TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/28 Ra 2021/04/0076

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Veröffentlicht am 28.04.2021
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Index

10/10 Grundrechte
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

MRK Art6
StGG Art6
VwGVG 2014 §24 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky , über die Revision des Mag. M B in L, vertreten durch die Wildmoser/Koch & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Hopfengasse 23, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 17. September 2020, Zl. LVwG-851457/6/Bm/Rd, betreffend Untersagung der Gewerbeausübung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Der Revisionswerber meldete am 16. September 2019 das Gewerbe „Konditor (Handwerk), eingeschränkt auf die Erzeugung von Schokoladewaren“ in einem bestimmten Standort an.

2        2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde ab, mit welchem diese festgestellt hatte, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes nicht vorlägen, und dem Revisionswerber die Gewerbeausübung untersagt hatte.

3        Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

4        In seiner Begründung ging das Verwaltungsgericht zusammengefasst von folgenden Feststellungen aus: Der Revisionswerber habe am 16. September 2019 das Gewerbe „Konditor, eingeschränkt auf die Erzeugung von Schokoladewaren“ angemeldet. Ein Befähigungsnachweis sei nicht beigebracht worden. Weiters sei kein Nachweis über die praktische bzw fachliche Fähigkeit oder über die Ablegung einer vergleichbaren Prüfung von einer staatlich zugelassenen Prüfungskommission vorgelegt worden. Der Revisionswerber habe seine kaufmännischen Tätigkeiten in den Jahren 1993 bis 2000 belegen können, wobei der Revisionswerber selbst diese Tätigkeit als eine solche eines Betriebsleiters bzw. eines faktischen Geschäftsführers ansehe. Er sei von 1. August 1996 bis 31. Dezember 2000 als Angestellter der „Isabella Confiserie“ angemeldet gewesen. Im Zeitraum von 25. Oktober 2017 bis 12. Juni 2019 sei die Verlassenschaft nach dem Vater des Revisionswerbers fortbetriebsberechtigte Gewerbeinhaberin gewesen. In diesem Zeitraum habe der Revisionswerber ex lege die Funktion des Geschäftsführers übernommen. Der Revisionswerber sei seit 12. Juni 2019 Inhaber des Betriebes „Isabella Confiserie“. Einer Einladung zu einem Fachgespräch bzw. zur Abgabe einer Arbeitsprobe durch die Landesinnung der Lebensmittelgewerbe der Wirtschaftskammer Oberösterreich sei der Revisionswerber nicht gefolgt.

5        Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, das angemeldete Gewerbe stelle ein reglementiertes Gewerbe dar. Maßgebend für das Vorliegen des Nachweises der Befähigung für die Ausübung des Gewerbes „Konditor, eingeschränkt auf die Erzeugung von Schokoladewaren“ sei die aufgrund es § 18 Abs. 1 GewO 1994 ergangene Konditoren-Verordnung, welche die Zugangsvoraussetzungen für dieses Handwerk regle. Die dort vorgesehenen Nachweise zur Befähigung habe der Revisionswerber nicht beigebracht. Insofern der Revisionswerber seine Befähigung auf die ausgeübte Betriebsleitertätigkeit stütze, sei darauf zu verwiesen, dass es bei einem - wie hier vorliegend - reglementierten Gewerbe nicht alleine auf eine unternehmerische Tätigkeit ankomme, sondern auch fachliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen Voraussetzung zur Befähigung seien. Bei der Beurteilung einer allenfalls vorliegenden individuellen Befähigung gemäß § 19 GewO 1994 sei zu berücksichtigen, dass die einschlägige Konditoren-Verordnung in sämtlichen Zugangsvoraussetzungen Bezug auf eine handwerklich-fachliche Ausbildung Bezug nehme, womit den fachlichen Kenntnissen ein hohes Gewicht eingeräumt werde. Eine (bloß) kaufmännische Tätigkeit reiche als Nachweis für die Befähigung nicht aus. Eine individuelle Befähigung könne demnach nicht festgestellt werden, zumal diese keine „einfachere“ sondern eine andere Möglichkeit darstelle, die Befähigung nachzuweisen.

6        Von einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei und sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus dem Akt ergebe.

7        3. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

8        4. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9        4.1. Die Revision bringt zur Begründung der Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe seine Verhandlungspflicht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG verletzt, da im gegenständlichen Fall eine mündliche Verhandlung vom Revisionswerber in der Beschwerde beantragt worden sei und die mündliche Erörterung im Hinblick auf das Parteienvorbringen eine weitere Klärung der Rechtssache habe erwarten lassen bzw. zu einer anderen Entscheidung habe führen können, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlunggeboten gewesen sei.

10       Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch begründet.

11       4.2. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist - ungeachtet eines Parteienantrages von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (vgl. etwa VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0006, mwN).

12       Bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK oder nach Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 25.9.2019, Ra 2018/09/0211, mit Verweis auf VwGH 27.5.2015, Ra 2014/12/0021, ua).

13       Eine Entscheidung, mit welcher wie hier über die Berechtigung zur Berufsausübung entschieden wird, betrifft das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsfreiheit (Art. 6 StGG), mithin ein „civil right“ im Sinne des Art. 6 MRK (vgl. VwGH 16.6.2020, Ra 2018/04/0151, mwN).

14       Dass hier besondere Umstände vorlägen, die das Absehen von einer mündlichen Verhandlung rechtfertigten, begründete das Verwaltungsgericht nicht. Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde vom 28. Mai 2020 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch explizit beantragt (s. dort Seite 7).

15       Das Verwaltungsgericht hat demnach gegen die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verstoßen. Bereits aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 28. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021040076.L00

Im RIS seit

07.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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