Entscheidungsdatum
09.04.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W133 2224878-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 26.08.2019, nach Beschwerdevorentscheidung vom 11.10.2019, betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 12.03.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung vom 11.10.2019 bestätigt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50% aufgrund der zuletzt im April 2018 gutachterlich festgestellten Funktionseinschränkungen: „Angst und depressive Störung gemischt, Panikstörung, Leistungsfähigkeit und soziale Kontakte schwer aufrecht zu erhalten“.
Sie stellte am 15.01.2018 unter Vorlage medizinischer Befunde den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), der entsprechend dem von der Beschwerdeführerin unterfertigten Antragsformular für den - auf die Beschwerdeführerin zutreffenden - Fall, dass sie nicht über einen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in diesem Behindertenpass verfügt, auch als Antrag auf Vornahme der genannten Zusatzeintragung in dem Behindertenpass galt.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 05.04.2018 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen der Leidensposition „Angst und depressive Störung gemischt, Panikstörung, Leistungsfähigkeit und soziale Kontakte schwer aufrecht zu erhalten“/Pos.Nr. 03.06.02/50% zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. bestätigt. Es wurde weiters festgestellt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus gutachterlicher Sicht zumutbar sei.
Mit Schreiben vom 06.04.2018 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme zu diesem Gutachten ein.
Mit Schreiben vom 20.04.2018 brachte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ein, worin sie zusammengefasst ausführte, dass sie schon seit Jahrzehnten an psychischen Problemen leide, darunter auch an einer Sozialphobie, die es ihr unmöglich mache, unter Menschen zu gehen und öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Sie habe auch schon etliche Therapien ohne jegliche Besserung versucht.
Aufgrund der erhobenen Einwendungen holte die belangte Behörde ein weiteres Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 28.09.2018 ein. Darin erläuterte die Gutachterin, dass kein Nachweis einer entsprechenden fachspezifischen Behandlung vorliege, wie sie bei Klaustrophobie und Agoraphobie angewendet werden solle und müsse, und diese über mindestens ein Jahr, weshalb die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht gerechtfertigt sei. Motorisch bestünden keinerlei Einschränkungen.
Mit Schreiben vom 28.09.2018 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme zu diesem Gutachten ein.
Mit Schreiben vom 12.10.2018 brachte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ein, worin sie ausführte, sie sei seit dem Jahr 2011 in ununterbrochener psychiatrischer Behandlung und sei auch zweimal stationär aufgenommen worden. Es seien aber keine Ziele erreicht worden und es sei ihr nicht bessergegangen. Sie habe nur immer mehr Medikamente bekommen. Sie leide trotzdem immer wieder unter Panikattacken und werde langsam von den Medikamenten abhängig. Nach der Einnahme der Medikamente sei sie nicht mehr in der Lage, das Haus zu verlassen. Sie fahre seit 1995 nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund ihrer Panikattacken und Angstzustände wegen der großen Menschenmengen. Sie sei früher selbst mit dem Auto gefahren, seit fünf Jahren fahre ihr Ehemann, da sie selbst wegen der Medikamente nicht mehr fahren könne. Ihre finanzielle Situation sei zu schlecht, um mit einem Taxi zu fahren.
Aufgrund der erhobenen Einwendungen holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 19.12.2018 ein. Darin führt die Gutachterin aus, dass als Voraussetzung für die Berücksichtigung in Bezug auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel alle sinnvollen, verfügbaren und zumutbaren Therapieoptionen zum Einsatz gekommen sein müssten. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu.
Auch gegen diese gutachterliche Stellungnahme erhob die Beschwerdeführerin neuerlich Einwendungen.
In weiterer Folge holte die belangte Behörde ein zusätzliches psychiatrisches Sachverständigengutachten wiederum auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 05.08.2019 ein. Auch in diesem Gutachten kommt die Sachverständige zur Beurteilung, dass bezüglich der agoraphobischen Probleme vor dem Hintergrund einer posttraumatischen Belastungsstörung keine spezifische, zumindest einjährige Therapie vorliege, wobei eine Verbesserung des psychopathologischen Zustandsbilds zu erwarten wäre. Eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel könne nicht zuerkannt werden.
Aufgrund neuerlicher Einwendungen auch gegen dieses Gutachten erfolgte eine weitere ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie vom 22.08.2019, worin neuerlich bestätigt wurde, dass die Kriterien für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht vorlägen.
In der Folge wies daher die belangte Behörde mit Bescheid vom 26.08.2019 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab. Sie stützte diesen Bescheid auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 22.08.2019 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage zu diesem Bescheid übermittelt.
Mit Schreiben vom 03.10.2019 brachte die Beschwerdeführerin am 04.10.2019 unter Vorlage neuer medizinischer Befunde fristgerecht eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 26.08.2019 bei der belangten Behörde ein.
Im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens holte die belangte Behörde eine weitere ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie vom 10.10.2019 ein, worin zusammengefasst beurteilt wurde, dass sich durch die neu vorgebrachten Befunde keine Änderung ergebe.
Mit Bescheid vom 11.10.2019 erließ die belangte Behörde eine Beschwerdevorentscheidung, worin die Beschwerde vom 04.10.2019 abgewiesen wurde.
Mit Schreiben vom 22.10.2019 erhob die Beschwerdeführerin neuerlich einen „Einspruch“ gegen diese Entscheidung, welchen die belangte Behörde als Vorlageantrag wertete und dem Bundesverwaltungsgericht am 29.10.2019 den Verwaltungsakt und die Beschwerde zur Entscheidung vorlegte. Das Beschwerdeverfahren wurde der Gerichtsabteilung W162 zugeteilt.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts wurde eine neuerliche psychiatrische Begutachtung der Beschwerdeführerin veranlasst. In dem psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 16.12.2019 gelangt der Gutachter zusammengefasst zur Beurteilung, dass es von psychiatrischer Seite her der Beschwerdeführerin derzeit nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, jedoch die therapeutischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft seien.
Mit Schreiben vom 10.01.2020 und 20.07.2020 erhob die Beschwerdeführerin auch gegen dieses Gutachten Einwendungen.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.09.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W162 abgenommen und am 08.09.2020 der Gerichtsabteilung W133 neu zugeteilt.
Am 12.03.2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Facharztes für Psychiatrie, der das Gutachten vom 16.12.2019 erstattet hatte, der Beschwerdeführerin und deren rechtlicher Vertretung statt. Im Zuge der Verhandlung wurde das aktuelle Gutachten erörtert und erhielt die Beschwerdeführerin Gelegenheit, Fragen an den Sachverständigen zu richten und zum Sachverhalt persönlich ausführlich Stellung zu nehmen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.
Sie hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Die Beschwerdeführerin stellte am 15.01.2018 einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Komplexe posttraumatische Belastungsstörung;
2. Panikstörung mit Agoraphobie;
3. Rezidivierende depressive Störung;
4. Tranquilizer-Abhängigkeit.
Die bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen führen zwar aktuell dazu, dass es ihr aufgrund ihrer psychiatrischen Symptomatik derzeit nicht möglich ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Jedoch sind die zumutbaren therapeutischen Optionen keinesfalls ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin ist zwar medikamentös entsprechend eingestellt, jedoch hat eine konsequente längerdauernde psychotherapeutische Behandlung, insbesondere eine störungsspezifische Behandlung nicht stattgefunden. Diese wäre aber zur Behandlung der Angststörung und posttraumatischen Belastungsstörung unbedingt erforderlich und der Beschwerdeführerin auch zumutbar. Die Beschwerdeführerin hat eine solche Therapie bislang nicht ernsthaft und nachhaltig in Anspruch genommen, im Rahmen eines Reha-Aufenthaltes im Oktober 2015 ausprobiert, dann aber wieder abgesetzt und in der Verhandlung angegeben, sie habe der Psychotherapeutin nicht vertraut. Weiters müsste sie eine – ihr ebenfalls zumutbare – Benzodiazepinentgiftung und Entwöhnung durchführen, um sinnvolle therapeutische Maßnahmen zu ermöglichen. Die Beschwerdeführerin hat eine solche Entzugstherapie zur Entgiftung und „Ausschleichung“ von 08.06.2015 bis 02.07.2015 im XXXX zunächst begonnen, jedoch - noch bevor der Entzug abgeschlossen werden konnte - am 03.07.2015 auf eigenen Wunsch beendet und das Krankenhaus verlassen, da sie auf der dortigen Station von einem Zweibettzimmer in ein Vierbettzimmer wechseln hätte müssen, jedoch nicht in einem Vierbettzimmer schlafen wollte.
Eine Einschränkung der oberen oder unteren Extremitäten oder der körperlichen Belastbarkeit ist nicht objektivierbar, insbesondere ist auch keine maßgebliche cardiopulmonale Funktionseinschränkung objektivierbar.
Es liegen weiters keine erheblichen Einschränkungen neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. Funktionen vor.
Es besteht auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems und auch keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, medizinischer Diagnose und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen medizinischen Beurteilungen im Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 16.12.2019 sowie dessen ergänzende Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die Beurteilungen im Gutachten waren nicht geeignet, diese zu entkräften oder in Frage zu stellen; diesbezüglich wird auf die nachfolgende Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung verwiesen. Eine vom Gutachten abweichende Beurteilung erweist sich zum Entscheidungszeitpunkt als nicht möglich.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen über die Ausstellung eines Behindertenpasses, den aktuellen Grad der Behinderung und über das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergibt sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht aktuell eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Die Feststellungen zu den bestehenden Leidenszuständen und zur aktuellen Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich auf das durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 16.12.2019 sowie dessen ergänzende Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021. Darin wird auf die Art und das Ausmaß der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der Gutachter setzt sich auch nachvollziehbar mit den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffene Beurteilung basiert auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund und entspricht auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (zur Art und zum Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen wird auf die detaillierten, oben auszugsweise im Original wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen).
Im bisherigen Verfahren haben seit der Antragstellung im Jänner 2018 folgende medizinische Begutachtungen stattgefunden:
- Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 05.04.2018;
- Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 28.09.2018;
- ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 19.12.2018;
- zusätzliches psychiatrisches Sachverständigengutachten wiederum auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 05.08.2019;
- weitere ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie vom 22.08.2019;
- weitere ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie vom 10.10.2019
- und schließlich das vom BVwG eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten vom 16.12.2019 samt ergänzender Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021.
Es wurde somit insgesamt acht Mal ein medizinscher Gutachter befasst und die Beschwerdeführerin wurde von insgesamt 4 verschiedenen medizinischen Sachverständigen begutachtet, davon 3 verschiedene Fachärzte für Psychiatrie. Alle Gutachter kommen im Ergebnis zur übereinstimmenden Beurteilung, dass die Beschwerdeführerin zwar unter einer Panikstörung mit Agoraphobie leidet, jedoch die vorhandenen und zumutbaren Therapieoptionen einer längerdauernden störungsspezifischen Psychotherapie und einer Entzugsbehandlung bezüglich der Tranquilizer-Abhängigkeit von ihr nicht ausreichend ergriffen werden und wurden.
In dem Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 16.12.2019 sowie dessen ergänzender Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021 wird – wie bereits oben festgestellt wurde - nachvollziehbar ausgeführt, dass es der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer psychiatrischen Symptomatik derzeit nicht möglich ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Jedoch sind die zumutbaren therapeutischen Optionen keinesfalls ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin ist zwar medikamentös entsprechend eingestellt, jedoch hat eine konsequente psychotherapeutische Behandlung, insbesondere eine störungsspezifische Behandlung nicht stattgefunden. Diese wäre aber zur Behandlung der Angststörung und posttraumatischen Belastungsstörung unbedingt erforderlich und der Beschwerdeführerin auch zumutbar. Die Beschwerdeführerin hat eine solche Therapie bislang nicht ernsthaft und nachhaltig in Anspruch genommen, im Rahmen eines Reha-Aufenthaltes im Oktober 2015 ausprobiert, dann aber wieder abgesetzt und in der Verhandlung angegeben, sie habe der Psychotherapeutin nicht vertraut.
Weiters müsste sie eine – ihr ebenfalls zumutbare – Benzodiazepinentgiftung und Entwöhnung durchführen, um sinnvolle therapeutische Maßnahmen zu ermöglichen. Die Beschwerdeführerin hat eine solche Entzugstherapie zur Entgiftung und „Ausschleichung“ von 08.06.2015 bis 02.07.2015 im XXXX zunächst begonnen, jedoch - noch bevor der Entzug und die „Ausschleichung“ abgeschlossen werden konnte - am 03.07.2015 auf eigenen Wunsch beendet und das Krankenhaus verlassen, da sie auf der dortigen Station von einem Zweibettzimmer in ein Vierbettzimmer wechseln hätte müssen, jedoch nicht in einem Vierbettzimmer schlafen wollte.
Der Gutachter legte in der Verhandlung am 12.03.2021 nochmals eingehend dar, dass die Beschwerdeführerin in Bezug auf die von ihr geltend gemachten psychiatrischen Leiden definitiv noch nicht austherapiert ist, sondern sowohl die Entzugsbehandlung als auch die längerdauernde Psychotherapie nicht nur zumutbar, sondern auch dringend erforderlich sind (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen des Amtssachverständigen in der Verhandlungsniederschrift).
Dem Gutachten widersprechende fachärztliche Befunde wurden weder im behördlichen Verfahren noch in Rahmen der Beschwerde vorgelegt.
Die Ergebnisse der Verhandlung und der persönliche Eindruck, den die Beschwerdeführerin in der Verhandlung hinterließ, bestätigen ebenfalls die gutachtliche Beurteilung.
Zusammenfassend liegen die vollständigen und schlüssigen Ergebnisse eines äußerst umfangreichen Ermittlungsverfahrens vor und wurden die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin im zugrunde gelegten Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 16.12.2019 sowie dessen ergänzender Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021 umfassend berücksichtigt. Dass der beigezogene Gutachter die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin tatsachenwidrig beurteilt hätte, kann vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde sowie unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse nicht erkannt werden.
Die Beschwerdeführerin ist dem Sachverständigengutachten bzw. der im Rahmen der Verhandlung ergänzend eingeholten Stellungnahme weder durch überzeugende fachärztliche Befunde noch auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 16.12.2019 sowie dessen ergänzender Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
…
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:
„§ 1 ...
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)…
b)…
…
2. …
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)..."
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) – (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):
„Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
…
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
…
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.
…
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
…“
Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, werden der gegenständlichen Entscheidung das durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 16.12.2019 sowie dessen ergänzende Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung vom 12.03.2021 zu Grunde gelegt. Weder bestehen entscheidungserhebliche Einschränkungen der oberen oder unteren Extremitäten, noch ausreichend erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, noch ausreichend erhebliche Einschränkungen neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen. Auch liegen keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit vor, sowie auch keine anhaltende ausreichend erhebliche Funktionseinschränkung des Immunsystems im Sinne der genannten Verordnung.
Betreffend die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden psychiatrischen Leiden (Komplexe posttraumatische Belastungsstörung / Panikstörung mit Agoraphobie / Rezidivierende depressive Störung / Tranquilizer-Abhängigkeit) wurde festgestellt, dass es der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer psychiatrischen Symptomatik derzeit zwar nicht möglich ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, jedoch sind – wie oben eingehend dargelegt wurde - die zumutbaren therapeutischen Optionen keinesfalls ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin ist zwar medikamentös entsprechend eingestellt, jedoch besteht die Möglichkeit und Notwendigkeit einer konsequenten psychotherapeutischen Behandlung, insbesondere einer störungsspezifischen Behandlung, sowie einer Entzugstherapie zur Entgiftung und „Ausschleichung“ der Tranquilizerabhängigkeit. Beides ist der Beschwerdeführerin auch zumutbar.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016 sind bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen auch alle zumutbaren therapeutischen Optionen zu berücksichtigen.
Nach den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 umfassen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel die Krankheitsbilder Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 nur dann, wenn auch eine Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes vorliegt.
Da - wie oben dargelegt wurde – die Voraussetzung einer Ausschöpfung der zumutbaren therapeutischen Optionen nicht gegeben ist, da die Möglichkeit und Notwendigkeit einer konsequenten psychotherapeutischen Behandlung, insbesondere einer störungsspezifischen Behandlung, sowie einer Entzugstherapie zur Entgiftung und „Ausschleichung“ der Tranquilizerabhängigkeit besteht und diese Therapiemöglichkeiten der Beschwerdeführerin auch zumutbar sind, sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der von der Beschwerdeführerin beantragten Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ nicht erfüllt und war somit die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid nach Durchführung einer Verhandlung am 12.03.2021 spruchgemäß abzuweisen und die Beschwerdevorentscheidung vom 11.10.2019 zu bestätigen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W133.2224878.1.00Im RIS seit
07.06.2021Zuletzt aktualisiert am
07.06.2021