TE Vwgh Beschluss 2021/5/12 Ra 2020/18/0260

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Veröffentlicht am 12.05.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des A M, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2020, W153 2183268-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans aus der Provinz Ghazni, stellte am 9. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, aufgrund der Ermordung seines Vaters und seiner Schwester durch die Taliban mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder in den Iran geflüchtet zu sein, den er aufgrund der schlechten Behandlung aber verlassen habe müssen.

2        Mit Bescheid vom 11. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 5. Mai 2020 ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen, auch nicht im Zusammenhang mit dem behaupteten Abfall vom Islam. Es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass „verwestlichten“ Rückkehrern allein wegen dieses Umstandes Gewalt oder Diskriminierung von erheblicher Intensität drohe. Es sei auch keine konkrete individuelle Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zu den Hazara festzustellen. Hinsichtlich der Nichtgewährung subsidiären Schutzes legte das BVwG dar, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Ghazni nicht möglich sei, aufgrund der allgemeinen Gegebenheiten vor Ort und der persönlichen Umstände des Revisionswerbers ihm aber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat offen stehe. Unter Zugrundelegung von näher zitierten Berichten zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in Afghanistan kam das BVwG zu dem Schluss, der Revisionswerber falle nicht unter eine der Risikogruppen, bei einer Überstellung nach Afghanistan sei kein „real risk“ einer Verletzung der Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK erkennbar. Im Rahmen der zur Rückkehrentscheidung durchgeführten Interessenabwägung kam das BVwG zum Schluss, die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Asyl- und Fremdenwesens würden die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen.

5        Mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 1462/2020-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab, wies den unter einem gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab, und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen gegen das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der vorgebrachten Abkehr vom Islam sowie die Verletzung des Parteiengehörs zu einer näher bezeichneten Anfragebeantwortung vom 1. Juni 2017 sowie gegen die Annahme der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Zudem wendet sie sich gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung und führt dazu aus, dass bei Berücksichtigung der Mutter-Kind-Beziehung zur Patin des Revisionswerbers, der Aufenthaltsdauer und der Sicherheits- und Versorgungslage keine Rückkehrentscheidung hätte erlassen werden dürfen und ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Asylgesetz 2005 zugesprochen hätte werden müssen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Soweit sich die Revision gegen die Begründung des BVwG zur behaupteten Apostasie wendet und dazu Ermittlungsmängel vorbringt, ist Folgendes festzuhalten:

12       Das BVwG legt in seiner Begründung offen, aus welchen Gründen es dieses, erstmals in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen für nicht glaubwürdig hielt. Dabei stützt es sich auf die Aussage des Revisionswerbers und einer Zeugin in der Verhandlung sowie den vom Revisionswerber gewonnenen persönlichen Eindruck in der Verhandlung. Der Revisionswerber habe erstmals in einer Stellungnahme eine Woche vor der Verhandlung angeführt, sich nicht mehr als Moslem zu fühlen. Seine Aussage, die Religion habe er von seinen Vorfahren geerbt und sie sei mit vielen Vorschriften und Verboten verbunden, erwecke den Eindruck, dass ihn eher die vielen Verhaltensregeln störten, jedoch ein dauerhafter Abfall dadurch nicht dargetan werde. Ein Schlüsselerlebnis habe der Revisionswerber ebenso nicht benennen können. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der Revisionswerber eine derart schwerwiegende Entscheidung nicht einmal mit seinem näheren Umfeld habe geteilt. Daraus ergebe sich der Schluss, dass das Thema „Religion“ für ihn nicht übermäßig relevant sei. Aus einem näher zitierten Länderbericht ergebe sich auch, dass der Revisionswerber eher zu jenen Menschen zähle, die sich nicht an die Regeln des Islam hielten, eine dauerhafte Abkehr vom Islam habe er nicht glaubhaft machen können. Auch die nach der mündlichen Verhandlung vorgelegte Austrittserklärung sei nicht geeignet, diese Einschätzung zu ändern. Der Revisionswerber habe diesen Austritt zudem erst nach der mündlichen Verhandlung erklärt, weshalb davon auszugehen sei, dass er dies zur Verbesserung seiner Position im Asylverfahren gemacht habe.

13       Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beweiswürdigung und die Einschätzung des BVwG zum Nichtvorliegen einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie fallbezogen unvertretbar wären (zum Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. VwGH 3.3.2020, Ra 2019/18/0447, mwN). Damit konnte aber auch eine Auseinandersetzung mit dem behaupteten Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative aufgrund des behaupteten Abfalls vom muslimischen Glauben mangels Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens unterbleiben.

14       Werden von der Revision nun Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0170, mwN). Dies setzt - im Zusammenhang mit Feststellungsmängeln - auch voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten.

15       Diesen Anforderungen wird die Revision weder mit ihrem pauschalen Vorbringen zur behaupteten Notwendigkeit einer fortgesetzten Verhandlung noch zur Behauptung der Verletzung des Parteiengehörs gerecht, da sie nicht darlegt, inwiefern die in der Revision selektiv zitierten Absätze eines auf Afghanistan bezogenen Berichts vom 1. Juni 2017 zur Konversion und zu Personen, die öffentlich Kritik am Islam äußern, von Relevanz für das gegenständliche Asylverfahren hätten sein können. Zudem entfernt sich die Revision auch vom festgestellten Sachverhalt.

16       Die Revision bringt weiter vor, dass sich das BVwG im Zusammenhang mit der Annahme der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, den aktuellen Entwicklungen aufgrund der COVID-19-Pandemie in Afghanistan, der Belastung durch den minderjährigen Bruder im Heimatort, der psychischen Gesundheit, der Volksgruppenzugehörigkeit, des Auslandsaufenthalts des Revisionswerbers sowie der Versorgungs- und Sicherheitslage vor Ort auseinandergesetzt habe. Dieser Verfahrensmangel könnte aber nur dann zur Zulässigkeit und Berechtigung der Revision führen, wenn seine Vermeidung zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können. Dies aufzuzeigen ist nach der ständigen Rechtsprechung Aufgabe der Revision (vgl. dazu etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0231, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarstellung ist der Revision jedoch nicht zu entnehmen.

17       Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie traf das BVwG im vorliegend angefochtenen Erkenntnis Feststellungen sowohl zu den Infektions-, Todes- und Testraten in Afghanistan, dem Verlauf der Erkrankung und den Risikogruppen, zu denen der Revisionswerber nicht gehöre, als auch zu den Einschränkungen sozialer und geschäftlicher Aktivitäten und zu den gesellschaftlichen und politischen Maßnahmen. Den Feststellungen des BVwG zufolge handelt es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der über Schulbildung sowie Arbeitserfahrung im Handel sowie als Bauarbeiter verfügt, nicht in ärztlicher Behandlung steht und keine Medikamente benötigt. Diesen Feststellungen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen. Sie zeigt nicht auf, welche fallbezogenen und konkreten Feststellungen bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensmangels zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einer anderen Entscheidung hätten führen können (vgl. VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288, mwN). Es wird in der Revision auch nicht substantiiert dargelegt, weshalb die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde zum Entscheidungszeitpunkt vor dem Hintergrund seiner konkreten Situation in der Stadt Mazar-e Sharif sowie Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative vor, mit den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative unvereinbar gewesen wäre.

18       Insoweit die Revision ein Abgehen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ra 2019/18/0249 (VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0249) aufwirft, übersieht sie, dass diese zu einem völlig anders gelagerten Sachverhalt erging - im dortigen Fall erfolgte die Aufhebung aufgrund von Verfahrensfehlern hinsichtlich einer möglichen landesweiten Verfolgung durch die Taliban - und vermag ein Abweichen des BVwG von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon deshalb nicht darzutun.

19       Soweit sich die Revision gegen das Ergebnis der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK wendet, ist festzuhalten, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0466, mwN).

20       Soweit die Revision die mangelnde Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer rügt, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 14.9.2020, Ra 2020/18/0357, mwN).

21       Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN). Dass eine derartige außergewöhnliche Integration im vorliegenden Fall gegeben wäre, wird von der Revision zwar behauptet; die dafür angeführten Umstände wurden vom BVwG aber ohnedies bedacht und vermögen die Außergewöhnlichkeit nicht darzutun. Auch beschäftigt sich das BVwG entgegen dem Vorbringen in der Revision dezidiert mit den im Rahmen seines Privatlebens vorgebrachten Beziehungen zu österreichischen Staatsbürgerinnen. Die Revision vermag daher nicht aufzuzeigen, dass das BVwG bei seiner Abwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre.

22       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 12. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180260.L00

Im RIS seit

07.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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