Entscheidungsdatum
25.11.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W279 1410915-3/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
A)
1. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter betreffend das mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.11.2011, Zl. C2 410915-1/2010/15E, rechtskräftig abgeschlossene Verfahren betreffend XXXX , geb. XXXX .1976, StA. Afghanistan, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2020, von Amts wegen:
Das mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.11.2011, Zl. C2 410915-1/2010/15E, rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 VwGVG von Amts wegen wiederaufgenommen.
2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .1976, StA. Afghanistan gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.12.2009, Zl 09 10.096-BAG, zu Recht:
I. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen. Es wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG unzulässig ist.
II. Betreffend Spruchpunkt III. wird das Verfahren gem. § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
III. Der Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 07.09.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 19.12.2009, Zahl 09 10.796-BAG, den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies ihn gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.).
3. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes brachte der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.
4. Am 27.10.2011 fand vor dem Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er seine Religion gewechselt habe und am 28.08.2011 getauft worden sei. Er gehe jeden Samstag zur Kirche, lade christliche Lieder aus dem Internet herunter und spiele diese Lieder im Gottesdienst vor. Zudem habe er ein christliches Buch namens „Ziel des Lebens“ gelesen. Er legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Bestätigung einer freikirchlichen Gemeinde sowie eine Taufbestätigung vor.
5. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.11.2011, Zl. C2 410915-1/2010/15E, wurde der Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Spruchpunkte II. und III. des bekämpften Bescheides vom 19.12.2009, FZ. 09 10.796-BAG, wurden ersatzlos behoben.
Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zum Christentum konvertiert sei und diese Religion auch ausübe. Die Konversion des Beschwerdeführers zum christlichen Glauben ergebe sich aus der vorgelegten Bestätigung und dem Taufzeugnis, nach denen der Beschwerdeführer einerseits getauft sei und andererseits aktiv am Gemeindeleben der betreffenden christlichen Gemeinschaft teilnehme. Es bestehe für den Asylgerichtshof kein Grund davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer unmittelbar nach der erfolgten Taufe bereits wieder vom Christentum distanziert habe bzw. diesen nicht mehr öffentlich ausübe. Aufgrund seiner Konversion drohe dem Beschwerdeführer in Afghanistan private und staatliche Verfolgung. Es komme dem Beschwerdeführer weder staatlicher Schutz noch eine innerstaatliche Fluchtalternative zu. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Konvertiten entweder von dritter Seite oder von staatlicher Seite verfolgt werden würden. Zudem drohe auch nach den Erkenntnissen des UNHCR landesweit die Todesstrafe für Konversion. Für afghanische Christen gebe es keine Möglichkeit der offenen Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens.
6. Am 18.09.2019 erging vom Landesgericht XXXX eine Verständigung an das BFA bezüglich einer rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG.
7. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen Schlepperei im Jahr 2019 und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.
8. Am 22.10.2019 wurde der Beschwerdeführer vom BFA einvernommen und zu seinem christlichen Glauben befragt.
Er brachte vor, dass er der Volksgruppe der Paschtunen angehöre und nunmehr ohne Glaubensbekenntnis sei. Er sei Mitglied einer evangelisch-freikirchlichen Kirche in XXXX gewesen und damals auch getauft worden. Nunmehr gehöre er keiner Glaubensgemeinschaft mehr an. Befragt, seit wann er nicht mehr bei der Glaubensgemeinschaft sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er ein Jahr nach seiner Taufe aufgrund seiner Ausbildung keine Zeit mehr gehabt habe, um in die Kirche zu gehen. Auf Nachfrage, weshalb er im Jahr 2011 zum Christentum konvertiert sei, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass das Christentum im Gegensatz zum Islam keine strengen Grundsätze habe und er gerne Zeit mit anderen Christen verbracht habe. Im Christentum könne der Mensch im Gegensatz zum Islam seine Freiheiten ausleben. Auf die Frage, weshalb er dennoch nicht beim christlichen Glauben geblieben sei, erklärte der Beschwerdeführer, dass er nicht aus der Kirche ausgetreten sei, aber die Gottesdienste nicht mehr besuche. Man könne auch gläubig sein und an Gott glauben, wenn man kein Mitglied einer Glaubensgemeinschaft sei. Zur Frage, ob er mit seinen Freunden über seine Einstellung zur Religion spreche, replizierte der Beschwerdeführer, dass er das Gespräch mit Freunden beende, wenn er merke, dass ein bestimmtes Thema nicht angebracht sei.
Zu seinen persönlichen Umständen in Österreich befragt, führte der Beschwerdeführer an, dass er von seiner in Afghanistan lebenden Ehefrau getrennt sei, da diese aufgrund seines Abfalles vom Glauben nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. Er habe mit einer in Deutschland lebenden Asylberechtigten eine Tochter, ein gemeinsamer Haushalt bestehe nicht. Derzeit lebe er mit einem afghanischen Freund zusammen. Die Frage, ob er in Österreich Familienangehörige habe, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Die Frage, ob er Mitglied in einem Verein sei, wurde vom Beschwerdeführer ebenfalls verneint. Er habe in Österreich bereits als Berufskraftfahrer gearbeitet und beziehe nach seiner Haftentlassung derzeit Arbeitslosengeld.
In Afghanistan würden noch mehrere Onkel und Tanten leben, zu denen er jedoch keinen Kontakt habe. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer Design in einer Berufsschule erlernt und Teppichmuster entworfen. Befragt, welche Bindungen noch zu seinem Herkunftsstaat bestehen würden, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er lediglich mit Cousins auf Facebook befreundet sei. Im Jahr 2017 sei er in den Iran gereist, um seine Mutter und Schwester zu besuchen, die nunmehr in der Türkei aufhältig seien.
9. Mit Schreiben vom 11.11.2019 beantragte das Bundesamt beim BVwG die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 17.11.2011, Zl. C2 410915-1/2010/15E, abgeschlossenen Verfahrens.
Begründend wurde dazu vorgebracht, dass sich in der Einvernahme am 22.10.2019 herausgestellt habe, dass der Beschwerdeführer nicht aus tiefster innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. So habe er auf die Frage nach seinem Glaubensbekenntnis angegeben, ohne Bekenntnis zu sein und schon ein Jahr nach seiner Taufe durch die evangelisch-freikirchliche Gemeinschaft XXXX am 28.08.2011 nicht mehr am religiösen Leben teilgenommen zu haben. Als Grund dafür habe er angegeben, wegen seiner Ausbildung und Arbeit keine Zeit mehr gehabt zu haben, die Kirche zu besuchen. Dies erscheine dem BFA kein Zeichen für eine tiefe innere Zuwendung zum christlichen Glauben zu sein. Wenn ein religiöser Mensch ein tiefes Bedürfnis habe, seinen Glauben auszuüben und eine Kirche aufzusuchen, werde diesen der Umstand, dass er einer Erwerbstätigkeit nachgehe oder eine Ausbildung absolviere, nicht davon abhalten. Auf die Frage, warum er denn konvertiert sei, habe der Beschwerdeführer vage und unsubstantiiert angegeben, dass das Christentum nicht streng sei und ihm die Wochenenden mit Christen gutgetan hätten. Für das Bundesamt sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer damals aus tiefster innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, da er einerseits seine Beweggründe dafür nicht überzeugend darlegen habe können und andererseits bereits ein Jahr nach seiner Taufe im August 2011 sein Interesse am christlichen Glauben erloschen sei. Das BFA habe sich trotz Nachfragens kein schlüssiges Bild machen können, ob der Beschwerdeführer ein Glaubensbekenntnis habe bzw. wie sich seine behauptete christlich-religiöse Überzeugung in seinem Alltag wiederspiegele, da sich seine diesbezüglichen Antworten als völlig widersprüchlich dargestellt hätten: So habe er einerseits behauptet, ohne Glaubensbekenntnis zu sein und keiner Glaubensgemeinschaft mehr anzugehören, andererseits aber, nie aus der Kirche ausgetreten zu sein, sondern nur mehr keine Gottesdienste mehr zu besuchen. Die Frage, ob er sich als Christ bezeichnen würde, habe der Beschwerdeführer ausweichend mit der Feststellung beantwortet, man könne auch gläubig sein und an Gott glauben, wenn man sich keiner Kirche anschließe. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, seine schwerwiegende Straffälligkeit sowie der von ihm gewonnene Eindruck in der Einvernahme würden zeigen, dass der christliche Glauben keineswegs tief in ihm verwurzelt und Bestandteil seiner Identität geworden sei. Vielmehr habe sich dieser als ein an jeglicher Glaubensrichtung gänzlich uninteressierter junger Mensch präsentiert. Der Beschwerdeführer habe zudem nicht beschreiben können, was seine Beweggründe für seine damalige Konversion zum Christentum gewesen seien und was das Sinnstiftende am christlichen Glauben sei. Aufgrund des dargelegten Sachverhalts stehe fest, dass der christliche Glaube im Falle des BF kein Bestandteil seines Lebens gewesen sei bzw. er nicht aus tiefster innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei und demnach eine Scheinkonversion zum Zweck der Erlangung des Asylstatus vorliege.
Im gegenständlichen Fall sei der Status des Asylberechtigten vom Fremden dadurch erschlichen worden, dass er beim Asylgerichtshof vorgegeben habe, den christlichen Glauben aus tiefster innerer Überzeugung angenommen zu haben. Dies sei aber in der bewussten Absicht geschehen, nach einem negativen Asylbescheid nun ein für ihn positives Ergebnis des Verfahrens zu erlangen. Mit der Taufe und seinen Angaben habe er eine tiefe innere und anhaltende Zuwendung zum christlichen Glauben vorgetäuscht. Somit stehe fest, dass die Entscheidung des Asylgerichtshofes durch die falsche Darstellung einer Konversion zum Christentum erschlichen worden sei. Die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers werde zudem auch massiv erschüttert, dass er bei der Einvernahme in gegenständlicher Sache nicht mehr den vor dem Bundesasylamt 2009 behaupteten Fluchtgrund angegeben habe, sondern einen völlig anderen. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof habe er wiederum als Fluchtgrund ausschließlich nur mehr die Konversion zum Christentum angegeben und den im damaligen Verfahren vor dem Bundesasylamt behaupteten Fluchtgrund überhaupt nicht mehr erwähnt.
10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.05.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Er habe vor vier Jahren seine Frau kennengelernt, mit der er eine Tochter habe und die in Deutschland lebe. Zu seinem Gesundheitszustand befragt, führte der Beschwerdeführer an, dass er nach einer Operation am Gehirn aufgrund eines Arbeitsunfalles im Jahr 2017 seinen Geruchssinn verloren habe und an einem Ohr einen Klang höre. Nunmehr müsse er nur mehr zwei verschiedene Tablettenarten einnehmen. Er sei Berufskraftfahrer gewesen, könne seit zwei Jahren jedoch nicht mehr arbeiten.
Zum Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan gekämpft habe und im Zuge dessen mehrere Zehen verloren habe. Zur Frage, welche Schulen er besucht habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er in Afghanistan 11 Jahre die Schule besucht habe und in Österreich Deutschkurse und Berufskraftfahrerkurse besucht habe. Er sei unzufrieden, dass er aufgrund seiner Unfälle derzeit seiner Beschäftigung nicht mehr nachgehen könne. Er sei nun wieder berufsfähig, müsse jedoch seine Berufskraftfahrerbewilligung erneuern, seinen Führerschein sowie seinen Reisepass verlängern und könne sich nicht mehr in lauten Räumen aufhalten, da er durch verschiedene Laute sehr nervös werde. Befragt, ob er sich darum bemüht habe, eine neue Erwerbstätigkeit aufzunehmen, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er gerne wieder als LKW-Fahrer tätig sein wolle. Nachgefragt, welche anderen Berufe er noch ausgeübt habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er ein Jahr als Zimmerer tätig gewesen sei, aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen jedoch nicht lange auf dem Dach bleiben habe können. In Afghanistan sei er Designer bzw. Künstler gewesen, der Kaminöfen hergestellt habe.
Auf die Frage, welche Religionszugehörigkeit er nunmehr habe, replizierte der Beschwerdeführer, dass er an Gott und Jesus glaube. Für Mohammed interessierte er sich nicht. Den Begriff „Dreifaltigkeit“ kenne er nicht. Befragt, ob er derzeit Messen oder Kirchen besuche, führte der Beschwerdeführer aus, dass er nur gehe, wann er wolle, da er sich einer Religion nicht verpflichtet fühlen wolle. Er sei vor der Coronakrise in eine Kirche in Bayern gegangen, kenne jedoch den genauen Namen dieser Kirche nicht. Martin Luther King habe seiner Ansicht nach vor 500 Jahren die evangelische Kirche ins Leben gerufen. Der Beschwerdeführer brachte überdies vor, dass er zur Zeit des Alten Testaments kein Internet gegeben habe und im Neuen Testament niemand zu einem bestimmten Glauben gezwungen werde. Er sei in Österreich wegen Schlepperei inhaftiert gewesen, ansonsten habe er keine Straftaten begangen. Der Beschwerdeführer gab auf die Frage, ob er Kirchensteuer zahle, an, dass ihm niemand mitgeteilt habe, dass er Kirchensteuern zahlen müsse. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde ihn die Familie seiner Exfrau finden und auch töten, da er eine Schande für die Familie darstelle.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer ein Führerschein, eine Samaritercard, eine Fahrerkarte, ein Sachverständigengutachten vom 03.02.2020 mit dem Ergebnis: hirnorganisches Psychosyndrom (neurologische Ausfälle nicht vorhanden), zweimal epileptische Anfälle mit konsekutiven Stürzen, letzter Anfall am 13.04.2018, hochgradige Schwerhörigkeit rechts, Verluste der Zehen I-III., ein Prüfungszeugnis der Wirtschaftskammer Salzburg vom 31.03.2017 über eine nicht bestandene Lehrabschlussprüfung, eine Bestätigung des bfi vom 04.07.2015 über den Besuch des Kurses „Berufskraftfahrer/in Güter und Personenbeförderung“ vom 14.03.2015 bis 04.07.2015, eine Bestätigung des bfi vom 06.02.2016 über den Besuch des Kurses „Berufskraftfahrer/in Güter und Personenbeförderung“ vom 19.09.2015 bis 06.02.2016, eine Bestätigung des bfi vom 14.11.2015 über eine Weiterqualifikation LenkerInnenschulungen (Sensibilisierung in Bezug auf Risiken des Straßenverkehrs und Arbeitsunfälle, Kenntnis des wirtschaftlichen Umfelds des Personenkraftverkehrs und der Marktordnung), eine Bescheinigung des Roten Kreuzes vom 12.02.2015 über den Besuch eines Erste-Hilfe Kurses, eine Bestätigung des bfi vom 09.01.2016 über eine Weiterqualifikation LenkerInnenschulungen (Fähigkeit zur Gewährleistung der Sicherheit und des Komforts der Fahrgäste, Kenntnis der Vorschriften für den Güterverkehr), eine Bestätigung des bfi vom 20.10.2014 über die Teilnahme am AMS-Lehrgang „LAP Aufstieg offen“ mit Beginn am 27.10.2014, ein Bescheid der Wirtschaftskammer Salzburg vom 28.11.2016 über die Zulassung als Berufskraftfahrer-Güterbeförderung, eine Bestätigung des bfi vom 30.01.2015 über den Besuch des Kurses Aufstieg offen von 27.10.2014 bis 30.01.2015, ein Rahmenlehrplan des bfi „Aufstieg LAP offen“ von 27.10.2014 bis 30.01.2015, eine Bestätigung des bfi vom 24.10.2014 über den Besuch des „Deutsch Crashkurses für Aufstieg LAP offen“ von 22.09.2014 bis zum 24.10.2014, eine Kursbestätigung einer Bauakademie vom 16.07.2012 über die Absolvierung der Ausbildungsvorbereitung „Bau zum Schalungsbauhelfer“ vom 04-29.06.2012, ein Schreiben des Landes Salzburg vom 10.10.2018 und eine Information der Wirtschaftskammer Salzburg vom 04.04.2017 über die Möglichkeit einer Wiederholungsprüfung in Vorlage gebracht.
11. Mit Stellungnahme vom 10.06.2020 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers ausgeführt, dass sich die aktuelle Situation in Afghanistan aufgrund der Coronaviruspandemie noch verschlechtert habe und ein Kollaps des Gesundheits-und Wirtschaftssystems zu erwarten sei. Aufgrund des aktuellen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers müsse damit gerechnet werden, dass er eine regelmäßige ärztliche Untersuchung benötige, die bereits vor der Coronaviruspandemie in Afghanistan sehr eingeschränkt gewährleistet gewesen sei. Aufgrund seiner Erkrankungen-diabetes-mellitus- erfülle er das Profil eines Coronavirus Risikopatienten. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor Christ, habe aufgrund seines Unfalles aber erhebliche neurologische Defizite. Beantragt wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Stellungnahme wurde ein negativer Bescheid über die Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. einer festgestellten Behinderung in Höhe von 40 Prozent übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stammt aus Herat. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und hat in Afghanistan 11 Jahre die Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan familiäre Anknüpfungspunkte in Form mehrere Tanten und Onkeln, hat zu diesen jedoch keinen Kontakt mehr. Sein Vater war im Herkunftsstaat als LKW- Fahrer tätig. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan Teppichmuster entworfen.
Der Beschwerdeführer lebt seit seinem Asylantrag am 07.09.2009 durchgehend in Österreich.
1.2. Er wurde im Jahr 2016 als Berufskraftfahrer zugelassen, hat mehrere LenkerInnenschulungen, einen AMS-Lehrgang und einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Er hat in Österreich Deutschkurse besucht und spricht durchschnittlich Deutsch. Der Beschwerdeführer war von 08.02.2013-31.03.2013 sowie von 17.05.2013-31.05.2013 geringfügig beschäftigter Arbeiter. Der Beschwerdeführer war vom 13.05.2013-19.12.2013 sowie vom 04.02.2014-10.04.2014 als Arbeiter bei einer XXXX beschäftigt und vom 01.08.2016-31.03.2017 als Arbeiter bei einem Transportunternehmen tätig. Vom 10.04.2017-30.09.2017 war er als Angestellter bei der XXXX GmbH beschäftigt. Von 18.09.2017-25.09.2017 war er bei einem Transportunternehmen tätig, vom 22.11.2017-31.12.2017 als Arbeiter bei der XXXX GES.M.B.H. beschäftigt und von 01.01.2018-31.05.2018 im Bereich des Lebensmittelhandels tätig.
1.3. Der Beschwerdeführer hatte im Dezember 2017 einen Arbeitsunfall, erlitt einen Schädelbasisbruch rechts, ein Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnblutung sowie einen Bruch des linken Schlüsselbeines und hatte am 07.04.2018 eine Operation aufgrund eines Subduralhämatoms. Er bezog vom 01.10.2018-31.12.2019 einen Versehrtenrentenbezug als Schwerstversehrter, von 07.04.2018-30.09.2018 eine Vollrente und vom 01.02.2018-06.04.2018 eine Unfallrente kleiner als 50 Prozent. Zudem wurden ihm drei Zehen amputiert und er leidet an Diabetes mellitus II.
Der Beschwerdeführer ist nunmehr zu 40 Prozent behindert und wieder erwerbsfähig, er kann trotz Funktionsbeeinträchtigung in einem integrativen Betrieb einer Erwerbstätigkeit (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) nachgehen. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner Beschäftigung nach.
Der Beschwerdeführer wurde am 28.08.2011 in der evangelischen freikirchlichen Pfarre in XXXX getauft.
1.4. Mit Urteil des LG XXXX vom 18.09.2019 wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 114 (1), 114 (3) Z 1 FPG zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Davon wurden 12 Monate für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
1.5. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer hat eine Tochter, die in Deutschland wohnhaft ist. Seine Mutter und seine Schwester sind in der Türkei aufhältig, zwei Brüder und eine Schwester sind als Asylberechtigte in Deutschland wohnhaft.
1.6. Dem Verfahren wird nicht zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan konkret bedroht und verfolgt worden ist bzw. im Falle einer Rückkehr wäre.
1.7. Es wird festgestellt, dass beim Beschwerdeführer keine innere Hinwendung zum christlichen Glauben vorliegt und nie vorgelegen ist. Der Beschwerdeführer ist nur zum Schein zum Zwecke der Erlangung von Asyl zum christlichen Glauben konvertiert.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19:
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).
In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).
Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).
Quellen:
AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020
AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020
AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020
GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020
HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020
JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020
RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.
TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020
TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020
UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020
WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020
WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020
XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020
Stand: 18.5.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
• Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
• Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
Quellen:
• AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020
• ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.
• BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020
• DW – Deutsche Welle (22.4.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173, Zugriff 23.4.2020
• IOM AUT – International Organization for Migration in Austria (27.3.2020): Antwortschreiben per E-Mail.
• IOM KBL – International Organization for Migration Kabul Chapter (13.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail.
• IOM – International Organization for Migration (11.5.2020): Return of Undocumented Afghans - Weekly Situation Report (03-09 May 2020), https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/iom_afghanistan-return_of_undocumented_afghans-_situation_report_03-09_may_2020.pdf, Zugriff 13.5.2020
• NYT – New York Times (22.4.2020): Afghanistan’s Next War, https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/22/magazine/afghanistan-coronavirus.html?searchResultPosition=3, Zugriff 24.4.2020
• NZZ – Neue Züricher Zeitung (7.4.2020): Die Taliban, dein Freund und Helfer, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-betreiben-corona-praevention-ld.1550115, Zugriff 9.4.2020
• TG – The Guardian (1.4.2020): 'No profit, no food': lockdown in Kabul prompts hunger fears, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/no-profit-no-food-lockdown-in-kabul-prompts-hunger-fears, Zugriff 2.4.2020
• TG – The Guardian (1.4.2020a): Afghanistan braces for coronavirus surge as migrants pour back from Iran, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/afghanistan-braces-for-coronavirus-surge-as-migrants-pour-back-from-iran, Zugriff 2.4.2020
• TN – Tolonews (9.4.2020): 40 New COVID-19 Cases in Afghanistan, Total 484, https://tolonews.com/health/40-new-covid-19-cases-afghanistan-total-484, Zugriff 9.4.2020
• TN – Tolonews (9.4.2020a): Andarabi: All Kabul Roads Will be Blocked, https://tolonews.com/afghanistan/andarabi-all-kabul-roads-will-be-blocked, Zugriff 9.4.2020
• TN – Tolonews (8.4.2020): Only '300' Ventilators in Afghanistan to Treat COVID-19: MoPH, https://tolonews.com/index.php/afghanistan/only-300-ventilators-afghanistan-treat-covid-19-moph, Zugriff 9.4.2020
• TN – Tolonews (8.4.2020a): Kabul Clinic Shut Down After Doctor Dies from COVID-19, https://tolonews.com/index.php/health/amiri-medical-complex%E2%80%99s-activities-suspended-health-ministry, Zugriff 9.4.2020
• TN – Tolonews (7.4.2020): Number of COVID-19 Cases in Afghanistan: 367, https://tolonews.com/health/number-covid-19-cases-afghanistan-367, Zugriff 8.4.2020
• TN – Tolonews (7.4.2020a): Coronavirus Testing Lab Opens in Kandahar: Officials, https://tolonews.com/health/coronavirus-testing-lab-opens-kandahar-officials, Zugriff 8.4.2020
• TN – Tolonews (7.4.2020b): 41 Health Workers Test Positive for Coronavirus in Herat, https://tolonews.com/afghanistan/41-health-workers-test-positive-coronavirus-herat, Zugriff 8.4.2020
• UD – Undark (2.4.2020): With Taliban Help, Afghanistan Girds for a Virus, https://undark.org/2020/04/02/afghanistan-covid-19/, Zugriff 8.4.2020
• WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.
• WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.4.2020
Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer „inklusiven“ zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban
beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere „wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als „Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als „ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der
Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).
Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).
Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von „mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte“ für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich „Sicherheitselemente“ um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als „Polytheisten“ bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom „zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern“. Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es „sehr wahrscheinlich“, dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf
- Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,
https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-
4422023.html, Zugriff 3.6.2019
- IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019): Press
Declaration 24/2/1398,
https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,
Zugriff 4.6.2019
- IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results, http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2. Zugriff
4.6.2019
- LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul, https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs- bus-security-personnel-in-western-kabul.php. Zugriff 3.6.2019
- Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters
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