlungssaal) und versucht Informationen über die Mutter zu bekommen. Es ist mir nicht gelungen, weil mir die Tochter nichts sagen wollte, nicht einmal die Telefonnummer. Wir haben auch eine ZMR-Abfrage gemacht und es ist keine Adresse bekannt. Die Tochter hat gemeint, sie (BF1) sei irgendwo in Wien.

RI: Ist die Vertretung der BF1 durch Sie noch aufrecht?

RV (BF1): Ja.

RI: Halten Sie die Vertretung aufrecht oder legen Sie sie zurück?

RV (BF1): Wir halten die Vertretung zum jetzigen Zeitpunkt aufrecht.

Hinsichtlich der Rechtsvertretung von BF2-BF5 wird von Mag.a Katharina AMMANN eine für die BF2 bis BF5 unterfertigte Vollmachtserklärung übergeben. Diese wird zum Akt genommen.

[…]

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Ukraine an dem Sie sich vor Ihrer letzten Ausreise aufgehalten haben.

BF2: Mein Name ist XXXX , ich bin am XXXX in der Stadt XXXX , in der Ukraine geboren. Ich bin Staatsangehörige der Ukraine. Zuletzt habe ich bei der Frau meines Bruders in der Stadt XXXX für ein Jahr gewohnt.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF2: Ich bin Ukrainerin und meine Muttersprache ist Ukrainisch.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF2: Ich bin Orthodox.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Ukraine, welche Ihre Identität beweisen? Wenn ja, welche?

BF2: Nein, habe ich nicht.

RI: Haben Sie jemals einen Reisepass besessen? Wenn ja, wo befindet sich dieser nun?

BF2: Ja, früher schon.

RI: Wo befindet dieser sich nun?

BF2: Verbrannt in der Ukraine.

RI: Wie verbrannt?

BF2: In der Ukraine hatten wir zwei Geschäfte. Eines war ein Autoservice in der Stadt XXXX , das andere war ein kleines Geschäftslokal, das mit ukrainischen Stickereien handelte. Nach dem Unfalltod meines Vaters wurden wir bedroht. Man hat uns aufgefordert, den Kredit, welcher mein Vater genommen hat, zurückzuzahlen. Wir haben das aber nicht können. Dann wurde das Stickerei-Geschäft niedergebrannt. In diesem Brand ist auch mein Pass verbrannt.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsland, als auch im Bundesgebiet.

BF2: Ich habe in der Ukraine neun Klassen Mittelschule absolviert, danach habe ich die Berufsschule besucht für drei Jahre und im Fach Buchhaltung abgeschlossen. Nach dem Abschluss bekam ich mein erstes Kind und habe dann nicht gearbeitet.

RI: Haben Sie einen Nachweis über den Abschluss der Berufsschule?

BF2: Nein, dieser ist in der Ukraine auch verbrannt.

RI: Sind Sie im Bundesgebiet irgendeiner weiteren Ausbildung nachgegangen oder haben Sie gearbeitet?

BF2: Nein.

RI: Welcher Art war das Geschäft Ihre Mutter im Herkunftsstaat? Welche Waren haben Sie darin verkauft und wie lange hat Ihre Mutter diese Tätigkeit ausgeübt?

BF2: Meine Mutter hat dieses Geschäft nicht lange gehabt, lediglich ein Jahr lang. Verkauft wurden dort Stickereien und Zubehör zum Sticken.

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort in der Ukraine auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

BF2: Ich habe in XXXX gelebt und das letzte Jahr vor meiner Ausreise in der Stadt XXXX .

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der Ukraine und in welcher Stadt?

BF2: In der Stadt XXXX lebt mein Bruder Ivan und seine Frau bzw. ist mein Bruder jetzt in der Region XXXX und befindet sich im Krieg.

RI: Haben Sie sonstige Verwandte, die in der Ukraine leben?

BF2: Nein.

RI: Haben Sie mit diesen in der Ukraine lebenden Verwandten Kontakt? Wenn ja, wie oft?

BF2: Mit meinem Bruder habe ich vor acht Jahren zuletzt gesprochen und mit seiner Frau vor etwa zwei Jahren.

RI: Warum haben Sie keinen Kontakt?

BF2: Er ist dort ohne Telefon.

RI: An welcher Adresse in XXXX ist Ihr Bruder aufhältig?

BF2: Das weiß ich nicht.

RI: Sie haben ein Jahr dort gewohnt. Sie werden wohl die Adresse wissen?

BF2: Ich habe dort ein Jahr gewohnt, aber nach der Adresse habe ich nicht gefragt.

RI: Verfügt Ihr Bruder über ein eigenes Haus oder eine Wohnung?

BF2: Die Wohnung, wo mein Bruder und seine Frau wohnen, ist eine Ein-Zimmer-Wohnung und eine Mietwohnung.

RI: Was arbeitet Ihr Bruder im Herkunftsstaat?

BF2: Bevor mein Bruder für den Krieg einberufen wurde, war er LKW-Fahrer für Langstrecken, aber seitdem er im Krieg ist nicht mehr.

RI: Haben Sie oder Ihrer älteste Tochter Kontakt zu Ihrem Ex-Gatten? Wenn ja, wie oft?

BF2: Mein geschiedener Gatte hat mich über Facebook-Messenger vor etwa eineinhalb Jahr angerufen. Ich weiß nicht, wie er auf die Nummer kommt und er hat mich ersucht, dass ich auf Unterhalt für das Kind verzichte und ich habe abgelehnt. Seitdem habe ich keinen Kontakt zu ihm.

RI: Bekommen Sie Unterhalt vom Ex-Gatten bezahlt?

BF2: Nein. Er zahlt keinen Unterhalt. Ich habe lediglich 10 Monate lang Unterhalt bekommen, aber seit 2017 gibt es in der Ukraine ein Gesetz, nachdem die Unterhaltsverweigerer nicht ins Ausland reisen dürfen und ich glaube, dass das der Grund war, warum er angerufen hat und wollte, dass ich auf mein Recht verzichte.

RI: Wann haben Sie Ihren Ex-Gatten geheiratet und seit wann sind Sie von ihm geschieden?

BF2: Ich habe meinen geschiedenen Gatten 2010 kennengelernt. 2011 haben wir standesamtlich geheiratet und 2012 haben wir uns scheiden lassen.

RI: Wann und wo haben Sie den behaupteten Vater Ihrer beiden jüngsten Kinder kennengelernt?

BF2: Ich habe diesen Mann im November 2017 in der Stadt XXXX kennengelernt. Ich war damals in XXXX untergebracht und bin nach XXXX gefahren, um mir dort ein Handy zu kaufen. Bei dieser Gelegenheit habe ich den Vater meiner jüngsten Kinder kennengelernt.

RI: Wie lange waren Sie mit ihm zusammen und haben Sie jemals in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt?

BF2: Ich habe mit ihm nicht in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt. Er besuchte mich in der Pension.

RI: Über welchen Zeitraum waren Sie zusammen?

BF2: 2018 habe ich das Kind von ihm bekommen. Er hat dann irgendwann zu der Zeit einen negativen Bescheid bekommen und es gab eine Weile keinen Kontakt. Dann als Marian drei Monate alt war, kam er wieder zu mir in die Pension. Es gab dann Probleme in der Pension und ich habe nach XXXX umziehen müssen. Da war Marian neun Monate alt, als er wieder zu mir kam nach Baden. Dann wurde ich schwanger und seitdem gibt es keinen Kontakt.

RI: Welchen Aufenthaltsstatus hat der von Ihnen angegebene Vater Ihrer beiden jüngsten Kinder?

BF2: Vor etwa vier Monaten gab es wieder Kontakt zu diesem Mann. Er hat mir damals mitgeteilt, dass er auf einen Bescheid wartet. Zwei Wochen später haben wir wieder miteinander telefoniert, das war ein Videochat. Bei dieser Gelegenheit hat er mir einen roten österr. Pass gezeigt und meinte, dass er jetzt einen positiven Bescheid bekommen hat.

RI: Haben Sie seitdem Kontakt zu ihm?

BF2: Ich versuchte ihm zu schreiben und anzurufen, aber er geht nicht ran. Gestern habe ich ihn angerufen, er hat abgehoben, aber nur in den Hörer geschwiegen.

RI: Wovon lebt der von Ihnen angegebene Vater Ihrer beiden jüngsten Kinder zur Zeit? Geht dieser irgendeiner Beschäftigung nach?

BF2: Das weiß ich nicht.

RI: In den vorgelegten Geburtsurkunden Ihrer beiden jüngsten Kinder ist kein Vater eingetragen. Haben Sie einen Nachweis dafür, dass der von Ihnen nun angegebene Vater auch tatsächlich der Vater Ihrer beiden jüngsten Kinder ist?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie zurzeit verheiratet, verpartnert oder leben Sie in einer Beziehung im Bundesgebiet? Wenn ja mit wem?

BF2: Nein.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben außerhalb der Ukraine und wenn ja, in welchem Land/welcher Stadt?

BF2: Meine Mutter ist in Österreich.

RI: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Mutter, wenn ja, wie oft?

BF2: Wir telefonieren, aber selten. Sie arbeitet irgendwo schwarz, aber unterstützt uns nicht.

RI: Wissen Sie, wo genau Sie aufhältig ist? Haben Sie eine Adresse?

BF2: Ich weiß, dass sie irgendwo im 19. Bezirk ist. Eine Adresse habe ich nicht, ich war noch nie dort.

RI: Wie oft haben Sie Kontakt?

BF2: Manchmal einmal in der Woche, manchmal zweimal in der Woche. Wir haben vor drei Tagen gesprochen. Sie hat mich vor drei Tagen angerufen, über eine unterdrückte Nummer.

RI: Das heißt, Sie können Ihre Mutter gar nicht kontaktieren, wenn Sie dies wollen?

BF2: Nein, kann ich nicht.

RI: Laut aktuellem ZMR-Auszug ist Ihre Mutter, die BF1, seit 07.04.2020 in Österreich nicht mehr behördlich gemeldet. Aus dem ZMR-Auszug geht weiters hervor, dass sie in die Ukraine verzogen sein soll. Wieso lebt Ihre Mutter im Verborgenen im Bundesgebiet bzw. wie kommt es zu dem ZMR-Eintrag, dass sie in die Ukraine verzogen sein soll?

BF2: Das weiß ich nicht.

RI: Nachdem Sie mit Ihrer Mutter regelmäßig Kontakt haben, wissen Sie davon, ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt in die Ukraine gegangen ist?

BF2: Meine Mutter erzählt mir gar nichts. Sie ruft mich an und fragt lediglich, wie es mir und den Kindern geht. Sonst nichts.

RI: Wenn Sie mit Ihrer Mutter regelmäßig per Telefon kommunizieren, dann halte ich es für unwahrscheinlich, dass Sie Ihre Mutter nie gefragt haben, wo sie sich aufhält oder wann sie sich das nächste Mal sehen. Was sagen Sie dazu?

BF2: Ich habe meine Mutter zwar getroffen, aber nicht an ihrer Wohnadresse. Wir sind einfach in Wien spazieren gegangen. Das letzte Mal habe ich meine Mutter vor etwa vier Monaten persönlich getroffen.

RI: Also sehen Sie sie doch regelmäßig?

BF2: Sie ruft an, wenn sie Zeit hat und dann treffen wir uns entweder in XXXX oder im XXXX . Bei diesen Treffen hat sie mir aber nicht erzählt, ob sie bereits in die Ukraine zurückgekehrt war oder ob sie das vorhat.

RI: Wie regelmäßig sehen Sie Ihre Mutter persönlich?

BF2: Jetzt gar nicht. Meine Mutter ruft mich an und sagt, dass sie keine Zeit hat und ständig arbeiten muss. Zurzeit sind wir nur in telefonischen Kontakt.

RI: Nachdem Sie mit Ihrer Mutter vor ein paar Tagen telefoniert haben, gehe ich davon aus, dass Sie ihr gesagt haben, dass heute eine Verhandlung stattfindet.

BF2: Ich habe das gesagt. Meine Mutter sagte, gut und hofft, dass alles gut verläuft.

RI: Sie wissen aber auch, dass Ihre Mutter für heute geladen war und der Rechtsvertreter hinten sitzt.

BF2: Ja, er hat mir dies gesagt.

RI an RV (BF1): Das heißt, die BF1 wusste über die Verhandlung Bescheid und hat Sie nicht kontaktiert?

RV (BF1): Ja, das heißt, wir legen die Vollmacht bezüglich der BF1 zurück.

RI: Haben Sie sonst noch Verwandte von Ihnen, die sich derzeit im Bundesgebiet aufhalten? Wie heißen Sie?

BF2: Nein.

RI: Wann sind Sie in Österreich erstmalig eingereist?

BF2: Am 07.07.2017.

RI: Wo leben Sie zurzeit im Bundesgebiet?

BF2: In XXXX im Frauenhaus.

RI: Haben Sie seit Ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2017 auch in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union gelebt? Wenn ja, haben Sie dort auch einen Asylantrag gestellt?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Juli 2017 wieder einmal in der Ukraine gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

BF2: Nein.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe.

BF2: Ich habe keine Unterkunft in der Ukraine.

RI: Wurden Sie als Person zu irgendeinem Zeitpunkt im Herkunftsstaat persönlich bedroht, misshandelt oder verfolgt?

BF2: Nein, es war nur einmal diese Sache, als das Geschäft meiner Mutter niedergebrannt wurde, aber bedroht wurde nicht ich, sondern meine Mutter.

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr in die Ukraine?

BF2: Ich werde dort nicht überleben können. Ich werde dort kein Kindergeld für die Kinder bekommen und wenn, dann nur für Karina. Ich werde dort auch nicht die Unterstützung für meine Tochter Karina bekommen, so wie ich sie hier bekomme. Dort gibt es keine psychologische Betreuung oder Jugendämter, die sich darum kümmern. Ich werde auch nicht im Stande sein, eine Wohnung zu mieten. Ich werde dort auch keiner Beschäftigung nachgehen können.

RI: Während Sie in der Ukraine von Juli 2016 bis Juli 2017 aufhältig waren, wo haben Sie gelebt und welchen Tätigkeiten haben Sie in dieser Zeit verrichtet?

BF2: In der Zeit war ich bei der Gattin meines Bruders und habe dort gewohnt. Gearbeitet habe ich aber nicht. Es ist so, dass ich 2016 gemeinsam mit meiner Mutter versucht habe, über die Grenze zu gehen. Meine Mutter durfte weiter vereisen, ich nicht. Meine Tochter war damals bei meinem geschiedenen Mann. Ich habe dann meine Tochter abgeholt und habe, wie gesagt, bei der Frau meines Bruders gewohnt. Die Frau meines Bruders war nach einiger Zeit nicht besonders glücklich, dass ich dort wohne und dann bin ich ausgereist.

RI: Sind Sie in dieser Zeit irgendeiner Tätigkeit nachgegangen?

BF2: Nein.

RI: VORHALT: Sie haben bei Ihrer EB am 13.07.2017 auf Seite 5 angegeben: „Da meine Tochter damals noch bei meinem geschiedenen Mann war, kehrte ich zurück und meine Mutter reiste weiter. Seither habe ich von meiner Mutter nichts gehört und habe ca. ein Jahr in XXXX gelebt und habe in einem Haushalt mitgeholfen.“ Was sagen Sie dazu und zu den Abweichungen der jetzigen Aussagen?

BF2: Ja, ich habe das vergessen. Das ist die Wahrheit, was ich bei der EB angegeben habe.

RI: Das heißt, Sie haben in dem Jahr, welches Sie zwischen Juli 2016 und 2017 in der Ukraine verbracht haben, nicht bei der Frau Ihres Bruders gelebt, sondern als Haushalthilfe in XXXX , ist das richtig?

BF2: Ja.

RI: Wie konnten Sie das vergessen?

BF2: Ich habe es vergessen.

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

BF2: Ja. Ich wollte meine Mutter finden.

RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einem Klub in Österreich?

BF2: Nein.

RI: Haben Sie österreichische Freunde?

BF2: Nein.

RI: Haben Sie in Österreich Sprachkurse besucht?

BF2: In den zwei Unterkünften, wo ich untergebracht war, gab es keine Möglichkeit für einen Deutschkurs. In der Unterkunft in XXXX habe ich jetzt Bücher und Unterlagen bekommen und lerne auch Deutsch. Ich habe jetzt für Herbst 2021 einen Platz für einen Deutschkurs Niveau A1, damit ich ein Zertifikat bekommen kann.

RI: Sie haben keinen Sprachkurs besucht und keinen Sprachkurs abgeschlossen?

BF2: Nein.

RI (ohne Übersetzung): Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

BF2 schüttelt den Kopf.

RI (ohne Übersetzung): Was machen Sie in Ihrer freien Zeit? Was sind Ihre Hobbies?

BF2 (ohne Übersetzung): Spiele mit Kinder und wenn meine Kinder schlafen, ich lernen bisschen Deutsch. Spielen, spaziere mit Kindern.

RI (ohne Übersetzung): Was haben Sie letzte Wochenende gemacht?

BF2 gibt keine Antwort.

RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor? Haben Sie vor in Österreich zu arbeiten?

BF2: Ich würde gerne einen Deutschkurs absolvieren, damit ich die Sprache besser kann. Dann möchte ich gerne die Lehre zur Köchin machen und wenn das nicht möglich ist, möchte ich als Serviererin in einem Restaurant arbeiten.

RI: Haben Sie sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen Sie mitbringen müssen um eine Lehre als Köchin zu beginnen?

BF2: Nein.

RI: Haben Sie in Österreich einen Beruf legal ausgeübt?

BF2: Ich bin keiner bezahlten Arbeit nachgegangen, aber als ich in Baden in der Pension unterbracht war, bin ich unentgeltlich in der Küche zur Hand gegangen.

RI: Wovon leben Sie zurzeit in Österreich?

BF2: Ich bekomme Essensgeld vom Staat.

RI: Sind Sie in Österreich straffällig geworden?

BF2: Ja, wegen Diebstahl.

RI: Verurteilt wurden Sie nicht?

BF2: Ich habe lediglich ein Schreiben bekommen, dass wenn ich innerhalb zwei Jahren nicht stehle, dann werde ich nicht verurteilt, aber, wenn ich etwas stehlen würde, würde ich verurteilt werden.

RI: Aus dem Akt geht hervor, dass Ihnen Ihre älteste Tochter, die BF3, wegen fortgesetzter Gewaltausübung durch Ihre Person im November 2019 vom Jugendamt der BH Baden entzogen worden ist und in eine Betreuungseinrichtung verbracht wurde. Was ist hier genau vorgefallen und über welchen Zeitraum sprechen wir?

BF2: Ich habe sie ziemlich stark geschlagen. Ich möchte die Frage nicht weiter beantworten.

RI: Wie lange war Ihre älteste Tochter in dieser Betreuungseinrichtung wohnhaft?

BF2: Zwei Monate.

RI: Sind Sie auch hinsichtlich Ihrer anderen Kinder je gewalttätig geworden?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie in Ihrem Herkunftsstaat jemals straffällig geworden?

BF2: Nein.

RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?

BF2: Ich habe Probleme mit den Beinen.

RI: Welcher Art?

BF2: Ich habe bereits einen Termin bei einem Orthopäden vereinbart. Es ist so, dass mir die Beine und Füße beim Gehen wehtun. Ich habe schon eine Röntgenzuweisung bekommen. Die Schmerzen beim Gehen begannen nach der dritten Schwangerschaft.

RI: Gibt es eine Diagnose?

BF2: Noch nicht.

RI: Nehmen Sie Medikamente?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

BF2: Nein, ich wurde zum Röntgen überwiesen und dann wird man weitersehen.

RI: Sind Sie arbeitsfähig?

BF2: Ja.

RI: Geht Ihre älteste Tochter, die BF3, im Bundesgebiet zur Schule? Wenn, ja in welche Schule und welche Klasse?

BF2: In XXXX , in die Sonderschule, in die dritte Klasse „A“.

RI: Haben Sie das letzte Jahreszeugnis der BF3 mit?

RV (BF2-BF5): Ja, ich lege dieses vor.

RV legt vor, das Jahreszeugnis der BF3 vom Schuljahr 2019/20 sowie vom Schuljahr 2018/19; diese werden in Kopie zum Akt genommen.

RI: Werden Ihre zwei jüngsten Kinder von Ihnen zu Hause durchgehend betreut oder gehen diese schon in den Kindergarten bzw. Kinderkrippe?

BF2: Nein, die beiden sind noch bei mir. Das älteste Kind der zwei jungen Kinder, ist jetzt zwei Jahre alt und ab Jänner kann ich um einen Platz im Kindergarten ansuchen.

RI: In welcher Sprache kommunizieren Sie zu Hause mit Ihren Kindern?

BF2: In Ukrainisch.

RI: Hat der behauptete Vater Ihrer beiden jüngsten Kinder, die Kinder jemals gesehen?

BF2: Ja, er hat sie gesehen.

RI: Wie oft?

BF2: Marian zweimal und den jüngsten hat er einmal gesehen.

RI: Wie geht es der BF3 gesundheitlich? Ist diese gesund bzw. was fehlt ihr genau?

BF2: Hr. XXXX hat gesagt, sie kann nicht an einem Platz sitzen bleiben. Sie kann nicht geradeaus schauen. Ich weiß nicht genau, wie man das nennt.

RI: Fehlt der BF3 sonst noch etwas?

BF2: Sie hat Probleme mit der Nase, sie bekommt oft ziemlich starkes Nasenbluten. Als sie elf Monate alt war, hat mein geschiedener gatte, die BF3 immer wieder in die Luft geworfen. Einmal hat er nicht aufgepasst und sie ist zu Boden gefallen und hat sich das Nasenbein gebrochen. Wir waren auch bei einer Ärztin in Baden. Sie hat sich die Nase meiner Tochter angeschaut und meinte, es gibt kleine Polypen. Wenn die BF3 10 Jahre alt ist, müsste man diese operieren. Es wurde auch festgestellt, dass ihre Schilddrüse vergrößert. Sie nimmt jeden Tag in der Früh Tabletten dagegen und muss alle drei Monate zur Kontrolle.

RI: Hinsichtlich BF4: Wie geht es Marian gesundheitlich?

BF2: Er ist gesund.

RI: Nimmt Marian derzeit Medikamente?

BF2: Nein.

RI: Steht er unter therapeutischer oder ärztlicher Behandlung?

BF2: Nein.

RI: Hinsichtlich BF5: Wie geht es Emil gesundheitlich?

BF2: Er ist gesund.

RI: Nimmt Emil derzeit Medikamente?

BF2: Nein.

RI: Steht er unter therapeutischer oder ärztlicher Behandlung?

BF2: Nein.

RI an RV (BF2-BF5): Haben Sie Fragen an die BF2?

RV (BF2-BF5): Hatten Sie im Zeitraum von November 2017 bis November 2019 sexuelle Kontakte zu anderen Männern als zu Ihrem behaupteten Kindesvater XXXX ?

BF2: Nein.

RV (BF2-BF5): Hätten Sie die Möglichkeit bei einer Rückkehr in die Ukraine bei Ihrer Schwägerin Unterkunft zu nehmen?

BF2: Das ist nicht möglich, die Wohnung ist sehr klein. Es ist kein Platz für uns. Die Schwägerin hat selbst ein Kind.

RV (BF2-BF5): Keine weiteren Fragen mehr, danke.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 03.07.2016, der polizeilichen Erstbefragung der BF am 04.07.2016, der niederschriftlichen Einvernahmen am 12.10.2017 vor dem BFA, der für den Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde vom 23.11.2017 gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20.10.2017, der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen und der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungsinformationssystems, des AJ-Web und des Strafregisters der Republik Österreich, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Ukraine, der Volksgruppe der Ukrainer und dem christlich-orthodoxen Glauben zugehörig. Die BF reiste spätestens am 03.07.2016 illegal und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF befand sich bereits 2011 und 2013 in Österreich. Sie wurde in XXXX , bei XXXX in der Westukraine geboren und ist dort aufgewachsen. Zuletzt lebte die BF in XXXX , an der Adresse XXXX mit ihrem Ehemann, sowie ihren Kindern und betrieb ein Handarbeitsgeschäft in XXXX . Die BF spricht Ukrainisch auf muttersprachlichem Niveau und gut Russisch.

Die BF hat in der Ukraine 8 Jahre die Schule besucht und einen Mittelschulabschluss. Sie hat bis zu ihrer Ausreise drei Jahre lang ein Handarbeitsgeschäft in XXXX betrieben. Die BF verfügt noch über Verwandte in den Personen ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihres Bruders, sowie ihres Sohnes samt dessen Frau und dessen Kind in der Ukraine. Der Vater, sowie der Ehemann der BF sind bereits verstorben. Ihre Angehörigen im Herkunftsstaat leben in XXXX oder XXXX . Der Sohn der BF befindet sich im Krieg in der Ostukraine. Die BF hatte mit ihrer Familie zumindest einmal Kontakt, seit ihrer Ankunft in Österreich.

Die Beschwerdeführerin verfügt im Bundesgebiet über ihre Tochter und ihre drei Enkelkinder. Sie hat keinen Deutschkurs besucht und war im Bundesgebiet nicht ehrenamtlich tätig. Die BF ist weder vereinsmäßig aktiv, noch verfügt sie über österreichische Freunde, noch ist sie im Bundesgebiet einer sonstigen Aus-, Fort- oder Weiterbildung nachgegangen. Die BF befindet sich seit 31.03.2020 nicht mehr Grundversorgung und geht sie gelegentlich der Schwarzarbeit nach. Die BF ist im Bundesgebiet keiner legalen Tätigkeit nachgegangen.

Seit 07.04.2020 verfügt die BF über keine aufrechte Meldung mehr im Bundesgebiet. Ihr derzeitiger Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.10.2020 ist die BF trotz ordnungsgemäßer Ladung über ihren damaligen Rechtsvertreter und im Wissen um die stattfindende, mündliche Verhandlung, nicht erschienen, weshalb sie ihre Mitwirkungspflichten im Verfahren grob verletzt hat.

Die Beschwerdeführerin leidet weder an einer aktuellen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit, noch an einer schweren psychischen Störung, welche bei einer Rückkehrentscheidung in den Herkunftsstaat eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würden. Sie ist gesund und arbeitsfähig.

Die Beschwerdeführerin wurde in Österreich straffällig, im Strafregister der Republik Österreich ist folgende Verurteilungen ersichtlich:

01) BG XXXX vom 14.12.2017 RK 15.03.2018  § 15 StGB § 127 StGB          Datum der (letzten) Tat 16.01.2013        Freiheitsstrafe 14 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Dieser strafgerichtlichen Verurteilung lag zugrunde, dass die BF im Mai 2011 und Jänner 2013 Verfügungsberechtigten zweier Bekleidungsgeschäfte Damen- sowie Kinderkleidung und Schmuck mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht hat, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Die BF hat sich somit des Vergehens des versuchten Diebstahls schuldig gemacht.

Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht als erschwerend das Zusammentreffen zweier Straftaten an und als mildernd die Unbescholtenheit, die geständige Verantwortung, sowie die Tatsache, dass es beim Versuch geblieben ist.

1.2. Zum Fluchtgrund der Beschwerdeführerin:

Das Vorbringen der Beschwerdeseite betreffend die Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführerin in der Ukraine eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat:

Im Falle einer Verbringung der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat droht dieser kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

1.4.1. Auszug aus dem Informationsblatt der Staatendokumentation vom 06.07.2020;

„Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20. Mai 2019 Präsident Wolodymyr Selenskyj (AA 6.3.2020). Beobachtern zufolge verlief die Präsidentschaftswahl am 21. April 2019 im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Auf der russisch besetzten Halbinsel Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Donbas fanden keine Wahlen statt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

2019 war ein Superwahljahr in der Ukraine. Am 31. März fanden die Präsidentschaftswahlen statt; Parlamentswahlen waren ursprünglich für den 27. Oktober 2019 angesetzt. Nach der Inauguration des Präsidenten Selenskyj wurde das Parlament aufgelöst. Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 21. Juli 2019 statt (GIZ 3.2020a). Selenskyjs Partei „Sluha Narodu“ (Diener des Volkes) gewann 254 von 450 Sitzen. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (FH 4.3.2020; vgl. BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019). Es wurden sechs Fraktionen gebildet: „Diener des Volkes“ mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform „Für das Leben“ mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion „Für die Zukunft“ mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019). Auf der Krim und in den von Separatisten kontrollierten Teilen des Donbas konnten die Wahlen nicht stattfinden; folglich wurden nur 424 der 450 Sitze im Parlament besetzt. Darüber hinaus sind rund eine Million ukrainische Bürger nicht wahlberechtigt, weil sie keine registrierte Adresse haben (FH 4.3.2020).

Die nach der „Revolution der Würde“ auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch von Präsident Poroschenko verfolgte europafreundliche Reformpolitik wird durch Präsident Selenskyj verstärkt fortgesetzt. Grundlage bildet ein ambitioniertes Programm für fast alle Lebensbereiche. Schwerpunkte liegen u.a. auf Korruptionsbekämpfung, Digitalisierung, Bildung und Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Selenskyj kann sich dabei auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Diese Politik, maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, hat über eine Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren zu einer Annäherung an europäische Verhältnisse geführt (AA 29.2.2020).

Während des ersten Jahres seiner Amtszeit war Präsident Selenskyj mit einigen Herausforderungen konfrontiert (RFE/RL 20.4.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Zwar liegt seine Popularität nicht mehr bei den historischen 70% Unterstützung, die er einst genoss; Umfragen zeigen jedoch, dass seine Zustimmungswerte immer noch höher sind als die aller seiner Vorgänger (RFE/RL 25.4.2020). Im März 2020 gestaltete er die Regierung um, nachdem Ministerpräsident Hon?aruk seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte (DW 3.3.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Seit 4. März 2020 ist Denys Schmyhal neuer Ministerpräsident und somit Regierungschef (AA 6.3.2020). Dem neuen Kabinett fehlt jedoch die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Reformen und Mitglieder der alten Eliten sind in Machtpositionen zurückgekehrt. Ob und wie stark das Kabinett Veränderungen durchsetzen wird, muss sich erst zeigen (Brookings 20.5.2020).

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wurde bisher über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt. Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus (FH 4.3.2020). Im Dezember 2019 wurde vom Parlament ein neues Wahlgesetz beschlossen. Es sieht teils ein Verhältniswahlsystem mit offenen Parteilisten sowohl für Parlaments- als auch für Kommunalwahlen vor (FH 4.3.2020).

[…]

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA 29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergeben sich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

[…]

Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommene Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen, die sich gegen korrupte und politisierte Gerichte wenden, sind ins Stocken geraten oder blieben hinter den Erwartungen zurück. Das neue Hohe Anti-Korruptionsgericht, das im September 2019 seine Arbeit aufgenommen hat, hat noch keine Ergebnisse erzielt. Obwohl es Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren gibt, können Personen mit finanziellen Mitteln und politischem Einfluss in der Praxis einer Strafverfolgung wegen Fehlverhaltens entgehen (FH 4.3.2020). Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis orientieren sich an westeuropäischen Standards. Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts erkennbar seltener angeordnet als früher (AA 29.2.2020). Nach den 2019 veröffentlichten Statistiken des World Prison Bureau sind etwa 36% der Gefangenen in der Ukraine Untersuchungshäftlinge (FH 4.3.2020).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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