Entscheidungsdatum
01.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I416 2164581-1/32E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. IRAK, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.02.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet und Aufgriff durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 26.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 27.03.2015 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Dabei gab er an, dass er XXXX heiße und am XXXX in XXXX , im Irak geboren sei. In seinem Heimatland würden noch seine Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern leben. Befragt, warum er sein Heimatland verlassen habe, gab er wörtlich an: „In meinem Heimatland gibt es keine Sicherheit und keine Freiheit. Ich wollte zufrieden leben, deshalb habe ich mein Heimatland verlassen. Sonst habe ich keine anderen Gründe.“ Gefragt, was er im Fall einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, gab er wörtlich zu Protokoll: „Ich habe Angst um mein Leben.“
3. Am 29.03.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er sunnitischer Moslem sei, der Volksgruppe der Araber angehöre und irakischer Staatsangehöriger sei. Er habe sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Hauptschule besucht, im Irak würden noch seine Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder leben, Kontakt habe er das letzte Mal mit seiner Familie vor 1 ½ bis zwei Monaten gehabt. Im Irak habe er seinem Vater bei dessen Arbeiten geholfen, er selbst sei Friseur gewesen, habe aber auch gelegentlich als Hilfsarbeiter in der Plastikfabrik gearbeitet, ansonsten habe sein Vater für ihn gesorgt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Heimatland seien sehr gut gewesen. Er gab weiters an, dass seine Familie im Jahr 2007/2008 in Syrien gewesen sei, jedoch wegen mangelnder finanzieller Mittel wieder in den Irak zurückgekehrt sei, er selbst sei am 10.01.2015 illegal aus dem Irak ausgereist, wobei seine Ausreise durch seinen Vater finanziert worden sei. Zu seinem Fluchtgrund führte er im Wesentlichen aus, dass er wegen der „ISIS“ aus dem Irak geflüchtet sei. Er sei von diesen festgenommen und entführt worden und hätten Sie von seinem Vater Lösegeld verlangt, das erste Mal habe dieser $ 8.000 bezahlt. Während seiner Gefangenschaft sei er gefoltert und geschlagen worden. Er führte weiters aus, dass diese ein weiteres Mal versucht hätten ihn zu entführen, dabei seien diese zu Ihnen nach Hause gekommen und hätten von seinem Vater $ 50.000 gefordert, da diese ihn ansonsten gleich mitnehmen würden. Sein Vater habe dann gesagt, dass er das Geld erst organisieren müsse, und habe dieser die Zeit genutzt, ihn außer Landes zu bringen, er habe ihn zum Haus seines Großvaters geschickt, dort habe er einen Monat gewartet, dann sei er nach Syrien und dann weiter in die Türkei geflüchtet. Sein Vater habe den Terroristen bei der Geldabholung gesagt, dass er das Geld nicht habe und dass sie mit dem Beschwerdeführer machen können, was sie wollen, wenn sie ihn finden. Er gab weiters an, dass das Haus seiner Eltern im Jänner 2017 von Raketen getroffen worden sei, zu diesem Zeitpunkt sei seine Familie jedoch schon auf dem Weg zu einem Zeltlager gewesen, erfahren habe er dies von seinem Vater, dessen Nachbar habe ihm dies telefonisch mitgeteilt habe. Gefragt, wie er gefoltert worden sei, gab er an, dass er ausgepeitscht worden sei, er habe 40 Schläge bekommen, gefragt, ob er Verletzungen gehabt habe, gab er wörtlich an: „Nein, ich habe auch nicht geblutet aber mein ganzer Körper war geschwollen.“ Nachgefragt gab er an, dass es auch keine Narben gebe. Er führte weiters aus, dass diese ISIS-Kämpfer für die erste Lösegeldzahlung eine Frist von 12 Tagen gesetzt hätten und seien diese im Laufe der Frist vorbeigekommen, um das Geld abzuholen, danach hätten sie ihn nach Hause gebracht. Bezüglich des Zeitpunktes seiner Entführung gab er an, dass diese am 15.09.2014 einfach nach Haus gekommen seien und der Familie mitgeteilt hätten, dass sie $ 8.000 haben wollen oder ihn sonst töten würden, hinsichtlich seiner Folterung führte aus, dass er zwölf Tage lang jeden Tag 40 Peitschenhiebe bekommen habe. Auf Vorhalt, weshalb es keine Narben gebe, gab er an, dass diese schnell verheilt seien, es sei auch schon zwei Jahre her, das sei in der Zwischenzeit alles verheilt. Hinsichtlich des zweiten Vorfalles gab er an, dass dieser am 08.12.2014 im selben Jahr gewesen sei. Die Personen seien wieder zu seinem Vater gekommen und hätten $ 50.000 verlangt, dieser habe ihnen gesagt, dass er das Geld nicht habe und es organisieren müsse, gewesen seien dies drei Personen in einem Pick-up. Gefragt, woher er gewusst habe, dass es sich um ISIS Kämpfer handeln würde, gab er an, dass man diese schon durch ihren Bart, durch ihr Aussehen und ihr Benehmen erkennen könne. Es sei auch niemand anderer in der Familie bedroht oder mitgenommen worden, da seine Geschwister Kleinkinder gewesen seien, mit denen diese nichts machen würden. Er gab weiters an, dass die Personen zu seinem Vater gegangen seien und das Geld abholen haben wollen, worauf dieser ihnen gesagt habe, dass er das Geld nicht habe und auch nicht wisse wo er sei. Die Frage, ob dies keine Konsequenzen für seine Familie gehabt habe, verneinte der Beschwerdeführer. Befragt, ob es den Kämpfern von vornherein um das Geld gegangen sei oder um den Beschwerdeführer als Person gab er an, dass es diesen ums Geld ging, es sei für diese nicht, schwer Menschen zu töten, sie seien wild und unberechenbar und würden Menschen wie Schafe schlachten. Letztlich führte aus, dass er nicht in einen anderen Teil seines Heimatlandes gegangen sei, da sie im Norden vom Irak nicht aufgenommen worden seien, im Süden gebe es Krieg zwischen Sunniten und Schiitin, zudem sei es ihm ganz Irak nicht sicher, es gebe immer Kriege und Explosionen er habe immer ein sicheres Leben führen wollen, es tue ihm weh, dass er so viele Jahre im Irak verbracht habe und nichts erreicht habe, er wünschte, dass er hier geboren wäre. Auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderinformationen verzichtete der Beschwerdeführer. Zu seinen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er einen Onkel mütterlicherseits und einen Cousin seines Onkels väterlicherseits in Österreich habe, sein Onkel sei in einem laufenden Asylverfahren und der Cousin seines Onkels habe eine Aufenthaltsberechtigung. Er gab weiters an, dass er derzeit in der Grundversorgung sei, dass er jedoch zur Uni gehen Medizin und studieren möchte, dass er Deutschkurse besucht habe und dass er ab und zu ehrenamtlich für die Gemeinde arbeiten würde, Mitglied sei er aber nirgends. Hinsichtlich seiner Integration gab er an, dass er in die Kirche gehen würde, bei Anlässen und Festen für die Kirche kochen würde, Trommel bei Festen spielen würde und ab und zu mit Österreichern Fußballspielen würde. Er treffe sich zudem gern mit anderen Menschen, um die Straßen zu reinigen und nehme an Wanderungen teil. Im Rahmen der Niederschrift, legte der Beschwerdeführer die Kopie seines Staatsbürgerschaftsnachweises, den irakischen Personalausweis in Kopie, einen irakischen Zulassungsschein in Kopie, diverse Bestätigungen, Empfehlungsschreiben, die Teilnahmebestätigung für Deutschkurse, diverse Fotos und die Kopie eines Zeitungsausschnittes vor.
4. Mit gerichtsmedizinischen Gutachten vom 27.4.2017 wurde aus forensischer Sicht Stellung zu der Frage genommen, ob sich Spuren der behaupteten Misshandlungen am Körper des Beschwerdeführers finden lassen, ob sich die angegebene Verletzung tatsächlich auf die behaupteten Ursachen zurückführen lassen, ob die allfällige festgestellten Verletzungen tatsächlich im angegebenen Zeitraum entstanden sind, ob es möglich ist, dass eine derartige Misshandlung ohne Narbenbildung abheilt, ob die angegebene Blasenbildung bei Misshandlung durch Auspeitschung entstehe, oder ob es hierbei zu anderen Verletzungen komme und wenn ja, zu welchen. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass sich beim Beschwerdeführer keine Verletzungen bzw. Narben feststellen haben lassen, die auf die von ihm beschriebenen Peitschenhiebe hinweisen würden, aus gerichtsmedizinischer Sicht wäre jedoch- jedenfalls im Fall wuchtige Hiebe- mit narbig abheilenden Verletzungen zu rechnen gewesen, sodass insgesamt die Angaben des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar erscheinen. Hinsichtlich der Blasenbildung wurde im Detail ausgeführt, dass blasige Hautveränderungen zwar grundsätzlich auch nach einer stumpfen tangentialen Gewalteinwirkung auftreten können, aber im Zusammenhang mit den beschriebenen Hieben mit einem Lederriemen eher als untypisch anzusehen seien.
5. Am 01.06.2017 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal niederschriftlich einvernommen und das vorliegende Gutachten mit dem Beschwerdeführer thematisiert. Auf Vorhalt, dass seine Angaben aufgrund des Gutachtens nicht nachvollziehbar seien und was er dazu sagen könne, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Wenn sie die Spuren und Narben sehen wollen, dann können sie das gerne tun. Die Misshandlung passierte 2014. Die Haut verändert sich mit der Zeit, das bleibt ja nicht gleich. Ich war damals noch jung. Mein Vater hat mich außerdem mit Baumpech behandelt, das ist ein arabisches Arzneimittel“. …. „Ich kann nur angeben, dass das schon 2 ½ Jahre her ist und ich bin mit dem arabischen Arzneimittel behandelt worden und es ist Gott sei Dank sehr wirksam. Es ist bekannt dafür, dass das bei solchen Verletzungen gut wirkt. Ich habe ja auch bei den Narben am Kopf und am Kinn die Wahrheit gesagt. Auch da hätte ich sagen können, dass ich geschlagen worden bin. Ich weiß, dass die Spuren nur mehr ganz schwach sind, aber nichtsdestotrotz hat es so stattgefunden, wie ich es gesagt habe.“ Im Rahmen der weiteren Einvernahme, gab der Beschwerdeführer an, dass ihn die Personen getötet hätten, wenn sein Vater das Geld nicht bezahlt hätte. Letztlich führte er aus, dass es in den Gegenden, die vom IS befreit worden seien Probleme zwischen Sunniten und Schiitin geben würde, es gebe auch für ihn eine Gefahr aufgrund der Glaubensausrichtung, es gebe jedoch keine konkrete Verfolgung oder persönliche Bedrohung deswegen, aber sein Leben wäre jetzt in Gefahr. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme die Kopie einer Auszeichnung zum Klima & Energiebotschafter Grundkurs II, die Bestätigung der XXXX über die Mitarbeit an einem sozialen Beschäftigungsprojekt, diverse Fotos, eine Deutschkursbestätigung und ein Schreiben für einen Artikel in der Gemeindezeitung vor.
6. Mit E-Mail vom 8. Juni 2017 wurde ein arabisches Schriftstück vorgelegt und eine vom Beschwerdeführer vorgenommene Übersetzung beigelegt.
7. Mit Bescheid vom 23.06.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen, sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
8. Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 09.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
9. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 12.07.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens infolge einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen einzugehen und sei sie dadurch ihrer Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Es wurde ausgeführt, dass im Irak angesichts der aktuellen Situation anhand der Länderfeststellung davon auszugehen sei, dass jedenfalls eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts gegeben sei, hinsichtlich der persönlichen Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers werde auf seine Schilderungen in den Einvernahmen verwiesen. Es werde daher beantragt das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde dahingehend abändern, dass seinem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die gegen den Beschwerdeführer gefällte Rückkehrentscheidung aufgehoben werde, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die gegen den Beschwerdeführer festgestellte Abschiebung aufgehoben werde, in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz erteilen und eine mündliche Beschwerdebehandlung anberaumen.
10. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 17.07.2017 vorgelegt.
11. Mit Schreiben vom 01.08.2018, wurde der Antrag des Beschwerdeführers zur beabsichtigten freiwilligen Rückkehr in den Irak übermittelt. Mit Schreiben vom 22.09.2018 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag widerrufe, da er seine Meinung geändert und sich die Lage in Bagdad drastisch verschlechtert habe.
12. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 07.08.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L 513 abgenommen und der Gerichtsabteilung I 416 neu zugewiesen. Am 13.08.2018 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I 416 ein.
13. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX vom 05.02.2019, GZ: XXXX , wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen§ 223 Abs. 2 StGB, §§15, 149 Abs. 1 StGB, §§15, 127 StGB erhoben wurde.
14. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 07.03.2019, Zl. XXXX , wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG ab dem 04.02.2019 verloren hat.
15. Mit Urteil des BG XXXX vom 26.06.2019, GZ: XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 223 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 5,00 Euro rechtskräftig verurteilt.
16. Mit Urteil des BG XXXX XXXX vom 02.09.2019, GZ: U XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 127, § 15 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5,00 Euro, als Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf die vorangegangene Verurteilung rechtskräftig verurteilt.
17. Am 03.02.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht, in der der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vorlegte: 2 Empfehlungsschreiben, Auszahlungsnachweis Mai 2019 und Juni 2019 samt Anmeldebescheinigung bei der XXXX , Aufenthaltsberechtigungskarte von XXXX und Kopie eines in Arabisch abgefassten als Heiratsvertrag bezeichnete Schriftstückes. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
18. Mit Schriftsatz vom 08.02.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 09.02.2021, wurde die schriftliche Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger vom Irak und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Der Beschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.
Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht fest.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, gehört laut eigenen Angaben der Volksgruppe der Araber an und ist moslemischen Glaubens/Sunnit.
Der Beschwerdeführer hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist laut vorgelegter, in Arabisch abgefasster, Kopie mit einer irakischen Staatsangehörigen traditionell verheiratet.
Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Mittelschule besucht. Der Beschwerdeführer hat im Irak als Friseur, Automechaniker und Elektriker gearbeitet, zuletzt war er in einer Plastikfabrik beschäftigt.
Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist gesund. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID 19 Pandemie an.
Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern und seinen Geschwistern befindet sich im Irak, nicht festgestellt werden kann ob der Beschwerdeführer noch Kontakt zu diesen hat.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit 26.03.2015 durchgehend im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer führt im Bundesgebiet laut eigenen Angaben seit drei Jahren eine Beziehung mit der subsidiär Schutzberechtigten irakischen Staatsangehörigen Amina Ali. Der Beschwerdeführer und Amina Ali waren vom 15.3.2018 bis 10.12.2019 im selben Flüchtlingsheim mit Hauptwohnsitz melderechtlich erfasst.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine entscheidungswesentlichen familiären Anknüpfungspunkte, es leben außer seinem Cousin keine sonstigen Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.
Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich seiner Integration Deutschkursbesuchsbestätigungen vorgelegt, jedoch bislang keine Deutschprüfung abgelegt und war während der gesamten Verhandlung auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen. Der Beschwerdeführer hat an den Grundkursen I und II für die Ausbildung zum Klima und Energiebotschafter und an Aktivitäten und Projekten in der Asylunterkunft teilgenommen. Der Beschwerdeführer hat bei Flurreinigungsarbeiten der Marktgemeinde mitgeholfen und zudem an einem sozialen Beschäftigungsprojekt der Marktgemeinde teilgenommen. Der Beschwerdeführer war im Zeitraum Juli 2017, Oktober 2018 im Rahmen von Dienstleistungsschecks geringfügig beschäftigt und hat im Mai 2019 und Juni 2019 geringfügig gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen integrationsbegründenden Organisation.
Der Beschwerdeführer verfügt durch seinen Aufenthalt in der Asylunterkunft und der von den Betreuern organisierten Aktivitäten über soziale Kontakte. Der Beschwerdeführer geht in seiner Freizeit spazieren, trifft sich mit Freunden und raucht Shisha.
Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise auf das Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte, über das oben angeführte hinaus, des Beschwerdeführers vor.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich folgende strafrechtliche Verurteilungen auf:
01) BG XXXX vom 26.06.2019 RK 01.07.2019
§ 223 (1) StGB
Geldstrafe von 130 Tags zu je 5,00 EUR (650,00 EUR) im NEF 65 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
02) BG XXXX XXXX XXXX vom 02.09.2019 RK 06.09.2019
Geldstrafe von 80 Tags zu je 5,00 EUR (400,00 EUR) im NEF 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
1.2. Zu den Fluchtmotiven und der individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.
Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Entführung und Folterung durch ISIS Kämpfer kann mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden. Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte beschwerdegegenständlich sohin nicht festgestellt werden. Eine staatliche Verfolgung hat der Beschwerdeführer zudem nicht behauptet.
Der Beschwerdeführer hat den Irak aus anderen Gründen, als auf wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde.
Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt sein. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Irak entgegenstünden. Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorgebrachte Angst/Bedrohung durch seine Familie aufgrund seiner Heirat ist als reine Schutzbehauptung anzusehen.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat aus in seiner Person gelegenen Gründen oder auf Grund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wäre oder er als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Irak ausgesetzt wäre.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:
Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation, sowie aus den Berichten von EASO und UNHCR, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und der Sicherheitslage, Wohnverhältnisse, Grund- und medizinische Versorgung in Mossul vom 29.08.2019, sowie dem Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020 ergeben sich zur aktuellen Lage, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind, folgende Feststellungen:
1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage:
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
1.3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:
Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich September 704 zivile Todesopfer im Irak (Statista 03.11.2020).
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 3.11.2020
1.3.3 Islamischer Staat:
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).
Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).
Quellen:
- Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/, Zugriff 30.10.2018
- CRS – Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018
- ISW – Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS‘s Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html, Zugriff 30.10.2018
- Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://jamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/, Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing – Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuilding-in.html, Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing – Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018
- Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/security/5951/, Zugriff 30.10.2018
- WP – Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comeback-in-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59-dccc2c0cabcf_story.html?noredirect=on&utm_term=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018
1.3.4. Sicherheitslage Mosul:
Der IS kontrolliert im Irak kein Territorium mehr und gilt als besiegt. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider AL-ABADI die Stadt MOSUL für vom IS befreit. In Kirkuk, Mossul und den umliegenden Dörfern gibt es jedoch IS-Schläferzellen. Die Einschätzung ist jedoch, dass die Aktivitäten des IS gering sind. Seit Februar 2018 ist das Gouvernement Ninewa in drei Einflusssphären geteilt. Die Stadt Mossul wird von der lokalen Polizei kontrolliert. Die Vororte Mossuls werden von verschiedenen Volksmobilisierungseinheiten kontrolliert; es handelt sich sowohl um schiitische als auch um lokale Milizen. Der Rest des Gouvernements wird von der irakischen Armee kontrolliert. Der IS hat in Ninewa immer noch Schläferzellen, die in der Nacht aktiv sind und regelmäßig Explosionen, Morde, gezielte Tötungen und Angriffe durchführen. Die Einschätzung ist jedoch, dass die Aktivitäten des IS gering sind. Im Allgemeinen ist es für IS-Schläferzellen schwierig, Angriffe durchzuführen, vielleicht mit Ausnahme des westlichen Teils der Stadt Mossul. Die östliche Seite der Stadt ist nicht so stark zerstört wie die westliche, die komplett zerstört ist. Bevor der IS die Stadt eroberte hatte Mossul ca. 1,8 Millionen Einwohner, im Frühling 2018 waren es circa eine Million. Es gab viele Sicherheitsvorfälle in der Stadt, und vor den Parlamentswahlen im Mai 2018 verschlechterte sich die Situation. Es wurden allerdings verschiedene Militärbehörden in der Stadt stationiert, was die Sicherheitslage deutlich verbessert hat.
Die Gewalt geht von den verschiedenen bewaffneten Gruppen aus [die in der Stadt stationiert sind, Anm.], sowie von restlichen IS-Zellen. Eine Quelle habe betont, dass die Sicherheitsvorfälle willkürlich und meist auf organisierte kriminelle Aktivitäten zurückzuführen seien. Die kriminellen Gruppen bestehen aus ehemaligen Mitgliedern bewaffneter Gruppen. Manchmal schien es, dass Mitglieder der Volksmobilisierungseinheiten bei Tag für Sicherheit sorgten, und bei Nacht als Kriminelle agierten. Missbräuche betrafen oft Mitglieder von Familien von ehemaligen IS-Mitgliedern, die aufgrund ihrer Verwandtschaft oft als Komplizen gesehen werden. In letzter Zeit wurden jedoch auch Muchtare [Anm.: Oberhaupt lokaler Gemeinden, Dörfer] getötet.
ACLED meldete im Berichtszeitraum insgesamt 292 sicherheitsrelevante Vorfälle (durchschnittlich 3,5 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Woche) im Gouvernorat Ninewa, von denen die meisten als entfernte Gewalt/Explosionen kodiert wurden. Sicherheitsvorfälle gab es in fast allen Bezirken, wobei die größte Gesamtzahl im Bezirk Mosul verzeichnet wurde. UNAMI registrierte 89 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, von denen 62 im Jahr 2019 und 27 zwischen dem 1. Januar und dem 31. Juli 2020 stattfanden (durchschnittlich 1,1 Sicherheitsvorfälle pro Woche im gesamten Bezugszeitraum).
Im Bezugszeitraum verzeichnete UNAMI insgesamt 221 zivile Opfer (82 Tote und 139 Verletzte) bei den oben genannten bewaffneten konfliktbezogenen Zwischenfällen. Genauer gesagt wurden 174 Opfer im Jahr 2019 und 47 Opfer vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2020 gemeldet. Im Vergleich zu den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernorat entspricht dies 14 zivilen Opfern pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.
Bis zum 30. Juni 2020 waren 324 078 Personen aus Ninewa vertrieben, davon 319 128 innerhalb des Gouvernements. Das Gouvernorat Ninewa steht an erster Stelle unter den Gouvernoraten, was die Rückkehr betrifft, mit 1 807 170 Rückkehrern, hauptsächlich in Richtung des Bezirks Mosul. Erhebliche Sekundärvertreibungen durch erzwungene und verfrühte Rückkehr und erzwungene oder erzwungene Abwanderung aus Lagern und informellen Siedlungen wurde ebenfalls beobachtet. Die Sicherheitslage blieb das Hauptproblem der Rückkehrer. Es wurde auch von blockierten Rückführungen berichtet.
Der Wiederaufbau der Stadt hat begonnen, es gibt jedoch einige Hindernisse. Probleme sind unter anderem Armut, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, mangelnde Gesundheitsversorgung, zerstörte Gebäude und allgemeine Unsicherheit. Ein Jahr nach der Befreiung der Stadt haben die humanitären Partner in Mossul bedeutende Erfolge erzielt. Es gab eine ausreichende Finanzierung, vor allem für Gesundheits- und Schutzeinrichtungen. Trotz dieser Hilfe bestehen in fast allen anderen Bereichen (Ernährungssicherheit, Bildung, Unterkünfte und Non-Food-Waren, Lagerkoordination und Lagerverwaltung, Bargeldhilfe sowie Wasser, Abwasser und Hygiene) noch immer kritische Mängel.
Ein Großteil der älteren, westlichen Seite der Stadt liegt noch in Trümmern. Selbst in weniger zerstörten Stadtteilen haben die Bewohner Mossuls Schwierigkeiten, ihr Leben weiterzuführen. Nach Ansicht von Kritikern könnte ein Scheitern der Zentralregierung bei der Bewältigung der zunehmenden Unruhen in Mossul schwerwiegende Folgen haben. Während der dreijährigen Besetzung der Stadt verminte der Islamische Staat große Teile Mossuls und versah sie mit Sprengfallen. Durch militärische Operationen wurde die Stadt mit Minen und explosiver Kriegsmunition, wie Streumunition, Blindgängern von Artilleriegeschossen und Handgranaten, kontaminiert. Im Westen der Stadt, wo die Kämpfe besonders heftig waren, gibt es massive Schuttfelder, die mit Sprengstoff übersät sind, und die einen hohen technischen Aufwand zur Beseitigung und Räumung erfordern. Es könnte ein Jahrzehnt dauern, um Mossul von allen Sprengsätzen zu befreien.
Laut mehreren Berichten sind die IS-Schläferzellen wieder aktiver als zuvor und stellen eine potentielle Bedrohung für die irakischen Sicherheitskräfte dar. Der Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in der Stadt Mossul ist unter den irakischen Parteien nach wie vor im Gange.
Quellen:
- EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security situation (October 2020); https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf
- EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Targeting of individuals (March 2019); https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Iraq_targeting_of_individuals.pdf
- Iraqi News (7.1.2019): Iraqi military: 3 Islamic State terrorists apprehended in Mosul, https://www.iraqinews.com/iraq-war/iraqi-military-3-islamic-state-terrorists-apprehended-in-mosul/, Zugriff 8.8.2019
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (22.7.2019): ecoi.net-Themendossiers, Schiitische Milizen im Irak, https://www.ecoi.net/de/laender/irak/themendossiers/schiitische-milizen-im-irak/, Zugriff 20.8.2019
- iMMAP (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (5.12.2018): iMMAP-IHF, Humanitarian Access Response - Monthly Security Incidents Situation Report (November 2018), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/immap-ihf_humanitarian_access_response_-_monthly_security_incidents_situation_report_nov_2018_0.pdf, Zugriff 8.8.2019
- The Danish Immigration Service/Landinfo (11.2018): Northern Iraq, Security situation and the situation for internally displaced people (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/iraq_report_security_IDPs_and_access_nov2018.pdf?la=da&hash=F20C250A8F2946B52667C1C78AEC7E356A5D715F, Zugriff 8.8.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (15.4.2019): Briefing Notes 15. April 2019, Irak, Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010665/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_15.04.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 8.8.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (17.6.2019): Briefing Notes 17. Juni 2019, Irak, Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010680/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_17.06.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 8.8.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (18.2.2019): Briefing Notes 18 Februar 2019, Irak, Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003659/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_18.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 8.8.2019
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (6.2.2019): Anfragebeantwortung zum Irak: Lage in Mosul bzw. Provinz Ninewa: Sicherheitslage; humanitäre Lage für Familien mit Kindern; Fluchtbewegungen und Rückkehr [a-10850], https://www.ecoi.net/de/dokument/1457702.html, Zugriff 8.8.2019
1.3.5. Sicherheitslage Bagdad:
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, http://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020
Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste des IS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit des IS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass der IS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll der IS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten.
In Bezug auf die Lage in der Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.
Quellen:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 16.06.2020
Im Jahr 2019 ereigneten sich im gesamten Gouvernement Bagdad insgesamt noch 42 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu 37 zivilen Todesopfern und 13 V