TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/17 W209 2175118-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W209 2175118-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2017, Zl. 1098468310-151966933, betreffend Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz, Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist, sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text




Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2015 illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stelle am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Steiermark am 10.12.2015 gab der BF an, er sei am XXXX in XXXX , XXXX , Afghanistan, geboren. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei sunnitischen Glaubens. Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, die Taliban hätten auf dem Grundstück von seinem Bruder und ihm, beide Landwirte, ohne deren Wissen Waffen versteckt, wovon die Regierung erfahren und diese sichergestellt habe. Er habe sich daraufhin zu seinem Onkel begeben, aus Angst vor einer Rückkehr der Taliban, und wisse nicht, was aus seinem Bruder geworden sei.

3. Am 22.06.2017 wurde der BF vom BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen. Der BF legte eine Tazkira, eine Abschlussbestätigung der 12. Schulklasse in XXXX , ein Maturazeugnis, ein Maturadiplom, ein Diplom von der Universität in XXXX , Kursteilnahmebestätigungen für Deutschkurse sowie Empfehlungsschreiben vor. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der BF nunmehr aus, er habe auf Anraten anderer in der Erstbefragung nicht die Wahrheit gesagt; tatsächlich habe keine Bedrohung für ihn bestanden, er habe Afghanistan verlassen, weil er sich dort wegen der vorherrschenden Sicherheitslage kein gutes Leben aufbauen habe können. Er habe im Falle seiner Rückkehr keine Bedrohungen zu befürchten.

4. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 04.10.2017, Zl. 1098468310-151966933, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, die Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG verbunden und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise des BF binnen 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der BF habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Allein aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Afghanistan lasse sich kein Asylgrund ableiten. Im Falle einer Rückkehr stünde dem BF beispielsweise Kabul oder Herat als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Eine Rückkehrentscheidung sei kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Privatleben des BF.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, mit Schreiben vom 25.10.2017 in vollem Umfang Beschwerde. Inhaltlich führte der BF im Wesentlichen aus, er habe im Falle einer Rückkehr aufgrund seines längeren Aufenthalts und der Asylantragstellung im Ausland zu befürchten, von den Taliban ermordet zu werden oder anderweitig Probleme zu bekommen. Diese Bedrohung erstrecke sich auf das gesamte Staatsgebiet. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage bzw. nicht willens, dem BF Schutz vor der genannten Verfolgung zu bieten. Weiters führte die Beschwerde aus, sei die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage derart prekär, dass im Falle einer Rückkehr eine Verletzung in seinen von Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechten drohe. Er könne aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Afghanistan sein Überleben nicht sichern. Der BF sei sehr westlich gekleidet, bereits überdurchschnittlich gut integriert und bemühe sich sehr um die Integration in Österreich. Dies werde durch die vorgelegten Bestätigungen belegt.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.03.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des BF und seiner Rechtsvertreterin sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Dari durch, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte die Rechtsvertreterin des BF eine schriftliche Stellungnahme des BF, ein Pflichtschulabschlusszeugnis, Bestätigungen für die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs, einem Erste-Hilfe-Kurs sowie mehreren Deutschkursen, ÖSD-Zertifikate für die Niveaustufen A1 und A2 und zwei schriftliche Stellungnahmen zur Integration des BF vor.

7. Mit Erkenntnis vom 17.03.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des BF zu allen Spruchpunkten als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass zwar die Heimatprovinz des BF als unsicher zu werten sei, diesem aber eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative in Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe.

8. Der BF erhob mit Schriftsatz vom 07.07.2020, rechtsanwaltlich vertreten durch Mag.a Sarah KUMAR, außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen dieses Erkenntnis hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte. Der BF führte darin im Wesentlichen aus, das Bundesverwaltungsgericht habe es trotz im Entscheidungszeitpunkt vorliegender Anhaltspunkte für die Relevanz der COVID-19-Pandemie unterlassen, sich damit und den konkreten Auswirkungen auf den BF auseinanderzusetzen. Die Pandemie habe massive Auswirkungen auf die medizinische Versorgung in den Städten, die Verfügbarkeit und Nahrungsmitteln und Arbeit, die hygienischen Zustände in den Unterkünften und die Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Landes. Dem BF wäre sohin unter Berücksichtigung dieser aktuellen Entwicklungen zumindest des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

Hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist das angefochtene Erkenntnis in Rechtskraft erwachsen.

9. Mit Erkenntnis vom 15.09.2020, Zl.Ra 2020/18/0152-11 hob der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf und begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Bundesverwaltungsgericht ein Verfahrensmangel unterlaufen sei. Vor dem Hintergrund der Ausbreitung von COVID-19 in Afghanistan und der im angefochtenen Erkenntnis festgestellten ohnehin angespannten sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif hätte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative unter Berücksichtigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan sowie unter Einbeziehung von zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderinformationen unter Wahrung des Parteiengehörs auseinandersetzen müssen.

10. Am 23.11.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Rechtsvertretung des BF aktuelle Länderinformationen unter Setzung einer Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen.

11. Mit Stellungnahme vom 07.12.2020 legte die Rechtsvertretung des BF weitere Länderberichte, insbesondere zur Sicherheitslage und zur Lage am Arbeitsmarkt in der Stadt Mazar-e Sharif, vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und am XXXX in der Provinz XXXX geboren. Er ist sunnitisch muslimischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Seine Muttersprache ist Dari.

Die Identität des BF steht fest.

Der BF ist in seinem Heimatdorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX , aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt.

Er stellte am 10.12.2015 nach illegaler Einreise in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und befindet sich seither im Bundesgebiet.

Der BF ist ledig. Er hat keine Angehörigen oder Verwandten in Österreich, verfügt aber über einen großen Freundeskreis in Österreich, mit dem er sich in der Freizeit trifft, Sport betreibt und Deutsch lernt.

Der BF geht in Österreich keiner Erwerbsarbeit nach, ist jedoch ehrenamtlich in seiner Wohngemeinde und bei der Bezirksstelle des Roten Kreuzes engagiert. Er spricht Deutsch auf dem Niveau A2 und hat in Österreich einen Pflichtschulabschluss absolviert. Sein Plan ist es, in Österreich eine Lehrausbildung zum Elektriker zu machen.

Der BF ist westlich gekleidet und schätzt das österreichische Wertesystem, insbesondere die persönliche Freiheit sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Dem BF könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz XXXX aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Dem BF wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Diese Stadt ist auch sicher erreichbar.

Die Familie des BF, darunter seine Eltern, eine Schwester und vier Brüder, lebt nach wie vor in seinem Heimatdorf. Dieser geht es finanziell gut; der Vater und einer der Brüder arbeiten als Lehrer, ein Bruder betreibt ein Immobilienbüro, ein Bruder studiert, ein weiterer sowie die Schwester gehen in die Schule. Außerdem befinden sich ein Haus und mehrere Grundstücke im Eigentum der Familie. Ein Onkel hat die Reise nach Europa finanziert.

Der BF hat in seiner Heimatprovinz zwölf Jahre lang die Schule besucht und im Anschluss daran eine zweijährige Kolleg-Ausbildung im Bereich Buchhaltung absolviert. Nach dem Abschluss im Jahr 2013/2014 blieb er bis zu seiner Ausreise ohne Beschäftigung bei seiner Familie.

Der BF steht in regelmäßigem Kontakt zu seinen Angehörigen. Im Falle der Rückkehr des BF könnte sein Vater ihn finanziell unterstützen. Darüber hinaus kann der BF Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der BF hat keine Ortskenntnisse betreffend Mazar-e Sharif. Er ist aber in Afghanistan aufgewachsen und zur Schule gegangen und ist mit den Gepflogenheiten im Land vertraut. Er spricht eine der Landessprachen.

Der BF ist anpassungs- und arbeitsfähig.

Der BF ist gesund. Er hat keine Vorerkrankungen, welche auf ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes im Falle einer COVID-19-Infektion hindeuten.

Zwar hat sich die Lage nach den vorliegenden Informationen durch die COVID-19-Pandemie in Afghanistan, inkl. Mazar-e Sharif, verschärft, doch ist es dem BF möglich, diese zusätzlichen Härten durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen sowie der nachhaltig verfügbaren Unterstützung seitens seiner Angehörigen abzufedern und langfristig in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020 (LIB)

?        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

?        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

?        ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Mazar-e Scharif“ vom 16.10.2020 (ECOI)

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Mazar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Mazar-e Sharif)

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Scharif vom 16.10.2020

?        OCHA Operational Situation Report COVID-19 Multi-Sectoral Response vom 12.11.2020 (OCHA).

1.3.1 Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für die Zivilbevölkerung geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.3.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrende im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aktuelle Lage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie

Am Samstag den 18.07.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.07.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen –insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind. Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Am 19.07.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen. Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan*innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19, Kurzinformation 29.06.2020).

Die sozioökonomischen Folgen der Pandemie wirken sich stark auf Nahrungsmittelversorgung aus, welche mittlerweile vergleichbar unsicher ist wie während der Dürre im Jahr 2018. Die Preise für wesentliche Nahrungsmittel sind deutlich (ca. 10-30%) gestiegen, während sich die Kaufkraft insbesondere bei Viehzüchtern und Gelegenheitsarbeitenden seit März deutlich verringert hat (ca. 9-14%). Die durchschnittliche Verschuldung von Haushalten hat sich mehr als vervierfacht, wobei für jene von Vertriebenen der primäre Grund für die Schuldenaufnahme der Kauf von Nahrungsmitteln war (OCHA).

1.3.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen. Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Mit steigenden Fallzahlen hat sich Anfang November der Beginn einer zweiten Welle der COVID-19-Pandemie abgezeichnet. Stand 12.11.2020 wurden knapp 42.800 positiv getestet, über 1.500 sind verstorben, über 35.000 genesen. Aufgrund knapper Ressourcen, beschränkten Testkapazitäten und mangels nationalem Sterberegister sind die tatsächlichen Zahlen wahrscheinlich höher. Die COVID-19 Testraten sind weiterhin niedrig in Afghanistan. Stand 12.11.2020 waren nur knapp 128.000 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern auf COVID-19 getestet. Die Positivitätsrate (Anteil positiver Ergebnisse an der Gesamtzahl der Test) von über 33% legt die Vermutung nahe, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Das mit einer COVID-Infektion verbundene Stigma gilt als maßgeblicher Grund, warum viele Menschen sich nicht testen lassen. Zu den Provinzen mit der höchsten Falldichte zählen nach wie vor Balkh, Herat, Kabul und Kandahar (OCHA, vgl. LIB Kurzinformation 29.06.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19

Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert. Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.3.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

1.3.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind muslimischen Glaubens, davon gehören 80 - 89,7% der sunnitischen Glaubensrichtung an. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Angehörige anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB, Kapitel 16).

1.3.6. Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghan*innen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.3.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrende. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

COVID-19-Pandemie

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte. Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.3.8. Provinzen und Städte

Herkunftsprovinz Ghazni

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Ghazni hat 1.338.597 Einwohner (LIB, Kapitel 2.10).

Ghazni gehört zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. Aufgrund der Präsenz von Taliban-Aufständischen in manchen Regionen der Provinz, gilt Ghazni als relativ unruhig, so standen beispielsweise Ende 2018, einem Bericht zufolge, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban gestanden haben, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Im Jänner 2019 wurde berichtet, dass die administrativen Angelegenheiten der Distrikte Andar, Deh Yak, Zanakhan, Khwaja Omari, Rashidan, Jaghatu, Waghaz und Khugyani aufgrund der Sicherheitslage bzw. Präsenz der Taliban nach Ghazni-Stadt oder in die Nähe der Provinzhauptstadt verlegt wurden. Aufgrund der Sicherheitslage sei es für die Bewohner schwierig, zu den neuen administrativen Zentren zu gelangen. Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen (LIB, Kapitel 2.10).

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Kämpfen am Boden (LIB, Kapitel 2.10).

Laut EASO reicht eine „bloße Präsenz“ im Gebiet der Provinz Ghazni nicht aus, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Ghazni und drei weiteren Provinzen hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19, Kurzinformation 29.06.2020).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz hat 1.475.649 Einwohner (LIB, Kapitel 3.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2018 gab es 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.5).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Mehrere Quellen schildern einen Anstieg der Kriminalität in der Stadt. Offizielle Statistiken gibt es hierzu nicht. UNHCR liegen keine spezifischen Informationen zur Kriminalitätsrate in IDP-Siedlungen vor (ACCORD Mazar-e Sharif).

Gemäß EASO findet in Mazar-e Sharif willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Laut einer Auskunft von UNHCR Mazar-e Sharif vom März 2020 sei die Fahrt vom Flughafen in die Stadt im Allgemeinen möglich und nicht bedenklich. Rückkehrende, die per Flugzeug nach Mazar-e Scharif kommen würden, würden vom Flughafen üblicherweise mit dem Taxi in die Stadt fahren (ACCORD Mazar-e Sharif).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).

Laut Angaben von UNHCR Mazar-e Scharif vom März 2020 habe es in und um Mazar-e Scharif in den letzten Monaten und Jahren in Hinblick auf Rückkehrende und Binnenvertriebene (internally displaced persons, IDPs) zwei große Entwicklungen gegeben: Der Umfang der von verschiedenen Organisationen geleisteten Unterstützung habe zugenommen. Gleichzeitig sei jedoch die Zahl der Rückkehrenden und IDPs weiter gestiegen, was den positiven Auswirkungen der zusätzlichen Unterstützung entgegenwirke (ACCORD Mazar-e Sharif).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrende und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Hinsichtlich der Ernährungsmittelsicherheit ist Balkh im Klassifizierungssystem (IPC) von FEWS NET im Zeitraum Oktober 2020 bis Jänner 2021 weitgehend in der Phase 2 („Stressed“) eingestuft, ein Teil befindet sich in der dritthöchsten Stufe (Phase 3 – „Crisis“). Die Lage in Mazar-e Sharif gilt ebenfalls als „stressed“. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. In Stufe 3 weisen Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sind nur geringfügig in der Lage, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken – und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 2.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2019 gab es 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.13).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Die Stadt Herat hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 2.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 20).

In der Stadt Herat gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Herat).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die größten und bedeutendsten IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen in Herat- Stadt und Umgebung sind: Shahrak-e-Sabz (im Distrikt Gusara), Kahddestan (im Distrikt Indschil), Shaidayee (5km östlich der Stadt Herat) und Urdo Bagh. Die Versorgung der dort lebenden Menschen ist schlecht, der Zugang zur Grundversorgung ist eingeschränkt (ACCORD Herat).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Hinsichtlich der Ernährungsmittelsicherheit ist Herat im Klassifizierungssystem (IPC) von FEWS NET (s.o.) im Zeitraum Oktober 2020 bis Jänner 2021 weitgehend in der Phase 3 („Crisis“) eingestuft. Die Situation in der Provinzhauptstadt ist etwas besser; diese befindet sich in Phase 2 (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde. Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (LIB, Länderspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.3.9. Situation für Rückkehrende

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrende; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrende sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für Rückkehrende unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrende dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrende besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrende aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrende aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrender aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrende. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrenden. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrende aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrende nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn Rückkehrende mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihnen mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als der übrigen afghanischen Bevölkerung, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Haben die Rückkehrenden lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrenden die größte Schwierigkeit dar. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose gibt es in Afghanistan nicht. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für jene, die in Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrende leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrenden im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrende erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (LIB, Kapitel 23).

Für Rückkehrende leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrende. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrenden aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrende in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwillig Rückkehrenden vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrenden innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrende erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Rückkehrende erhalten ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt sowie durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung am 12.03.2020.

2.1. Zur Person des BF und seinem Leben in Österreich:

Die Feststellungen zur Person des BF, gründen auf dessen Angaben und wurden auch im Administrativverfahren nicht angezweifelt. Die Identität des BF konnte aufgrund des Vorliegens unbedenklicher Urkunden bestätigt werden.

Die Feststellungen zur Einreise und zum Aufenthalt in Österreich ergeben sich aus der Aktenlage.

Die Feststellungen zur Integration sowie zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich gründen auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung und wurden durch unbedenkliche Unterlagen belegt.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aufgrund einer Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des BF im Herkunftsstaat, und zwar in der Herkunftsprovinz bzw. alternativ in Mazar-e Sharif, sowie Erreichbarkeit dieser Stadt ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

Die Feststellungen zur Ausbildung und zur Berufserfahrung in Afghanistan sowie zum Aufenthaltsort und der finanziellen Unterstützungsfähigkeit der Angehörigen des BF sowie zum Kontakt des BF zu diesen gründen auf den nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Angaben des BF. Der BF gab in der mündlichen Verhandlung unter anderem an, die Sicherheitslage sei volatil, aber die finanzielle Situation der Familie nicht schlecht.

Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Die Feststellungen zu den Ortskenntnissen des BF ergeben sich aus seinen nachvollziehbaren Angaben, bis zur Ausreise im Heimatdorf gelebt zu haben. Dass der BF mit den Gepflogenheiten im Land vertraut ist, ergibt sich aus den widerspruchsfreien und plausiblen Angaben des BF zu seinem Aufwachsen und seinem Bildungsverlauf in Afghanistan.

Die Feststellungen zu Anpassungs- und Arbeitsfähigkeit des BF beruhen auf der im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussage des BF, gesund zu sein und arbeiten zu wollen bzw. auch ehrenamtlich gearbeitet zu haben, sowie dem Umstand, dass sich der BF sich auch in Österreich einleben und zurechtfinden konnte.

Die Folgen einer Ansiedlung in Mazar-e Sharif ergeben sich – unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des BF. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der BF in den genannten Städten eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten