Entscheidungsdatum
18.02.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W228 2117102-2/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX 1993, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2018,
Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 06.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.11.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass bereits sein Großvater für die Regierung gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer selbst sei Polizeibeamter gewesen. Zwei Onkel mütterlicherseits, die bei den Taliban seien, seien dagegen gewesen und hätten den Beschwerdeführer mit dem Auto überfahren. Er sei einen Monat lang im Koma gelegen. Sein Vater sei getötet worden.
Der Beschwerdeführer wurde am 04.01.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Kapisa stamme. Er sei im Distrikt Tagab geboren, sei jedoch als kleines Kind mit seiner Familie in den Distrikt Nijrab gezogen. Er führte weiters aus, dass sein Großvater Jurist in der Distriktverwaltung gewesen sei. Zwei Cousins der Mutter des Beschwerdeführers hätten Kontakt zu den Taliban gehabt und hätten gewollt, dass der Vater des Beschwerdeführers mit den Taliban zusammenarbeite und Informationen über die Regierung an sie weitergebe. Da der Vater dies nicht gewollt habe, sei die Familie, als der Beschwerdeführer noch klein gewesen sei, von Tagab nach Nijrab umgezogen. Als der Beschwerdeführer erwachsen geworden sei, hätten die Cousins seiner Mutter begonnen, den Vater des Beschwerdeführers zu bedrohen. Der Vater des Beschwerdeführers habe sich jedoch nach wie vor geweigert, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Als der Beschwerdeführer eines Tages mit dem Motorrad unterwegs gewesen sei, sei er von einem Auto angefahren worden. Einer der Cousins seiner Mutter sei am Steuer gesessen. Der Beschwerdeführer sei ins Koma gefallen. Nachdem er aus dem Spital entlassen worden sei, habe er die Schule beendet. Sein Vater habe ihm schließlich geraten, zur Polizei oder zur Regierung zu gehen. Der Beschwerdeführer sei schließlich als Polizist in der Logistik tätig gewesen. Dann sei eines Tages sein Vater umgebracht worden, woraufhin er vom Dienst nachhause gefahren sei. Die Cousins seiner Mutter, die den Vater des Beschwerdeführers umgebracht hätten, hätten erfahren, dass der Beschwerdeführer nachhause gekommen sei und hätten ihm auch etwas antun wollen. Sie hätten das Haus durchsucht. Der Beschwerdeführer habe sich im Brunnen versteckt und habe in weiterer Folge Afghanistan verlassen.
Mit angefochtenem Bescheid vom 12.01.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.
Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 13.02.2018 Beschwerde erhoben. Darin wurde zunächst das vom Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA erstattete Vorbringen wiederholt und wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist drohe, da ihm für diese Tätigkeit eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Zusätzlich sei er als Mitglied eines Regierungsmitarbeiters potenzielles Opfer einer Verfolgung. In weiterer Folge wurde auf diverse Berichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan verwiesen. Überdies wurde detailliert auf die beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde eingegangen und wurde ausgeführt, dass sich die Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung insgesamt als unschlüssig und mangelhaft erweisen würden. In einer Gesamtschau wäre dem Beschwerdeführer Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 27.02.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 12.02.2020 langte eine Stellungnahme der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher mitgeteilt wurde, dass der Beschwerdeführer seit 02.12.2018 traditionell verheiratet sei und ein am 15.09.2019 geborenes Kind habe. Eine standesamtliche Eheschließung sei geplant. Mit der Stellungnahme wurden die Heiratsbestätigung, die Geburtsurkunde sowie ein Meldezettel übermittelt.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 03.02.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner nunmehrigen Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu sowie Dari durchgeführt. Die belangte Behörde ist nicht erschienen. Im Zuge der Verhandlung wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und ist am XXXX 1993 in der Provinz Kapisa, Distrikt Tagab geboren. Im Kleinkindalter ist er gemeinsam mit seiner Familie vom Distrikt Tagab in den Distrikt Nijrab übersiedelt, wo er schließlich aufgewachsen ist.
Die Großeltern, die Mutter und die Brüder des Beschwerdeführers leben seit der Ausreise des Beschwerdeführers abwechselnd im Distrikt Nijrab und in Kabul. Der Großvater des Beschwerdeführers hat als Chef der Rechtsabteilung des Verwaltungsdistrikts gearbeitet. Er ist mittlerweile in Pension. Die eben genannten Angehörigen des Beschwerdeführers leben von der Pension des Großvaters des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer hat in seinem Heimatdistrikt Nijrab zwölf Jahre lang die Schule besucht und abgeschlossen. Nach dem Schulabschluss hat er die Aufnahmeprüfung bei der Militärakademie bestanden und wurde in der Folge für den Zeitraum August 2012 bis Februar 2013 zu einer Ausbildung in die Türkei geschickt. Nach dieser Ausbildung kehrte er nach Afghanistan zurück und hat ca. fünf Monate lang als Polizist in der Logistikabteilung des Militärs gedient. Während seines Dienstes hat er überdies einen Kranausbildungskurs sowie einen technischen Ausbildungskurs absolviert. Danach hat er bei der Transportbrigade gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem, ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und spricht Paschtu und Dari.
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan bereits traditionell verheiratet. Er ist mittlerweile von seiner ersten Frau geschieden und hat am 02.12.2018 in Wien XXXX , geb. XXXX 2001, traditionell geheiratet. Der Beschwerdeführer und XXXX haben zwei gemeinsame Kinder, geboren am 15.09.2019 sowie am 19.11.2020. Sie leben in Wien im gemeinsamen Haushalt.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 06.11.2015 in Österreich. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtgrund
Bereits der Großvater des Beschwerdeführers hat als Jurist für die Regierung gearbeitet und wurde der Vater des Beschwerdeführers aus diesem Grund von den Taliban aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten, indem er ihnen Informationen über die Regierung weitergeben sollte. Zumal sich der Vater des Beschwerdeführers weigerte, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, wurde sowohl der Vater des Beschwerdeführers als auch der Beschwerdeführer von den Cousins der Mutter des Beschwerdeführers, welche den Taliban angehörten, bedroht. Während seiner Schulzeit wurde der Beschwerdeführer einmal, als er gerade mit dem Motorrad unterwegs war, von den Cousins seiner Mutter mit dem Auto angefahren und schwer verletzt. Der Beschwerdeführer hat sich dennoch, nachdem er wieder gesund war und die Schule abgeschlossen hatte, dazu entschieden, eine Ausbildung als Polizist zu absolvieren und anschließend bei der Polizei tätig zu sein. Als der Beschwerdeführer sich gerade im Dienst in einer anderen Provinz Afghanistans befand, wurde der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban getötet. Der Beschwerdeführer ist daraufhin nachhause gefahren. Zumal die Taliban von der Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz erfahren haben, sind sie zum Beschwerdeführer nachhause gekommen und haben das Haus durchsucht. Der Beschwerdeführer hat sich im Brunnen versteckt und hat in der Folge aus Furcht vor Verfolgung durch die Taliban Afghanistan verlassen.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre der Beschwerdeführer in Gefahr, aufgrund seiner politischen Gesinnung von den Taliban verfolgt zu werden. Diese Bedrohung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.02.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):
Taliban
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019), und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020).
Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.08.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.05.2020, AnA 28.07.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020).
Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jallaloudine Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani-Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020, RFE/RL 02.06.2020).
Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 04.07.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 06.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.04.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 05.03.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 09.06.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 02.06.2017).
Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 01.06.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.09.2019) oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020), UNSC 27.05.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.08.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.08.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig, und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.08.2019).
Kapisa
Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans, umgeben von den Provinzen Panjsher im Norden, Laghman im Osten, Kabul im Süden und Parwan im Westen (UNOCHA Kapisa 4.2014). Kapisa ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Alasai, Hissa-e-Awali Kohistan, Hissa-e-Duwumi Kohistan, Koh Band, die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi, Nijrab und Tagab (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Kapisa 2019).
Die National Statistics and Information Authority ofAfghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kapisa im Zeitraum 2020-21 auf 488,298 Personen (NSIA 01.06.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani (FP 11.11.2014; vgl. NPS Kapisa o.D.), wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben (AAN 06.04.2015).
Eine Hauptstraße verbindet die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi mit Kabul (LCA 24.04.2019).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Kapisa ist eine kleine Provinz, und Aufständische können die Provinzhauptstadt von Kapisa und die Nachbarprovinzen leicht erreichen (AAN 24.04.2012). Es gibt eine Taliban-Präsenz in einigen der Distrikte, welche nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (MENAFN 19.07.2020; vgl. VOA 08.09.2020). Nach Schätzungen des Long War Journal waren die Distrikte Alasai, Nijrab und Tagab im November 2020 umkämpft, während die übrigen Distrikte unter Regierungskontrolle standen (LWJ o.D.).
Nach US-Geheimdienstinformationen unterhält der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) eine kleine Zelle in Kapisa (VOA 20.03.2020; vgl. KP 21.02.2020).
Auf Regierungsseite befindet sich Kapisa im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) „Selab/Silab“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. PAJ 06.10.2020), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020).
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 124 zivile Opfer (49 Tote und 75 Verletzte) in der Provinz Kapisa. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffen (UNAMA 2.2020). In den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 dokumentierte UNAMA eine Zunahme an zivilen Opfern in der Provinz [UNAMA nennt bzgl. Kapisa hierbei allerdings keine Zahlen, Anmerkung] (UNAMA 10.2020).
Es wurde von Kämpfen in der Provinz berichtet (AN 19.06.2020, BAMF 06.04.2020), wobei die Taliban Sicherheitsposten der Regierung, Militärbasen und Dörfer (NYTM 29.10.2020, NYTM 18.03.2020). TKG 13.09.2020, NYTM 28.08.2020, TN 21.03.2020, PN 18.02.2020) sowie ein Distriktzentrum angriffen (NYTM 30.07.2020) und die Regierungskräfte Räumungsoperationen durchführten (OI 29.06.2020, PAJ 21.02.2020, AN 02.12.2019). Auch fanden Luftangriffe oder Drohnenschläge der US-amerikanischen Streitkräfte statt (AT 25.12.2019, XI 29.11.2019). Weiters wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in der Provinz berichtet (TN 08.10.2020, RY 18.03.2020). [...]“
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die getroffenen Feststellungen zur Person ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seiner Abstammung aus der Provinz Kapisa sowie dem nunmehrigen Aufenthaltsort seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschtu und Dari.
Die Feststellungen zu den Ausbildungen und der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen glaubhaften Ausführungen in Zusammenschau mit den vorgelegten Beweismitteln. So hat der Beschwerdeführer Fotos, einen Polizeiausweis, einen Militärführerschein sowie zahlreiche Urkunden und Zeugnisse von der Polizeiausbildung vorgelegt.
Die Feststellungen zur Scheidung ergeben sich aus der Scheidungsurkunde, welche vom Beschwerdeführer – in die deutsche Sprache übersetzt - vorgelegt wurde.
Die Feststellung zur traditionellen Hochzeit des Beschwerdeführers in Wien sowie zur Geburt seiner Kinder ergeben sich aus der Heiratsbestätigung vom 02.12.2018, aus den Geburtsurkunden vom 01.10.2019 sowie vom 23.11.2020 sowie aus der Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft vom 23.11.2020.
2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:
Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor der belangten Behörde und in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ein gleichlautendes und übereinstimmendes Vorbringen – wie oben festgestellt – erstattet, welches der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt wird. Er hat dieses Vorbringen zudem mit einer Vielzahl an vorgelegten Beweismitteln untermauert. So legte er beispielsweise einen Bericht des Kaia Hospital Kabul vom Dezember 2010 vor, in welchem die Verletzungen des Beschwerdeführers aufgrund des Motorradunfalls dokumentiert sind.
Zum vorgelegten Polizeiausweis sowie zu den sonstigen vorgelegten Unterlagen ist zu sagen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei derartigen Beweisanboten nicht verkennt, dass in zahlreichen Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht die Echtheit von Unterlagen aus Afghanistan zweifelhaft ist. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist dazu jedoch auszuführen, dass der Beschwerdeführer in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle mitsamt dem angeführten Beweisanbot präsentierte und sein Aussageverhalten aus Sicht des erkennenden Richters keine einstudierte, sondern eine lineare Fluchtgeschichte ist und er ebenso den Eindruck vermittelte, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben. Der Beschwerdeführer lässt bei der Schilderung seiner Fluchtgründe eine lineare Handlung und ein nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse erkennen. Er bemühte sich, möglichst detailgenau und ausführlich seine Lebensgeschichte und seine Fluchtgründe zu schildern und vermochte ein durchaus nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse zu zeichnen, sodass der erkennende Richter die Angaben des Beschwerdeführers als glaubwürdig zu Grunde legen kann. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan war ausreichend substantiiert, umfassend, in sich schlüssig und sind die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Afghanistan plausibel und nachvollziehbar.
Dass das Fluchtvorbringen der Wahrheit entspricht, ergibt sich für den erkennenden Richter auch aus den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer hatte in Afghanistan vor seiner Ausreise einen sicheren Job und lebte mit seiner damaligen Ehefrau und seiner Kernfamilie in geordneten Verhältnissen. Ein derart stabiles berufliches und familiäres Umfeld grundlos aufzugeben, erscheint nicht nachvollziehbar. Die Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban ist daher auch deshalb sehr wahrscheinlich.
Aufgrund der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Polizist, der Tätigkeit seines Großvaters als Jurist in der Regierung sowie der Weigerung seines Vaters, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, ist die vorgebrachte Verfolgung durch die Taliban naheliegend und plausibel. Es ist in diesem Zusammenhang auf die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 zu verweisen, in welchen unter anderem ausgeführt wird, dass „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen“ einem Risikoprofil unterliegen würden.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner politischen Einstellung in Opposition zu den Taliban war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, gerade unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers Kapisa, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen.
Der Beschwerdeführer hat in sämtlichen Landesteilen Afghanistans eine Verfolgung zu gewärtigen, geht doch aus den Länderfeststellungen hervor, dass das interne Netzwerk der Taliban weit verflochten ist und daher im konkreten Fall derart weit greift, dass vor diesem Hintergrund von einer landesweiten Gefährdung des Beschwerdeführers auszugehen ist. Wie sich zudem aus den Länderfeststellungen ergibt, verfügt Afghanistan zwar über kein zentrales Bevölkerungsregister, dennoch gibt es - insbesondere über die lokalen Gemeinschaften - Mittel und Wege, um Personen ausfindig zu machen. Auch UNHCR geht in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 davon aus, dass angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban, für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative existiert.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 16.12.2020), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Dezember 2020 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Relevant ist eine Verfolgungsgefahr auch nur dann, wenn diese aktuell ist (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus einem in der GFK genannten Grund verfolgt zu werden, ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts begründet:
Aufgrund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen ist es dem Beschwerdeführer gelungen, glaubhaft zu machen, dass der behauptete Sachverhalt verwirklicht worden ist. Der Beschwerdeführer hat damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe aufgezeigt:
Es ist – den oben getroffenen Feststellungen folgend - davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist der erheblichen Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre.
Mangels Vorliegen anderer Anhaltspunkte ist unter Zugrundlegung des glaubhaft gemachten Sachverhaltes anzunehmen, dass die Gefahr der Verfolgung und erheblicher Eingriffe durch die Taliban dem Beschwerdeführer aktuell weiterhin droht. Ausgehend von einem solchen Sachverhalt ist zu prognostizieren, dass der - ganz offensichtlich ins Blickfeld der Taliban geratene - Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan sehr wahrscheinlich mit weiteren Bedrohungen bzw. Übergriffen (im Sinne von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, die unter Umständen zu schweren Verletzungen oder sogar zum Tod führen könnten) zu rechnen hat.
Dieser Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Beschwerdeführers knüpft an den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Grund der politischen Gesinnung an: Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es, dass eine feindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (zB VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443).
Es ist nach Lage des Falles davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist von den Taliban eine feindliche politische Haltung (zumindest) unterstellt wird, und sind somit die fluchtauslösenden Ereignisse in Afghanistan damit als eine individuell gegen die Person des Beschwerdeführers aus Gründen der politischen Überzeugung gerichtete Verfolgung zu werten.
Im gegenständlichen Fall geht die Unterstellung einer bestimmten politischen Gesinnung zwar nicht vom Staat aus, doch wäre eine solche Unterstellung seitens der Taliban, nämlich auf der Seite ihrer politischen Gegner zu stehen und sich damit gegen ihre Interessen zu stellen, ebenfalls von Bedeutung (vgl. dazu die Algerien betreffenden Erkenntnisse des VwGH vom 16.07.2003, 2000/01/0518; 22.08.2006, 2005/01/0728). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH 14.05.2002, 2001/01/0140; siehe weiters VwGH 24.05.2005, 2004/01/0576, VwGH 26.02.2002, 99/20/0509).
Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Berichtslage zur Aktivität der Taliban und mit Blick auf die dem Beschwerdeführer bereits widerfahrene Bedrohung durch die Taliban ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für die Polizei und der daraus resultierenden (unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung bei einer Rückkehr Bedrohung und Verfolgung erheblicher Intensität durch die Taliban zu gewärtigen hätte. Aus diesen Umständen ergeben sich gewichtige und konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer aktuellen, ausreichend wahrscheinlichen Verfolgung des Beschwerdeführers von Seiten der Taliban.
Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den afghanischen Staat ist für den Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Afghanistan kein ausreichend funktionierender Polizei- oder Justizapparat bestehen und auch nach den Länderberichten davon auszugehen ist, dass der Staat keine hinreichenden Vorkehrungen zu treffen vermag um dem Beschwerdeführer in seiner Situation Schutz zu gewähren.
Die Möglichkeit, sich der Bedrohung durch die Taliban durch Ausweichen in eine andere Region Afghanistans zu entziehen, besteht für den Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall ebenfalls nicht, da aufgrund des Umstandes, dass die Taliban laut den zitierten Länderinformationen auch in anderen Provinzen Afghanistans über entsprechende Netzwerke verfügen, nicht angenommen werden kann.
Zusammenfassend ist auszuführen, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund von (unterstellter) politischer Gesinnung von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Beschäftigung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative maßgebliche Wahrscheinlichkeit mündliche Verhandlung politische Gesinnung Polizist Schutzfähigkeit des Staates Schutzunfähigkeit des Staates staatliche Schutzfähigkeit staatlicher Schutz unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W228.2117102.2.00Im RIS seit
31.05.2021Zuletzt aktualisiert am
31.05.2021