TE Vwgh Beschluss 2021/5/7 Ra 2021/22/0038

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Veröffentlicht am 07.05.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

ARB1/80 Art6 Abs1
AuslBG §17
AuslBG §4c
B-VG Art133 Abs4
EURallg
NAG 2005 §41a
VwGG §34 Abs1
VwRallg
62007CJ0337 Altun VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der D Y, in W, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. August 2020, Zl. VGW-151/016/10000/2020-2, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 3. Juni 2020 wurde der Zweckänderungsantrag der Revisionswerberin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 27. April 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 24 Abs. 4 in Verbindung mit § 41a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 (NAG) wegen Fehlen der maßgeblichen Erteilungsvoraussetzungen abgewiesen. Unter einem sprach die Behörde aus, dass der Antrag der Revisionswerberin auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels „Aufenthaltsbewilligung Student“ vom 27. April 2018 gemäß § 64 Abs. 2 NAG wegen Fehlen der maßgeblichen Erteilungsvoraussetzungen abgewiesen werde.

2        In der dagegen erhobenen Beschwerde berief sich die Revisionswerberin auf Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80). Sie erfülle die in der genannten Bestimmung normierten Voraussetzungen und es komme ihr aufgrund des daraus unmittelbar abzuleitenden Aufenthaltsrechts ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ zu. Hilfsweise machte sie geltend, dass ihrem Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsbewilligung Student“ stattzugeben sei, weil für den Fall, dass dem Zweckänderungsantrag nicht entsprochen werde, nur auf diese Weise gewährleistet sei, dass sie die ihr nach Art. 6 ARB 1/80 zustehenden Rechte weiterhin ausüben könne.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

4        Zusammengefasst führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf näher genannte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs aus, dass aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kein Recht auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG abzuleiten sei. Dass die Revisionswerberin die Voraussetzungen nach § 41a NAG erfülle, sei von ihr weder vorgebracht worden, noch sei dies ersichtlich. Da darüber hinaus der gemäß § 64 Abs. 2 NAG für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung als Student erforderliche Nachweis des Studienerfolges nicht erbracht worden sei und keine Gründe im Sinn von § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG vorlägen, sei auch der Verlängerungsantrag der Revisionswerberin abzuweisen gewesen.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 26. November 2020, E 3295/2020-5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung der Zulässigkeit geltend gemacht, dass in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs betreffend die rechtliche Stellung von türkischen Staatsangehörigen, die dem Assoziationsrecht unterlägen, die persönliche Situation der Betroffenen nicht berücksichtigt worden sei. Diesen Personen sei es nicht möglich, ihr Aufenthaltsrecht bei behördlichen Kontrollen und Grenzübertritten glaubhaft zu machen. Dies sei sowohl grundrechtlich relevant als auch möglicherweise europarechtlich bedenklich. Im Sinn einer verfassungskonformen Interpretation sei es daher erforderlich, der Revisionswerberin einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu erteilen. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht keine Verhandlung durchgeführt.

Mit diesem Vorbringen wird das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargetan:

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass dem Interesse an der Dokumentation einer aus dem ARB 1/80 erfließenden Berechtigung dadurch Rechnung getragen wird, dass gemäß § 4c Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen ist, wenn türkische Staatsangehörige die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 (siehe VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015) oder nach Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 (vgl. VwGH 6.9.2018, Ro 2018/22/0008) erfüllen. Auf die Begründung der zitierten Entscheidungen wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG verwiesen. Daraus ergibt sich, dass der Revisionswerberin aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 zukommende individuelle Rechte unmittelbar und unabhängig davon zustehen, ob sie über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG verfügt.

11       Das angefochtene Erkenntnis steht mit dieser hg. Rechtsprechung im Einklang. Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage ist eine Schlechterstellung der Revisionswerberin in ihrem Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet - bzw. auf Zugang zum Arbeitsmarkt, was jedoch nicht Gegenstand eines Verfahrens nach dem NAG ist - nicht ersichtlich (siehe dazu auch VwGH 17.6.2019, Ro 2019/22/0001). (Die Zulässigkeitsbegründung beschränkt sich auf grundsätzliche Bedenken gegen die dargestellte hg. Rechtsprechung.)

12       Indessen würden die Rechte aus dem beantragten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Ro - Karte plus“ über die Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 hinausgehen (vgl. § 17 AuslBG). Folglich hat die Revisionswerberin keinen Anspruch auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, mit dem ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden ist, der aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 nicht abgeleitet werden kann. Aus Art. 6 ARB 1/80 ergibt sich auch kein Anspruch auf Verlängerung einer bestehenden Aufenthaltsbewilligung als Student ungeachtet dessen, dass deren Voraussetzungen (wie hier) nicht vorliegen (vgl. erneut VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015).

13       Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich aufgrund der vorliegenden Revision weder zur Abkehr von seiner mittlerweile ständigen Judikatur (siehe etwa auch VwGH 29.1.2020, Ro 2017/22/0009; 11.11.2019, Ra 2019/22/0207; 28.2.2019, Ra 2018/22/0100) betreffend das Verhältnis von Ansprüchen aus Art. 6 ARB 1/80 und einem Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ bzw. einer Aufenthaltsbewilligung nach § 64 NAG noch zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union veranlasst.

14       Schließlich legt die Zulässigkeitsbegründung nicht dar, aus welchem Grund fallbezogen davon auszugehen wäre, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Widerspruch zur hg. Rechtsprechung stünde (vgl. betreffend § 24 VwGVG etwa VwGH 12.11.2020, Ra 2020/22/0212; 9.8.2018, Ra 2018/22/0160).

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. Mai 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62007CJ0337 Altun VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220038.L00

Im RIS seit

28.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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