Entscheidungsdatum
15.01.2021Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W250 2206705-5/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1095096908/201139535 zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , StA. Tunesien (ungeklärt), in Schubhaft zu Recht:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung nicht verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 16.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 05.04.2018 vollinhaltlich abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in der Dauer von 8 Jahren erlassen. Dieser Bescheid blieb unbekämpft und erwuchs am 05.05.2018 in Rechtskraft.
2. Der BF wurde während des anhängigen Asylverfahrens in Österreich straffällig und zwei Mal rechtskräftig von einem Landesgericht verurteilt.
Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wurde der BF von 08.06.2018 bis 05.12.2018 zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft angehalten. Die Abschiebung konnte nicht effektuiert werden, da dem BF mangels seiner Mitwirkung kein Heimreisezertifkat ausgestellt wurde.
3. Nach Abschluss seines Asylverfahrens wurde der BF erneut straffällig und mit Beschluss eines Oberlandesgerichts vom 09.07.2019 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten rechtskräftig verurteilt.
Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wurde über den BF zur Sicherung der Abschiebung neuerlich Schubhaft angeordnet. Der BF wurde von 17.04.2020 bis 18.08.2020 in Schubhaft angehalten. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Erkenntnis vom 18.08.2020 gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG fest, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft nicht vorliegen. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt nicht absehbar war, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erfolgen werde.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.11.2020 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG 2005 iVm § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Seit 17.11.2020 wird der BF in Schubhaft angehalten.
5. Das Bundesamt legte am 01.03.2021 den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft vor. In der diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.02.2021 wird im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund neuer Erkenntnisse neuerlich Kontakt mit der tunesischen Botschaft trotz der bereits zuvor bestehenden Ablehnung aufgenommen worden sei. Unmittelbar nach Verhängung der aktuellen Schubhaft sei ein Verfahren mit Tunesien gestartet und regelmäßig urgiert worden. Erfahrungsgemäß sei im Falle von Tunesien mit einer Dauer von zirka 4 Monaten zu rechnen, bis es zu einer Rückmeldung betreffend die Identifizierung des Schubhäftlings komme. Im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der algerischen Vertretungsbehörde sei zuletzt am XXXX eine schriftliche Urgenz erfolgt. Das Bundesamt bemühe sich mit der algerischen Vertretungsbehörde einen Termin für ein Videointerview mit dem BF zu vereinbaren.
6. Am 07.03.2021 teilte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates XXXX eine negative Verbalnote der tunesischen Vertretungsbehörde eingelangt sei. Derzeit sei das Bundesamt bemüht, einen Termin mit der algerischen Botschaft zur Identifizierung des BF mittels Videointerview zu vereinbaren.
7. Nachdem das Bundesamt vom Bundesverwaltungsgericht zur Stellungnahme über die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung des BF innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer aufgefordert wurde, teilte das Bundesamt am 11.03.2021 mit, dass algerische Staatsangehörige weiterhin von den algerischen Behörden identifiziert und grundsätzlich Heimreisezertifikate ausgestellt werden. Vereinzelt komme es jedoch zu langanhaltenden Identifizierungsprozessen. Der BF sei schon einmal – und zwar am XXXX – von einer algerischen Expertendelegation interviewt worden und habe dabei nicht als algerischer Staatsangehöriger identifiziert werden können. Es sei die Vermutung geäußert worden, dass es sich beim BF um einen tunesischen Staatsangehörigen handle, seine Daten seien jedoch anschließend nach Algerien zur Überprüfung gesendet worden. Bis zum aktuellen Zeitpunkt habe das Bundesamt trotz mehrerer Urgenzen, zuletzt am XXXX , noch keine Informationen über den Identifizierungsstatus des BF erhalten. Es sei geplant den BF erneut einer algerischen Delegation zum Interview vorzuführen, über einen möglichen Termin würden derzeit Konsultationen mit der algerischen Botschaft geführt. Wann konkret dieser Termin stattfinden werde, sei auch aufgrund der COVID-19 Situation nicht absehbar.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.7.)
Der unter Punkt I.1. – I.7. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.
2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:
2.1. Der BF hat keine Dokumente vorgelegt, die seine Angaben zu seiner Person bescheinigen. Die Staatsangehörigkeit des BF ist ungeklärt, er verfügt über kein Reisedokument. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.
2.2. Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 05.04.2018 gegen den BF getroffene Rückkehrentscheidung ist am 05.05.2018 in Rechtskraft erwachsen. Der BF wurde von 08.06.2018 bis 05.12.2018 und von 17.04.2020 bis 18.08.2020 zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft angehalten. Seit 17.11.2020 wird der BF wiederum zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft angehalten. Die gesetzliche Frist zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft endet am 17.03.2021.
2.3. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF bei den Vertretungsbehörden von Ägypten, Libyen, Algerien und Marokko wurde vom Bundesamt erstmalig am XXXX eingeleitet. Diese Verfahren wurden negativ beendet.
2.4. Am XXXX wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF bei der Vertretungsbehörde Tunesiens eingeleitet. Am XXXX wurde dem Bundesamt von der tunesischen Vertretungsbehörde mitgeteilt, dass der BF nicht als tunesischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte. Am 01.03.2019 gelangte dem Bundesamt ein Sprachgutachten zur Kenntnis, aus welchem sich ergibt, dass die vom BF gesprochene Sprache in Übereinstimmung mit der arabischen Sprachgemeinschaft tunesischer Koine steht. Am XXXX wurde neuerlich ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der tunesischen Vertretungsbehörde eingeleitet. Das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde vom Bundesamt seit dem 16.04.2020 mehrfach urgiert. Ein Heimreisezertifikat wurde für den BF nicht ausgestellt, sondern die Ausstellung abgelehnt. Unmittelbar nach Anordnung der Schubhaft am 17.11.2020 wurde neuerlich ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der tunesischen Vertretungsbehörde eingeleitet. Am XXXX langte diesbezüglich eine negative Verbalnote beim Bundesamt ein.
2.5. Am XXXX wurde erneut ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der Vertretungsbehörde Algeriens eingeleitet. Am XXXX wurde der BF der algerischen Botschaft zur Identifizierung vorgeführt. Es wurde dem Bundesamt von der algerischen Vertretungsbehörde mitgeteilt, dass der BF nicht als algerischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte, eine Identitätsüberprüfung in Algerien sei erforderlich. Zuletzt wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates am XXXX bei der algerischen Vertretungsbehörde urgiert. Derzeit versucht das Bundesamt einen Termin für ein Videointerview zur Identifizierung des BF zu vereinbaren. Wann dieser Termin stattfindet ist – auch auf Grund der Einschränkungen wegen der COVID-19-Pandemie – nicht absehbar. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF durch die algerische Vertretungsbehörde innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer scheint zum Entscheidungszeitpunkt nicht wahrscheinlich.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die bisherigen Schubhaftverfahren des BF betreffend, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.
2.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, dem vorliegenden Gerichtsakt sowie den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die Schubhaftverfahren des BF betreffend.
2.2. Dass der BF bisher keine Dokumente vorgelegt hat, die seine Angaben zu seiner Identität bescheinigen, und er über kein Reisedokument verfügt, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere aus der vom Bundesamt am 24.02.2021 mit dem BF aufgenommenen Niederschrift. Dabei gab der BF an, dass er keine Dokumente habe. Da für den BF trotz Verfahren bei mehreren in Frage kommenden Herkunftsstaaten kein Heimreisezertifikat erlangt werden konnte und es bisher nicht möglich war, den BF zu identifizieren, konnte die Feststellung getroffen werden, dass die Staatsangehörigkeit des BF ungeklärt ist. Anhaltspunkte dafür, dass der BF österreichischer Staatsangehöriger ist, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. An der Volljährigkeit des BF besteht kein Zweifel und behauptet er selbst auch nicht, minderjährig zu sein. Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz rechtskräftig vollinhaltlich abgewiesen wurde, konnte die Feststellung getroffen werden, dass es sich beim BF weder um einen Asylberechtigten noch um einen subsidiär Schutzberechtigten handelt.
2.3. Die Feststellungen zu der in Rechtskraft erwachsenen Rückkehrentscheidung sowie den Zeiten, in denen der BF bisher in Schubhaft angehalten wurde, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt sowie aus dem in der Stellungnahme des Bundesamtes vom 27.02.2021 geschilderten Verfahrensgang.
2.4. Die Feststellungen zu den am XXXX eingeleiteten Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates beruhen auf dem Verwaltungsakt, insbesondere auf jenen Aktenteilen, die dem Bundesverwaltungsgericht im Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF im August 2020 vorgelegt wurden.
2.5. Die Feststellungen zu den bis zum 17.11.2020 mit Tunesien geführten Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF beruhen auf den in den bisherigen Schubhaftverfahren vom Bundesamt vorgelegten Verfahrensakten. Aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 27.02.2021 ergibt sich, dass unmittelbar nach der Anordnung der Schubhaft am 17.11.2020 ein weiteres Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der tunesischen Vertretungsbehörde eingeleitet worden ist. Dass diesbezüglich eine negative Verbalnote beim Bundesamt einlangte ergibt sich aus der Mitteilung des Bundesamtes vom 08.03.2021.
2.6. Die Feststellungen zum Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der algerischen Vertretungsbehörde vor dem 17.11.2020 beruhen auf den vom Bundesamt im Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf Grund der Anhaltung des BF in Schubhaft seit 17.04.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Aktenteilen. Dass unmittelbar nach Anordnung der Schubhaft am 17.11.2020 neuerlich ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der algerischen Vertretungsbehörde eingeleitet wurde, ergibt sich aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 27.02.2021. Dass das Bundesamt seither versucht, einen Termin für ein Videointerview zur Identifizierung des BF zu organisieren ergibt sich aus den Stellungnahmen des Bundesamtes vom 27.02.2021 sowie vom 11.03.2021.
Dass es nicht wahrscheinlich ist, ein Heimreisezertifikat für den BF innerhalb der verbleibenden höchstzulässigen Schubhaftdauer zu erlangen, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Im Entscheidungszeitpunkt wird ausschließlich mit der algerischen Vertretungsbehörde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF geführt. Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF bei den algerischen Behörden blieben seit dem Jahr 2018 erfolglos, selbst nach einem – im Jahr 2018 geführten – Interview wurde von der algerischen Vertretungsbehörde kein Heimreisezertifikat für den BF ausgestellt. Neuerliche Bemühungen einen Termin für die Einvernahme des BF durch die algerische Vertretungsbehörde zu erlangen, blieben nunmehr seit November 2020 trotz regelmäßiger Urgenzen durch das Bundesamt erfolglos. Das Bundesamt führt in der Stellungnahme vom 11.03.2021 selbst an, dass ein Interview-Termin – auch auf Grund der COVID-19-Pandemie – nicht absehbar ist.
Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch
3.1.1. Gesetzliche Grundlagen
Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
§ 80 FPG lautet:
„(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“
§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
3.1.2. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.
Der BF wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft angehalten, die diesbezügliche Rückkehrentscheidung ist am 05.05.2018 in Rechtskraft erwachsen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen (vgl. VwGH vom 12.01.2021, Ra 2020/21/0378).
Der BF wurde bereits von 08.06.2018 bis 05.12.2018 und von 17.04.2020 bis 18.08.2020 zur Sicherung der Abschiebung auf Grund der oben genannten Rückkehrentscheidung in Schubhaft angehalten. Gemäß § 80 Abs. 4 Z. 1 FPG darf der BF zwar 18 Monate in Schubhaft angehalten werden, da die Feststellung seiner Identität zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht möglich ist. Es sind jedoch gemäß § 80 Abs. 4 FPG sämtliche Zeiten, in denen der BF zur Sicherung der Abschiebung auf Grund der mit Bescheid des Bundesamtes vom 05.04.2018 erlassenen Rückkehrentscheidung in Schubhaft angehalten wurde, auf die Dauer der Anhaltung in Schubhaft seit 17.11.2020 anzurechnen (vgl. VwGH vom 19.11.2020, Ro 2020/21/0015). Da der BF im Entscheidungszeitpunkt insgesamt ca. 14 Monate wegen desselben Sachverhaltes – der Sicherung seiner Abschiebung auf Grund der Rückkehrentscheidung vom 05.04.2018 – in Schubhaft angehalten wurde, ist zu prüfen, ob seine Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer von weiteren vier Monaten realisierbar sein wird. Da es derzeit nicht wahrscheinlich ist, dass innerhalb dieser vier Monate ein Heimreisezertifikat für den BF erlangt werden kann, steht dieser Umstand der Aufrechterhaltung der Schubhaft entgegen.
Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nicht verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorliegen.
3.1.3. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage und der Stellungnahmen der belangten Behörde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.
3.2. Zu Spruchteil B. - Revision
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben, insbesondere folgt die Entscheidung der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Abschiebung Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Heimreisezertifikat Identität öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:2206705.5.00Im RIS seit
01.06.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021