TE Bvwg Beschluss 2021/2/5 L521 2166154-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.02.2021
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Entscheidungsdatum

05.02.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
VwGVG §32

Spruch


L521 2164299-2/14E

L521 2164300-2/12E

L521 2166151-2/15E

L521 2166154-2/15E

L521 2166157-2/14E

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über den Antrag XXXX , alle Staatsangehörigkeit Türkei, alle vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4, auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung aufgrund des am 05.10.2020 eingebrachten Antrages auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis am 26.06.2019 nach mündlicher Verhandlung verkündeten und am 08.08.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E, sowie der (beabsichtigten) Erhebung einer (außerordentlichen) Revision gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020, L521 2164299-2/3E, L521 2164300-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E, den

BESCHLUSS

gefasst:

A)

Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung wird stattgegeben. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird der Vollzug der wider die Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E erlassenen Rückkehrentscheidung jedenfalls bis zur Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020, L521 2164299-2/3E, L521 2164300-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E und längstens bis zu einem allfälligen Abspruch über die eingebrachte außerordentliche Revision untersagt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Erstantragsteller ist mit der Zweitantragstellerin (lediglich konfessionell) verheiratet, der volljährige Drittantragsteller, die volljährige Viertantragstellerin und der minderjährige Fünftantragsteller sind die Kinder des Erstwiederaufnahmewerbers. Die Zweitwiederaufnahmewerberin ist nicht deren leibliche Mutter. Sämtliche Antragsteller sind Staatsangehörige der Türkei.

2. Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin stellten am 30.07.2015 für sich und der Erstwiederaufnahmewerber als gesetzlicher Vertreter seiner mitgereisten Kinder, nämlich des Drittantragstellers, der Viertantragstellerin und des Fünftantragstellers im Gefolge ihrer unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2017, Zlen. XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , wurden die Anträge der Antragsteller auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten jeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei jeweils gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider die Wiederaufnahmewerber jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Wiederaufnahmewerber in den Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde eine Frist für eine freiwillige Ausreise von 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

4. Gegen die den Antragstellern am 26.06.2017 eigenhändig zugestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2017, Zlen. XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

5. Mit am 26.06.2019 nach mündlicher Verhandlung verkündeten und am 08.08.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E, wurde die von den Antragstellern erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Des Weiteren wurde die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt.

6. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11.12.2019 wurde die Behandlung der gemäß Art. 144 B-VG erhobenen Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.08.2019, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E, abgelehnt. Ferner wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen.

7. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 03.01.2020 wurde die Beschwerde der Antragsteller gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.08.2019, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E, über nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs. 3 VfGG gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

8. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2020, Ra 2020/14/0077 bis 0081, wurde die Revision gegen die am 26.06.2019 nach mündlicher Verhandlung verkündeten und am 08.08.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E, zurückgewiesen.

9. Mit auf den 02.10.2020 datieren und am 05.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachtem Schriftsatz begehrten die Antragsteller die Wiederaufnahme ihrer mit den am 26.06.2019 verkündeten und am 08.08.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren.

Zur Begründung wurde vorgebracht, die Antragsteller wären nunmehr in den Besitz eines neuen Beweismittels, nämlich eines Auskunfts- und Informationsformulars der Provinzgendarmerie Gaziantep, übermittelt am 25.09.2020, gelangt. Aus dem Beweismittel ergebe sich zweifelsfrei, dass der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin „aufgrund der Teilnahme an politischen/ ideologischen Ausbildungen an PKK/KCK/PYD/YPG Terror Organisationen“ verfolgt werden würden. Daraus ergebe sich, dass die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die behauptete Furcht aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen im Herkunftsland Türkei verfolgt zu werden nicht begründet wäre, unrichtig sei. Damit sei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Vorliegens eines asylrechtlich relevanten Fluchtgrundes nicht richtig.

10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020, L521 2164299-2/3E, L521 2164300-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E, wurde dem Antrag auf Wiederaufnahme des mit am 26.06.2019 mündlich verkündeten und am 08.08.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes, Zlen. L521 2164299-1/42E, L521 2164300-1/28E, L521 2166151-1/18E, L521 2166157-1/18E und L521 2166154-1/18E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gemäß § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG nicht stattgegeben. Ein darüber hinaus gestellter Aufhebungsantrag wurde als unzulässig zurückgewiesen und die Revision gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG als nicht zulässig erklärt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das mit dem Antrag vorgelegte Informations- und Auskunftsformular der Provinzgendarmerie Gaziantep vom 21.09.2020 nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens erst entstanden sei, sodass schon deshalb kein Wiederaufnahmegrund vorliegen würde. Das nunmehr vorgelegte Beweismittel stehe auch in keinem Zusammenhang mit dem Verfolgungsvorbringen im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren. Darüber hinaus sei das vorgelegte Beweismittel nicht dazu geeignet, voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeizuführen.

11. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020 wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter der Antragsteller am 16.11.2020 zugestellt.

Mit dem hier gegenständlichen und am 23.12.2020 (16.15 Uhr) im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag begehren die Antragsteller, „der Revision gemäß § 30 Abs 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen“ bzw. hilfsweise die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht zur „Gewährung eines vorläufige[n] Aufenthaltsrechts bis zur Entscheidung über Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision bzw. der VfGH-Beschwerde“.

In der Sache bringen die Antragsteller vor, fristgereich Anträge zur Beigabe eines Verfahrenshelfers zur Einbringung einer außerordentlichen Revision bzw. einer Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020, Zlen. L521 2164299-2/3E, L521 2164300-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E, beim Verwaltungsgerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof eingebracht zu haben. Bis zur Vorlage an den Verwaltungsgerichtshof habe das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung auf Antrag unverzüglich zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Dem Wortlaut des § 30 VwGG bedürfe es zur Erteilung der aufschiebenden Wirkung durch das Bundesverwaltungsgericht lediglich eines Antrages, sodass dieser jederzeit und unabhängig von der einzubringenden Revision bzw. Beschwerde bis zur Vorlage der Revision an den Verwaltungsgerichtshof bzw. der Vorlage der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gestellt werden könne. Der Gesetzeswortlaut spreche nicht dagegen, die aufschiebende Wirkung der Revision bereits mit dem Antrag auf Beigabe eines Verfahrenshelfers zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen den angefochtenen Bescheid zu beantragen, um die in diesem Stadium des Verfahrens andernfalls bestehende Rechtsschutzlücke zu schließen. Nur so könne gewährleistet werden, dass die Revisionswerber nicht das Land verlassen müssten, ohne dass über die aufschiebende Wirkung der Revision durch ein Gericht entschieden wurde. In der Folge wird wörtlich ausgeführt: „Aufgrund der notorisch höchst gefährlichen Situation in der Türkei für Kurden im Allgemeinen und Regimegegner und insbesondere Mitglieder der Oppositionsparteien HDP sowie für regimekritische Journalisten im Besonderen wäre eine derartige Lücke im Rechtschutz unzulässig, da eine Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung ohne aktueller Überprüfung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch ein Gericht das reale Risiko einer Verletzung der EMRK, also einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil und somit die Ineffektivität der Revision im Sinne des Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC bedeuten würde.“ Bei einer vorzeitigen Vollstreckung der anzufechtenden Entscheidung drohe den Antragstellern bei einer erzwungenen Rückkehr in die Türkei das reale Risiko der Gefahr der Verletzung von Rechten nach Artikel 2 und 3 EMRK. Die Sicherheitslage in der Türkei sei „für Kurden im Allgemeinen und Regimegegner und insbesondere Mitglieder der Oppositionsparteien HDP sowie für regimekritische Journalisten im Besonderen katastrophal“ und verschlechtere sich zunehmend. Die „vorzeitige Beendigung des Asylverfahrens“ widerspricht den Grundsätzen eines fairen Asylverfahrens im Sinne des Art 47 iVm Art 18 GRC und verletze die Antragsteller in ihrem Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art 13 EMRK. Indem den Antragstellern „die Verletzung [ihrer] persönlichen Freiheit“ drohe, sofern sie sich nicht umgehend der Rückkehrentscheidung beugen sollten, liegt die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung respektive eines einstweiligen Rechtsschutzes aus dem Europarecht umso mehr in ihrem berechtigten Interesse. Darüber hinaus drohten den Antragstellern vor dem Hintergrund des § 120 Abs 1b FPG 2005 „drakonische Strafen“.

Da die Rechtslage ungeachtet des im Antrag vertretenen Standpunktes nicht restlosklar erscheine, werde außerdem die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zu einer näher ausgeführten Frage beantragt. Eventualiter werde die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht begehrt.

12. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.12.2020, wurde dem Antrag der Antragsteller, aufgrund der beabsichtigten Erhebung einer (außerordentlichen) Revision gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020, L521 2164299-2/3E, L521 2164300-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E, dieser noch zu erhebenden (außerordentlichen) Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht stattgegeben. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, nach der Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes komme den Antragstellern kein Recht zu, einen Antrag zu stellen, einer noch nicht eingebrachten Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Ferner sei die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens keinem Vollzug zugänglich ist, sodass einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohnehin nicht stattgegeben werden könnte.

13. Über Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes erstattete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 11.01.2021 eine Stellungnahme zum gegenständlichen Antrag, worin im Wesentlichen ausgeführt wird, dass derzeit die Ausstellung von Heimreisezertifikaten für die Antragsteller aufgrund eines weiteren Asylverfahrens des leiblichen Sohns der Zweitantragstellerin nicht betrieben werde, sodass derzeit weder Heimreisezertifikate vorliegen würden, noch eine Abschiebung der Antragsteller absehbar sei.

14. Die Antragsteller brachten dazu nach Gewährung von Gehör vor, dass der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht aufgrund der für die Antragsteller nach österreichischem Recht bestehenden Rechtsschutzlücke aufrechterhalten werde.

15. Mit Beschluss vom 12.01.2021, Ra 2020/18/0526 bis 0529, wurde den Antragstellern für die außerordentliche Revision gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.11.2020, L521 2164299-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E die Beigebung einer/s bzw. einer Rechtsanwältin/eines Rechtsanwaltes und die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr nach § 24a VwGG bewilligt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Einem Antrag auf Wiederaufnahme eines mit Erkenntnis rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht kommt keine aufschiebende Wirkung zu, es kann einem solchen Antrag die aufschiebende Wirkung auch nicht zuerkannt werden (VwGH 29.04.1983, Zl. 81/17/0008).

2. Der EuGH hält in seiner im Anwendungsbereich des Unionsrechtes relevanten Rechtsprechung (aufbauend auf Art. 160 seiner Verfahrensordnung) fest, dass Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anführen müssen (vgl. dazu und zum Folgenden EuGH 20.11.2017, C-441/17, Europäische Kommission gegen Republik Polen, Rz 28 ff mwH). Die antragstellende Partei muss konkrete Angaben machen, die es dem entscheidenden Gericht erlauben, die genauen Auswirkungen abzuschätzen, die in Ermangelung der beantragten Maßnahme wahrscheinlich eintreten würden (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/03/0056).

Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter darf diesen nur dann gewähren, wenn die Notwendigkeit der Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht (fumus boni iuris) und ferner dargetan ist, dass sie dringlich in dem Sinne ist, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gut zu machenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung der Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten muss. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor.

Diese Voraussetzungen bestehen kumulativ, sodass der Antrag auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht erfolgreich sein kann, wenn eine von ihnen fehlt (vgl. VwGH 05.09.2018, Ra 2018/03/0056).

3. Im Rahmen der Gesamtprüfung, die im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorzunehmen ist, verfügt der zuständige Richter über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der die verschiedenen Voraussetzungen für die Gewährung der genannten einstweiligen Anordnungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (vgl. dazu VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069, mwN).

4. In der Sache:

Der Erstantragsteller brachte im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren vor, vor der Ausreise wegen einer ihm unterstellten Mitgliedschaft bei der Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) und/ oder wegen politischer oder schriftstellerischer Aktivitäten strafrechtlich verfolgt worden zu sein. Er sei in der Türkei wegen seiner journalistischen bzw. literarischen Tätigkeit als vermeintliches Mitglied einer terroristischen Organisation strafgerichtlich verurteilt worden und müsse im Rückkehrfall eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren, neun Monaten und 15 Tagen verbüßen. Die Zweitwiederaufnahmewerberin brachte im vorangegangen inhaltlichen Verfahren keine eigenen Verfolgungsgründe vor.

Die bezughabenden Verfahren des Bundesverwaltungsgerichtes wurden mit am 26.06.2019 mündlich verkündeten und am 08.08.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis am rechtskräftig abgeschlossen.

Am 05.10.2020 haben die Antragsteller im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung einen Antrag auf Wiederaufnahme eingebracht, dem mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2020, L521 2164299-2/3E, L521 2164300-2/3E, L521 2166151-2/4E, L521 2166157-2/3E und L521 2166154-2/4E, nicht stattgegeben wurde. Als Wiederaufnahmegrund wurde ein neues Beweismittel angeführt und dazu ein Auskunfts- und Informationsformular der Provinzgendarmerie Gaziantep, datiert auf den 21.09.2020, samt einer Übersetzung in die deutsche Sprache (datiert auf den 26.09.2020) als Beweis dafür vorgelegt, dass von einer Verfolgung des Erstwiederaufnahmewerbers und der Zweitwiederaufnahmewerberin „aufgrund der Teilnahme an politischen/ ideologischen Ausbildungen an PKK/ KCK/ PYD/ YPG Terror Organisationen“ auszugehen sei. Dieses Formular wurde den Wiederaufnahmewerbern eigenen Angaben zufolge am 25.09.2020 übermittelt. Der Antrag enthält keine Angaben darüber, von wem dieses Schriftstück an die Wiederaufnahmewerber übermittelt wurde.

Ausgehend davon ist es den Antragstellern gelungen, die Gefahr eines schweren und nicht wieder gut zu machenden Schadens (in Bezug auf den Erstantragsteller) aufzuzeigen, als auf die Gefahr einer Festnahme aufgrund einer (behaupteten) strafgerichtlichen Verfolgung im Fall einer Einreise in die Türkei aufgezeigt wird. Dazu tritt, dass der Verwaltungsgerichtshof im Wege der Bewilligung der Verfahrenshilfe (vorläufig) eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht verneint, sodass im Fall eine Versagung des gegenständlichen Antrages tatsächlich eine Rechtsschutzlücke erwachsen würde. Im Fall einer Abschiebung des Erstbeschwerdeführers könnte sich diesfalls der behauptete Schaden in Form einer Festnahme und Inhaftierung manifestieren, wobei der im Fall einer Inhaftierung eintretende Schaden aufgrund der Behauptung einer im Herkunftsstaat bereits verhängten mehrjährigen Haftstrafe selbst bei nachträglicher Eröffnung einer Möglichkeit zur Wiedereinreise unumkehrbar wäre.

Es ist dem Erstantragsteller somit im Ergebnis zuzustimmen, dass ihm im Falle einer Abschiebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden droht, sollte die wider ihn ergangene Rückkehrentscheidung vor einer abschließenden Beurteilung des gegenständlichen Wiederaufnahmebegehrens vollzogen werden. Die Notwendigkeit der Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird mit dem gegenständlichen Antrag hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar scheitert der Vollzug der wieder den Erstantragstellers ergangenen Rückkehrentscheidung derzeit schon daran, dass kein Heimreisezertifikat vorliegt, allerdings könnte ein solches in Zukunft jederzeit erlangt werden (die gegenständliche Entscheidung hindert das belangte Bundesamt auch nicht daran, Vorbereitungshandlungen wie die Beschaffung von Heimreisezertifikaten weiter zu betreiben), sodass die derzeitige faktische Unmöglichkeit der Abschiebung der Erlassung einer Anordnung nicht entgegensteht.

Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung ist daher Folge zu geben, wobei die Bewilligung des Antrages insoweit zu keiner Änderung der faktischen Verhältnisse führt, als eine Abschiebung der Antragsteller mangels Heimreisezertifikates ohnehin derzeit nicht zu bewerkstelligen ist. Da die weiteren Antragsteller Familienangehörige des Erstantragstellers sind und (teilweise) ein Familienverfahren vorlag bzw. ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK gegeben ist, ist der Antrag auch für die weiteren Antragsteller zu bewilligen.

5. Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, zumal die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, da nur Rechtsfragen strittig sind.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt nämlich an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine einstweilige Anordnung auch zu erlassen ist, wenn – wie im gegenständlichen Fall – in Ermangelung eines Heimreisezertifikates eine Abschiebung der Antragsteller in den Herkunftsstaat ohnehin ausgeschlossen ist. Ferner liegt keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob in einem Verfahren, in welchem lediglich die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens Gegenstand ist, eine einstweilige Anordnung überhaupt in Betracht kommt.

Da Art. 47 im Licht der Garantien in Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 der Charta nur verlangt, dass eine internationalen Schutz beantragende Person, deren Antrag abgelehnt wurde und gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, ihre Rechte vor einem Gericht wirksam geltend machen kann, scheint nämlich der bloße Umstand, dass eine im nationalen Recht vorgesehene Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrages nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat bzw. keine Rechtsgrundlage für einen dahingehenden Antrag besteht, nicht den Schluss zuzulassen, dass der Effektivitätsgrundsatz in einer solchen Konstellation verletzt wird, zumal die Entscheidung in der Hauptsache bereits ergangen ist und die Antragsteller dort ohnehin in allen Instanzen (einschließlich des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshofs und des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof) in der Genuss der aufschiebenden Wirkung kamen.

Schlagworte

Abschiebung einstweilige Anordnung Familienverfahren Revision zulässig schwerer Schaden Unionsrecht Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L521.2166154.2.00

Im RIS seit

08.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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