TE Lvwg Erkenntnis 2021/5/4 LVwG-2021/23/0712-9

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Veröffentlicht am 04.05.2021
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Entscheidungsdatum

04.05.2021

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art130 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seinen Vizepräsidenten Dr. Larcher über die Beschwerde der AA vertreten durch deren Obmann BB (Erstbeschwerdeführerin) und von CC (Zweitbeschwerdeführer), beide vertreten durch Rechtsanwalt DD, Adresse 1, **** Z, wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der zwangsweisen Auflösung einer nicht untersagten Versammlung am **.**.**** in Y, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht erkannt:

1.       Die Beschwerdeführer sind am **.**.**** in der Zeit zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr in ihren Rechten sich zu versammeln und versammelt zu bleiben durch die zwangsweise Anhaltung und nachfolgende Auflösung des nichtuntersagten Demonstrationszuges „EE“ durch den Einsatz geschlossener Einheiten der Polizei im Bereich der Kreuzung Adresse 2/Adresse 3-Straße in ihren Rechten verletzt worden.

2.       Die belangte Behörde ist schuldig den Beschwerdeführern den Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand von gesamt Euro 1.659,60 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

3.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit Schriftsatz vom 15.3.2021, postalisch aufgegeben am selben Tag, erhoben die AA, vertreten durch den Vorsitzenden BB und CC, beide vertreten durch RA DD, eine Maßnahmenbeschwerde gegen die zwangsweise Auflösung der Versammlung „EE“ am **.**.**** durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

Aufgrund dieses Beschwerdevorbringens wurde die Landespolizeidirektion Tirol als belangte Behörde zur Aktenvorlage und Gegenschrift aufgefordert.

Die Landespolizeidirektion Tirol erstattete eine Gegenschrift und legte als Aktenvorlage lediglich die Versammlungsanzeige vom **.**.**** und einen Aktenvermerk der belangten Behörde vom **.**.**** vor.

Mit ergänzenden Schriftsatz vom **.**.**** legte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer noch einen USB-Stick mit Videoaufnahmen vor.

Weiters wurden bei der Staatsanwaltschaft Y Einsicht in den *** genommen und mehrere Aktenteile in Ablichtung übernommen.

Mit E-Mail vom **.**.**** wurde von der belangten Behörde noch das Versammlungsprotokoll sowie die Einsatzdokumentation vom **.**.**** und per Boten Videoaufnahmen übermittelt.

Am **.**.**** fand eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Zweitbeschwerdeführer sowie ein Behördenvertreter und zwei einsatzleitende Offiziere und ein Gruppenkommandant der Einsatzeinheit Tirol als Zeugen vernommen wurden. Im Anschluss verkündete das LVwG die Entscheidung mündlich und die belangte Behörde begehrte die schriftliche Ausfertigung.

II.      Sachverhaltsfeststellungen:

Mit Versammlungsanzeige vom 21.01.2021 meldeten die AA, vertreten durch ihren Obmann BB (Erstbeschwerdeführer) und CC (Zweitbeschwerdeführer) eine Versammlung für den **.**.**** in der Zeit von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr an. Diese Versammlung wurde von der zuständigen Sicherheitsbehörde nicht untersagt.

Am **.**.**** gegen 14.00 Uhr versammelten sich die Versammlungsteilnehmer bei der Adresse 12 in der Adresse 4-Straße in Y.


Die Veranstalter stellten für die Teilnehmer der Versammlung kostenlos FFP-2 Masken zur Verfügung und organisierten einen Ordnerdienst mit 15 Ordnern, die einheitlich durch Signalwesten gekennzeichnet waren.

Der Demonstrationszug bestand aus ca 600 Teilnehmern, wobei ein vorderer Teil von ca 50 bis 70 Versammlungsteilnehmern vor einer geschlossenen Gruppe mit rund 60 Personen in Formation eines „schwarzen Blocks“ ging und der restliche Demonstrationszug folgte hinter diesem schwarzen Block nach.

Bei einem schwarzen Block handelte es sich um eine Form des Demonstrierens. Bei dieser Demonstrationsform entsteht der Eindruck eines geschlossenen Blockes durch eine einheitliche (meist schwarze) Kleidung und einem Abschotten gegenüber anderen Versammlungsteilnehmern und einer allenfalls flankierenden Polizeibegleitung durch ein allseitiges den gesamten Block umhüllendes Mittragen von Transparenten in Gesichtshöhe.

Ein Vertreter der belangten Behörde (FF) sowie der exekutive Einsatzleiter (GG) begleiteten gemeinsam mit einem Amtsarzt der Gesundheitsbehörde Y (JJ) den Demonstrationszug. Durch den beigezogenen Amtsarzt erfolgte eine laufende Evaluierung des epidemiologischen Risikos durch die Versammlungsteilnehmer. Bereits von Anfang an wurde die enge Marschformation des schwarzen Blockes vom anwesenden Amtsarzt als epidemiologisch unvertretbar gerügt. Die Ansammlung der restlichen Versammlungsteilnehmer wurde auf Grund des hohen Prozentsatzes an verwendeten FFP-2 Masken als epidemiologisch vertretbar eingestuft.

Die Versammlung führte von der Adresse 4-Straße in nördliche Richtung bis zum Adresse 5, sodann über die Adresse 6 und den Adresse 7 in die Adresse 8.

Bereits am Adresse 5 wurde der der Zweitbeschwerdeführer als Versammlungsleiter erstmals vom Vertreter der Landespolizeidirektion Tirol aufgefordert, die Mindestabstände insbesondere im schwarzen Block aufgrund der COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung tunlichst einzuhalten.

In der Adresse 8 fand eine Standkundgebung vor dem dortigen Büro der KK statt und wurde hier der Versammlungsleiter neuerlich aufgefordert, auf die Mindestabstände insbesondere im Bereich des schwarzen Blockes hinzuwirken.

Danach setzte sich der Demonstrationszug wieder in Bewegung und zog in die Adresse 9. Hier erfolgte eine Standkundgebung vor dem dortigen Büro der LL.

Anschließend führte die Strecke zurück über die Adresse 4-Straße in südliche Richtung, vorbei an der Adresse 10 bis zur Adresse 11 weiter. Abzweigend in die Adresse 11 fand eine neuerliche Standkundgebung vor dem dortigen Büro der MM statt.

Nachfolgend bog der Demonstrationszug in die Adresse 2 ein.

Bereits bei der Standkundgebung in der Adresse 9 vor dem dortigen Büro der LL beschloss der Behördenvertreter den schwarzen Block auf Höhe der Kreuzung Adresse 2/Adresse 3-Straße aufgrund der beharrlichen Unterschreitung von Mindestabständen aus dem Demonstrationszug zu separieren und die Identitäten der Teilnehmer zwecks Anzeigeerstattung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz festzustellen. Diese Maßnahme wurde deshalb getroffen, da der Demonstrationszug während seiner gesamten Dauer von einem Amtsarzt der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde begleitet wurde und dieser die Abstände im schwarzen Block für die gesamte Versammlungsdauer als epidemiologisch relevant einstufte.

Nach Anordnung durch den Behördenvertreter an die exekutive Einsatzleitung erfolgte die einsatztaktische Vorbereitung der Separierung des schwarzen Blockes. Die Anordnung zur Separierung erfolgte zwischen 15.16 Uhr und 15.19 Uhr.

Gegen 15.30 Uhr traf der Demonstrationszug in der Adresse 2 Richtung Süden marschierend im Kreuzungsbereich Adresse 3-Straße ein.

Zu diesem Zeitpunkt war aber die Adresse 3-Straße im Bereich des dortigen Schutzweges, bei der Einmündung in die Adresse 2 durch zwei geparkte Polizeifahrzeuge (ein Streifenfahrzeug und ein Mannschaftsbus) nahezu gänzlich blockiert. Der nur wenige Meter breite noch freie Durchgangsbereich stellte durch die dort befindliche Müllsammelstelle mit vorgelagerten Gehsteigkanten und im Boden verankertem Verkehrszeichen eine gefährliche Engstelle dar, die für ein zwangsweises Separieren einer Personengruppe mit 60 Demonstranten gänzlich ungeeignet war.

Um 15.32 Uhr wurde ca 10 bis 15 m vor der Kreuzung Adresse 3-Straße/Adresse 2 in der Adresse 2 zuerst eine Sperrkette (dies ist der Einsatz einer geschlossenen Einheit bestehend aus entsprechend adjustierten Polizeibeamten der Einsatzeinheit Tirol) vor dem schwarzen Block und sodann unmittelbar anschließend eine zweite Sperrkette hinter dem schwarzen Block eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der schwarze Block bereits rechts und links flankierend von Beamten der Einsatzeinheit Tirol begleitet.

Durch das Einziehen zweier Sperrketten kam es zu einer zweifachen Durchtrennung des Demonstrationszuges. Aufgrund der Anhaltesituation in einer Engstelle der Adresse 2 war ein Passieren der restlichen Demonstrationsteilnehmer vorbei am nunmehr gänzlich umstellten und abgesondert blockierten Schwarzen Block nicht mehr möglich.

In weiterer Folge kam der gesamte Demonstrationszug zum Stillstand und es kam zu einer Stilllegung der gesamten Demonstration. Nachdem mehrere Minuten vergangen waren und der schwarze Block von Polizeibeamten eng umstellt worden war, verdichtete sich die Menschenansammlung im abgesperrten Bereich zunehmend.

Zu diesem Zeitpunkt versuchte der Versammlungsleiter auf die Versammlungsteilnehmer im schwarzen Block einzuwirken, allerdings war es aufgrund des eng umstellten Absperrungsbereiches und der vollständigen Einkesselung des schwarzen Blockes nicht mehr möglich hier die Abstände zu vergrößern. Nachdem der Zweitbeschwerdeführer in den vorderen Teil der Versammlung zum dort befindlichen Lautsprecherwagen gegangen war um eine Durchsage anzuordnen, wurde zwischen der vorderen Sperrkette und dem Führungsteil der Versammlung eine weitere Kette uniformierter Polizeibeamter (diesmal in regulärer Dienstuniform mit gelber Signalweste) eingezogen und dem zurückkehrenden Versammlungsleiter wurde der Durchgang zurück zur Versammlung verwehrt.

Letztlich versuchte sich der schwarze Block um 15.42 Uhr wieder in Bewegung zu setzen und wurde um 15.43 Uhr vom Behördenleiter die Versammlung für aufgelöst erklärt und die Anwesenden aufgefordert den Versammlungsort zu verlassen.

Die Versammlungsauflösung durch den Behördenleiter erfolgte mittels Megafon unmittelbar vor den Teilnehmern des schwarzen Blockes. Aufgrund der zu dieser Zeit sich laut manifestierenden Versammlungsteilnehmer war diese Auflösung nur sehr eingeschränkt hörbar.

Zeitgleich mit der Durchsage der Auflösung der Versammlung wurde zuerst von einem, letztlich dann von vier Polizeibeamten aus der geschlossenen Einheit heraus mit Pfefferspray (großes Gebinde) in die Menge gesprayt.

Nachfolgend wurden die Versammlungsteilnehmer, sofern sie zum schwarzen Block gehörten von Angehörigen der Einsatzeinheit eng umstellt und gegen einen Zaun in der Adresse 3-Straße gedrängt und von dort dann einzeln einer Identitätsfeststellung zugeführt. Die restlichen Demonstrationsteilnehmer wurden unter Polizeieinsatz aufgefordert, die Adresse 2 zu verlassen und wurde nachfolgend bis ca 16.15 Uhr die Versammlung weitestgehend faktisch aufgelöst.

III.     Beweiswürdigung:

Hinsichtlich der Anmeldung und Organisation der Versammlung waren die Feststellungen unstrittig und aufgrund der vorliegenden Urkunden ebenso zweifelsfrei feststellbar, wie zum Ablauf der Versammlung bis zum Eintreffen im Kreuzungsbereich Adresse 2/Adresse 3-Straße.

Hinsichtlich der weiteren Abläufe ergeben sich allerdings Unterschiede zwischen den Anordnungen des Behördenvertreters und deren Umsetzung durch Exekutivorgane.

Seitens der belangten Behörde wurde die Versammlung durchgehend von einem Amtsarzt begleitet und minutenakutell auf deren epidemiologischen Risikofaktor beurteilt. Auf diese Einschätzung aufbauend wurde vom Behördenleiter sodann die Separierung des schwarzen Blockes im Bereich Adresse 3-Straße/Adresse 2 angeordnet. Gleichzeitig war aber von vorne herein eine Separierung so angedacht, dass die restliche Versammlung ungestört weiter fortgesetzt werden sollte. Diese Feststellungen ergaben sich aus den Aussagen des als Zeugen vernommenen Behördenvertreters FF.

Tatsächlich war beim Eintreffen des Demonstrationszuges in der Adresse 2 jedoch die von der Adresse 2 abzweigende Adresse 3-Straße (es handelt sich hier um eine T-förmige Kreuzung) durch Einsatzfahrzeuge der Polizei so verparkt worden, dass ein Ausleiten des schwarzen Blockes und somit eine Separierung nicht mehr möglich waren. Es wurde sodann eine Sperrkette 10 bis 15 m vor dem Kreuzungsbereich eingezogen. Diese Feststellungen ergaben sich insbesondere aus den Aussagen der Einsatzleiter GG und NN.

Insbesondere vom Einsatzleiter der Einsatzeinheit Tirol NN wurde in seiner Aussage bestätigt, dass er den Befehl erteilte, zwei Sperrketten vor und hinter dem schwarzen Block einzuziehen. Die Verwendung einer Abdrängkette war hingegen nicht angedacht gewesen.

Durch diese behördlichen Maßnahmen kam es letztlich zu einer Sperre der gesamten Adresse 2. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich ca 50 bis 70 Versammlungsteilnehmer vor dem Schwarzen Block und der Rest ca 450 bis 480 Personen hinter dem abgesperrten Bereich. Im Bereich zwischen den zwei Sperrketten befanden sich laut Angabe der vernommenen Polizeibeamten ca 60 Personen. Diese Sachverhaltsfeststellungen ergaben sich aus den soweit übereinstimmenden Aussagen aller Zeugen.

Der Einsatz der Sperrketten, auch deren örtlichen Positionierung ergaben sich aus dem im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vorgeführten Videomaterial und aus den Eindrücken eines während der öffentlichen mündlichen Verhandlung durchgeführten Lokalaugenscheins und Vor-Ort-Befragung des Einsatzleiters der Einsatzeinheit Tirol (NN). Dass nach der Anhaltung des schwarzen Blocks ein Weiterführen des Demonstrationszuges nicht mehr möglich war, ergibt sich aus der klaren Aussage des Einsatzkommandanten der Einsatzeinheit Tirol, NN. Dieser bestätigte dieses Faktum sowohl in seiner Zeugenaussage als auch bei einer ergänzenden Befragung im Zuge des Ortsaugenscheines.

Ebenso ergibt sich aus den vorgeführten Videomaterial, dass insgesamt vier Polizeibeamte ihren Pfefferspray zeitgleich mit der Auflösungskundmachung des Behördenvertreters einsetzten. Sowohl vom Behördenvertreter als auch von den beiden Einsatzleitern ist jedoch der Einsatz dieses Pfeffersprays im Zuge einer geschlossenen Einheit nicht angeordnet worden. Das es hierbei allenfalls um eine Notwehrsituation handelte, kann insofern ausgeschlossen werden, da schon bei Beginn des Einsatzes des 2.,3. und 4. Pfeffersprays alle Demonstranten bereits fluchtartig auswichen und den die Pfeffersprays verwendenden Polizeibeamten den Rücken zukehrten. Diese Feststellungen ergaben sich aus den Aussagen sowohl des Behördenvertreters FF als auch aus den Aussagen der beiden exekutiven Einsatzleiter GG und NN.

IV.      Rechtliche Erwägungen:

A. Zulässigkeit der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde

Die den Gegenstand der vorliegenden Maßnahmenbeschwerde bildenden Amtshandlung, fand am **.**.**** statt. Die Beschwerde wurde am **.**.**** binnen der 6-wöchigen Beschwerdefrist nach § 7 Abs 4 VwGVG durch Postaufgabe beim Landesverwaltungsgericht Tirol eingebracht (eingelangt am **.**.****) und ist daher rechtzeitig.

Gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Nach Art 131 Abs 1 B-VG erkennen über Maßnahmenbeschwerden die Verwaltungsgerichte der Länder, im vorliegenden Fall das Landesverwaltungsgericht Tirol.

Nach der stRsp des Verwaltungsgerichtshofs liegt ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar – somit ohne vorangegangenen Bescheid – in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl VwGH 20.11.2006, 2006/09/0188; 22.2.2007, 2006/11/0154). Es muss ein Verhalten vorliegen, das als „Zwangsgewalt“, zumindest aber als – spezifisch verstandene – Ausübung von „Befehlsgewalt“ gedeutet werden kann.

B. In der Sache

Die beiden Beschwerdeführer hatten für den **.**.**** eine Versammlung fristgerecht angemeldet und ist diese nicht untersagt worden. Insofern übten beide Beschwerdeführer ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art 12 StGG und Art 11 EMRK rechtskonform aus. Das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Versammlungsfreiheit gewährleistet nicht bloß, sich zu versammeln, sondern auch versammelt zu bleiben, also nicht auseinandergehen zu müssen (VfSlg 14.773). Jede Verletzung des VersG, die in die Versammlungsfreiheit eingreift, ist als Verletzung des durch Art 12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten (vgl zB VfSlg 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985; VfGH 30.11.1995, B 262-267/95).

Im hier festgestellten Sachverhalt wurde in die Rechte der beiden Beschwerdeführer eingegriffen.

Wie sich aus § 13 Abs 1 VersG ergibt, kann die Auflösung einer bereits im Gang befindlichen, gegen die Vorschriften des VersG verstoßenden Versammlung nur "nach Umständen" verfügt werden. Welche Umstände eine Auflösung rechtfertigen, ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalles vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit zu beurteilen. Die Umstände, müssen so geartet sein, dass ohne diese Maßnahme eines der in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre (vgl VfSlg 11.132/1986, sowie VfSlg 14.367/1995 und VfSlg 10.443/1985).

Es lagen jedoch keine Umstände vor die eine Auflösung der gesamten Versammlung erfordert haben. Der Vertreter der Versammlungsbehörde ging bei seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass lediglich die Teilnehmer des schwarzen Blockes, eine Gruppe von rund 60 Personen, bei der Versammlung ein Verhalten setzten, dass eine Intervention zulässig und auch erforderlich machte. Dieses Verhalten bestand im Wesentlichen in einem Unterschreiten der nach der COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung geltenden Mindestabstände. Aus diesem Grund erfolgte die klare behördliche Anordnung nur mit einer einzelnen Maßnahme, nämlich der Separierung der sich gesetzwidrig verhaltenden Gruppe, in die an sich rechtskonforme Versammlung einzugreifen.

Vor dem Hintergrund, dass bei Eingriffen in die Versammlungsfreiheit, zu beachten ist, dass die getroffene Maßnahme gemessen am verfolgten Ziel verhältnismäßig sein muss, wobei vom Staat der geringstmögliche geeignete Eingriff zu wählen ist und dieser Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen muss und alle Grundrechtsadressaten und Kontrollinstanzen zu einer Güterabwägung zwischen der Ausübung der garantierten Freiheit und der Notwendigkeit, die in den Eingriffszielen genannten Interessen zu schützen, verpflichtet sind (VwGH 29.3.2004, 98/01/0213), erweist sich die behördliche Anweisung auf Absonderung einer klar definierten Personengruppe, wie in diesem Fall eines schwarzen Blocks, als zulässiger und verhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführer. Zumal es sich, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, ergibt, dass die Behörde keine Anweisung zur Untersagung und Auflösung der gesamten Versammlung erteilt hat. Angeordnet war vorerst nur die Separierung der Teilnehmer des Schwarzen Blockes aufgrund von Übertretungen nach der COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung.

Erst durch die mangelhafte exekutive Ausführung der Separierung kam es zu einer zweifachen Durchschneidung des Demonstrationszuges und einer endgültigen Anhaltung der Versammlung. Durch die gewählte Einsatztaktik der Polizei war ein Weiterführen der Versammlung nicht mehr möglich und führte dies letztlich zu einer behördlichen Untersagung der Versammlung und deren unverzüglichen zwangsweisen Auflösung unter anderem durch Verwendung von Pfefferspray aus einer geschlossenen Einheit heraus.

Letztlich wurde ein Zustand der zur Untersagung der Versammlung führte, somit erst durch den überschießenden Einsatz der Exekutive herbeigeführt.

Insofern sind die Veranstalter der Versammlung in ihrem Recht sich zu versammeln und versammelt zu bleiben, durch zweifache Trennung und anschließende Anhaltung des Demonstrationszuges durch die erfolgte Sperre der gesamten Adresse 2 in Form des Einziehens zweier Sperrketten verletzt worden. Wobei diese Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit (wie auch in die damit untrennbar zusammenhängende Meinungsäußerungsfreiheit) nicht zum Schutz eines der Rechtsgüter notwendig waren, die in Art 11 Abs 2 bzw Art 10 Abs 2 EMRK aufgezählt sind (vgl etwa die Erkenntnisse VfSlg. 11.866/1988 und 12.116/1989).

V.       Unzulässigkeit der Revision bzw Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist jede Verletzung des VersammlungsG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechts betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art 12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten (vgl zB VfSlg 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985; VfGH 30.11.1995, B262-267/95). So verletzt bspw jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde (vgl VfGH 20.06.2006, B 578/05 mwH). Beschwerden, die eine Verletzung dieses Rechtes geltend machen, sind von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen. Dies gilt auch in Ansehung verfahrensrechtlicher Fragen (vgl VwGH 10.02.1988, 88/01/0020, 21.09.1994, 94/01/0060 ua). Eine Revision ist daher nach Art 133 Abs 5 B-VG in diesem Umfang nicht zulässig.

Fragen der Beweiswürdigung hingegen kommt regelmäßig als nicht über den Einzelfall hinausreichend keine grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu (VwGH 21.4.2017, Ro 2016/11/0004; 18.8.2017, Ra 2017/11/0218; 13.11.2017, Ra 2017/02/0217). Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz grundsätzlich nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen. Diese ist nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vor dem Verwaltungsgerichtshof daher nicht zu überprüfen (VwGH 24.9.2014, Ra 2014/03/0012 mwN; 25.9.2017, Ra 2017/20/0282).

Zulässig ist eine Revision lediglich sofern sie eine Rechtsfrage von wesentlicher Bedeutung außerhalb des Kernbereichs der Versammlungsfreiheit betrifft (vgl VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359, mwN, 06.11.2018, Ra 2018/01/0243). Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichthofes ist in diesem Umfang gegeben.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die in der gegenständlichen Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen konnten anhand der in der vorliegenden Beschwerdeentscheidung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bzw des Verfassungsgerichtshofes einwandfrei einer Beantwortung zugeführt werden. Eine außerhalb dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegende Rechtsfrage ist für das erkennende Gericht im Gegenstandsfall nicht hervorgekommen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Larcher

(Vizepräsident)

Schlagworte

Versammlung; Auflösung;

Anmerkung

Der Verwaltungsgerichtshof wies die gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 04.05.2021, Z LVwG-2021/23/0712-9, erhobene außerordentliche Revision mit Beschluss vom 29.09.2021, Z Ra 2021/01/0216-8, zurück.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.23.0712.9

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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