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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Tolar und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der M S in S, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 2020, Zlen. I413 2220052-2/26E und I413 2220052-1/12E, betreffend eine Angelegenheit nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Beschlusses (betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages) richtet.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen (hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses betreffend Zurückweisung des Vorlageantrages) wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde sprach mit Bescheid vom 31. Oktober 2018 aus, die Revisionswerberin hafte gemäß § 67 Abs. 10 ASVG für im Einzelnen genannte aushaftende Sozialversicherungsbeiträge der S GmbH samt Verzugszinsen in bestimmter Höhe als deren Geschäftsführerin. Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde der Revisionswerberin änderte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom 21. Februar 2019 den Bescheid insbesondere im Hinblick auf die Haftungssumme ab.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nachdem die belangte Behörde einen bei ihr von der Revisionswerberin eingebrachten Vorlageantrag samt der Beschwerde und der Verfahrensakten dem BVwG vorgelegt, das BVwG der Revisionswerberin seine vorläufige Ansicht, der Vorlageantrag sei verspätet, vorgehalten und die Revisionswerberin beim BVwG einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Vorlageantrages eingebracht hatte - den Wiedereinsetzungsantrag ab (Spruchpunkt I.) und den Vorlageantrag als verspätet zurück (Spruchpunkt II.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
3 Das BVwG stellte fest, die Beschwerdevorentscheidung sei der Revisionswerberin zu Handen ihrer Rechtsvertretung (jener Rechtsanwalts-GmbH, die auch als Vertreterin im Revisionsverfahren auftritt) am 25. Februar 2019 zugestellt worden. Am 6. März 2019 um 17.27 Uhr habe die Rechtsvertretung einen Schriftsatz zur Stellung eines Vorlageantrages per Telefax an die Nummer der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde abgeschickt; der Sendebericht habe das Ergebnis „ok“ ausgewiesen. Dieses Telefax sei der belangten Behörde jedoch nicht zur Kenntnis gelangt. Es könne nicht festgestellt werden, ob das Telefax bei der belangten Behörde jemals eingelangt sei. Erst nach einer entsprechenden Aufforderung der belangten Behörde vom 13. Mai 2019 habe die Rechtsvertretung noch am selben Tag den Schriftsatz vom 6. März 2019 (samt dem Telefax-Sendebericht) bei der belangten Behörde per E-Mail, das dort auch nachweislich eingelangt sei, eingebracht.
4 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe sich ein Einschreiter, der einen Schriftsatz an die Behörde mittels „Telekopierer“ abgesendet habe, danach zu vergewissern, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt worden sei. Ein Sendebericht mit dem Vermerk „ok“ lasse nicht zwingend den Schluss zu, dass eine Schriftsatzkopie tatsächlich beim Empfänger eingelangt sei. Das Verfahren habe nicht ergeben, dass die Revisionswerberin bzw. deren Rechtsvertretung Schritte unternommen hätte, um sicher zu gehen, dass das Telefax mit dem Vorlageantrag auch wirklich bei der Behörde angekommen sei, vielmehr habe sie sich auf das im Sendebericht angegebene Ergebnis „ok“ verlassen. Ein Schriftstück gelte erst dann als eingebracht, wenn es bei der Behörde tatsächlich eingelangt sei; der Einbringer, der sich technischer Hilfsmittel wie eines Faxgerätes bediene, habe das Übermittlungsrisiko zu tragen. Der Vorlageantrag sei als erst am 13. Mai 2019 eingebracht zu beurteilen und damit verspätet. Der Wiedereinsetzungsantrag scheitere am Verschulden der rechtsfreundlich vertretenen Revisionswerberin an der Fristversäumnis.
5 Die Revisionswerberin erhob dagegen zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E 2317/2020, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag der Revisionswerberin mit Beschluss vom 10. November 2020 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vor, das BVwG hätte den Vorlageantrag ausgehend von der - aus der Sicht der Revision unzutreffenden - Ansicht, er sei verspätet, nicht unmittelbar selbst zurückweisen dürfen. Vielmehr liege die Zuständigkeit für die Zurückweisung eines Vorlageantrages wegen Verspätung zunächst bei der Behörde, bei der er einzubringen war. Erst gegen einen solchen zurückweisenden Bescheid könne das Verwaltungsgericht angerufen werden.
Zu I.:
7 Gegen die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Spruchpunkt I. des angefochtenen Beschlusses) wurde kein gesondertes Zulässigkeitsvorbringen im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG erstattet, weshalb sich die Revision in diesem Umfang als unzulässig erweist.
8 Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG (in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss) zurückzuweisen.
Zu II.:
9 Im Übrigen (also im Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses betreffend Zurückweisung des Vorlageantrages) ist die Revision im Sinne des oben wiedergegebenen Vorbringens, das der Sache nach das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur angesprochenen Frage geltend macht, zulässig, jedoch nicht berechtigt.
10 § 15 VwGVG lautet auszugsweise:
„Vorlageantrag
§ 15. (1) Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). [...]
(2) Ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung, wenn [...]. Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.
(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.“
Zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Zurückweisung des Vorlageantrages
11 Was die Frage betrifft, ob das Verwaltungsgericht zu Recht seine Zuständigkeit zur Zurückweisung des gegen eine Beschwerdevorentscheidung gerichteten Vorlageantrages wegen Verspätung angenommen hat, scheint für den (dies verneinenden) Standpunkt der Revision zunächst der Wortlaut des § 15 Abs. 3 erster Satz VwGVG zu sprechen, dem zufolge „[v]erspätete und unzulässige“ Vorlageanträge von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen sind. Tatsächlich hat auch der Verwaltungsgerichtshof (vgl. VwGH 26.2.2009, 2005/09/0107) zur im Wesentlichen wortgleichen Regelung des § 64a Abs. 3 dritter Satz AVG betreffend Vorlageanträge gegen Berufungsvorentscheidungen ausgesprochen, dass allein die Behörde, die die Berufungsvorentscheidung erlassen hat, zur Zurückweisung zuständig sei; die vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfte Zurückweisung eines Vorlageantrages durch die Berufungsbehörde wegen Verspätung nach erfolgter Vorlage der Berufung hob er wegen Unzuständigkeit auf.
12 Diese Sicht, wonach die Zuständigkeit zur Zurückweisung eines Vorlageantrages insbesondere wegen Verspätung allein der Behörde zukommt, die die damit bekämpfte Vorentscheidung erlassen hat, auch wenn sie das Rechtsmittel - ohne einen solchen Zurückweisungsbescheid zu erlassen - bereits der Rechtsmittelinstanz vorgelegt hatte, ist jedoch aus folgenden Gründen nicht auf Vorlageanträge gegen Beschwerdevorentscheidungen gemäß § 15 Abs. 3 VwGVG zu übertragen:
13 Wäre dem Verwaltungsgericht die Zurückweisung eines ihm vorgelegten unzulässigen (insbesondere verspäteten) Vorlageantrages wegen Unzuständigkeit verwehrt, müsste es diesen der Behörde zur Zurückweisung zurückstellen (Weiterleitung gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG). Anders als im Kontext einer Berufungsvorentscheidung besteht allerdings keine Weisungsbefugnis des Verwaltungsgerichts gegenüber dieser Behörde. Ein verbindlicher Abspruch über die Zulässigkeit des Vorlageantrages könnte - falls die Behörde nicht mit einer Zurückweisung vorgeht - nur inzident in einem Säumnisbeschwerdeverfahren gegen die Untätigkeit der Behörde oder in einem gegen die Säumnis des Verwaltungsgerichts mit der Erledigung der Beschwerde angestrengten Fristsetzungsverfahren erwirkt werden. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, dass er die verbindliche Klärung dieser Frage nur auf einem solchen Umweg ermöglichen wollte. Daher ist davon auszugehen, dass mit der Beschwerdevorlage die Zuständigkeit zur Entscheidung endgültig auf das Verwaltungsgericht übergeht, auch was die Wahrnehmung von Zurückweisungsgründen in Bezug auf den Vorlageantrag betrifft (so in Auseinandersetzung mit den abweichenden Meinungen von Leeb/Zeinhofer, Verwaltungsgerichtsbarkeit neu - Das Verfahren der [allgemeinen] Verwaltungsgerichte, in Baumgartner [Hrsg.], Jahrbuch Öffentliches Recht 2014, 35 [FN 157], und von Gruber in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, zu § 15 VwGVG, Rz 12, Julcher in Köhler/Brandtner/Schmelz, VwGVG Kommentar, zu § 15 VwGVG, FN 12, die sich Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, zu § 15 VwGVG, K 13, anschließt; im Ergebnis ebenso Müllner, Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag, ZfV 2013, 887, und Wessely, Das Administrativverfahren des BVwG und der LVwG, in Larcher [Hrsg.], Handbuch Verwaltungsgerichte, 217).
14 Soweit die Revision dagegen einwendet, der Umstand, dass das Verwaltungsgericht selbst die Zurückweisung des Vorlageantrages ausgesprochen habe, anstatt der Behörde die Entscheidung über die Rechtzeitigkeit aufzutragen, habe der Revisionswerberin die Möglichkeit genommen, in einer Beschwerde gegen eine von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung wegen Verspätung gezielt gegen diesen Standpunkt zu argumentieren, ist zu erwidern, dass das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom 3. Juli 2019 der Revisionswerberin seine vorläufige Ansicht, der Vorlageantrag sei verspätet, vorgehalten und ihr damit - nämlich durch die gebotene Gewährung von Parteiengehör - sehr wohl die Möglichkeit eröffnet hat, gezielt dagegen zu argumentieren.
15 Die von der Revision behauptete Unzuständigkeit des BVwG zur Zurückweisung des Vorlageantrages liegt somit nicht vor.
Zur Verspätung des Vorlageantrages
16 Die Revision bringt vor, das BVwG habe seiner Beurteilung, der Vorlageantrag sei verspätet eingebracht worden, „technisch obsolete“ Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zugrunde gelegt, die in einer modernen Rechtsgesellschaft nicht praktikabel sei. Es sei an der Zeit, dass der Verwaltungsgerichtshof judiziere, „dass eine bestätigte Übersendung einer Eingabe auf einem zugelassenen und vom Empfänger ausdrücklich (zB durch Zurverfügungstellung eines Faxgerätes) akzeptierten Weg auch ausdrücklich als empfangen gilt.“
17 Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich durch das Revisionsvorbringen, das den behaupteten „geänderten Standard elektronischer Übermittlungen“ im Zusammenhang mit Übermittlungen von Dokumenten per Telefax in keiner Weise näher ausführt und insbesondere nicht darlegt, dass ein „ok-Vermerk“ nur bei geglückten Datenübermittlungen technisch möglich sei, nicht veranlasst, von der Rechtsprechung, auf die sich schon das Verwaltungsgericht berufen hat (etwa VwGH 23.11.2009, 2009/05/0118, mwN), abzugehen.
18 Eine Rechtswidrigkeit der Zurückweisung des Vorlageantrages (Spruchpunkt II. des bekämpften Beschlusses) ist vor diesem Hintergrund insgesamt nicht ersichtlich.
19 Die Revision, deren Inhalt erkennen lässt, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war somit insoweit gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 18. Mai 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020080196.L00Im RIS seit
07.06.2021Zuletzt aktualisiert am
28.06.2021