TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/4 I419 2231512-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2020
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Entscheidungsdatum

04.12.2020

Norm

AlVG §10 Abs1
AlVG §10 Abs3
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §14 Abs1
VwGVG §15 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2231512-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Marc Deiser und Thomas Geiger MBA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des AMS Schwaz vom 10.03.2020, Zl. XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 14.05.2020, Zl. XXXX , und Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung abgeändert, sodass diese lautet:

„Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem bekämpften Bescheid sprach das AMS aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe für 01.02.2020 bis 13.03.2020 verloren habe, wobei dieser Zeitraum sich um jene Zeiten verlängere, während derer Krankengeld bezogen wurde. Diese habe eine Arbeitsaufnahme im Hotel K. mit möglichem Arbeitsantritt am 01.02.2020 ohne triftigen Grund vereitelt. Gründe für eine Nachsicht seien nicht zu berücksichtigen.

2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, dass im Bewerbungsgespräch Thema gewesen sei, da die Beschwerdeführerin über keine Vorkenntnisse aus dem Hotelwesen und Rezeptionsbereich verfüge. Man habe ihr mitgeteilt, dass es sich aufgrund ihres nichtvorhandenen Zehnfinger-Schreibsystems schwierig gestalten würde, Korrespondenzen zeitnah abzuwickeln und man nicht Zeit habe, um sich stundenlang mit ihrer Einarbeitung zu beschäftigen.

Im Rahmen des Gesprächs habe die Beschwerdeführerin auch nach einer Alternativstelle im Hotel gefragt. Es sei ihr versprochen worden, man wolle mit dem Chef reden und sie telefonisch kontaktieren, was aber nicht erfolgt sei.

3. Mittels Beschwerdevorentscheidung wies das AMS die Beschwerde ab. Die Beschwerdeführerin habe im Vorstellungsgespräch den Wunsch nach Teilzeitarbeit geäußert, dem mit einem Teilzeitmodell entsprochen worden wäre, aber zudem erklärt, dass sie am Wochenende nicht arbeiten wolle, da sie ihren Gatten, der auswärts arbeite, nur am Wochenende sehen könne. Darauf sei eine Anstellung nicht zustande gekommen.

4. Im Vorlageantrag ergänzte die Beschwerdeführerin, sie habe eine am 14.02. für 20.04.2020 zugesagte Stelle als Rezeptionistin bei der H. GmbH pandemiebedingt nicht antreten können.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt, wie in I. wiedergegeben. Außerdem wird festgestellt:

1.1 Die Beschwerdeführerin ist Ende 50 sowie Optikerin mit Meisterprüfung, und war zuletzt bis Februar 2018 als solche im Außendienst für die R. GmbH tätig, danach 2019 einen Tag in einem sozialökonomischen Betrieb sowie acht Tage als Arbeiterin an der Kassa einer Bergbahn. Sie bezog (addiert) 2018 für 249 Tage Arbeitslosengeld, 2019 für 236 Tage bis 14.08., danach mit Unterbrechungen Notstandshilfe.

In der Betreuungsvereinbarung vom 22.01.2020 ist festgehalten, dass ihre Vermittlung altersbedingt erschwert ist, wobei das AMS sie bei der Suche nach einer Stelle als Außendienstmitarbeiterin für Optik (Brillenglas/Kontaktlinsen) in Westosterreich oder als Optikerin/Optikermeisterin unterstütze, aber auch entsprechend den Notstandshilferichtlinien nach Absprache, und der gewünschte Arbeitsplatz im Wohnbezirk oder einem von zwei genannten angrenzenden Bezirken liegen solle. Als Arbeitsausmaß ist „Vollzeit“ angegeben, betreffend die Erreichbarkeit, dass der Beschwerdeführerin ein PKW oder eine andere Möglichkeit zur Verfügung stehe. Im Aktenvermerk zum Gespräch ist präzisiert, dass sie über einen Privat-Pkw und den Führerschein B sowie die ECDL (den sog. „Europäischen Computerführerschein“) verfügt.

1.2 Am selben Tag wies das AMS ihr eine Stelle als Rezeptionistin ab sofort bei der „Hotel K.“ KG in der Nachbargemeinde im Zillertal zu, etwa 4 km oder 10 Autominuten entfernt von ihrer Wohnung. Als Entlohnung wurden € 1.831,37 brutto pro Monat auf Basis Vollzeitbeschäftigung geboten sowie Bereitschaft zur Überzahlung angekündigt. Betreffend die Arbeitszeit war angegeben:

„- Voll- oder Teilzeitstelle möglich – diverse Arbeitszeitmodelle möglich
- 5-Tage-Woche, freie Tage nach Vereinbarung“

Als Anforderungsprofil war genannt:

„- dementsprechende Ausbildung (MS Office Anwendungskenntnisse)
- Praxis von Vorteil aber nicht Bedingung, gerne lernen wir Sie an!“

Unter „Wir bieten“ war angeführt:

„- freie Verpflegung
- Arbeitszeit nach Absprache
- Jahresstelle“

1.3 Die Beschwerdeführerin bewarb sich und stellte sich am 27.01.2020 im Betrieb vor, wobei sie die Zeugin B. und die Tochter V. des Betriebsinhabers traf. Besprochen wurden die Tätigkeit an der Rezeption sowie der Wunsch der Beschwerdeführerin, sie wolle nur in Teilzeit arbeiten, was die Zeugin schon damals ihr gegenüber als möglich bezeichnete.

Während die Beschwerdeführerin mit der Zeugin auf die Tochter V. wartete, unterhielten die beiden Frauen sich, wobei die Beschwerdeführerin erzählte, ihr Ehegatte sei unter der Woche viel unterwegs und nur am Wochenende zuhause. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin dabei oder später erklärt hätte, sie wolle deshalb nicht am Wochenende arbeiten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin sich generell gegen Wochenendarbeit ausgesprochen hätte und nicht nur ausdrückte, sie wolle nicht ausschließlich am Wochenende arbeiten.

1.4 Ein Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin mit der KG kam aus nicht feststellbaren Gründen nicht zustande. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin kausal dafür gewesen wäre.

1.5 Die Beschwerdeführerin bewarb sich kurz nach dem Gespräch auch auf eine zugleich zugewiesene Stelle bei der der H. GmbH. Diese wurde zwar mit einer anderen Person besetzt, aber am bereits am 14.02.2020 erhielt die Beschwerdeführerin eine Einstellungszusage dieser H. GmbH als Mitarbeiterin ab 20.04.2020 an der Rezeption eines Beherbergungsbetriebs in derselben Nachbargemeinde, wo sie dann ab 01.07. bis 09.10.2020 als Angestellte beschäftigt war.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Der Umstand des Bezuges der Notstandshilfe und der Rest des Verfahrensgangs ergeben sich aus dem Inhalt des Akts der belangten Behörde. Teil des Akts ist auch die mit der Beschwerdeführerin angefertigte Niederschrift.

2.2 Die weiteren Feststellungen ergaben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und der dazu durchgeführten Abfragen aus dem ZMR und dem Register der Sozialversicherungen, ferner betreffend die Rechtsträgerin des Hotels K. dem Firmenbuch und zur Entfernung des Arbeitsplatzes Google maps als Routenplaner.

2.3 In der Beschwerdeverhandlung wurden die Beschwerdeführerin und die genannte Zeugin B. einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab im Kern an, dass sie mit der Zeugin anfangs das „private Gespräch“ gehabt habe, in dem sie sich unterhalten und „einander ein wenig beschnuppert“ hätten. Sie hätten sich, da sie beide schon etwas älter seien, darüber unterhalten, dass es nicht leicht sei, eine Arbeit zu finden. Während sie so auf die „andere Dame“ (die Tochter V., Anm.) gewartet hätten, habe sie der Zeugin auch erzählt, ihr Mann sei unter der Woche viel unterwegs und nur am Wochenende zuhause.

Betreffend die Thematisierung der Arbeitszeiten gab die Beschwerdeführerin an, diese seien nicht das Hauptthema gewesen, weil die Dame von der Rezeption (die Tochter V.) bereits vorher betreffend ihre Qualifikation bemerkt habe, dass sie keine Zeit hätte, sie „stundenlang“ einzulernen. Ihr sei gesagt worden, dass wegen des Gästewechsels der Samstag wichtig sei. Nachgefragt, ob sie ausdrücklich gesagt habe, dass sie am Wochenende nicht arbeiten möchte, verneinte sie und gab an, sie habe gesagt, dass sie nicht nur am Wochenende arbeiten möchte.

2.4 Wie sich bei der Verhandlung ergab, führt die Zeugin eine Vielzahl von Bewerbungsgesprächen, wobei sie sich konkret an das Treffen mit der Beschwerdeführerin nur zum Teil erinnern konnte. So war sie sich anfangs nicht sicher, ob die Tochter V. dabei war, und wusste auch nicht mehr, wie lange sich die Beschwerdeführerin ungefähr bei ihr aufgehalten hat (S. 6). Sie wusste auch nicht mehr, ob das Hotel damals jemanden gesucht hat oder das AMS an sie herantrat. Die Zeugin konnte auch nicht angeben, ob sich auf die Stelle eher fünf oder eher zwei Personen beworben hatten und ob die Stelle tatsächlich besetzt wurde (S. 8).

Schließlich konnte die Zeugin, die angab, zusammen mit dem Betriebsleiter und dessen Tochter V., welche die Beschwerdeführerin hätte einschulen müssen, am nächsten Tag über die Bewerbung entschieden zu haben, nicht mehr angeben, warum die Anstellung nicht erfolgt ist, und erinnerte sich nicht, ob der Beschwerdeführerin überhaupt jemand abgesagt habe (S. 7).

2.5 Die Beschwerdeführerin war demgegenüber in einer nicht alltäglichen Situation, was sich positiv auf das Erinnerungsvermögen auswirkt. Sie gab auch nachvollziehbar an, dass sie davon ausgeht, die nötige Einschulung sei das Hindernis gewesen, welche dann bei dem Arbeitgeber H. soweit nötig erfolgt wäre, und nicht das Wochenende, an dem sie auch im Betrieb von H. gearbeitet habe.

2.6 Letztlich war damit nicht von der Hand zu weisen, dass es einleuchtend wäre, würde sie Betrieb K. wie behauptet lediglich erklärt haben, das sie nicht nur (d. h. ausschließlich) Wochenenddienste machen wolle, sodass die Feststellungen nicht so weit gehen konnten, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin kausal dafür gewesen wäre, dass diese nicht angestellt worden ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1 § 10 Abs. 1 AlVG legt fest, dass eine Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle des AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die auf diese Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert.

Gemäß § 38 AlVG sind die das Arbeitslosengeld betreffenden Bestimmungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, sinngemäß auf die Notstandshilfe anzuwenden.

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit dieser im angefochtenen Bescheid verhängten Sanktion ist, dass die zugewiesene Beschäftigung als zumutbar und auch sonst geeignet in Betracht kommt, der Arbeitslose ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, das Zustandekommen der Beschäftigung zu vereiteln, und dass dieses Verhalten kausal für das Nichtzustandekommen sowie vorsätzlich darauf gerichtet war.

3.2 Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann von Arbeitslosen - abgesehen von der ausdrücklichen Weigerung - auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten zunichtemacht, das nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen (VwGH 23.03.2015, Ro 2014/08/0023).

3.3 Ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, hängt zunächst davon ab, ob es für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zu bejahen, muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz genügt, nicht jedoch bloß fahrlässiges Handeln. (VwGH 23.03.2015, Ro 2014/08/0023 mwH)

3.4 Aus den Feststellungen ergibt sich, dass nicht klar ist warum die Beschwerdeführerin nicht angestellt wurde, und nicht feststellbar ist, dass deren Verhalten ursächlich dafür gewesen wäre. Damit fehlt der Nachweis der Kausalität als Voraussetzung der Sanktion des Verlusts der Notstandshilfe.

3.5 Nachdem die Kausalität nicht erwiesen werden konnte, sind die Voraussetzungen der in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Sanktion des Verlusts nicht erfüllt. Deshalb war der Beschwerde im Ergebnis stattzugeben, die Beschwerdevorentscheidung in diesem Sinn zu ändern und der angefochtene Bescheid zu beheben.

3.6 Nach § 10 Abs. 3 AlVG ist der Verlust des Anspruches in berücksichtigungswürdigen Fällen, z. B. bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen. Da der Verlust des Anspruches nach der vorliegenden Entscheidung nicht eintritt, braucht eine Nachsicht nicht geprüft zu werden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu Vereitelungshandlungen. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich anzusehen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Anspruchsverlust Arbeitsaufnahme Behebung der Entscheidung Beschwerdevorentscheidung ersatzlose Behebung Kassation Kausalität mündliche Verhandlung Notstandshilfe triftige Gründe Vereitelung Vorlageantrag zumutbare Beschäftigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2231512.1.00

Im RIS seit

31.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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