TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/11 Ra 2020/02/0024

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Veröffentlicht am 11.05.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
21/03 GesmbH-Recht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

GmbHG §18 Abs1
VStG §31 Abs1
VStG §32 Abs2
VStG §32 Abs3
VStG §9 Abs1
VStG §9 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Dezember 2019, 1. VGW-002/011/9867/2019-7 und 2. VGW-002/V/011/9868/2019, betreffend Übertretung des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Parteien: 1. B in S und 2. C GmbH in G, beide vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis des revisionswerbenden Magistrats vom 26. April 2019 wurde der Erstmitbeteiligte als verantwortlicher Beauftragter der zweitmitbeteiligten Partei gemäß § 9 Abs. 2 VStG schuldig erachtet, es zu verantworten, dass die zweitmitbeteiligte Partei in einer näher genannten Betriebsstätte als Wettunternehmerin am 7. Dezember 2017 um 13:45 Uhr die Verpflichtung des § 19 Abs. 2 erster Satz Wiener Wettengesetz nicht eingehalten habe, weil keine Kontrolle des Alters und der Identität vor Zutritt zu einem Raum mit Wettterminals durchgeführt worden sei. Die zweitmitbeteiligte Partei wurde zur Haftung für die Geldstrafen und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG herangezogen.

2        In der Begründung wies der Magistrat u.a. darauf hin, dass der Erstmitbeteiligte der Behörde mit Schreiben vom 11. Dezember 2018 als verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG bekannt gegeben worden sei. Mit Schreiben vom 8. März 2019 sei der Erstmitbeteiligte aufgefordert worden, sich zu rechtfertigen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

4        Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die erste Verfolgungshandlung in Form der Aufforderung zur Rechtfertigung erst am 8. März 2019 ergangen sei. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass die einjährige Verfolgungsverjährungsfrist mit 27. Dezember 2018 geendet habe und bis dahin keine die Verfolgung unterbrechenden behördlichen Schritte erfolgt seien. „Laut Firmenbuchauszug ist gegen keinen der eingetragenen Gesellschafter aufgrund der eingetragenen Geschäftsfälle beim Landesgericht Salzburg zu Firmenbuchnummern ... eine Verfolgungshandlung fristgerecht gesetzt worden, die nach § 32 Abs. 3 VStG auf den nach § 9 Abs. 2 VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten überzuleiten wäre.“ Anderslautende Feststellungen seitens des Magistrats fehlten bislang im Akt und seien auch durch fehlende Mitwirkung im Rahmen der mündlichen Erörterung nicht erstattet worden. Das Verwaltungsgericht folge dem Vorrang genießenden Einwand der Verjährung.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Aktenwidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

6        Das Verwaltungsgericht legte die Revision mit dem Akt des Magistrats und mit seinem eigenen Gerichtsakt vor. Im Akt des Verwaltungsgerichtes befindet sich ein Ausdruck des vom Magistrat geführten Verwaltungsstrafaktes, der allerdings mit Seite 249 und der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien endet, während der separat vorgelegte Akt des Magistrats nach der maschinschriftlich gedruckten Aktenseite 249 mit händischer Seitennummerierung fortgesetzt wird und zusätzlich die an den handelsrechtlichen Geschäftsführer der zweitmitbeteiligten Partei ergangene Aufforderung zur Rechtfertigung vom 16. November 2018 samt Zustellnachweis sowie das angefochtene Erkenntnis umfasst.

7        Der Magistrat äußerte sich über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes zu den aufgezeigten Divergenzen, dass der Verwaltungsstrafakt auf Grund einer EDV-Systemumstellung habe migriert werden müssen, was in der Anfangsphase zu zahlreichen Problemen geführt habe. Der nunmehr rein elektronisch geführte Verwaltungsstrafakt sei nicht mehr chronologisch sortiert gewesen und teilweise seien Dokumente nicht mitausgedruckt worden. Zur Einbringung der Revision sei abermals ein chronologischer Aktenausdruck angefertigt worden, dem zunächst die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 16. November 2018 gefehlt habe. Es könne nicht mit Sicherheit angegeben werden, ob das genannte Schriftstück bereits bei der Beschwerdevorlage an das Verwaltungsgericht im dort übermittelten Akt vorhanden gewesen sei.

8        In beiden Ausdrucken des vom Magistrat geführten Verwaltungsstrafaktes ist ab Seite 62 ein Schriftsatz des handelsrechtlichen Geschäftsführers der zweitmitbeteiligten Partei sowie der zweitmitbeteiligten Partei vom 11. Dezember 2018 enthalten, in dem sie zur Aufforderung des Magistrats vom 16. November 2018, sich zur Übertretung nach dem Wiener Wettengesetz zu rechtfertigen, die Stellungnahme abgeben, dass zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt allenfalls eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Erstmitbeteiligten als verantwortlichen Beauftragten bestanden habe.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Als zulässig erachtet der revisionswerbende Magistrat die Revision, weil das Verwaltungsgericht die in Rede stehende Aufforderung zur Rechtfertigung vom 16. November 2018 aktenwidrig nicht festgestellt habe. Darüber hinaus weiche die Rechtsauffassung im angefochtenen Erkenntnis, eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 3 VStG hätte gegen den eingetragenen Gesellschafter gesetzt werden müssen, von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach der eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 3 1. Satz VStG gegen den handelsrechtlichen Geschäftsführer auch gegen den nach § 9 Abs. 2 VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten gelte.

11       Die Revision erweist sich als zulässig und als berechtigt.

12       Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2019/02/0241, mwN).

13       Davon kann im vorliegenden Fall hinsichtlich des Vorhandenseins der an den handelsrechtlichen Geschäftsführer der zweitmitbeteiligten Partei gerichteten Aufforderung zur Rechtfertigung vom 16. November 2018 nicht ausgegangen werden. Der in den Gerichtsakt integrierte Ausdruck des Verwaltungsstrafaktes des Magistrats enthält das genannte Schriftstück nicht, sodass dem Verwaltungsgericht nicht angelastet werden kann, es hätte die Existenz desselben entgegen dem Akteninhalt verneint.

14       § 31 Abs. 1 VStG sieht vor, dass die Verfolgung einer Person unzulässig ist, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung vorgenommen worden ist. Eine Verfolgungshandlung ist gemäß § 32 Abs. 2 VStG jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Beratung, Strafverfügung u.dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

15       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt eine Aufforderung zur Rechtfertigung als Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 2 VStG. Dabei ist es zur Wahrung der Verfolgungsverjährung ausreichend, wenn die Behörde eine solche Verfolgungshandlung innerhalb der Verjährungsfrist abfertigt (vgl. VwGH 7.1.2021, Ra 2020/17/0021, mwN).

16       Gemäß § 32 Abs. 3 1. Satz VStG gilt eine Verfolgungshandlung, die gegen einen zur Vertretung nach außen Berufenen (§ 9 Abs. 1 leg. cit.) gerichtet ist, auch als Verfolgungshandlung gegen die anderen zur Vertretung nach außen Berufenen und die verantwortlichen Beauftragten.

17       Die zweitmitbeteiligte Partei ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die gemäß § 18 Abs. 1 GmbHG durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten wird.

18       Die hier in Rede stehende Aufforderung zur Rechtfertigung vom 16. November 2018 ist an den handelsrechtlichen Geschäftsführer der zweitmitbeteiligten Partei gerichtet und wäre demnach geeignet die Verfolgungsverjährungsfrist gegenüber dem Erstmitbeteiligten als verantwortlichen Beauftragten zu wahren (vgl. VwGH 20.10.2010, 2009/02/0109). Das hat das Verwaltungsgericht mit den oben wiedergegebenen Ausführungen über das Fehlen einer Verfolgungshandlung gegenüber einem eingetragenen Gesellschafter verkannt.

19       Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgrund der - aus dem bekämpften Straferkenntnis und aus der in den Verwaltungsakten enthaltenen Stellungnahme vom 11. Dezember 2018 ersichtlichen - Hinweise auf eine an den Geschäftsführer der zweitmitbeteiligten Partei ergangene Aufforderung zur Rechtfertigung zu weiteren Ermittlungen und zur Feststellung dieser Verfolgungshandlung des Magistrats gelangt wäre. Das hätte zu einem anderen Ergebnis des angefochtenen Erkenntnisses führen können.

20       Damit hat das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

21       Für das fortzusetzende Verfahren wird das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass mit Blick auf den angelasteten Tatzeitpunkt am 7. Dezember 2017 das im angefochtenen Erkenntnis mit 27. Dezember 2018 angegebene Ende der Verfolgungsverjährungsfrist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar ist. Ohne nähere Begründung blieben die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, im Firmenbuch eingetragene Geschäftsfälle ließen keine Verfolgungshandlung erkennen. Damit bleibt im Dunkeln, welche Eintragungen im Sinne des § 1 Abs. 2 FBG auf eine Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG schließen lassen sollen.

Wien, am 11. Mai 2021

Schlagworte

Allgemein Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020024.L00

Im RIS seit

07.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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