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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des N in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Oktober 1995, Zl. 4.347.227/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der
"Jugosl. Föderation" albanischer Nationalität, wurde nach einem versuchten Grenzübertritt in die Bundesrepublik Deutschland am 17. August 1995 nach Österreich rücküberstellt und in Schubhaft genommen. Am 5. September 1995 beantragte er schriftlich die Gewährung von Asyl, welchen Antrag er wie folgt begründete:
"Ich bin Kosovo-Albaner, ich habe meine Heimat verlassen, weil ich in einer politischen Bewegung tätig war. Auf Grund meiner politischen Tätigkeit wurde ich bereits verletzt.
Ich sammelte Nachweise über die Menschenrechtsverletzungen, die in Kosovo geschehen.
Deshalb bin ich nicht in der Lage, in meine Heimat gefahrlos zurückzukehren...".
Weiters beantragte der Beschwerdeführer "in eventu" die Bewilligung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG mit der Behauptung, die gesetzlichen Voraussetzungen träfen auf ihn zu, um dann fortzufahren:
"Zur Glaubhaftmachung dieser Voraussetzungen in meinem Fall verweise ich auf die Position des UNHCR zu Abschiebungen nach BR Jugoslawien (Serbien und Montenegro) vom 14.2.95: Die Lage im Kosovo hat sich verschärft; der UN-Sonderberichterstatter Tadeusz Mazowiecki drückte im Hinblick auf die Menschenrechtslage im Kosovo in seinem Bericht vom 31.10.94 seine Besorgnis über eine diskriminierende Behandlung der albanischen Bevölkerungsgruppe durch die serbisch-kontrollierten staatlichen Behörden, über Willkürmaßnahmen sowie über die fortgesetzten Berichte von Mißhandlungen ethnischer Albaner durch die Sicherheitskräfte aus.
Nach Ansicht des UNHCR gehören zu den besonders gefährdeten Kreisen im Kosovo Personen, die den Behörden durch auffällige Aktivitäten im sog. alternativen Sozial-, Gesundheits- und Erziehungswesen der Kosovo-Albaner oder als hervortretende LDK-Aktivisten bekanntgeworden sind.
Meine Tätigkeit ist den Sicherheitsbehörden bekannt, sodaß meine Rückschiebung in meine Heimat unzumutbar erscheint."
Anläßlich seiner daraufhin am 13. September 1995 vor dem Bundesasylamt durchgeführten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe deshalb in Österreich einen Asylantrag gestellt, weil er im Jahr 1990 im Kosovo an verbotenen Demonstrationen gegen die damalige jugoslawische Regierung teilgenommen habe. Diese Demonstration(en) hätten den Zweck gehabt, den Kosovo vom übrigen Jugoslawien abzuspalten, also eine eigene Republik Kosovo zu gründen. Im Zuge dieser Demonstration sei diese gewaltsam aufgelöst worden, er selbst sei an beiden Beinen von Kugeln verletzt worden (Narben sichtbar). Er sei daraufhin ins Spital nach Pristina eingeliefert worden, wo er 53 Tage aufhältig gewesen sei. Dann habe er das Spital verlassen müssen, da zu diesem Zeitpunkt schwere Vergiftungserscheinungen bei Kindern aufgetreten seien und sein Spitalsbett gebraucht worden sei. Im Mai 1990 seien im Kosovo großteils die dortigen Milizen und die Polizei durch serbische Beamte ersetzt worden. Er habe sich daher privat weiterbehandeln lassen, da sein Name auf Grund der Krankenakte den Serben bekannt geworden sei. Seit 25. Juni 1990 sei er daraufhin Mitglied der "Demokratischen Partei Kosovos" und Aktivist einer Menschenrechtsorganisation im Kosovo (KMDLNJ) geworden. Am 12. Juli 1995 sei in seinem Heimatort der letzte verbliebene albanische Polizeibeamte von Unbekannten erschossen worden, worauf sich die Situation auf Grund der nun rein serbischen Polizeidienststelle für die Kosovo-Albaner seines Heimatortes verschlechtert habe. Er sei im Juli 1995 "eine Art Vizepräsident" der Menschenrechtsorganisation für seinen Heimatort geworden. Kurz bevor der Polizeibeamte getötet worden sei, sei dieser zweimal in das Büro dieser Menschenrechtsorganisation gekommen und habe ihn aufgefordert, auf die Polizeidienststelle zu kommen, weil die Organisation angeblich in einer Zeitung Artikel über Menschenrechtsverletzungen im Kosovo veröffentlich habe. Über Frage des Vernehmungsbeamten gab der Beschwerdeführer an, der unbekannte Mörder des albanischen Polizeibeamten könnte auch in den Reihen dieser Menschenrechtsorganisation gesucht werden. Er glaube das zwar nicht, könne es jedoch auch nicht ausschließen. Es könnte auch sein, daß er von Serben umgebracht worden sei. Kurz darauf seien tatsächlich Personen aus dem Umkreis der Menschenrechtsorganisation und aus dem Umfeld der Demokratischen Partei des Kosovo (Anmerkung: LDK) zur Polizei vorgeladen worden, da der Verdacht bestanden habe, daß der Polizeibeamte von diesen Organisationen getötet worden sei. Im Zuge der Befragungen habe ein Mitglied der Organisation angegeben, daß er (der Beschwerdeführer) nichts mit dem Tod des Polizeibeamten zu tun hätte haben können, und ihm ein Alibi gegeben. Ca. zwei Wochen später seien jedoch serbische Polizeibeamte zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen, wo er sich jedoch gerade nicht aufgehalten habe, da er im Menschenrechtsbüro in P gewesen sei. Dies sei am 26. Juli 1995 gewesen. Aus Angst vor einer Befragung oder auch Verhaftung habe er dann am 30. Juli 1995 den Kosovo verlassen. Auch über Vorhalt des Vernehmungsbeamten, seiner Meinung nach seien die vorgebrachten Gründe nicht dem Asylgesetz "zurechenbar", da eine etwaige Vorladung zur Polizei bzw. Verhör oder Untersuchungshaft deshalb erfolgt wäre, weil er eines Kriminalstrafrechtsdeliktes verdächtigt worden sei, gab der Beschwerdeführer an, er bleibe bei seinen Angaben und habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Über weiteres Befragen durch den Vernehmungsbeamten gab der Beschwerdeführer an, sein schriftlicher Asylantrag stamme von einem Mitarbeiter der Organisation "SOS Mitmensch", er habe keinerlei Ahnung, was in diesem Asylantrag enthalten gewesen sei, obwohl er diesen selbst unterzeichnet und angefügt habe, daß er sich ein weiteres Vorbringen im Zuge des Verfahrens ausdrücklich vorbehalte.
Mit Bescheid vom 14. September 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers infolge Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 sowie Annahme des Ausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 (Verfolgungssicherheit in Ungarn) ab.
In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung bestritt der Beschwerdeführer die Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn und brachte des weiteren zu seiner Flüchtlingseigenschaft vor, er sei bis zu seiner Flucht aktiv in der Demokratischen Partei Kosovo und auch in der Menschenrechtsbewegung KMDLNJ tätig gewesen, seit Juli 1995 sei er Vorsitzender-Stellvertreter der örtlichen Sektion in P. Er habe in seiner Funktion Nachweise über Menschenrechtsverletzungen durch die serbischen Behörden in seiner Heimat gegen die albanische Bevölkerung gesammelt. Durch seine Tätigkeit und auch wegen seiner früheren Teilnahme an - friedlichen - Demonstrationen für die Unabhängigkeit Kosovos sei er als politischer Gegner der serbischen Regierung besonders in Gefahr, verfolgt zu werden.
In diesem Zusammenhang habe er auch die Vorladung zur Einvernahme über die Ermordung eines albanischen Polizisten in seinem Heimatdorf gesehen. Er betrachte diese Vorladung als Versuch und Vorwand der serbischen Polizei, ihn zu verhaften und zu mißhandeln. Zur Glaubhaftmachung zitierte der Beschwerdeführer im übrigen aus einem Bericht der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte vom November 1993 mit dem Resumee, zu den besonders gefährdeten Kreisen im Kosovo gehörten auch Personen, die den Behörden als politische (LDK-) und Menschenrechtsaktivisten bekannt geworden seien. Seine politischen und Menschenrechtsaktivitäten seien den Behörden bekannt gewesen. Schutz vor willkürlicher Verhaftung oder Mißhandlung habe er von den Behörden seines Heimatlandes nicht erhalten. Bisher habe das jugoslawische Innenministerium alle Berichte über Übergriffe der Polizei gegen die albanische Bevölkerung als falsch zurückgewiesen, selbst wenn Photos und medizinische Gutachten Mißhandlungen belegt hätten.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage kam die belangte Behörde, ausgehend vom Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - eine der Voraussetzungen für eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 leg. cit. erachtete die belangte Behörde als nicht vorliegend -, zu dem rechtlichen Schluß, der Beschwerdeführer habe wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Er selbst habe außer den im Jahre 1990 stattgefundenen Demonstrationen, anläßlich deren einer er sogar verletzt worden sei, keine weitergehenden Verfolgungshandlungen releviert. Er habe auch im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit und seinem Engagement bei der Menschenrechtsorganisation keinerlei Andeutungen gemacht, daß er Verfolgungen erlitten oder derartige zu gewärtigen hätte. Als Grund für seine Ausreise habe er eine Befragung bzw. Verhaftung im Zusammenhang mit einem behördlichen Ermittlungsverfahren zur Aufklärung des Mordes an einem albanischen Polizisten genannt. Dabei habe er lediglich Vermutungen äußern können, da er keinerlei Anhaltspunkte für eine als Verfolgung anzusehende Vorgangsweise der Polizei gehabt habe. In allen Staaten komme es nach der Ermordung einer Person zu einem behördlichen Ermittlungsverfahren, um das Verbrechen aufzuklären und den Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens komme es zwangsläufig zur Befragung von Personen, die Kontakt mit dem Opfer gehabt hätten, "um erstens ein Motiv für die Untat zu finden und zweitens des Täters habhaft zu werden". Der Beschwerdeführer habe keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, daß es in diesem konkreten Fall anders gewesen wäre. In dieser Ansicht werde die belangte Behörde auch durch den Umstand bestärkt, daß der Beschwerdeführer bei der niederschriftlichen Vernehmung im Asylverfahren (Anm.: richtig: im fremdenpolizeilichen Verfahren) angegeben habe, er wolle so rasch wie möglich in seine Heimat zurückkehren. Auf die Frage einer Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn ging die belangte Behörde nicht mehr ein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der Beschwerde wird die vom Beschwerdeführer bereits in seinem schriftlichen Asylantrag aufgestellte und von ihm im Verwaltungsverfahren nie als unrichtig relevierte Behauptung wiederholt, es handle sich bei der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Menschenrechtsorganisation KMDLNJ tatsächlich um eine anerkannte Menschenrechtsorganisation im Kosovo, deren regionaler Vorsitzender der Beschwerdeführer gewesen sei. Die belangte Behörde hat weder die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der LDK noch dessen Funktion in bzw. seine Tätigkeit für die Organisation KMDLNJ in Zweifel gezogen. Zutreffend rügt der Beschwerdeführer aber Mängel des Ermittlungsverfahrens (bzw. der Begründung des Bescheides der belangten Behörde) über die erhöhte Verfolgungsgefahr durch die jugoslawischen Behörden gerade hinsichtlich jener Personen, die "derartige" politische oder Menschenrechtsaktivitäten gesetzt hätten. Bei Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens hätte sich - so der Beschwerdeführer - ergeben, daß unter dem Vorwand strafrechtlicher Verfolgung gegen derartige Personen aus politischen Gründen vorgegangen werde und daß daher entgegen der Ansicht der belangten Behörde die gegen den Beschwerdeführer gesetzten Schritte durchaus politischen Charakter gehabt hätten bzw. unter dem Vorwand strafrechtlicher Aufklärung eines Mordes, politisch mißliebige Personen zu beseitigen, getrachtet werde.
Diese Rüge ist zutreffend. Die belangte Behörde hätte die Ausführungen des Beschwerdeführers in erster Instanz, die einen asylrechtlich relevanten Konnex zwischen den Menschenrechtsaktivitäten des Beschwerdeführers und dem (möglicherweise bloß vorgeschobenen) kriminalistischen Einschreiten der Polizei darlegt, zum Anlaß nehmen müssen, im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens dahingehend anzuordnen, ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit der vom Beschwerdeführer darin zum Ausdruck gebrachte Verdacht einer politisch motivierten Verfolgung unter Berücksichtigung der im Kosovo herrschenden allgemeinen Verhältnisse gerechtfertigt erscheint. Die Annahme der belangten Behörde, polizeiliches Einschreiten aus Gründen der kriminalistischen Erhebungen schließe jegliche politische Motivierung in der vom Beschwerdeführer befürchteten Richtung aus, kann vom Verwaltungsgerichtshof jedenfalls nicht geteilt werden. Im übrigen entspricht es dem Gesetz, daß ein Asylwerber nicht so lange in seinem Heimatland verharren muß, bis tatsächliche Verfolgung eintritt, sondern es ausreicht, deren unmittelbares Bevorstehen glaubhaft zu machen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1997, Zl. 95/01/0454). Da die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf die Stempelgebühren für die in der Beschwerde vorgelegten, für die Rechtsverfolgung nicht notwendigen Beilagen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010555.X00Im RIS seit
20.11.2000