TE Lvwg Erkenntnis 2021/4/22 LVwG-S-985/001-2020

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Veröffentlicht am 22.04.2021
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Entscheidungsdatum

22.04.2021

Norm

StVO 1960 §18 Abs1
StVO 1960 §99 Abs2c Z4
VStG 1991 §33a Abs1
VStG 1991 §45 Abs1 Z4

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerde des A, in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 06. Mai 2020, Zl. ***, betreffend Bestrafung nach der Straßenverkehrsordnung (StVO 1960), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

1.   Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die durch die Tat verletzte Verwaltungsvorschrift gemäß § 44a Z 2 VStG wie folgt zu lauten hat:

§ 18 Abs. 1 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 (Stammfassung)“

2.   Der Beschwerdeführer hat einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von 18,-- Euro zu leisten.

3.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Zahlungshinweis:

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 118,-- Euro und ist gemäß § 52 Abs. 6 VwGVG iVm § 54b Abs. 1 VStG binnen zwei Wochen einzuzahlen.

Entscheidungsgründe:

1.   Feststellungen:

1.1.  Der Beschwerdeführer fuhr am 12.03.2020 um 09:46 Uhr im Gemeindegebiet von *** auf der Autobahn *** nächst Straßenkilometer *** in Fahrtrichtung *** mit seinem Personenkraftwagen mit dem behördlichen Kennzeichen *** mit einem Abstand von 19,5 Metern bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 132 km/h, sohin einem zeitlichen Abstand von 0,54 Sekunden, hinter einem anderen Kraftfahrzeug her.

Es herrschten gute Sicht- und Fahrbahnverhältnisse und mäßiger Verkehr. Das vom Beschwerdeführer gelenkte Fahrzeug des Herstellers Toyota, Handelsbezeichnung C-HR 1,2 T 2WD, war mit einem „pre-collision System“ und anderen Assistenzsystemen ausgestattet. Dieser im Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers verbaute Notbremsassistent warnt, wenn erkannt wird, dass eine Kollision bevorsteht. Bremst der Lenker, unterstützt das System die Bremsung in dem es die Bremskraft verstärkt. Reagiert der Lenker nicht, wird selbsttätig eine Bremsung eingeleitet. Wird in der Notbremssituation stark Gas gegeben oder gelenkt, schaltet das System automatisch ab. Das heißt es kommt zu keiner weiteren Vollbremsung. Ein manuelles Abschalten ist ebenfalls möglich. Der Notbremsassistent kann dazu beitragen, Kollisionen zu vermeiden oder zumindest die Aufprallgeschwindigkeit zu verringern. Hat das Fahrzeug vor dem betreffenden Fahrzeug aber ein größeres oder stärkeres Bremsvermögen, könnte das System nicht ausreichend funktionieren, sodass ein Unfall nicht vermieden wird, da das Fahrzeug vor dem betreffenden Fahrzeug schneller zum Stehen kommt. Insgesamt ist das im Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers verwendete System nicht geeignet, Unfälle sicher zu vermeiden.

1.2.  Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Zeit:            12.03.2020, 09:46 Uhr

Ort:             Gemeindegebiet ***

                  auf der Autobahn ***, nächst Strkm. ***

                  Fahrtrichtung ***

Fahrzeug: ***, Personenkraftwagen

Tatbeschreibung:

Sie haben als Fahrzeuglenker folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Keinen solchen Abstand vom nächsten vor Ihnen fahrenden Fahrzeug eingehalten, dass Ihnen jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre. Es wurde mittels Videomessung ein zeitlicher Abstand von 0,54 Sekunden festgestellt.

Abstand in m: 19,5, gefahrene Geschwindigkeit: 132 km/h

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 18 Abs.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von             falls diese uneinbringlich ist,      Gemäß

                              Ersatzfreiheitsstrafe von

          90,00              41 Stunden                                § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2
Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der
Strafe, mindestens jedoch 10 Euro                                                                                                 10,00

                                                    Gesamtbetrag:                             100,00

1.3.  Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die verfahrensgegenständliche, näher begründete Beschwerde. Darin wird insbesondere ausgeführt, dass aufgrund des Notbremsassistenten kein Verstoß gegen § 18 Abs. 1 StVO vorliegen würde.

1.4.  Gegen den Beschwerdeführer liegt eine im Tatzeitpunkt rechtskräftige und bis dato nicht getilgte Vormerkung wegen einer Geschwindigkeitsübertretung vor. Er verfügt über ein monatliches Einkommen von 1.400,-- Euro netto, kein Vermögen und keine Sorgepflichten.

2.   Beweiswürdigung:

2.1.  Die Feststellungen gründen auf der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2021, in welcher Beweis erhoben wurde durch (Verzicht auf) Verlesung des vorgelegten Verwaltungsstrafakts, Verlesung zweier vom Beschwerdeführer vorgelegter Beilagen (./1 Auszug aus Handbuch [Bedienungsanleitung des Kfz] und ./2 Auszug von Homepage von Toyota), Einvernahme des Beschwerdeführers sowie Erstattung von Befund und Gutachten durch den Amtssachverständigen für kraftfahrtechnische Angelegenheiten B.

2.2.  Der Sachverhalt ist dahingehend unstrittig, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug mit dem behördlichen Kennzeichen *** zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt und Tatort lenkte. Außerdem stellte der Beschwerdeführer die Richtigkeit der auch für das Gericht schlüssigen Abstandsmessungen außer Streit (vgl. deren genaue Dokumentation im Verwaltungsstrafakt Aktenseiten 26 ff, sowie den Eichschein des verwendeten Abstandsmessgeräts, Aktenseite 24 f).

2.3.  Hinsichtlich des Fahrzeugmodells und der Ausstattung desselben mit einem „pre-collision System“ und anderen Assistenzsystemen hat der Beschwerdeführer glaubhafte Angaben, die auch mit der Anzeige der Landespolizeidirektion Niederösterreich im Einklang stehen, gemacht und bei der mündlichen Verhandlung auch eine Bedienungsanleitung vorgelegt. Aus diesen Beweisergebnissen lässt sich unmittelbar auf Fahrzeugmodell und -ausstattung des vom Beschwerdeführer gelenkten PKW schließen.

2.4.  Was die Funktionsweise des „pre-collision Systems“ anbelangt, erstattete der Sachverständige auf Grundlage der Angaben der vorgelegten Bedienungsanleitung ein nachvollziehbares Gutachten, dem der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegentrat. Auch in der Bedienungsanleitung selbst wir darauf hingewiesen, dass das „Pre-Crash-Sicherheitssystem“ nicht in jeder Situation in der Lage ist, Kollisionen zu verhindern oder kollisionsbedingte Beschädigungen zu reduzieren bzw. die Effektivität „unter verschiedenen Umständen“ beeinträchtigt sein kann, weshalb das System nicht in jedem Fall dieselbe Leistung erzielen kann (vgl. das Handbuch Seite 79f).

3.   Rechtliche Erwägungen:

3.1.  In der Sache:

3.1.1.  Gemäß § 18 Abs. 1 StVO 1960 in der im Hinblick auf den Tatzeitpunkt maßgeblichen Stammfassung hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

Schutzzweck des § 18 Abs. 1 StVO 1960 ist die Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Vermeidung von Auffahrunfällen.

Übertretungen dieser Bestimmung sind gemäß § 99 Abs. 3 StVO 1960 mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen.

3.1.2.  Nach der stRsp des VwGH muss ein Kfz-Lenker jedenfalls einen Abstand einhalten, der etwa der Länge des Reaktionsweges (Sekundenweges) entspricht, das sind in Metern drei Zehntel der Höhe der eingehaltenen Geschwindigkeit in km/h (zB VwGH vom 26. September 2008, 2008/02/0143, vom 31. März 2006, 2006/02/0040, sowie vom 18. Dezember 1997, 96/11/0035).

Der Beschwerdeführer hielt bei einer Fahrgeschwindigkeit von 132 km/h jedoch nur einen Abstand von 19,5 Metern bzw. einen zeitlichen Abstand von lediglich 0,54 Sekunden ein, somit nur knapp mehr als der Hälfte des nach der Rsp verlangten Sekundenabstands. Der objektive Tatbestand des § 18 Abs. 1 StVO 1960 ist somit erfüllt.

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Fahrassistenzsystem („Notbremsassistent“; „pre-crash-system“) war nach den Ausführungen des Sachverständigen schon im Hinblick auf die Fehleranfälligkeit nicht hinreichend geeignet sicherzustellen, dass bei dem eingehaltenen Abstand von lediglich 0,54 Sekunden jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird. Die Unterschreitung des „Sekundenabstands“ war daher nicht gerechtfertigt (vgl. in diesem Zusammenhang auch § 3 Abs. 2 der Automatisiertes Fahren Verordnung, BGBl. II Nr. 402/2016 idgF, wonach der Lenker Assistenzsystemen zB iSd § 11 dieser Verordnung bestimmte Fahraufgaben zwar übertragen darf, aber stets verantwortlich bleibt, seine Fahraufgaben wieder zu übernehmen; vgl. auch § 11 Abs. 5 dieser Verordnung, wonach der Lenker in „kritischen Situationen“ nach unverzüglicher Betätigung der das System deaktivierenden oder übersteuernden Notfallvorrichtung die übertragenen Fahraufgaben übernehmen muss).

Im Zusammenhang mit Ungehorsamsdelikten iSd § 5 Abs. 1 VStG, bei welchen gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. von vornherein die Vermutung des Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens) besteht, ist es Sache des Beschuldigten, glaubhaft zu machen, dass ihn an der Begehung der Verwaltungsübertretung kein Verschulden traf und initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht (vgl. VwGH vom 11. Jänner 2018, Ra 2017/11/0152). Es ist nicht glaubhaft gemacht worden und auch sonst nicht hervorgekommen, dass die beschwerdeführende Partei kein Verschulden trifft.

Die Beschwerde ist daher dem Grunde nach abzuweisen.

3.1.3.  Zur Strafhöhe:

Grundlage für die Bemessung der Strafe sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat (§ 19 Abs. 1 VStG). Weiters sind gemäß § 19 Abs. 2 VStG im ordentlichen Verfahren die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, das Ausmaß des Verschuldens sowie die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen.

Das durch § 18 Abs. 1 StVO 1960 geschützte Rechtsgut ist die Verkehrssicherheit, der im Rahmen der StVO 1960 eine zentrale Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Intensität der Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit ist anzumerken, dass im vorliegenden Fall ein zeitlicher Sicherheitsabstand von lediglich 0,54 Sekunden eingehalten wurde und bereits ab einer Unterschreitung von 0,4 Sekunden eine qualifizierte Begehung nach § 99 Abs. 2c Z. 4 StVO 1960 vorliegt. Die Tathandlung stellt daher eine erhebliche Beeinträchtigung dar.

Gegen den Beschwerdeführer liegt eine Vormerkung wegen einer Geschwindigkeitsübertretung vor. Er verfügt über ein Einkommen von 1.400,-- Euro monatlich.

Nach dem Vorgesagten bestehen gegen die von der belangten Behörde verhängte Geldstrafe (und die Ersatzfreiheitsstrafe) keine Bedenken, ist doch nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Strafbemessung, die vom Gedanken getragen ist, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften durch Verhängung einschneidender und im Wiederholungsfall entsprechend erhöhter Strafen zu erzwingen, nicht als rechtswidrig zu erkennen (VwGH vom 25. Februar 2002, 2001/04/0203).

Eine Herabsetzung der Strafe kommt nicht in Betracht, weil nicht nur auf die beschwerdeführende Partei selbst spezialpräventiv eingewirkt werden soll, sondern durch Strafen auch andere Normadressaten von der Begehung gleich gelagerter strafbarer Handlungen abgehalten werden sollen („Generalprävention“; zur Zulässigkeit der Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Überlegungen bei der Strafzumessung zB VwGH vom 24. November 2008, 2006/05/0113).

Das tatbildmäßige Verhalten des Beschwerdeführers blieb im vorliegenden Fall keineswegs hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurück, sondern verwirklichte genau diese. Es kann daher auch nicht von einem „geringen Verschulden“ im Sinn von § 45 Abs. 1 Z 4 und § 33a Abs. 1 VStG gesprochen werden (vgl. dazu VwGH 13. August 2019, Ra 2019/03/0068). Schon deshalb kamen eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG oder ein Vorgehen nach § 33a VStG nicht infrage.

3.2.  Zum Kostenausspruch:

Gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG ist in jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat; dieser Beitrag ist für das Beschwerdeverfahren mit 20% der verhängten Geldstrafe, mindestens jedoch mit zehn Euro zu bemessen.

3.3.  Zur Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, da sich die Entscheidung auf die zitierte und einheitliche Rechtsprechung bzw. die klare und eindeutige Rechtslage stützt (zur Unzulässigkeit der Revision bei klarer Rechtslage zB VwGH vom 15. Mai 2019, Ro 2019/01/0006). Nicht revisibel sind im Regelfall auch die hier sonst vorliegenden Fragen der Beweiswürdigung (zB VwGH vom 14. März 2019, Ra 2019/18/0068) und der Strafbemessung (zB VwGH vom 22. Februar 2018, Ra 2017/09/0050).

Schlagworte

Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Abstandsmessung; Hintereinanderfahren; Ungehorsamsdelikt;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.985.001.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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