TE Bvwg Beschluss 2021/3/5 L516 2239944-1

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Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


L516 2239944 -1/3Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Türkei, vertreten BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX :

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.


Text


Begründung:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ gegen den Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, mit Bescheid vom 22.01.2021 (I.) eine Rückkehrentscheidung § 52 Abs 5 FPG iVm § 9 BFA-VG, stellte (II.) fest, dass die „Abschiebung gemäß § 46 FPG nach zulässig“ sei, erließ (III.) gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot, und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werde.

Mit Spruchpunkt V jenes Bescheides sprach das BFA aus, dass einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerde langte zusammen mit den Verwaltungsakten des BFA am 01.03.2021 beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ein.

1.       Sachverhalt

1.1 Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, wurde in Österreich geboren und hat bisher abgesehen von vier Jahren Aufenthalt als unmündig Minderjähriger in der Türkei sein ganzes Leben und damit knapp 33 Jahre rechtmäßig in Österreich verbracht. Er wurde in Österreich sozialisiert, hat hier bis auf vier Jahre die Schule besucht, spricht muttersprachlich Deutsch und verfügt über einen unbefristeten Aufenthaltstitel für jeglichen Aufenthaltszweck (IZR; BFA Bescheid S 2,3)

Der Beschwerdeführer lebt mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt. Aktuell befindet er sich in Strafhaft. Seine Eltern sind österreichische Staatsangehörige. Auch die Geschwister des Beschwerdeführers sowie weitere Verwandte leben in Österreich. Von seinen Angehörigen, Verwandten und Freunden wird er während seiner Strafhaft besucht. (BFA Bescheid S 6; Beschwerde, S 2)

Beim Beschwerdeführer wurde unter anderem eine HIV-Erkrankung sowie eine Suchterkrankung diagnostiziert. (Klinisch-psychologische Stellungnahme 21.12.2020; Behandlungsmitteilung 22.12.2020 (nicht durchnummerierter BFA-Akt))

1.2 Mit seit 10.06.2020 rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Landesgerichtes wurde der Beschwerdeführer zuletzt wegen §§ 27 (1) Z 1 1.2. Fall, 27 (2) SMG und §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (3) SMG bei einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Beschwerdeführer befindet sich aktuell in Strafhaft. Er zeichnet sich durch tadelloses Verhalten im Vollzug und eine vorbildliche Arbeitsleistung aus und nimmt aus eigener Initiative an der suchttherapeutischen Behandlungsgruppe in der Justizanstalt teil. Unter anderem deshalb wird er am 27.04.2021 aus der Freiheitsstrafe unter Nachsicht der Reststrafe von sieben Monaten und zehn Tagen bedingt entlassen bei einer Probezeit von 3 Jahren und der Anordnung der Bewährungshilfe sowie der Weisung, die bereits in der Justizanstalt begonnene Drogenentwöhnungstherapie fortzusetzen. Er hat auch eine Arbeitsstelle als Lagerhilfsarbeiter in Aussicht. (Strafregister der Republik Österreich; Beschluss LG XXXX 08.02.2021 (nicht durchnummerierter BFA-Akt))

1.3 Davor weist das Strafregister rechtskräftige Verurteilungen auf,

1.) vom 19.01.2007 wegen § 15 105/1 § 107/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon Freiheitsstrafe fünf Monate bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren als junger Erwachsener;

2.) vom 06.05.2009 wegen § 88/1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagsätzen zu je 2,00 EUR (180,00 EUR) im Nichteinbringungsfall 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe als junger Erwachsener;

3.) vom 27.05.2014 wegen § 114 (1) FPG zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren sowie

4.) vom 12.04.2016 wegen § 50 (1) Z 2 WaffG, § 28 (1) 2. Satz SMG, § 27 (1) Z 1 1.2. Fall u (2) SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr

(Strafregister der Republik Österreich).

1.4 Das BFA erließ den gegenständlich angefochtenen Bescheid ohne persönliche Anhörung des Beschwerdeführers. Das BFA verständigte den – zu jenem Zeitpunkt bereits in Strafhaft befindlichen – Beschwerdeführer lediglich schriftlich von der Absicht, eine „Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 iVm § 53 Abs. 3 Ziffer 1 FPG“ gegen den Beschwerdeführer zu erlassen und gab dem Beschwerdeführer Gelegenheit sich dazu – wiederum nur schriftlich – zu äußern. (BFA Verständigung vom Ergebnis des Beweisverfahrens 16.07.2020 (nicht durchnummerierter BFA-Akt))

Das BFA traf im angefochtenen Bescheid Länderfeststellungen basierend auf Länderinformationen aus den Jahren 2014 bis 2017. (Bescheid S 7-10)

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakt zum gegenständlich bekämpften Bescheid, aus den Feststellungen des BFA im angefochtenen Bescheid und aus der Beschwerde, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die Beweisquellen angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (§ 18 Abs 5 FPG)

3.1 Mit dem angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und ein befristetes Einreiseverbot. Der Verwaltungsgerichtshof betont dazu in seiner Rechtsprechung, dass es grundsätzlich immer Aufgabe des Verwaltungsgerichtes ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0007 mwN). Bei der Verhängung eines Einreiseverbotes, das fallbezogen befristet ausgesprochen wurde, kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der zur Prüfung eines Einreiseverbotes anzustellende Gefährdungsprognose besondere Bedeutung zu (VwGH 25.06.2019, Ra 2019/19/0130).

Im gegenständlichen Fall hat das BFA im Verfahren erster Instanz selbst nicht für erforderlich gehalten, den Beschwerdeführer einzuvernehmen. Das BFA stützt seine Entscheidung zudem auf mehrere Jahre alte Länderinformationen, ohne sich mit der aktuellen Situation in der Türkei auseinandergesetzt zu haben.

Aufgrund dessen, dass der Beschwerdeführer in Österreich geboren, in Österreich sozialisiert und hier fast sein ganzes Leben von bald 33 Jahren verbracht hat, er somit in Österreich verwurzelt ist, hier seinen Lebensmittelpunkt, seine Familie und seinen Freundeskreis hat, kann trotz der vorliegenden Verurteilungen unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK bedeuten würde.

3.2 Es wird daher gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

4. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG entfallen.

Zu B)

Revision

5. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

6. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung EMRK reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L516.2239944.1.00

Im RIS seit

01.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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