TE Bvwg Beschluss 2021/4/1 W170 2239790-1

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Veröffentlicht am 01.04.2021
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Entscheidungsdatum

01.04.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2
WG 2001 §17

Spruch


W170 2239790-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Bründl & Franzelin Partnerschaft Rechtsanwälte, vom 23.12.2020 gegen den mündlich verkündeten Bescheid der Stellungskommission Kärnten vom 30.11.2020, Zl. 2049 K 1020 S/99/02/00/60, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 01.02.2021, Zl. P1433661/7-SteKo K/2021 (1), auf Grund des Vorlageantrags vom 17.02.2021 beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde und des Vorlageantrages wird der Bescheid in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung gemäß §§ 28 Abs. 3 VwGVG, 17 WG 2001 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde auf Grund des rechtzeitigen und zulässigen Vorlageantrags erwogen:

1. Feststellungen:

Mit mündlich verkündetem Beschluss der Stellungskommission Kärnten (in Folge: Behörde) vom 29.09.2017, Zl. 1739 K 4004 S/99/02/00/60, wurde XXXX (in Folge: Beschwerdeführer) für den Wehrdienst tauglich eingestuft, der Beschwerdeführer gab am 29.09.2017 einen Rechtsmittelverzicht ab.

Der Beschwerdeführer rückte am 03.09.2018 zum Ausbildungsdienst ein und wurde beim Beschwerdeführer bereits am 11.09.2018 wegen der Diagnose Chondromalacia patellae bds die Dienstunfähigkeit im Sinne des § 30 WG 2001 festgestellt, da die Erkrankung eine militärische Ausbildung bzw. die Heranziehung zu einer anderen Dienstleistung im Wehrdienst nicht zulasse.

Dieser Feststellung der Dienstunfähigkeit lag unter anderem ein Facharztbrief vom 10.09.2018 zu Grunde, nach dem sich der Beschwerdeführer wegen Chondromalacia patellae bds in fachärztlicher Behandlung befinde, die Erkrankung seit Juni (wohl: 2018) exacerbiert sei und belastungsabhängig auch bei Alltagsbelastungen immer wieder Schmerzen in beiden Kniegelenken im femoropatellaren Bereich bestünden. Abschließend wurde ausgeführt, dass schmerzhafte Belastungen der Kniescheibe vermieden werden sollten, um den bestehenden Knorpelschaden nicht zu verschlimmern und seien geh- und bergauf/bergab-Belastungen und das Tragen von Lasten und sportliche ähnliche Belastungen zu vermeiden.

Mit mündlich verkündetem Bescheid („Beschluss“) der Behörde vom 30.11.2020, Zl. 2049 K 1020 S/99/02/00/60, wurde abermals die Tauglichkeit des Beschwerdeführers festgestellt; Rechtsmittelverzicht wurde keiner abgegeben. Im Untersuchungsbefund wurden vom Untersuchungsarzt Ausnahmeprofile hinsichtlich des Hebens/Tragens, Stehens, Laufens und Springens festgestellt, eine nähere diesbezügliche Einschränkung findet sich nicht.

Den Unterlagen des Ermittlungsverfahrens liegt unter anderem ein Facharztbrief „zur Vorlage beim Bundesheer“ eines Facharztes (und allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen) für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vom 02.11.2020 bei, in dem ausgeführt wird, dass beim Beschwerdeführer bereits seit mehreren Jahren chronische femoropatellare Beschwerden in beiden Knien bestehen würden und es 2018 zu einer Verschlimmerung gekommen sei, sowie dass eine konservative Therapie mit Physiotherapie eingeleitet worden sei, die zu keiner Besserung geführt habe. Nach wie vor würden in beiden Kniegelenken im femoropatellaren Bereich Beschwerden bei Alltagsbelastungen (Stiegen steigen, bergauf/bergab gehen) bestehen, zusätzlich jedoch auch in Ruhe bzw. beim Sitzen. Klinisch bestehe weiterhin ein Krepitieren und Schnappen bei Beugung auch ohne Widerstand, links mehr als rechts, Zohlen seien beidseits positiv, Erguss rechts stärker als links. In den am 02.11.2020 durchgeführten de File Aufnahmen (Vergleich zu 2018) zeige sich unverändert die Lateralisierung der Kniescheibe bei 60°und 90° rechts mehr als links bei noch gut erhaltenem Gelenksspalt. Schmerzhafte Belastungen müssten vermieden werden, um den bestehenden Knorpelschaden nicht zu verschlimmern. Somit seien Geh- und bergauf/bergab Belastungen und Tragen von Lasten und sportliche ähnliche Belastungen zu vermeiden. Aus orthopädischer Sicht sei eine Tauglichkeit für das Bundesheer – so der Facharzt abschließend – nicht gegeben.

Weitere Ermittlungen zur Frage, ob die Erkrankung des Beschwerdeführers seine Fähigkeit zur Entwicklung der für die Waffenbedienung und der Verrichtung sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallender Tätigkeiten und Übungen nötigen Beweglichkeit und Kraftanstrengung beeinträchtigt und ob die hiefür notwendige Fähigkeit hinsichtlich der Entwicklung der Beweglichkeit und Kraftanstrengung überhaupt gegeben ist, finden sich nicht.

Nach einer entsprechenden Beschwerde, am 24.12.2020 bei der Behörde eingebracht, wurde die im Spruch bezeichnete Beschwerdevorentscheidung erlassen und am 04.02.2021 dem im Spruch bezeichneten Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt. Dieser ergriff einen am 17.02.2021 bei der Behörde eingebrachten Vorlageantrag.

Der Behörde steht ein Militärarzt unmittelbar zur Verfügung, zu dessen Aufgaben die Erstellung entsprechender Gutachten gehört; dieser müsste im Falle einer Verwendung beim Bundesverwaltungsgericht seine Befundung in Kärnten durchführen und das Gutachten in Wien am Hauptsitz des Bundesverwaltungsgerichtes erörtern. Auch die Parteien müssten zu einer Verhandlung zum Hauptsitz nach Wien kommen; daher ist die Durchführung der unterlassenen Ermittlungen durch die Behörde schneller und billiger als durch das Bundesverwaltungsgericht möglich.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage und – hinsichtlich der letzten Feststellung – aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, beginnend bereits in seinem Erkenntnis vom 04.07.1989, 89/11/0072, (siehe des Weiteren gleichlautend zum WG 2001 etwa VwGH 28.10.2003, 2003/11/0155; VwGH 27.02.2004, 2002/11/0234; VwGH 25.05.2004, 2004/11/0023) näher dargelegt hat, sollen Personen, die zwar nur in sehr eingeschränkter Weise militärisch ausgebildet werden können, die aber dennoch für bestimmte Dienstverrichtungen im Bundesheer in Betracht kommen, als "tauglich" qualifiziert und ihrer allenfalls eingeschränkten Dienstfähigkeit entsprechend im Bundesheer eingesetzt werden. In weiterer Folge hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.11.1989, Zl. 89/11/0105, – wenn auch zum WehrG 1990 – klargestellt, dass ein Stellungspflichtiger, der auf Grund seines körperlichen und geistigen Zustandes überhaupt keine militärische Ausbildung erfahren und demnach überhaupt keinen militärischen Dienst verrichten kann, nicht zum Wehrdienst geeignet ist. Der Umstand, dass eine bestimmte Person zu irgendwelchen Dienstverrichtungen im Bundesheer in der Lage ist, bewirkt nach der Judikatur noch nicht ihre Tauglichkeit im Sinne des WG 2001. Der Dienst im Bundesheer umfasst jedenfalls eine militärische Komponente im engeren Sinn, auf die sich auch die Ausbildung der Grundwehrdiener zu erstrecken hat. In diesem Sinn ist § 15 Abs. 1 WG 2001 zu verstehen. Dies bringt die Anforderung mit sich, dass der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann. Weiters führt der Verwaltungsgerichtshof, beginnend mit dem Erkenntnis vom 18.12.1997, Zl. 97/11/0208, (siehe weiters noch VwGH 27.02.2004, 2002/11/0234) aus, dass der Umstand, dass ein Wehrpflichtiger ein Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann, um eine Waffe bedienen zu können, für sich nicht hinreicht, um seine Tauglichkeit zu begründen, da der Wehrpflichtige der Beweglichkeit und Kraftanstrengung nicht nur bedarf, um die Waffe zu bedienen, sondern in erster Linie, um die sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen zu verrichten.

Ein auf "tauglich" lautender Beschluss der Stellungskommission bedarf gemäß § 17 Abs. 2 WG 2001 der Zustimmung des Arztes. Die einem solchen Beschluss zu Grunde liegende Beurteilung muss erkennen lassen, aus welchem Grund der Arzt der Auffassung ist, der Stellungspflichtige besitze die notwendige körperliche und geistige Eignung im Sinne des Gesetzes. Dies erfordert in Fällen, in denen Krankheitszustände oder Gebrechen festgestellt werden, welche die mögliche Kraftanstrengung und Beweglichkeit – aus welchen Gründen immer – beeinträchtigen, nachvollziehbare Ausführungen dazu, in welchem Ausmaß der Stellungspflichtige auf Grund seines festgestellten Gesundheitszustandes in der Kraftanstrengung und Beweglichkeit gehindert ist (zum § 23 Abs. 2 WehrG 1990: VwGH 20.03.2001, 99/11/0081; zum WG 2001 etwa VwGH 27.02.2004, 2002/11/0234).

Schon auf Grund der Feststellung der Dienstunfähigkeit des Beschwerdeführers am 11.09.2018 wegen der Diagnose Chondromalacia patellae bds, die damals einer militärischen Ausbildung bzw. die Heranziehung zu einer anderen Dienstleistung im Wehrdienst entgegenstand und auf Grund des Facharztbriefs eines Facharztes (und allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen) für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vom 02.11.2020, in dem nicht nur das (weitere) Vorliegen der damaligen Erkrankung bestätigt, sondern auch ausgeführt wurde, dass es 2018 zu einer Verschlimmerung gekommen sei und Geh- und bergauf/bergab Belastungen und Tragen von Lasten und sportliche ähnliche Belastungen zu vermeiden seien, wäre der als Mitglied der Behörde einschreitende Arzt daher zur Durchführung weiterer Erhebungen, die ihn in die Lage versetzt hätten, festzustellen, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß der Beschwerdeführer gehindert sei, die für das Bedienen einer Waffe und die bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen notwendige Beweglichkeit und Kraftanstrengung aufzubringen, verpflichtet gewesen. Entsprechende Feststellungen sind weder dem Bescheid noch der Beschwerdevorentscheidung, entsprechende Ermittlungen (in einer für einen medizinischen Laien nachvollziehbaren Feststellung) nicht zu entnehmen.

Dies, obwohl der Behörde bei pflichtgemäßer Verwaltungsübung die oben zitierte, ständige und jahrzehntelang dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bekannt sein musste, was den Schluss zulässt, dass die Behörde diese – über ihre „üblichen“ Ermittlungen hinausgehenden – Ermittlungen unterlassen hat, um diese dem Verwaltungsgericht zu delegieren.

Darüber hinaus wird die Durchführung der Ermittlungen durch die Behörde schneller und billiger erfolgen können als durch das Verwaltungsgericht.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ist eine solche Kassation zulässig, wenn der Sachverhalt nicht feststeht, weil die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer „Delegierung“ dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder die Behörde ähnlich schwerwiegende Ermittlungsfehler begangen hat und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Das ist hier – wie oben ausgeführt – der Fall, daher ist der Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuweisen.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auf Grund des am 29.09.2017, Zl. 1739 K 4004 S/99/02/00/60, mündlich verkündeten und in Rechtskraft erwachsenen Bescheides immer noch als tauglich eingestuft ist und es nicht Aufgabe des Facharztes ist, festzustellen, ob der Beschwerdeführer aus orthopädischer Sicht tauglich ist oder nicht; dieser könnte allenfalls den Grad der Beweglichkeit und Kraftanstrengung feststellen, den der Beschwerdeführer aufzubringen in der Lage ist; die Frage der Tauglichkeit entzieht sich als Rechtsfrage hingegen der Beurteilung eines Facharztes (oder Sachverständigen) und kann die Behörde daher nicht binden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat unter A) die relevante Rechtsprechung zitiert und diese beachtet, daher stellt sich keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

Schlagworte

Dienstunfähigkeit Erkrankung Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Stellungskommission Stellungspflicht Tauglichkeit Wehrdienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W170.2239790.1.00

Im RIS seit

09.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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