TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/31 I401 2240855-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2021
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Entscheidungsdatum

31.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I401 2240855-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. ALGERIEN, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, XXXX , vom 25.02.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte am 09.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung am folgenden Tag damit begründete, in Algerien keine Zukunft zu haben. Auch wenn man arbeite, habe man dort keine Rechte. Die Regierung sei ungerecht den Menschen gegenüber. Er sei noch jung, daher wolle er sich hier eine bessere Zukunft aufbauen.

Am 24.02.2021 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden als Bundesamt bezeichnet) niederschriftlich einvernommen. In dieser Einvernahme gab er, befragt zu seinen Fluchtgründen an, Algerien verlassen zu haben, weil sie ihm die Prüfung im Gymnasium nicht schreiben hätten lassen wollen, da seine Eltern die Schulkosten nicht bezahlt hätten. Das habe ihn psychisch kaputt gemacht, weil der Direktor ihm im Prüfungssaal seine Prüfung abgenommen und ihm nicht erlaubt habe, seine Prüfung zu beenden, und ihn aus der Schule geschickt habe. Nachdem er die Schule verlassen habe, habe er ohne Ausbildung Aushilfejobs annehmen müssen. Er habe dann in Algier gelebt und habe wie ein Tier arbeiten müssen. Er habe für einen ganzen Tag ca. € 7,-- verdient. Er habe dann mit seinen Ersparnissen einen Geflügelhandel aufgemacht. Leider sei er mit dem Geflügelhandel nicht erfolgreich gewesen und habe diesen aufgeben müssen. Die Frage, ob er den Asylantrag ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen gestellt habe, bejahte der Beschwerdeführer und gab weiters zur Antwort, man habe in Algerien nur die Möglichkeit zum Militär zu gehen, um dort einen Beruf ausüben. Alles andere sei nur mit Bestechung möglich. Er müsse sich eine gute Zukunft aufbauen. Bei einer Rückkehr werde er inhaftiert werden, weil er seinen Wehrdienst nicht absolviert habe. Da er in die Schule gegangen sei, könne sich der Wehrdienst, der normalerweise ab dem 18. Lebensjahr beginne, verzögern. Den Einberufungsbefehl habe er erhalten, als er bereits in Europa gewesen sei. Das hätten ihm seine Eltern erzählt. Der Termin für die Ableistung des Wehrdienstes sei noch nicht festgelegt worden; vorher müsse er zur „Stellung“ gehen.

Mit Bescheid vom 25.02.2021 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien als unbegründet ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.), gewährte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde vom 25.03.2021, in welcher vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer Algerien aufgrund des diskriminierenden Umgangs in der Schule verlassen habe. Darüber hinaus werde er im Fall der Rückkehr verhaftet, da er seinen Wehrdienst nicht geleistet habe. Ihm drohe in Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, Ermordung oder Misshandlung und sei daher als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention anzusehen. Das Bundesamt stütze seine Feststellungen zur Situation in Algerien auf unvollständige und zum Teil veraltete Länderberichte, welche sich nur unzureichend mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befasst hätten. Bei einer Abschiebung nach Algerien drohe ihm ein menschenunwürdiges Leben und geriete in einen lebensbedrohlichen Zustand sowie in eine ausweglose Situation.

Mit Schriftsatz vom 25.03.2021 legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und gehört der Volksgruppe der Araber an. Er bekennt sich zum Islam und gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ging zehn Jahre in die Grundschule und arbeitete nebenbei als Bauarbeiter. Zudem betrieb er einen kleinen Geflügelhandel bis ca. acht Monate vor seiner Ausreise. Er gehört keiner Covid-19-Risikogruppe an. Er spricht nicht Deutsch. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer reiste im Jänner 2019 legal mit gültigem Reisedokument auf dem Luftweg aus Algerien in die Türkei aus, wo er sich für ca. zwei bis drei Monate aufhielt. Nach kurzen Aufenthalten in Griechenland, in Albanien und Montenegro hielt er sich ca. ein Jahr in Bosnien auf. Über Kroatien und Slowenien gelangte er illegal nach Österreich.

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, seinen drei Brüdern und seiner Schwester, lebt in Algerien. Mit seiner Familie steht er in Kontakt. In Österreich hat er keine Verwandten und keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und geht keiner Beschäftigung nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.3. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer reiste aus wirtschaftlichen Gründen aus Algerien aus. Er wurde in Algerien nicht verfolgt und muss bei seiner Rückkehr nicht mit einer Verfolgung rechnen und wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Algerien aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde oder werden wird.

1.4. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Algerien ist möglich und führt nicht dazu, dass er dort in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde. Es ist ihm zumutbar in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, sich dort eine Unterkunft zu nehmen, am Erwerbsleben teilzunehmen und sich daraus ein Einkommen zu sichern und sein Leben in seinem Herkunftsstaat wieder fortzuführen. Die Covid-19-Pandemie steht einer Rückkehr nach Algerien nicht entgegen.

1.5. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungswesentlichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation zu Algerien auszugsweise zitiert. Der Beschwerdeführer tätigte in der erhobenen Beschwerde keine Ausführungen zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung der Lage bekannt geworden, so dass das Bundesverwaltungsgericht sich den Ausführungen des Bundesamtes anschließt und auch zu den seinen erhebt.

Algerien gilt als sicherer Herkunftsstaat. Es ist politisch wie sicherheitspolitisch ein stabiles Land. Algerien ist fähig und willig, seine Bürger zu schützen.

Im gegebenen Zusammenhang wird mangels eines substantiierten Vorbringens in der erhobenen Beschwerde, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind, fallbezogen Folgendes (mit den angeführten Quellen) (auszugsweise) festgestellt:

Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):

Sicherheitslage

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 5.5.2020; vgl. Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019, IPB 12.6.2020). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2019; vgl. BS 29.4.2020). Es gibt nach wie vor bewaffnete Splittergruppen, und es herrscht nach wie vor eine Sicherheitswarnung, insbesondere für die Süd- und Ostgrenze, für den Süden und die Berberregionen des Landes. Seit 2014 hat es keine Entführungen mehr gegeben (BS 29.4.2020; vgl. BMEIA 8.5.2020, AA 5.5.2020), In den vergangenen zwei Jahren gab es keine größeren terroristischen Vorfälle (BS 29.4.2020).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al-Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des „Islamischen Staates“ (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2019).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali. Es kommt mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 11.2019).

Nach Angaben der offiziellen Armeepublikation „El Djeich“ (andere Quellen sind nicht öffentlich zugänglich) wurden 2018 32 Terroristen getötet, 25 festgenommen, 132 ergaben sich, weiters wurden 170 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2019; vgl. ÖB 12.2019). Dieselbe Quelle gibt für das Jahr 2019 an, dass 15 Terroristen getötet und 25 festgenommen wurden, 44 ergaben sich; weiters wurden 245 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2020). Wie in den Vorjahren kam es auch 2019 zu bewaffneten Vorfällen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen, bei denen inoffiziellen Angaben zufolge auch aufseiten der Armee Tote verzeichnet wurden, was jedoch nicht öffentlich gemacht wird (ÖB 11.2019).

Spezifische regionale Risiken

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.5.2020): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/algeriensicherheit/219044, Zugriff 17.6.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.5.2020): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 17.6.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

-        FD - France Diplomatie (20.5.2020): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/, Zugriff 17.6.2020

-        Guardian, the (13.12.2019): Thousands march in Algeria after controversial election result, https://www.theguardian.com/world/2019/dec/13/algeria-braced-for-protests-as-former-pm-wins-presidential-election, Zugriff 16.12.2019

-        IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020

-        MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2019): Bilan opérationnel 2018 - Résultats probants dans la lutte antiterroriste, in: El Djeich N°666 (Janvier 2019) S 19-20, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2019Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020

-        MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2020): Lutte contre le terrorisme et le crime organisé - Bilan opérationnel 2019, in: El Djeich N°678 (Janvier 2020) S 75, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2020Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien

-        Standard, der (12.12.2019): Umstrittene Präsidentenwahl in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000112165637/umstrittener-urnengang-in-algerien?ref=article, Zugriff 16.12.2019

Allgemeine Menschenrechtslage

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 25.6.2019). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen, bestehen jedoch grundsätzlich fort (AA 17.4.2019). Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020) und die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020).

Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, BS 29.4.2020). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend (USDOS 11.3.2020). Alle Medienanbieter, auch privat, stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 25.6.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Ergebnis ist, dass die Möglichkeiten politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt sind. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen „Würde des Staates und die Staatssicherheit“ festgenommen zu werden (ÖB 11.2019). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 25.6.2019).

Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag überfluten Algerier die Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Die Sicherheitskräfte haben verschärfte Kontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Algier eingerichtet, um die Teilnehmerzahlen in der Hauptstadt zu senken (AA 25.6.2019). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt (ARI 7.4.2020; vgl. IPB 12.6.2020). Im Zusammenhang mit dem gesundheitspolitischen Notstande intensivierte die Regierung ihr Vorgehen gegen Opposition und freie Presse (RLS 7.4.2020) und ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020).

Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte auch die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 25.6.2019).

Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt (ÖB 11.2019).

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen operieren und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 31.5.2019

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020

-        ARI - Arab Reform Initiative (7.4.2020): The Future of the Algerian Hirak Following the COVID-19 Pandemic, https://www.arab-reform.net/publication/the-future-of-the-algerian-hirak-following-the-covid-19-pandemic/, Zugriff 27.4.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020

-        IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

-        RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Die meisten Bürger können relativ frei im In- und Ausland reisen (FH 4.3.2020). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden landesweit nächtliche Ausgangssperren verhängt, alle Grenzübertrittstellen für den Personenverkehr geschlossen sowie der Inlandsflugverkehr eingestellt (USEMB 26.4.2020). Am 13.6.2020 wurde angekündigt, die nächtlichen Ausgangssperren in 19 Provinzen aufzuheben und in den übrigen 29 Provinzen, darunter der Hauptstadt Algier, verkürzt beizubehalten. Die wirtschaftlichen Aktivitäten und der innerstädtische öffentliche Personenverkehr sollen schrittweise wieder aufgenommen werden. Eine mögliche Wiedereröffnung der Grenzen soll im Juli 2020 entschieden werden (National 13.6.2020).

Quellen:

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2020, Zugriff 4.3.2020

-        National, the (13.6.2020): Algeria eases lockdown but borders remain closed, https://www.thenational.ae/world/mena/algeria-eases-lockdown-but-borders-remain-closed-1.1033231, Zugriff 17.6.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

-        USEMB - U.S. Embassy in Algeria (26.4.2020): COVID-19 Information, https://dz.usembassy.gov/covid-19-information/, Zugriff 27.4.2020

Grundversorgung

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 bis 17%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30 bis 50% (WKO 10.2019 [jeweils niedrigerer Wert], RLS 17.12.2019 [jeweils höherer Wert]). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden an vulnerable Familien in isolierten und vom Lockdown besonders betroffenen Gebieten Lebensmittel und Hygieneprodukte verteilt (Gentilini et al 12.6.2020: 29f).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

-        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

-        Gentilini, Ugo; Mohamed Almenfi, Pamela Dale, Ana Veronica Lopez, Ingrid Veronica Mujica, Rodrigo Quintana, Usama Zafar (12.6.2020): Social Protection and Jobs Responses to COVID-19: A Real-Time Review of Country Measures - “Living paper” version 11 (June 12, 2020), http://documents.worldbank.org/curated/en/590531592231143435/pdf/Social-Protection-and-Jobs-Responses-to-COVID-19-A-Real-Time-Review-of-Country-Measures-June-12-2020.pdf, Zugriff 17.6.2020

-        IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

-        RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (17.12.2019): Algerien: Wahlen gegen Legitimität, https://www.rosalux.de/news/id/41412/algerien-wahlen-gegen-legitimitaet, Zugriff 17.6.2020

-        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (10.2019): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-algerien.pdf, Zugriff 18.3.2020

Medizinische Versorgung (dazu gilt es anzumerken, dass im angefochtenen Bescheid aus einem Versehen dieselben Feststellungen getroffen wurden, wie sie im nachfolgenden Punkt die „Rückkehr“ betreffend ausgeführt wurden)

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019, BS 29.4.2020) Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 25.6.2019).

Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2019).

Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 11.2019).

Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 11.2019).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 25.6.2019).

Die COVID-19-Pandemie traf Algerien hart, das öffentliche Gesundheitswesen im Land war nicht annähernd auf eine Krise solchen Ausmaßes vorbereitet (RLS 7.4.2020; vgl. GTAI 15.5.2020). Es gab Berichte von überfüllten Krankenhäusern in Algier und in Blida (GTAI 15.5.2020) und es gab einen Mangel an Ausrüstung und Medikamenten. Im März 2020 wurde Lokalbehörden untersagt, statistische Angaben zu COVID-19-Entwicklungen zu machen und die Öffentlichkeitsarbeit wurde bei den Ministerien in Algier gebündelt (RLS 7.4.2020). Die Regierung hat eilig Maßnahmen gesetzt, um mehr Intensivbetten anzubieten. Präsident Tebboune kündigte Anfang April 2020 an, nach der Pandemie den Gesundheitssektor umzustrukturieren. Mitte Mai war die Zahl der Erkrankten für die Krankenhäuser bewältigbar (GTAI 15.5.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

-        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

-        GTAI - German Trade & Invest (15.5.2020): Covid-19: Gesundheitswesen in Algerien, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/algerien/covid-19-gesundheitswesen-in-algerien-237622, Zugriff 17.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

-        RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020

Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden am 17.3.2020 alle Luft-, See- und Landgrenzübergänge geschlossen. Über eine mögliche Aufhebung der Sperren soll im Juli 2020 entschieden werden (National 14.6.2020; vgl. USEMB 16.6.2020, IATA 17.4.2020/17.6.2020, Garda 13.6.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

-        Garda World (13.6.2020): Algeria: Authorities to further ease COVID-19 restrictions June 14 /update 19, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/350511/algeria-authorities-to-further-ease-covid-19-restrictions-june-14-update-19, Zugriff 17.6.2020

-        IATA - International Air Transport Association (17.4.2020 / 17.6.2020): Interactive Coronavirus (Covid-19) Travel Regulations Map (powered by Timatic), https://www.iatatravelcentre.com/international-travel-document-news/1580226297.htm, Zugriff 17.6.2020

-        National, the (13.6.2020): Algeria eases lockdown but borders remain closed, https://www.thenational.ae/world/mena/algeria-eases-lockdown-but-borders-remain-closed-1.1033231, Zugriff 17.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

-        USEMB - U.S. Embassy in Algeria (16.6.2020): COVID-19 Information, https://dz.usembassy.gov/covid-19-information/, Zugriff 17.6.2020

Wehrdienst und Rekrutierungen

Freiwilliger Militärdienst kann bereits im Alter von 18 Jahren angetreten werden. In Algerien sind Männer im Alter von 19 - 30 Jahren zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet (CIA 6.1.2020). Frauen sind nicht wehrpflichtig und dürfen nicht in die algerische Armee eintreten (Connection 5.9.2016). Der Wehrdienst dauert seit 2014 nur noch 12 Monate (davor 18), es gibt keinen Ersatzdienst (ÖB 11.2019; vgl. Connection 5.9.2016).

Quellen:

-        CIA - Central Intelligence Agency (6.1.2020): The World Factbook – Algeria – Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ag.html, Zugriff 16.1.2020

-        Connection e.V. - Internationale Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure (5.9.2016): Algerien: Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung, https://de.connection-ev.org/article-2316, Zugriff 16.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Nach dem Militärstrafgesetzbuch wird Wehrdienstentziehung (Art. 254 des Militärstrafgesetzbuches, Strafrahmen drei Monate bis fünf Jahre Haft) und Fahnenflucht (Art. 258 ff., Strafrahmen im Frieden je nach Fallgestaltung sechs Monate bis fünf Jahre, bei Offizieren bis zehn Jahre Haft) geahndet. Nach Algerien zurückgekehrte Wehrpflichtige, die keine Befreiung vom Wehrdienst (z. B. wegen Studiums oder aus familiären Gründen) nachweisen können, werden zur Ableistung des Wehrdienstes den Militärbehörden überstellt. Eine Bestrafung ist nicht vorgesehen. Deserteure müssen nach Verbüßung ihrer Haftstrafe den unterbrochenen Militärdienst bis zur Erfüllung der regulären Dienstzeit (Haftzeit nicht eingerechnet) fortsetzen. Wehrdienstentziehung oder Fahnenflucht können dann zu weiteren Repressalien führen, wenn besondere, als staatsgefährdend eingestufte Handlungen hinzutreten (AA 25.6.2019).

Auf Antrag können Algerier älter als 27 Jahre vom Wehrdienst ausgenommen werden, und zwar aus „sozialen Gründen“ (berufliche Tätigkeit oder Unterstützung der Familie). Strafbar ist dagegen die Entziehung nach Zustellung eines Einberufungsbescheides, der auf Grundlage der Registrierung bei den Meldebehörden (seit 1994 für alle männlichen Algerier bei Erreichen des achtzehnten Lebensjahres verpflichtend) erstellt wird. Von der Maßnahme sind vor allem im Ausland lebende junge Algerier begünstigt, die der Registrierungspflicht so faktisch entkommen (AA 25.6.2019).

Es gibt keine legale Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung. Verweigerer werden als Deserteure angesehen (ÖB 11.2019 vgl. Connection 5.9.2016, RDC 29.4.2019). Kriegsdienstverweigerern drohen zwei Jahre Gefängnis, ein Jahr Militärdienst und ein Jahr Verlängerung der Dienstzeit aufgrund der Gefängniszeit. Bei erneuter Verweigerung nach der Haftstrafe droht ein weiterer Zyklus der Inhaftierung (ÖB 11.2019; vgl. Connection 5.9.2016).

Die Bestimmungen für Deserteure wurden verschärft. Es gibt wenig oder gar keine Informationen, die darauf hindeuten, dass Menschen, die sich dem Wehrdienst entziehen, vor den Militärgerichten strafrechtlich verfolgt und zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. Bestrafung im Zusammenhang mit der Umgehung des Wehrdienstes stellt in Algerien kein allgemeines Menschenrechtsproblem mehr dar (RDC 29.4.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

-        Connection e.V. - Internationale Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure (5.9.2016): Algerien: Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung, https://de.connection-ev.org/article-2316, Zugriff 16.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

-        RDC - Refugee Documentation Centre, Legal Aid Board (29.4.2019): What is the punishment for failure to comply with conscription to the military? Are the reports of the punishment of the above being enforced?, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007866/144790.pdf, Zugriff 31.5.2019

1.6. Zur Covid-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet hat. (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80 % der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen (wie Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, Bluthochdruck etc.) (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Die COVID-19-Pandemie traf Algerien hart, das öffentliche Gesundheitswesen im Land war nicht annähernd auf eine Krise solchen Ausmaßes vorbereitet (RLS 7.4.2020; vgl. GTAI 15.5.2020). Es gab Berichte von überfüllten Krankenhäusern in Algier und in Blida (GTAI 15.5.2020) und es gab einen Mangel an Ausrüstung und Medikamenten. Im März 2020 wurde Lokalbehörden untersagt, statistische Angaben zu COVID-19-Entwicklungen zu machen und die Öffentlichkeitsarbeit wurde bei den Ministerien in Algier gebündelt (RLS 7.4.2020). Die Regierung hat eilig Maßnahmen gesetzt, um mehr Intensivbetten anzubieten. Präsident Tebboune kündigte Anfang April 2020 an, nach der Pandemie den Gesundheitssektor umzustrukturieren. Mitte Mai war die Zahl der Erkrankten für die Krankenhäuser bewältigbar (GTAI 15.5.2020).

Die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung (Österreichs) listet die medizinischen Gründe (Indikationen) für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe auf. Auf Grundlage dieser Indikationen darf eine Ärztin/ein Arzt ein COVID-19-Risiko-Attest ausstellen.

Dass der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19-Infektion leidet oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID 19 in der Regel mit nur geringen Symptomen, vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1 %.

In Österreich gibt es mit Stand 30.03.2021 00:00 Uhr aktuell 51.237 aktive Fälle und 9.058 gemeldete Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de; Zugriff 30.03.2021).

Algerien hat mit Stand 30.03.2021 14:34 Uhr aktuell insgesamt 116.946 bestätigte Fälle und 3.084 Todesfälle zu verzeichnen (https://covid19.who.int/region/afro/country/dz; Zugriff 30.03.2021).

Diese Zahlen sind auch mit der Einwohnerzahl von rund 43 Mio. in Algerien und etwa 8,8 Mio. in Österreich in Relation zu setzen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und vom Beschwerdeführer unbestritten gebliebenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen.

2.2. Zum Sachverhalt:

In der Beschwerde wird den entscheidungswesentlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht substantiiert entgegengetreten und auch sonst kein dem festgestellten Sachverhalt entgegenstehendes oder darüber hinaus gehendes Vorbringen in konkreter und substantiierter Weise erstattet. Abgesehen davon, dass das Bundesamt auf das aktuelle (oben auszugsweise wiedergegebene) „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien Bezug nahm, liegen keine widerstreitenden oder sonst strittigen Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit der Feststellung des relevanten Sachverhaltes, auch in Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat, vor.

Die auf Grund der vorliegenden Akten in Zusammenschau mit dem erstatteten Vorbringen in der gegenständlichen Beschwerde getroffenen Feststellungen werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Auskünfte aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Strafregister der Republik Österreich, dem Zentralen Melderegister, dem Speichersauszug aus dem Betreuungsinformationssystem für die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich sowie Versicherungsdatenauszüge des Beschwerdeführers wurden jeweils am 29.03.2021 ergänzend eingeholt. Aus ihnen ergibt sich die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und dass er in Österreich bisher keiner Beschäftigung nachging, er Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht und er damit für seinen Lebensunterhalt nicht sorgen kann.

Die Feststellungen zum fehlenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich gründen sich auf seine Aussagen in der niederschriftlichen Einvernahme. In der Beschwerde werden der Feststellung zum Nichtvorliegen von Anhaltspunkten für die Annahme einer tiefergehenden Integration in Österreich keine widerstreitenden Umstände vorgebracht, die allenfalls zu einer anderen Beurteilung hätten führen können. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Algerien nahe Familienangehörige (Eltern und Geschwister) und er Kontakt zu ihnen hat, geht auf seine Aussage in der niederschriftlichen Einvernahme vom 14.02.2021 zurück.

2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte oder wollte, steht seine Identität nicht fest. Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seinen Lebensumständen in Algerien, seinem bildungsmäßigen Werdegang, seinen beruflichen Tätigkeiten in Algerien, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Einreise nach Österreich über verschiedene Staaten, seiner Staatsangehörigkeit und dass er nicht Deutsch spricht, gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung und seiner niederschriftlichen Einvernahme am 24.02.2021. Aus dem Beschwerdevorbringen sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufgekommen.

Dass er in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt sowie keine bedeutenden Integrationsschritte gesetzt hat, fußen auf seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner Einvernahme sowie dem Umstand seines kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Abfrage im Strafregister der Republik Österreich.

2.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer begründete den verfahrensgegenständlichen Asylantrag damit, aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist zu sein, weil er sich in Algerien keine Zukunft gesehen habe, er jung sei und sich hier (in Österreich) eine bessere Zukunft aufbauen wolle (Erstbefragung vom 10.12.2020, AS 40) und ihm der weitere Schulbesuch verwehrt worden sei, weil seine Eltern die Schulkosten nicht hätten bezahlen können. Der Beschwerdeführer gestand selbst ein, auf Grund der wirtschaftlichen Lage seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben (niederschriftliche Einvernahme vom 14.02.2021, AS 99). Aus diesem Vorbringen lässt sich eine aktuelle, gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr nicht ableiten. Er verneinte auch dezidiert, jemals Probleme mit der Polizei oder staatlichen Behörden gehabt zu haben (Protokoll vom 24.02.2021, AS 99).

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, im Falle der Rückkehr verhaftet zu werden, weil er seinen Wehrdienst nicht geleistet habe, ist zu entgegnen, dass sich dieses Vorbringen als nicht glaubhaft erweist. Wie aus den aktuellen Länderinformationen zu Algerien zu entnehmen ist, wird jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert, wobei eine solche Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen erhalten. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt seiner Ausreise über 19 Jahre alt und sohin nach algerischem Recht wehrpflichtig. Er konnte - wie er bei seiner Erstbefragung betonte - legal mit gültigem Reisepass auf dem Luftweg in die Türkei ausreisen, ohne im Besitz einer Sondergenehmigung zu sein. Das lässt den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer entweder den Wehrdienst bereits abgeleistet hatte oder er noch nicht zum Wehrdienst einberufen wurde. Für die Nichteinberufung sprechen eher seine Angaben bei der niederschriftlichen Einvernahme, dass er von den Eltern erfahren habe, den Einberufungsbefehl erhalten zu haben, als er bereits in Europa gewesen sei. Einen Termin für den Antritt des Wehrdienstes gebe es noch nicht, er müsse vorher erst zur „Stellung“ gehen (AS 100). Selbst wenn er den Wehrdienst noch nicht geleistet haben sollte, gibt es keine stichhaltigen Informationen, die darauf hindeuten, dass Wehrpflichtige, die sich dem algerischen Wehrdienst entzogen haben, deshalb verfolgt oder strafrechtlich belangt werden und Sanktionen zu befürchten hätten. Nach Algerien zurückgekehrte Wehrpflichtige, die keine Befreiung vom Wehrdienst nachweisen können, werden zudem bloß zur Ableistung des Wehrdienstes den Militärbehörden überstellt, eine Bestrafung ist nicht vorgesehen.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, in Algerien einer Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr ausgesetzt (gewesen) zu sein, weil er wirtschaftliche Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates geltend machte. Es war auch die Feststellung zu treffen, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Algerien nicht automatisch dazu führt, dass er einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Auch ist er angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer keiner Bedrohung und Verfolgung in Algerien ausgesetzt war und ihm bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine Verfolgung drohen wird.

2.5. Zum Herkunftsstaat und zur Covid-19 Pandemie:

Gemäß § 1 Z 10 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 in der Fassung BGBl. II Nr. 145/2019, gilt Algerien als sicherer Herkunftsstaat. Es ist politisch wie sicherheitspolitisch ein stabiles Land. Algerien ist fähig und willig, seine Bürger zu schützen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation zu Algerien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen. Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungswesentlichen Änderungen eingetreten.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Sein Vorbringen erschöpfte sich in Behauptungen, wonach das Bundesamt seine Entscheidung zum Teil auf veraltete Länderberichte gestützt habe und es nicht auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers Bezug genommen habe. Er unterließ es aber, den nach seiner Ansicht nach aktuellen und unberücksichtigt gebliebenen Teil der Länderbeichte zu unterbreiten, und darzulegen, welche auf seine Person bezogene konkrete Lage in Algerien die Zuerkennung internationalen Schutzes oder die Unzulässigkeit der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat rechtfertigen könnten.

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der gegenständlichen Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen.

Die Feststellungen zur Covid-19 Pandemie ergeben sich aus den oben zitierten Quellen. Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf den Beschwerdeführer, zumal er jung und gesund ist. Damit gehört er keiner Covid-19-Risikogruppe an. Dass er derzeit an einer COVID-19-Infektion leidet oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, brachte er nicht vor. Bei jung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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