TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/9 95/01/0584

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Veröffentlicht am 09.04.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in N, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Oktober 1995, Zl. 4.328.758/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, der am 2. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am darauffolgenden Tag den Asylantrag gestellt hat, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 11. Februar 1992, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 13. September 1993 wies die belangte Behörde diese Berufung ab. Infolge der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0786, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner am 16. Dezember 1991 erfolgten niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich zu seinen Fluchtgründen angegeben, er gehöre keiner Partei an, jedoch seine Eltern seien Mitglieder des National-Republikanischen Congress (NRC). Nach der Wahl im Oktober 1990 sei es am 23. November 1990 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des NRC und der SDP (Sozialdemokratische Partei) gekommen, bei denen es mehrere Verletzte gegeben habe und viele Geschäfte und auch Autos demoliert worden seien. Obwohl er an diesen Demonstrationen nicht beteiligt gewesen sei, sei er gemeinsam mit seinen Eltern von der Polizei verhaftet und in das Gefängnis von W in Untersuchungshaft überstellt worden. Im Gefängnis sei er bis zum 1. Oktober 1991 gewesen. An diesem Tag sei es ihm gemeinsam mit anderen Gefangenen gelungen, aus dem Gefängnis zu entkommen. Der NRC habe den Ausbruch organisiert, indem er die Gefängniswärter bestochen habe. Sie seien aus den Zellen herausgeholt und informiert worden, daß sie unschuldig seien und die Zellen verlassen sollten. Er sei dann in Richtung Lagos geflüchtet und habe dort seine Schwester getroffen, die ihm schon einen nigerianischen Reisepaß organisiert gehabt habe. Sie habe ihm auch gesagt, er solle aus Nigeria verschwinden, da es sein könne, daß man ihn wieder verhafte. Daraufhin habe er beschlossen, das Land zu verlassen.

In seiner gegen den abweislichen Bescheid der Behörde erster Instanz gerichteten Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer seine erstinstanzlichen Angaben und führte aus, in seiner Heimat seien seine Eltern, wie auch andere Familienmitglieder, Anhänger des NRC gewesen. Als es nach der Wahl im Oktober 1990, bei der die SDP gewonnen habe, zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern dieser Parteien gekommen sei, hätten die Unruhen in der Folge mehr und mehr zugenommen. Es habe auch immer wieder Verletzte gegeben. Anhänger des NRC seien verhaftet worden. Am 23. November 1992 (offenbar richtig: 1990) habe erneut eine Demonstration der NRC-Anhänger stattgefunden. Dabei seien seine Eltern verhaftet worden. Obwohl er selbst bei dieser Demonstration nicht dabei gewesen sei, habe die Polizei ihn auch geholt und ebenfalls in das Gefängnis von W gebracht. Da die SDP an der Macht gewesen sei, habe die Polizei Anhänger anderer Parteien nicht geschützt, ja nicht einmal Verwundete in ärztliche Behandlung gebracht, weswegen zahlreiche Inhaftierte an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben seien. Er habe fast ein volles Jahr in Untersuchungshaft verbracht, nämlich bis zum 1. Oktober 1990(?). Dem NRC sei es letztlich gelungen, Gefängniswärter zu bestechen, und nur dadurch sei es dem Beschwerdeführer gelungen, gemeinsam mit mehreren Mitgefangenen am 1. Oktober 1991 aus dem Gefängnis zu flüchten. Von seiner ebenfalls geflüchteten Schwester in Lagos habe er gewußt, daß seine Eltern bei der Verhaftung verletzt worden seien und daß die Praxis, in der er selbst als medizinischer Assistent gearbeitet habe, zerstört worden sei. Unter diesen Aspekten sei an eine Heimkehr in sein Land nicht zu denken, wenn er sein Leben nicht riskieren wolle. Man würde ihn sofort wieder ins Gefängnis stecken, und vermutlich würde er es lebend nicht mehr verlassen.

In einer Berufungsergänzung vom 2. Juni 1995 wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß sein Vater sich noch immer in Haft befinde, der Ort sei ihm unbekannt, auch müsse er davon ausgehen, daß er tot sei. Bedeutsam für seine Situation sei nicht die politische Parteizugehörigkeit seines Vaters, sondern die Tatsache, daß dieser der Häuptling aller Stammesangehörigen (Delta) der Dörfer in der unmittelbaren Umgebung seines Heimatdorfes gewesen sei. Diesem Gebiet sei entgegen der Tradition ein neuer Häuptling vorgesetzt worden, obwohl er im Falle des Todes seines Vaters dessen legitimer Nachfolger gewesen wäre. Sein Vater und auch er selbst seien als Stammesführer im ganzen Land bekannt. Da dieser familiäre Hintergrund auf die Parteizugehörigkeit übertragen worden sei, seien mehrere Untergebene seines Vaters unter politischem Vorwand im Gefängnis verschwunden. Es sei allgemein bekannt, daß es im Zuge der rassischen Auseinandersetzungen zahlreiche Opfer unter den Minderheiten seines Heimatlandes gegeben habe. Viele von deren Stammesangehörigen seien im Gefängnis verschwunden, viele seien Opfer schwerer Folter, zum Teil seien andere auch durch Vergiftung ums Leben gekommen. Auch sein Onkel D, der gemeinsam mit seinem Vater verhaftet worden sei, sei tot. Seine Familie sei zerstreut worden, er habe keinerlei Nachrichten über ihren Verbleib. Eine persönliche Bedrohung bestehe nun nicht in den allgemeinen politischen Auseinandersetzungen zwischen rivialisierenden politischen Parteien, sondern in der speziellen Situation, daß er als legitimer Nachfolger seines Vaters als Häuptling eine Gefahr für den illegitimen Stammeshäuptling darstelle. Als solcher sei er landesweit bekannt, und die Parteigänger des derzeitigen Häuptlings würden ihn unter politischen Vorwänden im ganzen Land suchen, verfolgen und mit dem Tode bedrohen. Diese Bedrohungssituation habe nichts mit der allgemeinen politischen Entwicklung seines Heimatlandes zu tun, sondern mit der ethnischen Stammeskultur. Die Sicherheitsbehörden nähmen hierauf keinen Einfluß, sondern nützten die Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen nur für ihre eigenen politischen Ziele.

Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage begründete die belangte Behörde die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers im wesentlichen damit, es sei der Umstand, daß die Eltern des Beschwerdeführers sowie andere Familienmitglieder Mitglieder des NRC gewesen seien, kein Grund, der einen Asylanspruch rechtfertigen könne, zumal der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, nie Mitglied einer politischen Partei gewesen zu sein, und es sich beim NRC um keine verbotene Organisation handle. Die Angaben über die Verhaftung und fortdauernde Anhaltung der Eltern des Beschwerdeführers kommentiert die belangte Behörde dahingehend, es könnten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die die Person des Asylwerbers unmittelbar beträfen, weshalb sich ein Eingehen auf die Ausführungen betreffend die Eltern des Beschwerdeführers erübrige. Die Angaben des Beschwerdeführers, von der Polizei (Anmerkung: immerhin fast 1 Jahr lang) in Untersuchungshaft genommen worden zu sein, ohne jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Teilnehmer an einer Demonstration gewesen zu sein, würdigte die belangte Behörde mit folgenden Überlegungen:

"Dies behaupten Sie einfach, ohne jedoch konkrete Angaben über diesen Vorfall zu machen, wie z.B. welches Vergehens man Sie im Zuge ihrer Festnahme überhaupt beschuldigt habe. Keinesfalls kann die bloße Behauptung von aus subjektiver Sicht asylbegründenden Tatsachen als ausreichend angesehen werden. Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen dieser abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden."

Die belangte Behörde fährt sodann - offensichtlich in eventu - fort, sollte sich der Beschwerdeführer tatsächlich in Gefangenschaft befunden haben und Strafvorwürfe seiner Meinung nach zu Unrecht erhoben worden sein, könne dies ALLEIN noch nicht die Annahme eines politischen Aspektes des Verfahrens begründen, es sei ihm in diesem Falle vielmehr zuzumuten, sich "wie jeder andere Staatsbürger wie in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen" und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften. Im übrigen hielt die belangte Behörde es für nicht notwendig, auf die "überschießende" Berufungsergänzung vom 2. Juni 1995 "gemäß § 20 AsylG 1991 i.d.g.F." näher einzugehen. Zusammenfassend erachtete sie daher eine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht als gegeben.

In der Beschwerde wird geltend gemacht, die belangte Behörde habe sich nicht mit der gehörigen Sorgfalt mit der derzeit herrschenden politischen Situation in Nigeria auseinandergesetzt, der entscheidungsrelevante Sachverhalt sei bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht hinreichend geklärt worden. So hätte eine Anfrage beim Bundesministerium für Äußeres, bei Amnesty International oder bei den Vereinten Nationen ergeben, daß die Behörden Nigerias die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des NRC und der SDP nicht unterbinde und der nigerianische Staat willkürlich Verhaftungen der NRC-Anhänger veranlasse. Dadurch ergebe sich jedoch auf Grund des von ihm geschilderten Sachverhaltes, daß der Beschwerdeführer persönlich Repressalien seitens seines Heimatstaates ausgesetzt gewesen sei. Der Beschwerdeführer verwies neuerlich darauf, daß er anläßlich seiner Einvernahme aber auch in der Berufung ausgeführt habe, daß er selbst wie auch seine Eltern inhaftiert gewesen sei und letztendlich ein Jahr in Untersuchungshaft verbracht habe. Die belangte Behörde sei daher völlig unzutreffend und entgegen der politischen Realität zu dem Schluß gekommen, daß eine konkrete Verfolgung gegen ihn persönlich nicht gegeben gewesen sei.

Diesen Ausführungen kommt insofern Berechtigung zu, als es die belangte Behörde unterlassen hat, auf den vom Beschwerdeführer hergestellten Zusammenhang zwischen dem politischen Engagement seiner Eltern und ihm selbst argumentativ einzugehen. Bereits seinen Angaben in erster Instanz ist zu entnehmen gewesen, daß er - obwohl selbst in keiner politischen Organisation oder in anderer Art und Weise politisch aktiv - allein auf Grund von Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern einander rivalisierender Parteien fast ein Jahr () inhaftiert gewesen sei. Beruhend auf den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers (§ 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991) ist es nicht auszuschließen, daß sich Verfolgung wegen einer dem Beschwerdeführer unterstellten politischen Gesinnung ergeben würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß das Argument der mangelnden Asylrelevanz von Verfolgungshandlungen gegen dritte Personen nur bedingt stichhältig ist, die Abweisung eines Asylansuchens jedoch dann nicht rechtfertigt, wenn gerade aus dem verwandtschaftlichen Verhältnis - wie hier - der Zusammenhang zu Fluchtgründen im Sinne der Genfer Konvention erhellt. Die Ausführungen der belangten Behörde, die Tatsache, daß die Eltern des Beschwerdeführers sowie weitere Familienmitglieder dem NRC angehört hätten, sei kein Umstand, der einen Asylanspruch des Beschwerdeführers rechtfertigen könne, zeigt daher eine Detailbetrachtung, die dem Gesamtvorbringen des Beschwerdeführers in keiner Weise Rechnung trägt. Daß auch die oben wörtlich wiedergegebenen Ausführungen der belangten Behörde beginnend mit: "Dies behaupten Sie einfach......" sich als inhaltsleere Floskel einer näheren Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht, wurde bereits mehrfach (zuletzt hg. Erkenntnis vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0553) ausgesprochen. Daß der Beschwerdeführer konkreten diesbezüglichen Fragen des Bundesasylamtes die Antwort schuldig geblieben wäre, geht aus dem Akt jedenfalls nicht hervor.

Auch der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte sich allenfalls den gegen ihn - wenn auch zu Unrecht - erhobenen Strafvorwürfen "wie jeder andere Staatsbürger wie in jedem anderen Staat" stellen und "aufgebotene Beweismittel entkräften" müssen, ist zu entgegnen, daß ebenfalls nicht aktenkundig gemacht wurde, ob überhaupt gegen den Beschwerdeführer ein förmliches, rechtsstaatlichen Begriffen entsprechendes Behördenverfahren eingeleitet und damit der Beschwerdeführer in die Lage versetzt worden sei, sich gegen seine Inhaftierung oder zu Unrecht gegen ihn erhobene Strafvorwürfe zur Wehr zu setzen.

All dies hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage zu ermitteln unterlassen, weshalb sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastete, sodaß dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010584.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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