TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/11 I410 2117393-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.04.2021
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Entscheidungsdatum

11.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I410 1419795-4/18E
I410 2117393-4/20E
I410 2204574-3/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Eva LECHNER, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden (1.) des XXXX alias XXXX , (2.) der XXXX alias XXXX , sowie (3.) der minderjährigen XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle Staatsangehörige von Nigeria und vertreten durch die „BBU-GmbH“, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 14.01.2020, Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.03.2021, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 22.11.2010 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, unter der Behauptung, minderjährig zu sein. Ein vom Erstbeschwerdeführer vorgelegter nigerianischer Personalausweis erwies sich im Rahmen einer urkundentechnischen Untersuchung durch das Stadtpolizeikommando XXXX als Totalfälschung; überdies ergab ein eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten, dass sein behauptetes Geburtsdatum nicht mit seinem tatsächlichen Geburtsdatum in Einklang zu bringen ist und er bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig war. Der erste Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 04.09.2012, Zl. A13 419.795-1/2011/9E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen. Gleichzeitig wurde der Erstbeschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

Der Erstbeschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 29.01.2013 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß dem damaligen § 44b des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes.

Am 10.04.2013 wurde seitens der nigerianischen Vertretungsbehörde ein Heimreisezertifikat für den Erstbeschwerdeführer ausgestellt.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 15.07.2013 wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen abgewiesen. Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde keine Folge gegeben. Die Abweisung erwuchs mit 07.10.2014 in Rechtskraft.

Die Zweitbeschwerdeführerin stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 17.03.2015 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.03.2016, Zl. I403 2117393-1/8E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie der subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde. Zugleich wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Die Zweitbeschwerdeführerin kam ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach.

Nachdem die Zweitbeschwerdeführerin einer Ladung vor die Vertretungsbehörde ihres Herkunftsstaates zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes unentschuldigt nicht nachkam, wurde gegen sie am 13.12.2016 von der belangten Behörde ein Festnahmeauftrag erlassen. Am 15.12.2016 konnte die zu diesem Zeitpunkt schwangere Zweitbeschwerdeführerin durch Polizeibeamte an ihrer Meldeadresse angetroffen werden. Sie entzog sich ihrer Festnahme laut einem im Akt enthaltenen Polizeibericht vom 16.12.2016 durch Vortäuschung eines medizinischen Notfalls.

Am 09.03.2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Antrag auf Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes sowie einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete.

Am 14.06.2017 wurden der zum damaligen Zeitpunkt nicht aufrecht im Bundesgebiet gemeldete Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle gemeinsam in einem PKW betreten. Der Erstbeschwerdeführer gab hierbei an, sich am 20.12.2016 behördlich von seiner Wohnadresse abgemeldet zu haben und in eine Caritas-Unterkunft zu seiner Lebensgefährtin, der Zweitbeschwerdeführerin, gezogen zu sein. Da ihm seine Aufenthaltskarte entzogen worden sei, habe er sich dort jedoch nicht anmelden können. Am 28.06.2017 wurden dem Erstbeschwerdeführer durch Polizeibeamte an seiner Wohnadresse eine Aufenthaltsermittlung sowie ein weiteres Schriftstück der Bezirkshauptmannschaft XXXX ausgefolgt und ihm nach Rücksprache mit dem Journaldienst der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht, dass gegen ihn ein Abschiebeverfahren laufe, bislang jedoch kein (neuerliches) Heimreisezertifikat erlangt worden sei.

Am XXXX .2017 kam die Drittbeschwerdeführerin in Österreich zur Welt. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte für diese am 07.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin stellten jeweils am 13.09.2017 Folgeanträge auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 15.09.2017 wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 09.03.2017 abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Die Folgeanträge auf internationalen Schutz des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vom 13.09.2017 wurden mit Bescheiden der belangten Behörde jeweils vom 08.08.2018 hinsichtlich Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Zugleich wurde dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Zudem wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VI.).

Der Erstantrag auf internationalen Schutz der Drittbeschwerdeführerin vom 07.09.2017 wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.08.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde der Drittbeschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diese Bescheide vom 08.08.2018 wurden fristgerecht mit einem gemeinsamen Schriftsatz Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.10.2018 zu den Zahlen I404 1419795-2/4E, I404 2117393-2/4E sowie I404 2204574-1/3E, wurde den Beschwerden stattgegeben und die bekämpften Bescheide vom 08.08.2018 jeweils behoben.

Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 04.02.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 07.09.2017 bzw. vom 13.09.2017 abermals hinsichtlich Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Zugleich wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diese Bescheide wurden fristgerecht mit einem gemeinsamen Schriftsatz Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 05.06.2019, I404 1419795-3/6E, I404 2117393-3/5E sowie I404 2204574-2/5E, wurden die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. und II. der Bescheide vom 04.02.2019, mit welchen den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde, jeweils rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurden die Spruchpunkte III. bis VI. der Bescheide jeweils behoben und die Angelegenheit zur Erlassung von neuen Bescheiden an die belangte Behörde zurückverwiesen.

Am 12.09.2019 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen.

Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 14.01.2020 wurde den Beschwerdeführern jeweils ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt (Spruchpunkt I.). „Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt II.) und es wurde „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass ihre Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG“ mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen die gegenständlich angefochtenen Bescheide wurde fristgerecht mit einem gemeinsamen Schriftsatz vom 10.02.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurden die gegenständlichen Rechtssachen der Gerichtsabteilung I410 neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Nigeria. Es handelt sich bei ihnen um einen volljährigen Mann (Erstbeschwerdeführer), eine volljährige Frau (Zweitbeschwerdeführerin) und ihre gemeinsame minderjährige Tochter (Drittbeschwerdeführerin).

Der Erstbeschwerdeführer stammt aus Enogu in Delta State, ist Angehöriger der Volksgruppe der Igbo und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest. Er ist gesund und erwerbsfähig. Er hat in Nigeria sechs Jahre die Schule besucht und Berufserfahrung bei einem Elektronikhändler gesammelt. Die Eltern, fünf Schwestern und ein Bruder des Erstbeschwerdeführers halten sich nach wie vor in Nigeria auf. Seine Eltern sind bereits im Ruhestand und leben bei einer seiner Schwestern in Port Harcourt. Seine Schwester ist Lehrerin und deren Ehemann Geschäftsmann.

Die Zweitbeschwerdeführerin stammt aus Agbor in Delta State, ist Angehörige der Volksgruppe der Igbo und bekennt sich zum christlichen Glauben. Ihre Identität steht nicht fest. Die Zweitbeschwerdeführerin hat Bluthochdruck und Panikattacken und nimmt die Medikamente Adometil und Citalopram sowie Passedan-Tropfen. Sie leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung, die einer Rückführung in ihren Herkunftsstaat entgegensteht und ist erwerbsfähig. Sie hat in Agbor insgesamt zwölf Jahre die Schule besucht und eine dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. Zudem hat sie Berufserfahrung als Schmuckverkäuferin gesammelt. Die Mutter, eine Tante mütterlicherseits, zwei Brüder sowie der zwölfjährige Sohn der Zweitbeschwerdeführerin leben nach wie vor in Nigeria.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin lernten sich Ende 2015/Anfang 2016 in Österreich kennen, haben im Rahmen einer Kirche der Pfingstbewegung in XXXX geheiratet, am XXXX 2017 ein gemeinsames Kind bekommen, führen eine gefestigte Beziehung und unterstützen sich gegenseitig.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde am XXXX 2017 in Österreich geboren. Sie ist gesund und besucht seit Herbst 2020 einen Kindergarten.

Am 07.09.2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin einen Erstantrag auf internationalen Schutz für die Drittbeschwerdeführerin. Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes machte die Zweitbeschwerdeführerin für die Drittbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen geltend. Im Rahmen der Einvernahme durch die belangte Behörde gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass die Hebamme ihr bei der Geburt der Drittbeschwerdeführerin gesagt habe, dass sie genital verstümmelt sei. Diese habe gemeint, dass es so etwas in Österreich nicht geben würde. In Nigeria sei dies aber Tradition. Bei einer Rückkehr wisse sie nicht, was mit der Drittbeschwerdeführerin passieren würde, vielleicht würde sie auch genitalverstümmelt. Die belangte Behörde, wie auch das Bundesverwaltungsgericht kamen diesbezüglich zum Ergebnis, dass die Drittbeschwerdeführerin der behaupteten Verfolgungsgefahr im Fall einer Rückkehr nicht ausgesetzt wäre, da offensichtlich sowohl der Vater als auch die Mutter die Genitalverstümmelung ablehnen.

Am 13.09.2017 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin jeweils einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Beide stellten ihren zweiten Asylantrag ohne Angabe von (neuen) Fluchtgründen oder Rückkehrhindernissen, mit dem Ziel, die mit der Rechtsstellung eines Asylwerbers verbunden Vorteile zu genießen.

Die Zweitbeschwerdeführerin erlitt im August 2020 in der 19. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt; eine Beisetzung erfolgte in einem Sammelgrab am Friedhof des LKH XXXX . Die Beschwerdeführer besuchen dieses Grab zweimal im Monat.

Zum Entscheidungszeitpunkt ist die Zweitbeschwerdeführerin erneut schwanger, wobei der voraussichtliche Geburtstermin bei einer Untersuchung am 26.02.2021 mit 27.10.2021 errechnet wurde.

Alle Beschwerdeführer leben in einem gemeinsamen Haushalt, wobei der Erstbeschwerdeführer von 20.12.2016 bis 23.08.2017 nicht aufrecht im Bundesgebiet gemeldet war. Ansonsten verfügen die Beschwerdeführer in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte.

Der Erstbeschwerdeführer bezog vom Zeitpunkt seiner ersten Asylantragstellung an bis Ende 2016 Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er stellt (jedenfalls) seit 2014 Zeitungen der XXXX GmbH & Co KG zu und erzielt dadurch aktuell Einnahmen in der Höhe von monatlich durchschnittlich 1.431,75 Euro, wobei von diesem Betrag Einkommenssteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu leisten sind. Von 03.10.2020 bis 31.12.2020 war der Erstbeschwerdeführer zusätzlich geringfügig bei einem Caterer beschäftigt. Er wohnt mit der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin in einer Mietwohnung für die er monatlich 1.100 Miete plus 85 Euro Strom bezahlt. Zudem hat der Erstbeschwerdeführer Schulden bei der Sozialversicherungsanstalt in Höhe von etwa 8.000 Euro, die er in monatlichen Raten in der Höhe von 413 Euro bzw. (bei fehlendem Geld und in Absprache mit der SVS) 250 Euro begleicht.

Die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung in Form der Krankenversicherung.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben Kurse auf dem Sprachniveau Deutsch A2 besucht; nur die Zweitbeschwerdeführerin hat die entsprechende Prüfung (und zwar am 09.12.2020) bestanden.

Der Erstbeschwerdeführer spielt in seiner Freizeit in Österreich mit Bekannten Fußball, ist jedoch nicht Mitglied in einem Verein. Überdies war er in einem Tanztheater aktiv. Die Zweitbeschwerdeführerin war Mitglied in einem Zumba-Verein und einer kirchlichen Organisation. Überdies hat sie sich im Jahr 2015 im Rahmen eines Caritas-Projekts betätigt. Die Beschwerdeführer haben Bekanntschaften und Freundschaften im Bundesgebiet, allerdings keine besonderen sozialen Bindungen, etwa in Form einer gegenseitigen Abhängigkeit.

Gegen den Erstbeschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der LPD XXXX vom 30.01.2018, VStV/ XXXX , wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1a FPG eine Geldstrafe von 2.500 Euro verhängt. Dabei wurde dem Erstbeschwerdeführer der rechtswidrige Aufenthalt vom 23.08.2017 (ab diesem Tag ist der Erstbeschwerdeführer wieder mit einer Wohnsitzadresse im Bundesgebiet gemeldet) bis zum 12.09.2017 (am 13.09.20017 stellte er einen Folgeantrag auf internationalen Schutz) sowie der Umstand, dass er bereits einmal im Jahr 2014 wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes rechtskräftig bestraft worden ist, zur Last gelegt. Den zu zahlenden Gesamtbetrag von 2.750 Euro bezahlt der Erstbeschwerdeführer aktuell noch in Raten ab.

Gegen die Zweitbeschwerdeführerin wurde mit Strafverfügung der LPD XXXX vom 05.10.2017, VStV/ XXXX , wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet vom 22.03.2016 bis 12.09.2017 gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1a FPG eine Geldstrafe von 600 Euro verhängt.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind strafgerichtlich unbescholten.

Der Erstantrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 04.09.2012 im Beschwerdeweg als unbegründet abgewiesen. Der Erstantrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.03.2016 im Beschwerdeweg als unbegründet abgewiesen. Der Erstantrag der Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowie die Folgeanträge des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.06.2019 jeweils als unbegründet abgewiesen. Den Beschwerdeführern kommt demnach weder der Status der Asylberechtigten noch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin können sich im Fall ihrer Rückkehr gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin und ihrem weiteren noch ungeborenem Kind etwa in Agbor, dem Herkunftsort der Zweitbeschwerdeführerin, oder in Port Harcourt, wo die Eltern des Erstbeschwerdeführers bei dessen Schwester und ihrer Familie leben, niederlassen und dort ihren Lebensunterhalt erwirtschaften. Sie werden im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur aktuellen Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

„Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 15.06.2020

Im vorliegenden Länderinformationsblatt erfolgt keine ausführliche Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind und zu deren Auswirkungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt Informationen fehlen.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine seriösen Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf Versorgungslage sowie auf Bewegungs- und Reisefreiheit der Bürgerinnen und Bürger sowie generell zu politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen zusammengestellt werden.

COVID-19

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).

Anm.: Diese Informationen zu COVID-19 sind zum Teil ebenfalls in den Kapiteln Bewegungsfreiheit, medizinische Versorgung und Grundversorgung eingepflegt.

Quellen:

•        Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.10.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html, Zugriff 13.10.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html, Zugriff 13.10.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 17.11.2020

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

•        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

•        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131, Zugriff 9.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo-cal/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_-abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_-2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5,16.4.2020

•        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

•        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

•        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in-zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)

•        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

•        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020
Nigerdelta

Letzte Änderung: 17.11.2020

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2019).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar’Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Es kam zur Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur (AA 16.1.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2019). Das Amnestieprogramm ist bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein „Waffenstillstand“ zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu „erkaufen“ und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 16.1.2020).

Die Lage bleibt aber sehr fragil, da weiterhin kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 16.1.2020). Angriffe auf Erdöleinrichtungen stellen weiterhin eine Bedrohung für die Stabilität und die Erdölproduktion dar (ACCORD 17.4.2020). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas, darunter Abia, Akwa, Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 2.2019).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 16.1.2020).

Das Risiko von Entführungen ist hoch und besteht landesweit (AA 8.10.2020), so wurden auch im Jahr 2019 Zivilisten entführt um Lösegeld zu erhalten (USDOS 11.3.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (8.10.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 8.10.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020
Middle-Belt inkl. Jos/Plateau

Letzte Änderung: 17.11.2020

In Zentralnigeria bestehen Konflikte zwischen Hirten und Bauern um Land und Ressourcen. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote. Der Konflikt nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, Bevölkerungswachstum und die angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 24.5.2019a).

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria - vorwiegend im Middle-Belt - zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen, sesshaften Bauern und nomadisch lebenden, muslimischen Viehhirten. Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 16.1.2020).

2019 gab es weniger Berichte über religiös motivierte interkommunale Gewalt im Middle Belt als im Jahr 2018. Es gab jedoch Berichte über Angriffe von kommunalen oder ethnischen Milizen auf ganze Gemeinden, wie in Kaduna zwischen christlichen Adara und muslimischen Fulani Gruppen, sowie in Zamfara und Taraba (USCIRF 4.2020). Bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen Bauern und Viehhirten über immer knapper werdende Ressourcen wurden 2019 mindestens 96 Menschen getötet (AI 8.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028970/Nigeria.pdf, Zugriff 9.10.2020
Nordnigeria - Boko Haram

Letzte Änderung: 23.11.2020

Boko Haram ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 24.5.2019a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’awati wal-Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a).

Dem Konflikt fielen bisher unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 24.5.2019a; vgl. HRW 14.1.2020; EASO 11.2018a). Milizen der Boko Haram und der an Einfluss gewinnende ISIS-WA terrorisieren die Zivilbevölkerung weiterhin durch Mord, Raub, Zwangsverheiratungen, Vergewaltigung und Menschenhandel (AA 16.1.2020). Diese Gruppen sind auch weiterhin für Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich (USDOS 24.6.2020).

Seit der Angelobung von Präsident Buhari im Mai 2015 wurden effektivere Maßnahmen gegen die Aufständischen ergriffen (ACCORD 17.4.2020). Die von Boko Haram betroffenen Staaten (v.a. Kamerun, Tschad, Niger, Nigeria) haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer circa 10.000 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AU-EU o.D.). In den vergangenen Jahren wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten intensiviert und hat laut Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten „technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2019). Tatsächlich gelang es dem nigerianischen Militär und Truppen aus den Nachbarländern Tschad, Niger und Kamerun, Boko Haram aus einigen Gebieten zu verdrängen (GIZ 9.2020a). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zur ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2019; vgl. ACCORD 17.4.2020). Insgesamt hat sich die Sicherheitslage im Nordosten nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 16.1.2020).

Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe. JAS scheint im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten zu sein, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert (EASO 2.2019). Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen (ACCORD 17.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

ISIS-WA scheint im Juni 2020 im nordöstlichen Nigeria wieder an Stärke zu gewinnen. Im Juni 2020 wurden mehr als 120 Menschen innerhalb einer Woche von der Gruppe getötet (AP 26.6.2020). Allein im Jahr 2019 sind ca. 640 Zivilisten bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Boko Haram getötet worden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 16 Menschen (HRW 14.1.2020). Laut einer anderen Quelle wurden bei mindestens 31 bewaffneten Angriffen der Boko Haram im Jahr 2019 mindestens 378 Zivilpersonen getötet (AI 8.4.2020). Im Jahr 2018 kamen beim Konflikt im Nordosten zumindest 1.200 Personen ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

IOM zählt derweil etwa 1,6 Millionen IDPs, ca. 200.000 nigerianische Flüchtlinge befinden sich in den Nachbarländern (AA 24.5.2019a). Andere Quellen berichten von circa zwei Millionen IDPs und mehr als 240.000 nigerianischen Flüchtlingen in den angrenzenden Staaten (USDOS 11.3.2020).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.9.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

•        AP - The Associated Press (26.6.2020): In Nigeria, an Islamic State-linked group steps up attacks, https://apnews.com/article/d72560593efce0a51e15190c95ac3705, Zugriff 9.10.2020

•        AU-EU - African Union-EU Partnership (o.D.): Multinational Joint Task Force (MNJTF) against Boko Haram, https://www.africa-eu-partnership.org/en/projects/multinational-joint-task-force-mnjtf-against-boko-haram, Zugriff 9.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/nigeria/geschichte-staat/, Zugriff 30.9.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022679.html, Zugriff 17.4.2020

•        HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032436.html, Zugriff 9.10.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.11.2020

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020; ÖB 10.2019). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 16.1.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2019). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 16.1.2020). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 11.3.2020).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 16.1.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law" oder „Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte" neben „Common Law"- und „Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2019).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; ÖB 10.2019; USDOS 11.3.2020). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Vor allem auf Bundesstaatsund Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; USDOS 11.3.2020; ÖB 10.2019; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 4.3.2020).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 16.1.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 11.3.2020). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 16.1.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 16.1.2020). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 16.1.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/upload s/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF, Zugriff 29.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020
Scharia

Letzte Änderung: 23.11.2020

Mit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in den zwölf mehrheitlich muslimisch bewohnten nördlichen Bundesstaaten erhielten erstinstanzliche Scharia-Gerichte auch strafrechtliche Befugnisse (z.B. Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigung); dies gilt allerdings grundsätzlich nur für Muslime (AA 16.1.2020).

Scharia- bzw. gewohnheitsrechtliche Gerichte können nur angerufen werden, wenn beide Parteien einwilligen. Bei den Scharia-Gerichten kommt die Bedingung hinzu, dass beide Parteien Muslime sein müssen (ÖB 10.2019; vgl. USDOS 10.6.2020). Mindestens ein Bundesstaat, Zamfara, schreibt vor, dass Zivilverfahren, bei denen alle Prozessparteien Muslime sind, vor Scharia-Gerichten verhandelt werden, wobei die Möglichkeit besteht, gegen jede Entscheidung beim Zivilgericht Berufung einzulegen (USDOS 11.3.2020). Nicht-Muslime haben die Möglichkeit, ihre Fälle vor den Scharia-Gerichten verhandeln zu lassen, wenn sie dies wünschen (USDOS 10.6.2020). Nicht-Muslime h

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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