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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 4. und 5. Bezirk, in 1050 Wien, Rechte Wienzeile 105, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Juli 2020, Zl. VGW-001/38/7427/2020-5, betreffend Übertretung des Rundfunkgebührengesetzes (mitbeteiligte Partei: C P in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte wurde mit Schreiben der GIS Gebühren Info Service GmbH (in der Folge GIS) vom 15. November 2019 aufgefordert, binnen 14 Tagen gemäß § 2 Abs. 5 RGG bekannt zu geben, ob bzw. welche Rundfunkempfangseinrichtungen an ihrem Standort betrieben würden. Dieses Schreiben wurde laut Rückschein beim Postamt hinterlegt, wobei die Abholfrist am 21. November 2019 begann. Eine Verständigung der Hinterlegung wurde in die Abgabeeinrichtung der Mitbeteiligten eingelegt. Die Mitbeteiligte hat das hinterlegte Schriftstück nicht behoben; die Postsendung wurde an den Absender retourniert.
2 Mit als „Mahnung“ tituliertem Schreiben der GIS vom 28. Februar 2020 wurde die Mitbeteiligte ein weiteres Mal aufgefordert, binnen 14 Tagen gemäß § 2 Abs. 5 RGG bekannt zu geben, ob bzw. welche Rundfunkempfangseinrichtungen an ihrem Standort betrieben würden. Auch dieses Schreiben wurde laut Rückschein beim Postamt hinterlegt, wobei die Abholfrist am 6. März 2020 begann. Eine Verständigung der Hinterlegung wurde in die Abgabeeinrichtung der Mitbeteiligten eingelegt. Die Mitbeteiligte hat auch dieses hinterlegte Schriftstück nicht behoben; die Postsendung wurde an den Absender retourniert.
3 Die GIS erstattete Anzeige wegen einer Übertretung des § 7 Abs. 1 RGG an den Magistrat der Stadt Wien.
4 Mit Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 4. und 5. Bezirk, vom 20. Mai 2020 wurde der Mitbeteiligten zur Last gelegt, sie habe trotz Aufforderung des mit der Einbringung der Gebühren beauftragten Rechtsträgers (der GIS) vom 15. November 2019, zugestellt am 21. November 2019, und der entsprechenden Mahnung der GIS vom 28. Februar 2020, zugestellt am 6. März 2020, bis dato die Mitteilung verweigert, welche Rundfunkempfangseinrichtungen an ihrem Standort betrieben würden, obwohl diese Auskunft binnen 14 Tagen nach Zustellung der Mahnung hätte erteilt werden müssen. Hierdurch habe die Mitbeteiligte § 2 Abs. 5 iVm § 4 Abs. 1 RGG verletzt. Über die Mitbeteiligte wurde gemäß § 7 Abs. 1 RGG eine Geldstrafe in Höhe von 100 € (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Stunden) verhängt.
5 Die Mitbeteiligte erhob gegen diese Strafverfügung Einspruch und führte auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sie habe niemals von der GIS oder sonstigen Vereinen irgendwelche Schreiben oder Aufforderungen erhalten.
6 Am 8. Juni 2020 erließ der Magistrat der Stadt Wien sodann ein mit der Strafverfügung vom 20. Mai 2020 identes Straferkenntnis und begründete dieses u.a. damit, dass die Schreiben der GIS der Revisionswerberin nachweislich unter Bekanntgabe der GIS als Absender auf der Verständigung von der Hinterlegung am 21. November 2019 und am 6. März 2020 beim für ihren Hauptwohnsitz zuständigen Postamt hinterlegt worden seien. Nach § 17 Abs. 3 Zustellgesetz gälten hinterlegte Dokumente mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt. Darüber hinaus sei auf den Hinterlegungsanzeigen explizit auf die Auskunftspflicht nach § 2 Abs. 5 RGG hingewiesen worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handle es sich bei einem Zustellnachweis (Postrückschein) um eine öffentliche Urkunde, die gemäß § 47 Abs. 1 AVG iVm § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habe. Diese Vermutung sei zwar widerlegbar, doch bedürfe es dazu konkreter Darlegungen. Behaupte jemand, es lägen Zustellmängel vor, so habe er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und Beweis dafür anzubieten.
7 Die Mitbeteiligte erhob gegen das Straferkenntnis Beschwerde und brachte in dieser im Wesentlichen vor, dass sie rumänische Staatsbürgerin und der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Sie beantrage eine mündliche Verhandlung, die Beistellung eines Dolmetschers für die mündliche Verhandlung und die Bewilligung der Verfahrenshilfe. Die Unterbehörde habe kein Ermittlungsverfahren durchgeführt und die Behauptungen von Zustellungen im November 2019 und März 2020 gingen ins Leere, weil sie zu den fraglichen Zeiten nicht in Österreich gewesen sei und von den behaupteten Zustellungen nichts gewusst habe. „Entsprechende Beweise werden ich bei der Beschwerdebehörde über die beantragte Rechtshilfe beibringen.“
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis - in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde - gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde ohne weiteres Verfahren statt, hob das Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein.
9 Das Verwaltungsgericht sah folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
10 Die Mitbeteiligte habe in W, L-Straße, ihren Hauptwohnsitz. Sie sei mit Schreiben der GIS vom 15.11.2019 aufgefordert worden, binnen 14 Tagen gemäß § 2 Abs. 5 RGG bekanntzugeben, ob bzw. welche Rundfunkempfangseinrichtungen an diesem Standort betrieben würden. Auf der in den Verwaltungsakten einliegenden Kopie des Rückscheins sei vermerkt, dass dieses Schreiben am 20. November 2019 beim Postamt hinterlegt und ab dem 21. November 2019 zur Abholung bereitgehalten worden sei.
11 Mit Mahnung der GIS vom 28. Februar 2020 sei die Mitbeteiligte erneut aufgefordert worden, binnen 14 Tagen gemäß § 2 Abs. 5 RGG bekannt zu geben, ob bzw. welche Rundfunkempfangseinrichtungen an der Meldeanschrift betrieben würden. Auf der in den Verwaltungsakten einliegenden Kopie des Rückscheins sei vermerkt, dass dieses Schreiben nach einem erfolglosen Zustellversuch am 5. März 2020 beim Postamt hinterlegt und ab dem 6. März 2020 zur Abholung bereitgehalten würde.
12 Die Mitbeteiligte habe die hinterlegten Schriftstücke nicht behoben, sodass beide Postsendungen ungeöffnet an den Absender retourniert worden seien.
13 Die getroffenen Feststellungen ergäben sich aus dem Inhalt des unbedenklich erscheinenden Verwaltungsaktes, in den Einsicht genommen worden sei und dem damit im Einklang stehenden Vorbringen der Mitbeteiligten.
14 Der Verwaltungsgerichtshof habe jüngst erkannt, dass eine Bestrafung nach § 7 Abs. 1 RGG nur zu erfolgen habe, wenn die Mitteilung vorsätzlich nicht erstattet worden sei. Hierzu reiche auch bedingter Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB). Die tatbildliche Verweigerung der Mitteilung liege somit nur dann vor, wenn die betreffende Person tatsächlich Kenntnis von der Aufforderung iSd § 2 Abs. 5 RGG habe oder das Vorliegen einer derartigen Aufforderung zumindest ernstlich für möglich halte und dennoch die Mitteilung - die Verwirklichung des tatbildlichen Sachverhaltes in Kauf nehmend - unterlasse. Vorsätzliches Handeln beruhe zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, sei aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen. Eine auch rechtswirksame Zustellung verschaffe einer Partei nicht notwendigerweise die tatsächliche Kenntnis vom Inhalt des zugestellten Schriftstückes (Hinweis auf VwGH 31.1.2019, Ra 2018/15/0073).
15 Im vorliegenden Fall sei jedoch weder wissentliches noch sonst vorsätzliches Handeln festzustellen, zumal die Rechtfertigung der Mitbeteiligten, von den Auskunftsbegehren der GIS bzw. von deren Inhalt keinerlei Kenntnis erlangt zu haben, bei dem gegebenen Sachverhalt nicht entgegengetreten werden könne. Folglich sei das angelastete Tatbild auch nicht als verwirklicht anzusehen.
16 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Magistrats der Stadt Wien, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt wird, obwohl im Straferkenntnis der Verwaltungsstrafbehörde die Kenntnis der Mitbeteiligten von der Hinterlegung der Aufforderung und der Mahnung der GIS aufgezeigt und basierend darauf der Eventualvorsatz der Mitbeteiligten dargelegt worden sei, habe das Verwaltungsgericht ohne nähere Prüfung (entgegen der im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Jänner 2019, Ra 2018/15/0073, vorgezeichneten Vorgangsweise) den Vorsatz ausgeschlossen und das Verfahren eingestellt.
17 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
19 Die Revision ist zulässig und begründet.
20 Ob Vorsatz vorliegt oder nicht, ist eine Frage der Beweiswürdigung, zu deren Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz grundsätzlich nicht berufen ist. Diese ist dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind (vgl. etwa VwGH 2.8.2016, Ra 2016/20/0054). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. VwGH 19.12.2018, Ra 2017/15/0072). Eine solcher Fall liegt gegenständlich vor:
21 Im Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien wird ausgeführt, die Mitbeteiligte habe Kenntnis von den Hinterlegungen gehabt und auch davon, dass die hinterlegten Schriftstücke von der GIS Gebühren Info Service GmbH stammten. Aufgrund dieser Umstände sei anzunehmen, dass die Mitbeteiligte die Erstattung einer Mitteilung zumindest mit Eventualvorsatz unterlassen habe.
22 Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis in keiner Weise auf diese Ausführungen ein und vertritt ohne nähere Begründung den Standpunkt, dem Vorbringen der Mitbeteiligten, vom Inhalt der Auskunftsbegehren der GIS keine Kenntnis gehabt zu haben, könne nicht entgegengetreten werden; es sei daher kein vorsätzliches Verhalten festzustellen.
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 31. Jänner 2019, Ra 2018/15/0073, zu einer vergleichbaren Konstellation ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht Feststellungen darüber zu treffen hat, ob die betroffene Person das Vorliegen einer Aufforderung (im Sinne des § 2 Abs. 5 RGG) ernstlich für möglich gehalten und dennoch die Mitteilung unterlassen hat, wobei besondere Bedeutung dem Umstand zukommt, ob der betroffenen Person die Verständigungen über die Hinterlegung zur Kenntnis gelangt sind und daraus insbesondere der Absender erkennbar war.
24 Das Verwaltungsgericht stellte im gegenständlichen Fall nicht fest, dass die Mitbeteiligte die Verständigungen über die Hinterlegung - wie im Beschwerdeverfahren behauptet - nicht erhalten hat. Es ging im Rahmen der Beweiswürdigung auch in keiner Weise darauf ein, welche Informationen die Mitbeteiligte aufgrund der Hinterlegungsanzeigen - für den Fall, dass ihr diese zugekommen sein sollten - gehabt hat. Eine Beweiswürdigung, die wesentliche Umstände gar nicht in die Überlegung einbezieht, erweist sich als unvertretbar.
25 Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 10. Mai 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150092.L00Im RIS seit
07.06.2021Zuletzt aktualisiert am
14.07.2021