Entscheidungsdatum
21.01.2021Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Beschwerde des A, wohnhaft in der *** in ***, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Bezirkshauptmannschaft Amstetten, betreffend der Wegweisung, des Betretungsverbots und des Annäherungsverbotes für das Haus in ***, ***, zu Recht erkannt.
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Wegweisung, das Betretungsverbot und das Annäherungsverbot vom 18. Juli 2020 für das Haus ***, ***, für rechtswidrig erklärt.
II. Die belangte Behörde, die Bezirkshauptmannschaft Amstetten hat dem Beschwerdeführer, A € 737,60 für Schriftsatzaufwand, und € 922,-- für den Aufwand für die Verhandlung und € 30,-- für die Eingabegebühr binnen 14 Tagen nach bei sonstigem Zwang zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 52 Abs. 1, 2 und 8 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz
§ 64 Abs. 1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Gang des Verfahrens:
Mit Eingabe vom 20.07.2020 brachte der Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde ein. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass am 18.07.2020 ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG gegen ihn ausgesprochen wurde. Er habe niemals das Leben oder die Gesundheit seiner Frau bedroht oder diese gefährdet. Es habe keine Prüfung stattgefunden. Einen vorangegangen gefährlichen Angriff habe es ebenso nicht gegeben. Einer der einschreitenden Beamten sei befangen, da er mit dem Bruder der Frau gesprochen habe. Seine Frau sei Epileptikerin und nehme schwere Medikamente mit entsprechenden Nebenwirkungen.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 09.11.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers und der Zeugen C (nunmehr die Ex-Frau), D, sowie durch Verlesung des Verwaltungsaktes und der vorgelegten Urkunden. Die Zeugin C legte nach der Verhandlung das Audiofile von dem Vorfall vor.
2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:
Am 18.07.2020 am Vormittag kam es zu einem Familienstreit zwischen dem Beschwerdeführer und Frau C, welcher von Frau C mit dem Handy aufgezeichnet wurde. Im Wesentlichen wollte Frau C mit den beiden gemeinsamen Kindern eine Freundin besuchen. Der Beschwerdeführer wollte mit seinem jüngeren Sohn seine Mutter besuchen. Frau C versuchte mehrmals das jüngere Kind zu nehmen. Der Beschwerdeführer ließ dies nicht zu und sagte seiner Frau mehrmals, dass er sich erst anziehen müsse. Das jüngere Kind wiederholt mehrmals, dass es beim Papa bleiben will und die Oma besuchen will. Das ältere Kind versucht das jüngere Kind mit einem goldenen Stein zu überreden mitzukommen. Im Zuge dieser Aufnahme ist auch mehrmals „Aua“ zu hören, wobei sowohl Frau C als auch der Beschwerdeführer dieses Wort verwenden. Die Kinder reagieren allerdings kaum auf die Worte der Eltern. Vor den „Aua“-Schreien sagt der ältere Sohn noch, dass der Papa nicht einmal noch angezogen sei.
Gegen 20:30 Uhr ging Frau C zur Polizeiinspektion und zeigte dort den Vorfall vom Vormittag an. Dabei spielte sie auch das Audiofile den diensthabenden Beamten vor. Weiter brachte sie vor, dass es seit Dezember 2019 immer wieder zu Handgreiflichkeiten seitens ihres Mannes gegen sie gekommen sei. Er habe sie öfters an den Händen gepackt, sie an den Haaren gerissen und aus dem Zimmer getreten. Auch habe er sie einmal bei Regen aus dem Haus gesperrt. Einmal habe er nach einem Streit Möbel aus dem Fenster geworfen.
Am 18.07.2020 erließ die PI *** um 20:30 Uhr ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG. Dieses Betretungsverbot erstreckte sich auf den räumlichen Schutzbereich ***, ***.
In der Dokumentation gemäß §38a SPG wurde seitens der PI *** angeführt, dass der Beschwerdeführer äußerst ruhig und kooperativ gewesen sei.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den Aussagen und dem Verwaltungsakt, hierbei insbesondere aus den vorgelegten Urkunden der Polizei und dem Audiofile vom Vorfall. Der Beschwerdeführer konnte in der Verhandlung glaubhaft seine Darstellung des Vorfalls darlegen und deckt sich diese mit dem vorgelegten Audiofile. Aus dem Audiofile ergibt sich, dass Frau C darauf drängt, dass der Beschwerdeführer den jüngeren Sohn herausgibt, damit sie mit den Kindern einer Einladung folgen kann. Das jüngere Kind äußert mehrmals, dass es zur Oma will und beim Beschwerdeführer verbleiben will. Der Beschwerdeführer äußert auch seinen Wunsch, dass er sich anziehen wolle. Der ältere Sohn bemerkt sogar in der Aufnahme, dass der Beschwerdeführer noch nicht angezogen ist. Frau C versucht trotzdem immer wieder zu ihrem jüngeren Kind zu kommen. Letztlich versucht noch der ältere Sohn den jüngeren zu überreden mit zu kommen. Einzig bei Sekunde 52 versucht der ältere Sohn die Eltern zu trennen, indem er sagt, der Beschwerdeführer solle in sein Zimmer gehen und gleich darauf Frau C auffordert, dass sie gehen soll. Insgesamt scheint der Streit jedoch relativ ruhig geführt worden zu sein. Das jüngere Kind ist in keiner Weise verängstigt wahrzunehmen. Auch Frau C klingt auf dem Audiofile eher bestimmt als ängstlich. Ein derartig bestimmtes Verhalten von C gegenüber dem Beschwerdeführer erscheint jedoch sehr unwahrscheinlich, wenn man ihre Angaben bei der Polizei zu Grunde legt, wonach sie in den letzten Monaten mehrmals gepackt, an den Haaren gerissen und getreten wurde. Vielmehr deutet das Verhalten der Beschwerdeführerin (und auch der Kinder) darauf hin, dass der Beschwerdeführer nicht gewalttätig gegenüber seiner Familie war. Wenn der Zeuge D in der Verhandlung ausführte, dass die Kinder auf der Aufnahme nicht zu hören waren, widerspricht das der vorgelegten Aufnahme.
Die wesentliche Bestimmung des SPG lautet:
§ 38a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).
(2) Bei Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
1. dem Gefährder den Verbotsbereich nach Abs. 1 zur Kenntnis zu bringen;
2. dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs. 1 Z 1 abzunehmen und ihn zu diesem Zweck erforderlichenfalls zu durchsuchen; § 40 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß,
3. dem Gefährder Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen.
4. den Gefährder über die Verpflichtung gemäß § 8 und die Rechtsfolgen einer Zuwiderhandlung sowie über die Möglichkeit eines Antrags gemäß Abs. 9 zu informieren;
5. vom Gefährder die Bekanntgabe einer Abgabestelle für Zwecke der Zustellung von Schriftstücken nach dieser Bestimmung oder der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, zu verlangen; unterlässt er dies, kann die Zustellung solcher Schriftstücke so lange durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgen, bis eine Bekanntgabe erfolgt; darauf ist der Gefährder hinzuweisen;
6. den Gefährder bei Aufenthalt in einem Verbotsbereich nach Abs. 1 wegzuweisen.
(3) Betrifft das Betretungsverbot eine vom Gefährder bewohnte Wohnung, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Gefährders die Verhältnismäßigkeit (§29) wahrt. Sofern keine Ausnahme gemäß Abs. 9 vorliegt, darf der Gefährder den Verbotsbereich gemäß Abs. 1 nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufsuchen.
(4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, den Gefährdeten über die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO und geeignete Opferschutzeinrichtungen (§ 25 Abs. 3) zu informieren. Darüber hinaus sind sie verpflichtet,
1. sofern der Gefährdete minderjährig ist und es im Einzelfall erforderlich erscheint, jene Menschen, in deren Obhut er sich regelmäßig befindet, sowie
2. sofern ein Minderjähriger in der vom Betretungsverbot erfassten Wohnung wohnt, unverzüglich den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger über die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots zu informieren.
(5) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, den Gefährder bei Verstoß gegen das Betretungs- und Annäherungsverbot wegzuweisen. Die Einhaltung eines Betretungsverbots ist zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu kontrollieren.
(6) Bei der Dokumentation der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist auf die für das Einschreiten maßgeblichen Umstände sowie auf jene Bedacht zu nehmen, die für ein Verfahren nach §§ 382b und 382e EO oder für eine Abklärung der Gefährdung des Kindeswohls durch den zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger von Bedeutung sein können.
(7) Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen drei Tagen zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungs- und Annäherungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie unverzüglich den Gefährdeten über die beabsichtigte Aufhebung zu informieren und das Verbot gegenüber dem Gefährder aufzuheben. Die Information des Gefährdeten sowie die Aufhebung des Betretungs- und Annäherungsverbots haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen.
(Anm.: Abs. 8 tritt mit 1.9.2021 in Kraft)
(9) Die Sicherheitsbehörde ist ermächtigt, bei Vorliegen zwingender Notwendigkeit auf begründeten Antrag des Gefährders mit Bescheid örtliche oder zeitliche Ausnahmen von dem Betretungs- und Annäherungsverbot festzulegen, sofern schutzwürdige Interessen des Gefährdeten dem nicht entgegenstehen; zu diesem Zweck ist dem Gefährdeten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ausnahmen für die Wohnung, die vom Betretungsverbot betroffen ist, sind nicht zulässig. Die Entscheidung der Behörde ist dem Gefährdeten unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.
(10) Das Betretungs- und Annäherungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung oder, wenn die Sicherheitsbehörde binnen dieser Frist vom ordentlichen Gericht über die Einbringung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO informiert wird, mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des ordentlichen Gerichts an den Antragsgegner, längstens jedoch vier Wochen nach seiner Anordnung. Im Falle einer Zurückziehung des Antrags endet das Betretungs- und Annäherungsverbot sobald die Sicherheitsbehörde von der Zurückziehung durch Mitteilung des ordentlichen Gerichts Kenntnis erlangt, frühestens jedoch zwei Wochen nach seiner Anordnung.
(11) Die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots zur Abholung durch den Gefährder bereit zu halten und diesem auszufolgen. Werden die Schlüssel trotz nachweislicher Information des Gefährders über die Abholungsmöglichkeit nicht binnen einer Frist von zwei Wochen abgeholt, können die Schlüssel auch einem sonstigen Verfügungsberechtigten ausgefolgt werden. Sechs Wochen nach Aufhebung oder Beendigung des Betretungsverbots gelten diese als verfallen; § 43 Abs. 2 gilt sinngemäß. Im Falle eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO sind die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel beim ordentlichen Gericht zu erlegen.
(12) Die Berechnung von Fristen nach dieser Bestimmung richtet sich nach §§ 32 und 33 Abs. 1 AVG.
Wegweisung und Betretungsverbot sind nach § 38a Abs. 1 und 2 SPG 1991 an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevor. Es kommt also maßgeblich darauf an, ob ein gegen die genannten Rechtsgüter des Gefährdeten gerichteter gefährlicher Angriff seitens des von der Maßnahme Betroffenen zu erwarten ist. Diese Erwartung muss auf "bestimmte Tatsachen" gründen, wobei das Gesetz als solche insbesondere einen vorangegangenen gefährlichen Angriff nennt, der seinerseits jedoch nicht gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person gerichtet sein muss. Was außer einem gefährlichen Angriff als "bestimmte Tatsache" für die anzustellende "Gefährlichkeitsprognose" gelten kann, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Angesichts des sicherheitspolizeilichen Maßnahmen inhärenten Präventivcharakters kann allerdings kein Zweifel bestehen, dass nach den jeweiligen Umständen etwa auch Aggressionshandlungen unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs oder in der Vergangenheit liegende Gewaltakte als derartige "Tatsachen" in Frage kommen können (in diesem Sinn Dearing in Dearing/Haller, Das österreichische Gewaltschutzgesetz, 109 f.), zumal dann, wenn mehrere dieser Faktoren zusammenkommen. Entscheidend ist stets, dass daraus gesamthaft betrachtet die Prognose ableitbar ist, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevorstehe; auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dass "bloße" Belästigungen drohen, reicht hingegen nicht aus (Hinweis: E 21.12.2000, Zl. 2000/01/0003). (vergleiche Erkenntnis des VwGH vom 24.02.2004, Zl. 2002/01/0280)
Grundlage eines Betretungsverbotes ist somit die begründete Annahme, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit eines in der betroffenen Wohnung lebenden Menschen bevor. Diese Gefährlichkeitsprognose muss sich auf „bestimmte Tatsachen“ gründen. Dafür kommen konkrete Angaben der gefährdeten Partei in Betracht. Hierbei sind auch in der Vergangenheit zurückliegende Vorfälle zu berücksichtigen.
Entscheidend ist stets, dass daraus gesamthaft betrachtet die Prognose ableitbar ist, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevorstehe; auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dass „bloße“ Belästigungen drohen, reicht hingegen nicht aus. (Erkenntnis des VwGH vom 24.02.2004, Zl. 2002/01/0280)
Wegweisung und Betretungsverbot sind gleichermaßen an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 08.09.2009, Zl. 2008/17/0061; vom 24.02.2004, Zl. 2002/01/0280; und vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0003; sowie Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, 4. Auflage 2011, Seite 383 f, Anm. 5). (vergleiche Erkenntnis des VwGH vom 26.04.2016, Zl. Ra 2015/03/0079, Hinweis auf Stammrechtssatz GRS wie 2012/01/0018 E 31.05.2012)
Im vorliegenden Fall gab es unstrittig eine Diskussion am 18.07.2020 gegen 11:00 Uhr. Dabei ging es um den Verbleib des jüngeren Kindes. Beide Elternteile wollten mit dem Kind den Nachmittag verbringen. Zwar ist auf dem Audiofile über diesen Vorfall mehrmals von beiden Elternteilen das Wort „Aua“ zu hören, jedoch sind keine Geräusche zu hören welche auf eine Gewalttätigkeit hinweisen. Auch sind die Kinder eher ruhig während des Vorfalls. Letztlich ist auch auf dem Audiofile zu hören, dass C nicht davon ablässt zu dem jüngeren Kind zu gelangen. Dieses wiederum sagt mehrmals deutlich, dass es beim Beschwerdeführer bleiben will und die Oma besuchen möchte. Selbst der Versuch des älteren Kindes das jüngere zu überreden halfen nicht.
Ein gefährlicher Angriff seitens des Beschwerdeführers konnte aufgrund des Audiofiles nicht angenommen werden. Davon ging übrigens auch die belangte Behörde in ihrem Aktenvermerk vom 19.07.2020 aus. Somit war zu prüfen welche bestimmten Tatsachen im gegenständlichen Fall vorlagen. Frau C kam am 18.07.2020 gegen 20:30 Uhr zur Polizeiinspektion um einen Vorfall von 11:00 Uhr anzuzeigen. Dem Landesverwaltungsgericht erscheint es als ungewöhnlich, dass eine gefährdete Person einen Vorfall erst nach ca. 9 Stunden bei der Polizei anzeigt. Als Begründung nannte Frau C, dass sie ihr Kind erst sicher versorgt wissen wollte. Für die Betreuung eines Kindes – welches sowieso bei einer Freundin eingeladen war – 9 Stunden zu benötigen erscheint nicht lebensnahe. Vielmehr deutet dieses Verhalten und das lange warten mit der Anzeige darauf hin, die Folgen in dem Scheidungsverfahren abzuwägen. Dieses war nämlich wenige Tage nach dem 18.07.2020. Frau C brachte bei der Anzeige vor, dass der Beschwerdeführer seit ca. einem halben Jahr gewalttätig gegen sie vorgehe, indem er sie packe, an den Haaren reiße oder trete. Konkrete Vorfälle mit Datum und Geschehensablauf wurden jedoch von der Polizei nicht erhoben. Gegen diese Anschuldigungen spricht das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Audiofile. Sollte die Beschwerdeführerin die letzten sechs Monate vom Beschwerdeführer gepackt, an den Haaren gerissen und getreten worden sein, ist ihre auffallende Bestimmtheit auf dem Audiofile verwunderlich. Aus der Aufnahme ist weder Furcht noch Angst von Frau C zu hören, vielmehr verlangt sie sehr bestimmt, dass der Beschwerdeführer sie zu ihrem jüngeren Kind lassen soll. Gegen die von ihr vorgebrachte Gewaltausübung spricht auch, dass die Kinder weder verängstigt noch panisch auf der Aufnahme klingen. Vielmehr hört sich die Aufnahme nach einem verbalen Streit über den Verbleib des jüngeren Kindes an. Auch darf nicht übersehen werden, dass in der Aufnahme keine Geräusche zu hören sind, die die Annahme rechtfertigen, dass hier Gewalt gegen jemanden angewandt wird. Als zusätzlichen Indikator aufgrund dessen ein gefährlicher Angriff gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person zu erwarten ist führt die Behörde an, dass die Anzeigerin angab, dass sie früher im Zuge einer Streitigkeit die Stiege hinunterfiel, sich beide Schultern verletzte und deshalb im LKH *** behandelt wurde. Sie gab jedoch an, dass er sie nicht gestoßen wurde, sondern lediglich die Stiege hinunterlaufen wollte. Dieser Vorfall erweist sich jedoch als ungeeignet ein Indikator für einen gefährlichen Angriff zu sein, da Frau C selbst angab, dass sie ohne Fremdeinwirkung die Stiegen hinuntergefallen sei. Letztlich gaben die Polizisten an, dass der Beschwerdeführer äußerst ruhig und kooperativ war. Auch in der Aufnahme wirkt der Beschwerdeführer ruhig und gefasst. Ein solches Verhalten spricht jedoch auch dafür, dass kein gefährlicher Angriff zu erwarten sei. In einer Gesamtbetrachtung ergibt sich daher, dass die belangte Behörde – wie sie schon im Aktenvermerk vom 19.7.2020 festgestellt hat – keine Wegweisung hätte aussprechen dürfen, da nicht ausreichend bestimmte Tatsachen vorhanden waren, die auf einen gefährlichen Angriff gegen Frau C deuten ließen. Der Umstand, dass das Scheidungsverfahren in unmittelbarer zeitlichen Nähe zu dem Vorfall stand konnte weder für noch gegen die Gefahrenprognose gewertet werden. Das Gericht stimmt der Einschätzung der PI *** zu, dass die Abwesenheit des Beschwerdeführers hilfreich sei und eine Abkühlphase allen Beteiligten helfe. Jedoch fehlten im Zeitpunkt der Verhängung der Wegweisung dafür die gesetzlichen Grundlagen.
Insgesamt zeigt sich im vorliegenden Fall, dass für die Gefahrenprognose nicht alle Umstände ausreichend geprüft und gewürdigt wurden. So blieb unberücksichtigt, dass die gefährdete Person erst nach mehreren Stunden zur Polizei gegangen ist. Ebenso blieb unberücksichtigt, dass das Verhalten der gefährdeten Person auf der Audioaufnahme im Widerspruch zu den von ihr geschildeten Übergriffen steht. Insgesamt wurden die von ihr geschildeten Übergriffe nicht einmal präzisiert. Im Gegenzug wurde dafür ein Unfall (Sturz über die Stiege) aufgenommen, bei dem die gefährdete Person angab, dass keine Fremdeinwirkung gegeben war. Es wurde auch nicht das Verhalten des Beschwerdeführers welches als äußerst ruhig und kooperativ bezeichnet wurde gewürdigt. Letztlich gab es auch keine Ermittlungen zu den psychischen Problemen die der Beschwerdeführer in Bezug auf die gefährdete Person getätigt hat. Es ist zwar nicht notwendig die gefährdete Person zu untersuchen, jedoch hätte der Beamte dazu irgendeinen Eindruck im Akt vermerken müssen, sodass klar ist, dass zumindest eine psychische Beeinträchtigung wie vom Beschwerdeführer angeführt nicht wahrnehmbar war. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, da die Gefährdungsprognose nicht ausreichend schlüssig begründet war.
Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.
Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerde stattgegeben. Daher war die belangte Behörde die unterlege Partei und der Beschwerdeführer obsiegende Partei.
Aufwandsersatz ist nur auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solcher Antrag wurde im Zuge der Verhandlung betreffend die Maßnahmenbeschwerde gestellt. Es waren daher die Kosten nach der Pauschalkostenverordnung und die Barauslagen dem Beschwerdeführer zuzusprechen.
3. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Wegweisung; Betretungsverbot; Annäherungsverbot; Gefährdungsprognose;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.23.001.2020Zuletzt aktualisiert am
04.06.2021