TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/9 95/01/0583

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.04.1997
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Oktober 1995, Zl. 4.327.522/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "früheren UdSSR", der am 5. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am darauffolgenden Tag den Asylantrag gestellt hat, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 26. September 1991, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 12. Jänner 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Auf Grund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0284, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, sodaß das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde.

Mit Bescheid vom 17. Oktober 1995 wies die belangte Behörde (neuerlich) die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im Rahmen seiner im fremdenpolizeilichen Verfahren erfolgten Vernehmung am 6. Dezember 1991 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe in der UdSSR in der Opposition gearbeitet und sei deshalb vom KGB verfolgt worden. Werde ihm vorgehalten, daß es in Rußland keinen Geheimdienst mehr gebe, könne er nur sagen, daß dies ein Märchen sei, es gäbe ihn sehr wohl.

Anläßlich seiner sodann im Asylverfahren erfolgten niederschriftlichen Befragung am 17. September 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gab der Beschwerdeführer, der in der Zeit von 1981 bis 1985 Ingenieur für Mikroelektronik in Eriwan und in der Zeit von 1990 bis 1991 Assistent und Lektor am Politischen Institut in Eriwan gewesen zu sein behauptet, zu seinen Fluchtgründen an, er sei in seiner Heimat kein Mitglied einer politischen Organisation gewesen, jedoch habe er aktiv an der demokratischen Bewegung Berg Karabach teilgenommen. Er sei politisch zu Hause nicht "zufrieden" gewesen. Gorbatschow habe von Moskau aus einen Bürgerkrieg in Armenien ausgelöst, der seit 5 Jahren andauere. Gorbatschow wolle die demokratische Bewegung in Armenien im Keim ersticken. 1989 sei es auch zu Festnahmen durch den KGB gekommen. Auch der Beschwerdeführer sei damals für 3 Tage festgenommen und von der Polizei geschlagen worden, weil er für die Demokratie gewesen sei. Anfang 1990 sei er wieder zur Polizei bestellt und von KGB-Leuten geschlagen worden, weil er in Eriwan an verschiedenen Demonstrationen gegen die Regierung in Moskau teilgenommen habe. Er habe zwischen 1989 und seiner Abreise zahlreiche Flugblätter in Leningrad verteilt, die auf Massenmorde in Aserbeidschan hätten hinweisen sollen. Er wisse auch, daß das Erdbeben im Jahr 1989 nicht natürlich, sondern künstlich von Moskau erzeugt worden sei. Während seines Studiums habe er seine wissenschaftlichen Arbeiten in die USA schicken wollen, was ihm jedoch nicht gestattet worden sei. Die Armenier würden unterdrückt und diskriminiert. Etwa ein Monat vor seiner Flucht sei ein guter Freund und Studienkollege von ihm in Eriwan von einem Auto niedergefahren (und offenbar getötet) worden. Die Täter seien sicher vom KGB, denn der Freund sei ein Mathematiker gewesen und habe das "künstliche" Erdbeben von 1989 errechnet. Da diese Errechnung auch mit den Flugblättern verteilt worden und er selbst daran beteiligt gewesen sei, nehme er an, daß auch ihm "so ein Schicksal" widerfahren könne. Deshalb habe er sein Land verlassen.

In seiner gegen den abweislichen Bescheid der Behörde erster Instanz gerichteten Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen und führte aus, es sei ihm aus politischen Gründen unmöglich, in die Sowjetunion zurückzukehren, da er dort politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen und dies auch für die Zukunft zu befürchten sei. Während seiner Studentenzeit in Leningrad sei er bei der Verteilung von Zeitungen beteiligt gewesen, die die Massaker von Sumgait an den Armeniern stark kritisiert hätten. Schon damals sei er vom KGB in Arrest genommen und stundenlang verhört worden. Es sei ja bekannt, daß in den Zeiten Gorbatschows der Konflikt zwischen Armeniern und Azeris stark geschürt worden sei. Auch in Armenien sei er an zahlreichen Demonstrationen und auch Hungerstreiks beteiligt gewesen, insbesondere was die Unabhängigkeit Karabachs von Aserbeidschan betroffen habe. Auch in dieser Phase habe er mehrere unerfreuliche Verhöre durch den KGB gehabt. Er sei der Auffassung, daß der KGB in der Sowjetunion noch immer sehr mächtig sei. Er ahne zumindest, daß ein guter Freund von ihm, ein Mathematiker, der wie er selbst an diesen Aktionen beteiligt gewesen sei, obwohl er angeblich bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei, eigentlich auf der Abschußliste des KGB gestanden sei. Er fürchte daher auch um sein Leben, falls er in die Sowjetunion zurückkehren müsse.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung im angefochtenen Bescheid nunmehr damit, diesem Vorbringen des Beschwerdeführers werde zur Gänze die Glaubwürdigkeit versagt; sie stellte lediglich die Reisebewegung des Beschwerdeführers als Sachverhalt fest. Im Rahmen der Beweiswürdigung beurteilte sie die Darstellung des Beschwerdeführers zu dem angeblich von Moskau erzeugten Erdbeben sowie den tödlichen Unfall seines Freundes als "bei objektiver Betrachtung wohl unbestreitbar dem Reiche der Phantasie" zuordenbar, da schon allein die Behauptung, ein Erdbeben sei von Moskau aus künstlich erzeugt worden, u.a. auf Grund der großen Distanz zwischen Moskau und Eriwan "gänzlich absurd" erscheine. Es sei auch nicht nachvollziehbar, welchen Zweck ein solches Unterfangen hätte haben sollen, es sei vielmehr für jeden mit Vernunft begabten Menschen völlig klar, daß es überhaupt unmöglich sei, von einem Ort aus ein Erdbeben, das gezielt an einem anderen Ort auftrete, zu erzeugen. Da die behauptete "Erzeugung" des Erdbebens bereits nicht festgestellt habe werden können, müsse auch folglich den weiteren darauf aufbauenden Ausführungen die Glaubwürdigkeit versagt werden. Der bloße Umstand, daß der Beschwerdeführer in seiner Heimat mit den politischen Verhältnissen unzufrieden gewesen sei, rechtfertige die Asylgewährung ebensowenig wie die beiden Festnahmen im Jahr 1989 und Anfang des Jahres 1990, weil hinsichtlich dieser Vorfälle das erforderliche zeitliche Naheverhältnis zu seiner Ausreise im August 1991 fehle. Bezüglich des von ihm behaupteten Autounfalles seines Freundes sei zu bemerken, daß "bei einem leider so alltäglichen" Ereignis wie einem Autounfall kein Anhaltspunkt für eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Freundes, geschweige denn seiner Person, gesehen werden könne. Des gleichen ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß für diesen Unfall tatsächlich der KGB verantwortlich gewesen sei, sodaß auch eine eventuelle subjektive Furcht auf Grund der äußeren Umstände nicht nachvollziehbar und daher im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht wohlbegründet sei.

In der dagegen gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, es sei unrichtig, daß er lediglich mit den politischen Verhältnissen "unzufrieden" gewesen sei. Er sei vielmehr auf Grund seiner nationalen Abstammung und seiner politischen Einstellung festgenommen, verhört und mißhandelt worden. Der Beschwerdeführer geht aber in diesem Zusammenhang auf die (Eventual-)Begründung der belangten Behörde nicht ein, diesen allenfalls asylrelevanten Verhaftungen und Mißhandlungen fehle der notwendige zeitliche Zusammenhang zu der erst am 17. August 1991 erfolgten Flucht. Mit inhaltlichen Argumenten setzt sich der Beschwerdeführer des weiteren auch mit der von der belangten Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung nicht auseinander, meint jedoch unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften folgendes:

"Die belangte Behörde hat es verabsäumt, im Zuge der langen Verfahrensdauer den Beschwerdeführer neuerlich einzuvernehmen und ihn zu seiner damaligen Situation in seinem Heimatstaat zu befragen. Vielmehr begründete die belangte Behörde die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Asyl in erster Linie damit, daß die Voraussetzungen des § 20 Absatz 2 Asylgesetz 1991 für eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens nicht zutreffen würden, weshalb davon Abstand genommen worden sei, und andererseits auf das über das erstinstanzliche Vorbringen hinausgehende Berufungsvorbringen nicht mehr näher einzugehen gewesen sei.

Die belangte Behörde verabsäumte es somit festzustellen, warum die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 nicht vorgelegen seien. Wäre die Behörde ihrem gesetzlichen Auftrag der umfassenden Beweisaufnahme nachgekommen, hätte sie die bei beiden Einvernahmen gemachten Äußerungen anders werten müssen.

Schließlich hat die Behörde lediglich über die Verfolgungssituation zum Zeitpunkt der Flucht Beweise erhoben. Der Beschwerdeführer erhielt bislang keine Gelegenheit, um zu seiner derzeitigen Verfolgungssituation Stellung zu nehmen.

Die Behörde hat es somit unterlassen, den Sachverhalt vollständig zu ermitteln. Ohne weitere Beweisaufnahmen durchzuführen, erließ die Behörde den hiermit bekämpften Bescheid. Die Behörde hätte jedoch vielmehr durch eine neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers konkrete Beweisaufnahmen über seine Verfolgungsgründe im Zeitpunkt des Erlassens des angefochtenen Bescheides machen müssen.

Der Beschwerdeführer erhielt somit bislang keine Möglichkeit, zu den nunmehr von der Behörde vorgebrachten Ablehnungsgründen seines Asylantrages Stellung zu nehmen."

Der Beschwerdeführer schließt daraus, daß die Behörde, hätte sie ihn ergänzend zu seiner individuellen Situation befragt, zum Ergebnis hätte kommen müssen, daß eine aktuelle Verfolgungssituation vorliege und er einer lebensgefährlichen Bedrohung ausgesetzt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof ist an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insofern (und nur dann) nicht gebunden, als der Sachverhalt von dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedarf oder Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte kommen können. Darüber hinaus kann der Verwaltungsgerichtshof nur die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung, nicht aber ihre konkrete Richtigkeit nachprüfen (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, zu § 41 II,

Seiten 550 ff wiedergegebene Judikatur). Der Beschwerdeführer behauptet zwar unter Hinweis auf § 20 Abs. 2 AsylG 1991 die nicht vollständige Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörden, legt aber die Wesentlichkeit dieses von ihm aufgezeigten Verfahrensmangels konkret, insbesondere durch Darstellung jener Umstände, die er als fehlend vermißt, nicht dar. Das Vorliegen einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt jedoch nur dann zur Aufhebung des bekämpften Bescheides, wenn diese abstrakt geeignet ist, eine andere, für den Beschwerdeführer günstigere Entscheidung herbeizuführen. Die Wesentlichkeit des aufgezeigten Verfahrensmangels ist vom Beschwerdeführer darzulegen. Tut die Beschwerde die Wesentlichkeit des behaupteten Verfahrensmangels nicht dar und kann auch der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, daß dem von der Beschwerde behaupteten Begründungsmangel Wesentlichkeit im dem Sinne zukommt, daß er den Beschwerdeführer an der zweckmäßigen Verfolgung seiner Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof hindert, so ist die Verfahrensrüge unberechtigt. Eine mangelhafte Sachverhaltsgrundlage für die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen aber nicht. Obwohl die von der belangten Behörde zur Beweiswürdigung herangezogenen Argumente im einzelnen nicht zwingend erscheinen, sind sie doch auch nicht im Sinne der zitierten Judikatur unschlüssig.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010583.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten